Winnetou und Old Shatterhand – die erfundenen Lichtgestalten

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Es gibt selt­sa­me Zufäl­le. Aber auch wie­der nicht. Schließ­lich ist die­ses The­ma längst und stän­dig nicht in aller, so doch in vie­ler Munde.

Gera­de heu­te Mor­gen habe ich die­sen Bei­trag bei „Repu­blik“ gele­sen und nun gibts schon wie­der Auf­ruhr wegen einer neu­en Pos­se der Grals­hü­ter der Moral. Viel­leicht ist es auch kein Zufall. Die Fre­quenz der Dis­kus­sio­nen über das The­ma nimmt zu. Can­cel Cul­tu­re ist eines der Stich­wör­ter unse­rer Zeit. 

▹ Cancel Winnetou

Wie­der gehts um Win­ne­tou und um die Fra­ge, inwie­weit kul­tu­rel­le Aneig­nung vor­liegt – bei dem Buch von Ravens­bur­ger. Der Ver­lag hat­te die­se auf Druck übli­cher Ver­däch­ti­ger vom Markt genom­men. Ravens­bur­ger reagier­te damit auf kri­ti­sche Stim­men im Inter­net, die dem Ver­lag vor­ge­wor­fen hat­ten, in den Büchern ras­sis­ti­sche Ste­reo­ty­pe über Urein­woh­ner Nord­ame­ri­kas wiederzugeben.


Der Autor des zuvor von mir erwähn­ten Bei­tra­ges, Jens Bal­zer, bemüht sich, die Pro­ble­ma­tik zu ver­mit­teln und ein­zu­ord­nen. Dabei wird vor­aus­ge­setzt, dass man über­haupt noch bereit, sich mit dem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen. Ich habe das Gefühl, dass die meis­ten das The­ma ein­fach nur nervt. 

Nun kann man das, ver­meint­lich reflek­tiert, als über­trie­ben zurück­weisen, weil es sich bei den Apa­chen von Karl May zuvor­derst um Kind­heits- und Märchen­fantasien han­delt. Das ändert aber nichts dar­an, dass auch die­se Fan­ta­sien in die jahr­hun­der­te­al­te Geschich­te des Kolo­nia­lis­mus zurück­verweisen.

Wenn wei­ße Men­schen sich als «India­ner» ver­klei­den, wenn sie Feder­schmuck auf­set­zen und sich in Fransen­anzüge klei­den und dann auch noch das Gesicht rot schmin­ken, dann klei­den sich Ange­hö­ri­ge einer poli­tisch, wirt­schaft­lich und mili­tä­risch domi­nan­ten Kul­tur nicht nur in die Kos­tü­me einer mar­gi­na­li­sier­ten Kul­tur. Son­dern sie tun dies auch in genau jener ober­flächlichen, stereo­typisierenden Wei­se, die gera­de Teil von Unter­drückung, Aus­gren­zung und Dis­kri­mi­nie­rung ist. Link fol­gen

Was Sie wis­sen soll­ten, wenn kul­tu­rel­le Aneig­nung Sie auf­regt – Republik

▹ Bevormundung in moralinsaurer Sauce

Viel­leicht tei­len vie­le Men­schen die Grün­de, die schließ­lich auf­grund des enor­men Drucks, der über­wie­gend via Inter­net (Twit­ter und die ande­ren aso­zia­len Netz­wer­ke) zu sol­chen Ver­bo­ten und Beschrän­kun­gen füh­ren. Ich hal­te die­se Inter­ven­tio­nen für ärger­lich und oft genug für inakzeptabel. 

Die­se Form von Bevor­mun­dung und Mora­li­sie­rung, die immer mehr Berei­che unse­res Lebens betref­fen, soll­te aufhören! 

Dabei geht es mir nicht um die, die aus Prin­zip gegen alles sind und die sich über das mora­li­sie­ren­de Geha­be links-grü­ner Krei­se in der Gesell­schaft wen­den. Den Leu­ten hängt, ich fin­de zu Recht, die pene­tran­te Ein­fluss­nah­me am Hal­se her­aus. Ist Leben und leben las­sen wirk­lich so out? „Jeder soll nach sei­ner Fas­son selig wer­den“ Nun, alt genug (18 JH) ist die­ses Zitat, ums ver­ges­sen zu haben…

Die Mehr­heit ist gegen Gen­dern. Das ist ein Bei­spiel einer auf­ge­zwun­ge­nen poli­ti­schen Kor­rekt­heit, die sicher in bes­ter Absicht gestar­tet ist. 

Ich glau­be, sol­che Beleh­run­gen und Ein­grif­fe wir­ken nicht auf die Art und Wei­se, wie sie inten­diert gewe­sen sind, sie bewir­ken Ärger und Ableh­nung. Und das ist das wirk­lich Schlim­me dar­an. Nicht, dass sich auch ein paar Rech­te oder Men­schen mit eige­nen Plä­nen für die­ses Land dar­über hermachen. 

Der Pro­zess an sich nervt und lässt lei­der über­haupt nicht erken­nen, dass die hier­mit ein­mal ver­bun­de­nen Ziel­set­zun­gen eine Chan­ce zur gesell­schaft­li­chen Akzep­tanz errei­chen wird. Eher wächst die Ablehnung. 

Die Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung hat noch längst nicht alle Zie­le erreicht. Dar­an, dass sie die­sen Zie­len durch neue Sprach­re­ge­lun­gen näher­kommt, kann ich nicht glau­ben. Auch bei den per­so­nel­len Beset­zun­gen von Regie­rungs­äm­tern, die durch Quo­ten Rea­li­tät wur­den, ist Skep­sis unüberhörbar. 

