Fehlt uns moralische und politische Führung?

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Führt man sich die Ent­wick­lung unse­res Lan­des in die­ser Pan­de­mie vor Augen, kommt man nicht um eine Rei­he von Auf­fäl­lig­kei­ten des poli­ti­schen Spit­zen­per­so­nals unse­res Lan­des her­um. In sei­nem Arti­kel „Ein Kabi­nett zum Gru­seln“ hat Ulrich Horn das Dilem­ma genau­er ange­schaut und in einer Ansamm­lung von Fehl­leis­tun­gen beschrie­ben, wie Mit­glie­der die­ses Bun­des­ka­bi­netts in den letz­ten Jah­ren bis in die­se schlim­me Pan­de­mie hin­ein regiert haben. 

Kabinett

Die­se High­lights spie­len zwar längst nicht alle in der „Coro­na“ – Zeit, machen einem aber deut­lich, von wel­chen Kory­phä­en wir regiert werden. 

Mir scheint es, als wür­den in Horns Abriss die SPD-Minis­te­rIn­nen etwas bes­ser weg­kom­men als ihre Mit­strei­ter von der Uni­on. Die Kanz­le­rin, die sich ver­mut­lich eine güns­ti­ge­re Schluss­se­quenz ihrer Amts­zeit gewünscht hät­te, darf man dabei nicht außen vor las­sen. Sie hat die Din­ge zu lan­ge schlei­fen las­sen. Das Ergeb­nis kul­mi­niert in die­ser sehr schwie­ri­gen Zeit in gera­de­zu beängs­ti­gen­der Art und Wei­se. Da wirkt selbst die Maß­nah­me des Ver­fas­sungs­schut­zes gegen die AfD wie eine Art poli­tisch gesteu­er­ter Befrei­ungs­schlag oder als Ablen­kung von den wirk­lich hef­ti­gen Pro­ble­men die­ser Monate. 

AfD – Verfassungschutz – Aktivitäten

Nicht, dass ich miss­ver­stan­den wer­de. Ich fin­de, die Ent­schei­dung des Ver­fas­sungs­schut­zes rich­tig und ange­mes­sen. Nur wis­sen wir auch, wel­chen Nut­zen die AfD und ihre Fans aus die­sem Sach­ver­halt zie­hen. Oder wenigs­tens ver­su­chen wer­den zu ziehen.

Sowas hat Deutsch­land, hat unse­re Demo­kra­tie, nicht verdient.

Heu­te las ich, dass Wolf­gang Thier­se sich von einer hef­ti­gen Kri­tik ange­spro­chen fühl­te, die direkt aus dem SPD-Par­tei­vor­stand gekom­men sein soll. Er hat­te in einem Arti­kel für die FAZ Anstoß dar­an genom­men, wie sei­ne Par­tei Iden­ti­täts­po­li­tik betreibt. Als altem wei­ßen Mann kommt mir in die­sen Zei­ten zwangs­läu­fig die Rol­le zu, Thier­se in die­ser Bezie­hung zu verteidigen. 

Mei­ne ein­sei­ti­ge Par­tei­nah­me zu Thier­ses Guns­ten muss dar­auf zurück­zu­füh­ren sein, dass mir die Diver­si­tät seit gerau­mer Zeit über den Kopf wächst. Den Test mei­ner Stand­fes­tig­keit in die­sen Fra­gen habe ich – wenn ich ehr­lich bin – aufgegeben. 

Er bit­te dar­um, ihm öffent­lich mit­zu­tei­len, ob sein »Blei­ben in der gemein­sa­men Par­tei wei­ter­hin wün­schens­wert oder eher schäd­lich« sei. Er selbst habe Zwei­fel, »wenn sich zwei Mit­glie­der der Par­tei­füh­rung von mir distan­zie­ren«, so zitier­te der »Tages­spie­gel« aus dem Brief.

SPD: Wolf­gang Thier­se bie­tet Saskia Esken offen­bar Par­tei­aus­tritt an – DER SPIEGEL

Pluralistische Gesellschaft

Eine plu­ra­lis­ti­sche Gesell­schaft ist für mich ein erstre­bens­wer­tes, hohes Gut. 

Es fußt auf der Über­zeu­gung, dass alle Men­schen gleich sind und eth­ni­sche oder natio­na­lis­ti­sche Über­le­gen­heits­ge­füh­le in die­sem Sta­di­um der Mensch­heits­ge­schich­te unan­ge­mes­sen sind. Die Abwehr sol­cher Über­le­gun­gen basiert zudem auf ras­sis­ti­schen Moti­ven. Damit soll­ten wir im 3. Reich genug Erfah­rung gemacht haben.

Was sich dar­aus ent­wi­ckelt hat, muss ich zur Kennt­nis neh­men. Es fällt mir in der zwei­ten Hälf­te mei­nes 6. Lebens­jahr­zehn­tes schwer, an den Über­zeu­gun­gen ein­fach so festzuhalten. 