▹ Je kleiner, je lauter

Dass sich unse­re Gesell­schaft dar­auf ein­lässt, sich von eher klei­nen, aber lau­ten Tei­le unse­rer Gesell­schaft trei­ben zu las­sen, bringt uns nicht wei­ter. Die Über­prä­senz führt zu Unwil­len und schließ­lich zu wach­sen­dem Wider­stand. Natür­lich liegt das nicht im Inter­es­se der betref­fen­den Gruppen. 

Man muss für die Zie­le, an die man glaubt, kämp­fen. Das bleibt wahr. Aber wie gut kom­men wir mit sol­chen Kon­zep­ten vor­an, wenn sie regel­rech­te Grup­pen­zwän­ge aus­lö­sen? Die beklag­te, zuneh­men­de gesell­schaft­li­che Spal­tung füh­re ich auch auf man­che Über­trei­bung zurück, die zwar in die Gesell­schaft hin­ein­wir­ken mögen, nur lei­der nicht aus­schließ­lich im gewünsch­ten, im guten Sinne. 

▹ Tragischer Tod eines 16-Jährigen

Da stirbt ein 16-jäh­ri­ger Sene­ga­le­se in Dort­mund bei einem Poli­zei­ein­satz. Die Umstän­de sind ange­sichts des aktu­el­len Kennt­nis­stan­des von Außen­ste­hen­den kaum zu bewerten. 

Trotz­dem ist vom ers­ten Tage für vie­le Men­schen klar gewe­sen, dass die Poli­zei falsch gehan­delt hat. 11 Poli­zis­ten gegen einen 16-Jäh­ri­gen. Eine Maschi­nen­pis­to­le gegen ein Mes­ser. Ein Migrant gegen die Poli­zei.

Für vie­le (Rech­te und Lin­ke) war es die erneu­te Bestä­ti­gung ihrer unter­schied­li­chen Vor­ur­tei­le und ein erwart­ba­res oder infa­mer Wei­se sogar das erwünsch­te Ende. Da gibts Lich­ter­ket­ten, der OB spricht zum Volk, wie schreck­lich alles ist und es gibt jede Men­ge Anteil­nah­me für den getö­te­ten Jugendlichen. 

Die Poli­zei bekommt wäh­rend­des­sen wie­der rich­tig was auf die Fres­se. Wie immer, wenn die Lin­ken rich­tig loslegen. 

Und die­se tra­gi­sche Geschich­te war eine Gele­gen­heit, die sie nicht lie­gen­las­sen woll­ten. Dass die Body­cams der Poli­zis­ten den Vor­gang nicht auf­zeich­ne­ten und des­halb die Beweis­füh­rung nur auf Aus­sa­gen der betei­lig­ten Zeu­gen (waren das aus­nahms­los Poli­zei­be­am­te?) zurück­ge­grif­fen wer­den kann, ist aller­dings skan­da­lös. Aber ob die nun erho­be­nen For­de­run­gen die Gna­de deut­scher Daten­schüt­zer fin­den kann, ist sofort frag­lich. Wir ken­nen unse­re Pap­pen­hei­mer. Dabei wür­de sich manch ein Links­extre­mer, der sich im Moment über den Nicht­ein­satz der Body­cams echauf­fiert, wun­dern, wenn sei­ne Gewalt gegen Poli­zei­be­am­te plötz­lich alle Welt bestau­nen könn­te. Die Begeis­te­rung für Body­cams fän­de rasch ihr Ende.

Der Fall hat mit dem eigent­li­chen The­ma nichts zu tun? Viel­leicht. Alles zusam­men betrach­tet, zeigt die­ser klei­ne Exkurs aller­dings, wie ober­fläch­lich unser Ver­ständ­nis für ande­re Kul­tu­ren und die vor­an­ge­trie­be­ne Ent­wick­lung man­cher Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten (Aus­schluss fal­scher Signa­le, stär­ke­re Berück­sich­ti­gung kul­tu­rel­ler Eigen­ar­ten, sprach­li­che Kor­rekt­heit) ist. Ande­rer­seits zeigt sich unter den uns alle for­dern­den Kri­sen­be­din­gun­gen der Gegen­wart, wie reflex­haft sich unse­re Ableh­nung Bahn bricht, obwohl es oft um wün­schens­wer­te kul­tu­rel­le und sprach­li­che Wei­ter­ent­wick­lun­gen geht. Wahr­schein­lich for­dern uns sol­che Pro­zes­se Geduld, Auf­merk­sam­keit und Empa­thie ab, über die wir aus Grün­den weni­ger als frü­her ™ verfügen. 

▹ Kulturelle Aneignung dient der Verdrängung, der Wiedergutmachung oder wem oder was eigentlich? 

Ich war als Kind beim Kar­ne­val häu­fig „India­ner“, weil ich Win­ne­tou als star­ken und gerech­ten Mann bewun­dert habe. Die Haut­far­be spiel­te kei­ne Rol­le. Über Old Shat­ter­hand dach­te ich nicht anders. Der war dann im nächs­ten Jahr wie­der dran. 

Ich sehe da kei­ne kul­tu­rel­le Aneig­nung. Die Dis­kus­si­on emp­fin­de ich als so über­flüs­sig und abge­ho­ben, dass ich mich selbst ange­sichts des erwähn­ten, ein­ge­hen­den Tex­tes nicht davon frei­ma­chen kann. 

Ich erin­ne­re mich, dass es damals (60-er Jah­re) Eltern gab (die mei­nes Freun­des z.B.), die wenig Ver­ständ­nis für unse­re Wild­west-Manie hat­ten. Selbst zu Kar­ne­val. Es waren im Gegen­satz zu mei­nen Eltern gebil­de­te und ver­mö­gen­de Leu­te. Sie pfle­gen ande­ren gesell­schaft­li­chen Umgang als mei­ne Eltern. Ich hat­te immer ver­mu­tet, ihnen waren unse­re Cow­boy- und India­ner­spie­le zu sim­pel. Mög­li­cher­wei­se hat­ten sie auch schon ein Auge für die kul­tu­rel­le Aneig­nung und hät­ten die­se nur anders genannt. 

Im Ernst: Intel­lek­tu­el­le mit gro­ßem Reso­nanz­raum in der Öffent­lich­keit soll­ten sich mit den wirk­lich wich­ti­gen The­men unse­rer Zeit aus­ein­an­der­set­zen, dazu mehr sagen. Wohin haben sich die mora­li­schen Instan­zen des letz­ten Jahr­hun­derts bloß ver­zo­gen? Ja, die aller­meis­ten sind tot. Aber müs­sen wir uns wirk­lich auf die Weis­heit von Richard David Precht ver­las­sen oder ist da mehr?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Cancel Culture Kultur

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12 Gedanken zu „Winnetou und Old Shatterhand – die erfundenen Lichtgestalten“

  1. Ich glau­be, mehr ist da nicht mehr. Phi­lo­so­phie ist nur noch etwas für intel­lek­tu­el­le Krei­se, in denen man sich genau dafür inter­es­siert. In der brei­ten Öffent­lich­keit gibt es da ein Inter­es­se mehr. Ok, frü­her gabe es da auch nicht viel, aber die Medi­en haben die phi­lo­so­phi­schen (ethi­schen, mora­li­schen) The­men gele­gent­lich ange­schnit­ten und in den klas­si­schen Talk­shows mit ent­sore­chen­dem Favh­per­so­nal durch­dis­ku­tie­ren las­sen. Bestimm­te Zuschau­er­krei­se hat das dann inter­es­siert. Manch­mal schlu­gen die Wel­len sogar rich­tig hoch, ich erin­ne­re an den berühm­ten „His­to­ri­ker­streit“, der natür­lich auch ein hoch­phi­lo­so­phi­scher Streit war. Da bekam sogar lobens­wer­ter­wei­se einer der höchst­ran­gi­gen deut­schen Phi­lo­so­phen der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts, Jür­gen Haber­mas, eine öffent­li­che Platt­form, von der man Jah­re zuvor bes­ten­falls träu­men konn­te. Das war ein gro­ßes Zeit­the­ma, das medi­al groß behan­delt wur­de und viel Wir­kung erzielte.

    Heu­te dage­gen gibt es nahe­zu belie­bi­ge Auf­re­ger, für die sich klei­ne, aber bes­tens ver­netz­te Prot­ago­nis­ten­grup­pen eine Zeit­lang enga­gie­ren. Ratio­na­le Aus­ein­an­der­set­zun­gen gibt es dazu aller­dings nicht mehr, die Leu­te kön­nen das nicht mehr, die Medi­en wol­len das nicht mehr. Wozu auch, wenn ich den „Geg­ner“, auf den ich mit dem Fin­ger als Waf­fe zei­ge, ein­fach in sei­ner Wir­kung zer­stö­ren kann. Bei Gele­gen­heit auch ger­ne beruf­lich und wirtschaftlich.

    Durch die soge­nann­ten „Sozia­len Medi­en“ aller­dings haben sich Struk­tu­ren ver­än­dert. Es sind Platt­for­men, auf denen Nar­ziss­mus und Selbst­ge­fäl­lig­keit blü­hen, weil sie unmit­tel­bar belohnt wer­den. Wer gut ver­netzt ist und genü­gend laut schreit, wird gehört und gelik­ed. Und wer laut schreit und agi­tiert und dafür ver­linkt und gelik­ed wird, hat Recht. Und wer Recht hat, hat das Recht, ande­re Stand­punk­te zu bekämp­fen und zu zerstören.

    Das wie­der­um wird gehört und ver­linkt und gelik­ed, es fin­det ein Ver­stär­kungs­pro­zess statt, der dann in „Can­cel Cul­tu­re“ mün­det. Und „Can­cel Cul­tu­re“ dient kei­nem Zweck, sie ist sich – Selbst-Zweck – genug.

    Man darf ver­bie­ten (las­sen) und ver­nich­ten, was nicht dem eige­nen Welt­bild ent­spricht, und man wird im Netz sofort und bestän­dig bestä­tigt und angefeuert.

    Schließ­lich wird ein absur­der Kul­tur­kampf auf­ge­zo­gen, aber es geht gar nicht um die behaup­te­te Sache, z.B. ein lee­res, kon­stru­ier­tes Kon­zept wie „Kul­tu­rel­le Aneig­nung“. Es geht am Ende um die Erfah­rung der immer wie­der von Gleich­ge­sinn­ten bestä­tig­ten Selbst­ver­ge­wis­se­rung, dass man auf irgend­ei­ner „rich­ti­gen Sei­te“ steht und kon­se­quent für eine der gera­de aus­ge­ru­fe­nen abso­lu­ten Wahr­hei­ten ein­steht und des­we­gen das Recht zu haben glaubt, ande­ren mit der Moral­keu­le den Schä­del ein­schla­gen zu dürfen.

    Es spielt dabei nicht ein­mal eine Rol­le, ob man nun „quer­denkt“ oder media­le Äuße­run­gen Ande­rer ver­hin­dert, die man „kul­tu­rel­ler Aneig­nun­gen“ bezichtigt. 

    Der auf­re­gend erleb­te tota­li­tä­re Impuls der eige­nen Wir­kung, den man dabei erfährt, ist der ent­schei­den­de Punkt, um den sich letz­ten Endes alles dreht.

    Man mag dabei ver­mu­ten, dass etwas dar­an sein könn­te, dass über­sät­tig­te bür­ger­li­che Gesell­schaf­ten, deren demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren begon­nen haben, sich leer zu dre­hen, am Ende in einem tota­li­tä­ren Stru­del abstürzen.