Ob die­ser inne­re Kampf nur auf mein Alter zurück­zu­füh­ren ist oder ob nicht die Über­trei­bun­gen, mit denen wir in den letz­ten Jah­ren kon­fron­tiert wur­den, zu die­sem Zwei­fel bei­getra­gen haben? Ich weiß es nicht!

verschiedenartige Motive

Viel­leicht war es mir nicht ernst, und ich habe nur einen auf gut­mensch­lich gemacht? Jeden­falls habe ich gelernt, wie Über­trei­bun­gen wir­ken. Nicht auf alle. Aber auf einen auch nicht ganz klei­nen Teil der Bevöl­ke­rung hat die Mensch­lich­keit Mer­kels so tie­fe Ver­un­si­che­run­gen und Gegen­po­si­tio­nen her­vor­ge­bracht, dass ich die­se nicht ein­fach igno­rie­ren kann. 

»Die Iden­ti­täts­po­li­tik von rechts ist eine Poli­tik, die zu Aus­schlie­ßung, zu Hass, ja zu Gewalt führt«, so der 77-Jäh­ri­ge: »Und die Iden­ti­täts­po­li­tik von links führt, wenn sie wei­ter so ein­sei­tig und in die­ser Radi­ka­li­tät betrie­ben wird, zu Can­cel Cul­tu­re.« Zudem kri­ti­sier­te er, dass gen­der­ge­rech­te Spra­che »auf dem Ver­ord­nungs­we­ge« durch­ge­setzt werde.

SPD: Wolf­gang Thier­se bie­tet Saskia Esken offen­bar Par­tei­aus­tritt an – DER SPIEGEL

Von gen­der­ge­rech­ter Spra­che hal­te ich nur solan­ge etwas, solan­ge ich mir ein­re­den kann, dass selbst die zahl­lo­sen Über­trei­bun­gen Men­schen nüt­zen. Aber lässt sich sowas sta­bi­li­sie­ren und kon­ser­vie­ren über die Zeit, die wir alle brau­chen, um den Nut­zen einer „Bewe­gung“ zu erken­nen, die selbst mit ihrer Art der „Kriegs­füh­rung“ durch­aus für Aus­gren­zung und Benach­tei­li­gung sorgt? 

Wolfgang Thierse und Gesine Schwan

Wenn ein SPD – Par­tei­ur­ge­stein, wie ich sowohl Wolf­gang Thier­se als auch Gesi­ne Schwan bezeich­nen möch­te, von ande­ren Par­tei­mit­glie­dern qua­si als gesell­schaft­lich Zurück­ge­blie­be­ne oder Ewig­gest­ri­ge denun­ziert wer­den, ist ein Punkt erreicht, den man wie­der­um nur als Mei­len­stein ins Nir­gend­wo der Geschich­te der SPD anse­hen kann. 

Men­schen auf­grund ihrer ver­meint­lich ana­chro­nis­ti­schen Hal­tung zu einer von man­chen so emp­fun­de­nen „moder­nen Iden­ti­täts­po­li­tik“ ver­pflich­ten zu wol­len, ist ein­fach nur … Wenn Wolf­gang Thier­se nach der laut­stark vor­ge­brach­ten Kri­tik, in die sich schein­bar auch die Par­tei­spit­ze in Per­son von Frau Esken und Herrn Küh­nert ein­ge­schal­tet hat, sei­nen Aus­tritt aus der Par­tei anbie­tet (um Scha­den von der Par­tei fern­zu­hal­ten) zeigt mir das an einem wei­te­ren Bei­spiel, dass ich die SPD nicht mehr als mei­ne poli­ti­sche Hei­mat betrach­ten kann. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Demokratie Identitätspolitik SPD

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2 Gedanken zu „Fehlt uns moralische und politische Führung?“

  1. „wenn sie wei­ter so ein­sei­tig und in die­ser Radi­ka­li­tät betrie­ben wird“ – ja, das ist der Punkt. Ich habe mich selbst in einer lin­ken Grup­pe befun­den und das erlebt – aber dadurch auch gelernt, WER haupt­säch­lich für „Radi­ka­li­tät und Über­trei­bun­gen“ ver­ant­wort­lich ist. Das sind zumeist NICHT die „Betrof­fe­nen“, son­dern ihre Stell­ver­tre­te­rin­nen, in dem Fall war waren es jun­ge „wei­ße Stu­die­ren­de der Sozia­len Arbeit“, die sich die „Cri­ti­cal Whiten­ess“ als Ideo­lo­gie gewählt haben, um selbst wich­tig wich­tig zu erschei­nen und zu Tei­len auch schlich­te Macht­po­li­tik zu betrei­ben! Es tut ja so gut, sich auf eine mora­lisch schier unan­greif­ba­re Posi­ti­on zu stel­len und von dort aus alle ande­ren her­ab zu sehen, die die „rei­ne Leh­re“ noch nicht unhin­ter­fragt repe­tie­ren kön­nen oder wollen.
    Es hat drei Jah­re gedau­ert, bis die Kämp­fe im klei­nen Rah­men von damals in der Gesamt­ge­sell­schaft ange­kom­men sind. Eine Erfolgs­ge­schich­te in Sachen Spaltung!

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