    Dass Men­schen sich wie­der wün­schen (ja, genau alle die, von denen ich gera­de sprach), dass es kla­re Vor­ga­ben für das Rich­ti­ge und Fal­sche gibt, dass es jeman­den gibt, der Wahr­heit ver­kün­det und dem man beru­higt und selbst­ge­wiss fol­gen kann, wenn er aus­zieht, die Abweich­ler zu ver­fol­gen und – am Ende – zu vernichten.

    Aus „Can­cel Cul­tu­re“ wird am Ende (wie­der, denn wir ken­nen das ja) „Des­truc­tion Cul­tu­re“, es ist ledig­lich eine Fra­ge der Zeit. 

    (Ja, es ist so, ich wün­sche mir schon die alten Talk­shows am spä­ten Abend zurück, wo sich intel­li­gen­te und gebil­de­te Men­schen zu schwie­ri­gen gesell­schaft­li­chen The­men die Köp­fe heiß redeten…)

  2. @Horst: ein groß­ar­ti­ger Arti­kel, den du da zu „kul­tu­rel­ler Aneig­nung“ emp­fiehlst! End­lich mal wie­der ein Text, der der Kom­ple­xi­tät und Geschich­te des The­mas gerecht wird, berech­tig­te Kri­tik an Aus­wüch­sen inklusive!
    Auch ich war Win­ne­tou-Fan und sowas wie aktu­ell gegen die Ravens­burg-Bücher regt mich auch auf, obwohl ich die Beweg­grün­de inhalt­lich ver­ste­he. Was mich aber nervt: Der­lei wird hier­zu­lan­de nicht von mar­gi­na­li­sier­ten Urein­woh­nern vor­ge­tra­gen (die es hier nicht gibt), son­dern vor­nehm­lich von „pri­vi­le­gier­ten“ wei­ßen Stu­die­ren­den der sozia­len Arbeit! Da betrei­ben Leu­te Macht­spiel­chen, um sich über ande­re zu erhe­ben und freu­en sich an ihrer Wir­kung. Ich wün­sche mir mehr Aus­sit­zer-Qua­li­tät bei den betrof­fe­nen Insti­tu­tio­nen, Ver­an­stal­tern und Personen! 

    Zum Gen­dern: Die zitier­te Umfra­ge hal­te ich nur für par­ti­ell reprä­sen­ta­tiv. State­ments zur „Über­flüs­sig­keit“, weil wir wich­ti­ge­re Pro­ble­me hät­ten, sind dabei beson­ders blöd­sin­nig. Das wür­de ja bedeu­ten, dass wir nur­mehr im Kriegs- und Kri­sen­mo­dus debat­tie­ren dürf­ten und sämt­li­che weni­ger rele­van­te The­men nicht mehr legi­tim wären = absurd! 

    Als Schrei­ben­de betrifft mich das „Gen­dern oder nicht gen­dern“ seit Jah­ren mas­siv. Und wie vie­le ande­re Schrei­ben­de habe ich mei­nen Stil etwas ange­passt, meist ohne expli­zit zu gen­dern, aber unter Ver­mei­dung des gene­ri­schen Mas­ku­li­nums. (Denn wahr sind für mich die Unter­su­chun­gen, die erge­ben haben, dass eine For­mu­lie­rung wie „die ver­sam­mel­ten Ärz­te“ in den Köp­fen eine Män­ner­grup­pe zeigt).
    Wie ich machen es vie­le! (Und ver­mut­lich wür­de man auch bei dei­nen Tex­te gewis­se Ver­än­de­run­gen fin­den, wenn man sie mit jenen vor 15 Jah­ren vergleicht). 

    @Boris: Auf ARTE und PHOENIX ist noch mehr Phi­lo­so­phie! Der Erfolg von Precht spricht auch nicht gera­de für phi­lo­so­phi­sches Des­in­ter­es­se, ob man ihn nun mag oder nicht. 

    Ansons­ten tei­le ich dei­ne Sorge:

    „Man mag dabei ver­mu­ten, dass etwas dar­an sein könn­te, dass über­sät­tig­te bür­ger­li­che Gesell­schaf­ten, deren demo­kra­ti­sche Struk­tu­ren begon­nen haben, sich leer zu dre­hen, am Ende in einem tota­li­tä­ren Stru­del abstürzen.“

    Was kon­kret du unter „leer dre­hen“ ver­stehst, inter­es­siert mich! Die Tota­li­tä­re Gefahr sehe ich aller­dings eher von rechts und popu­lis­ti­schen Haupt­sa­che-dage­gen-Strö­mun­gen als von all­zu „woken“ Neo-Linken. 

    Ges­tern sah ich zum The­ma die tol­le Doku „Auf­ge­wach­sen unter Glat­zen“ gese­hen, Teil 1 + 2, sehr beein­dru­ckend!! Zeigt das Leben mit /​unter /​neben domi­nan­ten Neo-Nazis im Osten, wie es sich ent­wi­ckelt hat, 90ger bis heu­te, berich­tet von Lite­ra­tur-Schaf­fen­den, die dabei waren:

    https://​www​.3sat​.de/​k​u​l​t​u​r​/​k​u​l​t​u​r​d​o​k​u​/​a​u​f​g​e​w​a​c​h​s​e​n​-​u​n​t​e​r​-​g​l​a​t​z​e​n​-​t​e​i​l​1​-​1​0​0​.​h​tml

    Man erfährt auch viel über die Gene­sis die­ser furcht­ba­ren Ent­wick­lung und die Wir­kun­gen in drei Alters­grup­pen hin­ein. Sehr erhellend!

  3. @Horst: Zum „Leer dre­hen“ hast du schon Wesent­li­ches gesagt.

    Dazu kommt ein zuneh­mend ver­gam­meln­des poli­ti­sche Kli­ma durch Par­tei­en, die visi­ons- und plan­los an Sym­pto­men her­um­schrau­ben, weil ihre jewei­li­ge Kli­en­tel das so ver­langt. Ich sehe z.B. bei kei­ner Par­tei außer einem Teil der Grü­nen über­haupt irgend­ein Inter­es­se an ent­schei­den­den Wei­chen­stel­lun­gen gegen den Kli­ma­wan­del. Es wird noch nicht ein­mal ein Weg aus die­ser sehr lang­fris­ti­gen Kri­se auf­ge­zeigt. Der Sta­tus Quo muss unbe­dingt erhal­ten blei­ben. Vor ein paar Jah­ren haben klu­ge Men­schen fest­ge­stellt, dass wir ein rei­ner Par­tei­en­staat zu wer­den dro­hen, Par­tei­en bzw. Par­tei­ver­tre­ter haben alle rele­van­ten Insti­tu­tio­nen durch­drun­gen, und Lob­by­is­ten haben längst die Par­tei­en voll­stän­dig durchdrungen.

    Ich sehe inzwi­schen alles zugrun­de gehen, was die Gene­ra­tio­nen mei­ner Eltern und Groß­el­tern auf­ge­baut haben. Unser Bil­dungs­sys­tem ist ein Trüm­mer­hau­fen, und alle Ver­ant­wort­li­chen in Bund, Län­dern und Kom­mu­nen sehen seit drei­ßig Jah­ren unbe­tei­ligt zu , wie es so kam.

    Unser Rechts­sys­tem ist zu einem Krebs­ge­schwür geworden,wir bekom­men kein grö­ße­res Unter­fan­gen mehr gebaut, das nicht in einem end­lo­sen Jus­tiz­ge­zer­re jah­re­lang ver­daut und am Ende ins Nichts aus­ge­schie­den wird.
    (Stich­wort Wind­kraft­an­la­gen…). Wir haben immer noch ein paar genia­le Inge­nieu­re und ent­wi­ckeln zeit­wei­se noch tol­le Ding, kön­nen aber schon lan­ge nichts mehr pro­duk­tiv umsetzen.

    Mit ande­ren, kur­zen Worten:

    Wir dre­hen in sehr vie­len Berei­chen leer, und zwar schnell – aber wir sind nicht mehr pro­duk­tiv noch konstruktiv. 

    Wir (unse­re Poli­ti­ker) sind groß im Ankün­di­gen, gera­de auch jetzt wie­der, aber wenn wir genau hin­hö­ren, wer­den gar kei­ne Maß­nah­men ange­kün­digt, son­dern es wer­den meist ledig­lich Absich­ten ver­kün­det, Maß­nah­men ergrei­fen zu wollen. 

    ich bin mal gespannt auf den Win­ter. Ich glau­be, wir ahnen jetzt noch nicht ein­mal, was uns an Ener­gie­kos­ten noch blü­hen wird, und zwar für – ver­mu­te ich – die nächs­ten drei oder vier Jah­re. Gas- und Strom­prei­se, wie wir sie bis vor kur­zem noch hat­ten, wer­den wir wahr­schein­lich nie­mals wie­der erle­ben. Mit Abstand nicht. Eine sol­che Rück­kehr irgend­wann wer­den die betref­fen­den Unter­neh­men und ihre Lob­by­is­ten­hor­den mit allen Mit­teln bekämp­fen, die sie zur Ver­fü­gung haben.

    Noch ein Punkt:

    Es häu­fen sich inzwi­schen die ner­vö­sen War­nun­gen, dass wir schon ein beängs­ti­gen­des Maß an Infla­ti­on haben, und dass das noch schlim­mer wer­den wird. Ich habe heu­te früh mal geschaut: Wir lie­gen mit unse­rer Infla­ti­ons­ra­te im euro­päi­schen Ver­gleich ziem­lich am unte­ren Ende, nur vier oder fünf Län­der haben noch weni­ger Infla­ti­on. Und hier wird man des­we­gen schon hibbelig…
    …wir wer­den noch auf­re­gen­de Zei­ten erleben.

  4. Noch ein paar Anmerkungen…

    Zur Phi­lo­so­phie ist zu sagen, dass deren Debat­ten natür­lich wie eh und je in den wis­sen­schaft­li­chen Zir­keln, also an Uni­ver­si­tä­ten statt­fin­den. Das war frü­her nicht anders. Nur kam es häu­fi­ger vor, dass rele­van­te Fra­gen, die eine phi­lo­so­phi­sche Debat­te erfor­der­ten, über den Rand der Aus­sichts­platt­form des Elfen­bein­turms in die brei­te­re media­le Öffent­lich­keit schwapp­ten und dort für – poli­ti­sche – Fol­ge­dis­kus­sio­nen sorgten.

    Und natür­lich bin ich froh, dass wir im ÖR-TV Zeit­geis­ter genie­ßen dür­fen wie Precht, Sco­bel, Wel­zer, die in der Lage und wil­lens sind, kom­ple­xe­re Mate­rie für eine inter­es­sier­te Öffent­lich­keit auf­zu­ar­bei­ten und im Dia­log darzubieten.

    Aber es haben sich Platt­for­men ver­scho­ben. Man liest es immer wie­der, dass man sich heu­te auf den „Sozia­len Medi­en“ tum­meln muss, um rich­tig wahr­ge­nom­men zu wer­den. Lei­der haben sich auch die „alten“ Medi­en dazu ent­schlos­sen, weni­ger direkt als ver­mit­telt über die­se neu­en Platt­for­men an ihre Rezi­pi­en­ten her­an­zu­tre­ten. Anders:

    Man ist zwar selbst „Kanal“, nutzt aber lie­ber kon­kur­rie­ren­de Kanä­le zum Ver­brei­ten der „Mes­sa­ge“. Hab ich nie ver­stan­den: ÖR-TV braucht kein Twit­ter oder Face­book, um irgend­et­was mit­zu­tei­len. Das könn­te man direkt igno­rie­ren. Der Glau­be, dass man mit die­sem Auf­sit­zen Ziel­grup­pen erreicht, die man sonst nicht erreicht, dürf­te ein Irr­glau­be sein: Die Ziel­grup­pen neh­men bes­ten­falls ein auf­ge­setz­tes ÖR-TV-Sur­ro­gat auf. Aber dann wer­den zuneh­mend Inhal­te auf die neu­en Platt­for­men verlagert.

    Das ist alles der Angst geschul­det, irgend­wie von der Auf­merk­sam­keit (also letz­ten Endes: Quo­ten) abge­hängt zu wer­den. Das gab es schon ein­mal Mit­te der 70er mit der Eröff­nung des Pri­vat­fern­se­hens. Da hat­te man jede sich bie­ten­de Gele­gen­heit genutzt, den Leu­ten aufs Brot zu schmie­ren, dass man (die ÖRs) qua­si natur­be­dingt immer das bes­se­re, seriö­se­re und anspruchs­vol­le­re Pro­gramm haben wer­de als die Pri­va­ten, die ja nur der Wer­bung und der Quo­te hörig sein dür­fen – und gleich­zei­tig (!) hat man ange­fan­gen, sys­te­ma­tisch alle Pro­gramm-Neu­schöp­fun­gen der Pri­va­ten bis zur hoch­not­pein­li­chen Unun­ter­scheid­bar­keit zu kopie­ren. Man hat selbst rigo­ros pri­va­ti­siert und eine unüber­schau­ba­re Dia­spo­ra pri­va­ter Sub­un­ter­neh­men aus­ge­son­dert, die heu­te das Pro­gramm erzeu­gen, das ein ÖR-Ver­wal­tungs­ap­pa­rat mit ange­schlos­se­nen Sen­de­platz­pla­nungs-Redak­tio­nen ausstrahlt.

    Ok, ich schwei­fe ab… 😉

    Win­ne­tou… ja, „Cow­boy und India­ner“ habe ich mit mei­nen Freun­den zu Fasching auch gespielt. Ich war immer Cow­boy. Ich moch­te die­sen Federn­zie­rat ein­fach nicht. Und außer­dem woll­te ich mit umge­schnall­ten Revol­ver­gurt und coo­lem Hut her­um­lau­fen. Und ich ZOG SCHNELLER als fast alle Kum­pels, denn ich habe das zu Hau­se geübt!

    Oh, wie ver­kom­men weiß und kolo­nia­lis­tisch, ras­sis­tisch gar (Kür­zel: VWKR) ich damals war… und heu­te noch bin??

    Nein, denn ich bin ja erwach­sen gewor­den und habe Bil­dung genos­sen und Vie­les gelernt: Tat­säch­lich war ich weder damals VWKR, noch bin ich es heu­te. Das hat näm­lich mit Win­ne­tou und „India­nern“ gar nichts zu tun.

    Und Win­ne­tou aus den Buch- und Film­re­ga­len und von den Thea­ter­büh­nen zu til­gen („Can­cel Cul­tu­re“ = Zen­sur) und das Wort „India­ner“ aus den Köp­fen zu dro­hen und bei Bedarf zu prü­geln, wird auch in fünf­zig Jah­ren noch kei­nem heu­ti­gen (und zukünf­ti­gen) Nach­fah­ren der ame­ri­ka­ni­schen Urpo­pu­la­ti­on in der gerings­ten denk­ba­ren Wei­se gehol­fen haben. Und zwar in über­haupt kei­ner­lei Hinsicht. 

    Doch ich ver­mu­te stark, dar­um geht es auch gar nicht. Ich ver­mu­te viel­mehr, dass das alles rein selbst­be­züg­lich ist. Ich will gar nicht ver­mu­ten, dass da ein „wei­ßer“ Schuld­kom­plex eine Rol­le spielt oder eine (selbst­ge­fäl­li­ge…) Pro­jek­ti­on von Verantwortlichkeit. 

    Ich hat­te vor eini­gen Mona­ten mal vor, mich ganz aus­führ­lich mit die­sem The­ma zu befas­sen. Es könn­te viel­leicht eine inter­es­san­te Stu­die zur Befind­lich­keit eines klei­nen Teils der jün­ge­ren deut­schen Gesell­schaft wer­den, der nicht in der Lage scheint, sich mit den gesell­schafts­his­to­risch begrün­de­ten Feh­lun­gen und Wir­run­gen (und bis­wei­len über lan­ge Zeit­räu­me gewalt­tä­ti­gen Fehl­leis­tun­gen) unse­rer Gesell­schaft (deren Teil sie unent­rinn­bar sind) anders zu beschäf­ti­gen als mit reak­tio­nä­rer „Can­cel Cul­tu­re“ in ver­schie­de­nen Hinsichten.

    Aber ich bin eben nicht sicher, ob das über­haupt Sinn ergibt, denn es dürf­te ziem­lich sicher die Bla­se sol­cher auf­merk­sa­mer klei­ner Blog-Gemein­schaf­ten wie die­se hier um den lie­ben Horst nicht ver­las­sen und außer­halb auf frucht­ba­re Auf­merk­sam­keit stoßen.

    Da ich an den „Sozia­len Medi­en“ grund­sätz­lich nicht teil­neh­me, bleibt mir einer die­ser Wege sowie­so ver­schlos­sen. Und da die­se in kei­nem Fall Raum dar­zu­stel­len schei­nen für aus­ge­dehnt ela­bo­rier­te und dif­fe­ren­zier­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu kom­ple­xen The­men die­ser Art, muss ich das nicht ein­mal beson­ders bedauern…

  5. @Boris: zu dei­nem letz­ten Absatz: seit der „Bolo­gna-Reform“ haben Stu­die­ren­de deut­lich weni­ger Zeit, sie sind mit dem Pen­sum und Job­ben so voll beschäf­tigt, dass ihnen nicht mehr genü­gend freie Zeit bleibt, um sich „ganz gemüt­lich“ mit der Welt­la­ge und deren Hin­ter­grün­de zu befas­sen und zu philosophieren. 

    @Horst: Bzgl. der „Stu­die­ren­den der sozia­len Arbeit“ habe ich nicht gemeint, dass kon­kret die aktu­el­le Debat­te von die­sen bestrit­ten wird (ich habe ja kei­ne Daten, was das für Leu­te sind). Ich ken­ne aber aus Lebens­er­fah­rung in ein­schlä­gi­gen Grup­pen die Domi­nanz die­ser Grup­pe in sämt­li­chen der­ar­ti­gen Debatten. 

    Tichy, Bro­der, Reit­schus­ter (Stein kenn ich nicht) sind m.E. rechts­ra­di­ka­le Schreib­tisch­tä­ter und übels­te Popu­lis­ten. Wenn ich noch has­sen könn­te, wären sie mei­ne Hass-Objek­te! Wenn irgend­wel­che Ver­strahl­ten, nur aus ihrer Bla­se „infor­mier­ten“ daher schwur­beln, regt mich das lan­ge nicht so auf wie Men­schen, denen ich – nolens volens – Intel­li­genz unter­stel­len muss. 

    @Boris @Horst: Die sozia­len Medi­en seht Ihr bei­de nur nega­tiv, was gewiss auch dar­an hängt, dass Ihr sie nicht nutzt, bzw. nie wirk­lich mehr als mar­gi­nal genutzt habt. Ich nut­ze fak­tisch nur Twit­ter, will das aber nicht mis­sen! Das Posi­ti­ve, was mich da hält, habe ich kürz­lich auf Wunsch in einem Dia­ry-Kom­men­tar aus­ge­führt. Es wird bei aller Kri­tik auch immer gern ver­ges­sen, dass man sich dort sei­ne „Time­line“ selbst zusam­men stellt, also die Quel­len frei wählt, die man sehen will. Mit den nega­ti­ven, schwur­beln­den, selbst­ge­fäl­li­gen, gar hass­erfüll­ten Tweets kom­me ich kaum in Berüh­rung, denn die, denen ich fol­ge, pos­ten der­ar­ti­ges nicht. Gleich­wohl schaue ich mir das immer mal an, weil ich schließ­lich mit­be­kom­men will, was so alles stattfindet. 

    Wie rele­vant die Soz​.Med. für die Auf­merk­sam­keits­ge­win­nung für Arti­kel und Sen­dun­gen anders­wo, spe­zi­ell für den ÖRR sind, müss­te jemand unter­su­chen. Wir wis­sen es nicht, aber ich den­ke, wenn dar­über kei­ne Rezi­pi­en­ten kämen, wür­den die Sen­der das nicht machen. Ich pos­te auch selbst inter­es­san­te Sen­dun­gen dort – zumin­dest wer­den sie ab und an geliked. 

    Sogar im Dia­ry kom­men eini­ge nur dann, wenn ich auf Twit­ter pos­te. Dar­un­ter auch lang­jäh­ri­ge Real Life- Freun­de! Des­halb pos­te ich auch Links zu län­ge­ren Kommentaren. 

    Die hier for­mu­lier­te Staats- und Par­tei­en-Kri­tik hal­te ich für deut­lich über­zo­gen. Wie haben wir uns frü­her doch gewünscht, dass wir mehr Ein­fluss hät­ten als nur „alle 4 Jah­re ein Kreuz zu machen“. Jetzt ist das tat­säch­lich so: die Regie­ren­den reagie­ren auf das Echo, das ihr Tun und Nicht-Tun in der Gesell­schaft erzeugt deut­lich mehr – und es passt auch nicht. 

    Und was Lob­by angeht, wün­sche ich mir eine dif­fe­ren­zier­te­re Betrach­tung. Poli­tik und Ver­wal­tung haben von sich aus nicht das Fach­wis­sen, um sämt­li­che Wir­kun­gen ihrer Geset­ze und Ver­ord­nun­gen auf die kom­ple­xe Gesell­schaft, Wirt­schaft und Umwelt auf dem Schirm zu haben. Des­halb ist es m.E. unver­zicht­bar, jene, die es betref­fen wird, in Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren ein­zu­bin­den. Das bedeu­tet nicht, immer das zu tun, was die­se wol­len, aber so ist es ja auch nicht. Es gibt auch Enquete-Kom­mis­sio­nen, Arbeits­grup­pen, Anhö­run­gen und Bera­tun­gen von Wis­sen­schaft und Uni-Krei­sen. „Lob­by“ nennt man auch immer nur Ver­tre­tun­gen der Groß­in­dus­trie etc., ande­re hei­ßen Betrof­fe­nen­ver­tre­tung, NGOs, Umwelt­ver­bän­de, BIs – und alle tra­gen ihre je eige­nen Inter­es­sen vor, die sich aus ihren Tätig­kei­ten erge­ben. Bekla­gens­wert ist hier allen­falls die Ungleich­heit der Waf­fen: die einen kön­nen sich bezahl­te Voll­zeit-Lob­by­is­ten leis­ten, ande­re nicht. 

    Wenn ich die Ten­denz hier, so ziem­lich alles in die Ton­ne zu tre­ten, hoch rech­ne, läuft es am Ende auf „mehr Dik­ta­tur wagen“ hin­aus. Dann wird schnel­ler durch­re­giert, Lob­bys und Betrof­fe­ne haben deut­lich weni­ger Ein­fluss. Fragt sich nur, ob das die Wider­sprü­che in der Gesell­schaft nicht nur ver­schärft, anstatt sie zu befrieden.

  6. Claudia 129 25. August 2022 um 20:46

    @Horst: Par­tei­en sind Orga­ne der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung und haben per GG und Par­tei­en­gesetz einen gewollt pri­vi­le­gier­ten Sta­tus gegen­über ande­ren Ver­ei­ni­gun­gen. Ich weiß nicht, war­um du auf ein­mal so gegen Par­tei­en bist, deren Ziel es ist, zunächst in die Par­la­men­te und dann an die Regie­rung zu kom­men. Meinst du, mehr „unab­hän­gi­ge“ Kan­di­da­ten ohne Par­tei­hin­ter­grund wären bes­ser und wür­den erfolg­rei­cher gegen die ver­schie­de­nen Miss­stän­de agieren? 

    Dass die Macht der Par­tei­en am Ende recht begrenzt ist, zeigt doch das aktu­el­le Gesche­hen: Habeck muss Din­ge tun, die die Grü­nen nie im Leben gewollt haben – aber die Kraft des Fak­ti­schen und die Not­wen­dig­keit zu Koali­tio­nen ist nun mal zwin­gend (das ist ein Bei­spiel für vie­le „ins Amt gekom­me­ne“ Poli­ti­ker). Dass ver­schie­de­ne Par­tei­en koalie­ren müs­sen, ent­spricht voll und ganz der „Mei­nungs­land­schaft“ in DE, die nun mal nicht so einig ist, dass eine ein­zi­ge Par­tei eine kla­re Mehr­heit hät­te. Ist dar­an irgend­was undemokratisch?

    Mit sozia­len Medi­en wird natür­lich nicht „mehr Demo­kra­tie gewagt“, es kom­men nur mehr Leu­te zu Wort, die des­halb aber noch kei­ne Ent­schei­dungs­macht haben. Sie sind eher Kata­ly­sa­to­ren und Beschleu­ni­ger von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zes­sen, die vor­her gemäch­li­cher statt­fan­den, über Medi­en, zu denen längst nicht jeder Zugang hat­te. Auch frü­her gab es nicht nur die „Main­stream­m­e­di­en“, son­dern ein wei­tes Feld klei­ner Druck­schrif­ten von links und rechts, sowie die „Flug­blatt­kul­tur“, die weit­ge­hend ver­schwun­den ist. 

    WAS da for­mu­liert wur­de und heu­te beschleu­nigt und mas­sen­haft gepos­tet wird, hat sei­ne Wur­zeln nicht in den Medi­en selbst, son­dern in den tat­säch­li­chen Zustän­den in Gesell­schaft, Wirt­schaft und Staat. Was die Men­schen erle­ben, macht sie für bestimm­te poli­ti­sche Bot­schaf­ten und Hand­lungs­op­tio­nen bereit – und wie groß­for­ma­tig die Fol­gen sein kön­nen, zeigt die Situa­ti­on in den neu­en Bun­des­län­dern, deren Geschich­te seit der Wen­de DER wesent­li­che (und nach­voll­zieh­ba­re) Ursa­che des Her­an­wach­sen rech­ter Strö­mun­gen zum Mas­sen­phä­no­men ist. (Ich emp­feh­le noch­mal die 2‑teilige Doku „Auf­ge­wach­sen unter Glatzen“). 

    Mitt­ler­wei­le sind wir gera­de­zu „kri­sen­ge­schüt­telt“ mit guten Aus­sich­ten auf Ver­schlim­me­rung. Dass vie­le Men­schen unter die­sen Umstän­den aggres­si­ver, depres­si­ver, wüten­der und ver­zwei­fel­ter wer­den, wun­dert nicht. Nicht nur die Mar­gi­na­li­sier­ten, son­dern fast alle müs­sen Wohl­stands­ver­lus­te befürch­ten oder erle­ben sie bereits – und von einem mitt­le­ren Ein­kom­mens­ni­veau ist die Fall­hö­he grö­ßer, also auch die Angst. All das drückt sich in den sozia­len Medi­en aus – und wir alle sind „schuld“ dar­an, dass wir eher auf auf­re­gen­de, beängs­ti­gen­de, bri­san­te Nach­rich­ten kli­cken als auf posi­ti­ve. Das wird wie­der­um von den Algo­rith­men genutzt, die uns das zuspie­len, was uns ja offen­bar interessiert. 

    Zu dei­nem letz­ten Absatz: Das liegt (u.a.) an der erlern­ten Ent­span­nung durch Yoga: Wut und ähn­li­che Emo­tio­nen kön­nen nicht exis­tie­ren ohne Anspan­nung im Bauch­raum und Solar­ple­xus. Wer mal ein­ge­übt hat, grund­sätz­lich ent­spannt zu sein und nur „das Nötigs­te“ anzu­span­nen, bemerkt die­se „wüten­den“ Anspan­nun­gen als unan­ge­neh­me Kör­per­emp­fin­dung – und lässt sie los, anstatt sie zu supporten. 

    Falls ich dich aber mit mei­nen all­zu ratio­na­len Tex­ten ner­ve, sag ein­fach Bescheid! 🙂 Ist im übri­gen nicht so, dass ich mich gar nie auf­re­ge, aber es ist höchs­tens so ein ganz kur­zes lau­es Lüftchen..und schnell vorbei. 

    Ver­rückt, dass auch heu­te noch „Win­ne­tou“ und „Karl May“, sowie „Indi­an­der“ tren­de­ten. Als hät­ten wir kei­ne ande­ren Probleme!

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