Intellektuelle Engstirnigkeit greift um sich

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Ich suche sie, die Meinungsmacher, die mich posi­tiv beein­flus­sen. Solche von der Sorte, die das Gegenteil bewir­ken, wim­melt es nur so in die­sem Land! Wahrscheinlich auch eine Folge des Internets.

Es muss sie doch geben, die­se Inspiration geben­den Intellektuellen in Deutschland, deren Aussagen man auf Anhieb als Bereicherung in unse­ren Diskursen erkennt und die so wenigs­tens zu eini­gen der gro­ßen Krisen Orientierung geben können? 

Lieber selbst denken, nicht denken lassen?

Wahrscheinlich lese ich zu wenig Bücher, lese die fal­schen Artikel oder sehe die fal­schen TV-Beiträge. Ich soll­te mich an Monitor oder Panorama hal­ten. Notfalls hole ich mir in der „Anstalt” Rat oder wenn’s intel­lek­tu­ell nicht rei­chen soll­te, bei der „Heute Show” Orientierung. Nur – die spu­len weder Kabarett noch Comedy ab, son­dern geben poli­ti­sche Nachhilfe. Wer das mag!? 

Heute habe ich zwei neue Artikel gele­sen, die sich mit den intel­lek­tu­el­len Verfehlungen von Richard-David Precht und Harald Welzer befass­ten. Das Thema ist immer noch nicht durch! Kaum zu glau­ben in die­ser doch sonst so schnell­le­bi­gen Zeit.

Einer stammt von Bernhard Pörsken (Spiegel, $), einem Professor für Medienwissenschaften. Er lehrt in Tübingen. Felix Ackermann (FAZ, $) schrieb den ande­ren Artikel. Er lehrt Public History an der Fernuniversität in Hagen. Beide kom­men nicht damit klar, dass sich im Falle Pörksens Harald Welzer (war­um ohne Precht?) und Ackermann wie­der­um Harald Welzer und Jakob Augstein zur Ukraine geäu­ßert haben. 

Nichts für Intellektuelle

Es ist für Medienereignisse sol­cher Art zwar viel Wasser den Rhein her­un­ter­ge­lau­fen, aber dass Precht und Welzer mit „Die vier­te Gewalt” es schaff­ten, an den Toppositionen der Bestsellerliste ste­hen, kann nicht jeder deut­scher Intellektuelle verknapsen. 

Und in die­ser von woken Blasen domi­nier­ten Öffentlichkeit kön­nen sie mit die­sen Texten einer brei­ten Zustimmung sicher sein. Blöd nur, dass die Teilnehmer sol­cher Blasen die­se für inexis­tent erklä­ren. Nun, jeden­falls, wenn es nach dem Artikel der taz vom 8.11. geht.

Ich fin­de, der Argumentationskette hät­te mal etwas Neues hin­zu­ge­fügt wer­den kön­nen. So lesen wir wie­der, wie unsin­nig und popu­lis­tisch die Behauptung von Precht und Welzer war, von Selbstangleichung zu reden, davor sogar von Selbstgleichschaltung. Dafür gäbe es kei­ner­lei Belege, sagen Prechts und Welzers Kritiker. Gab es dazu nicht längst Debatten in Deutschland mit zumin­dest unbe­stimm­tem Ausgang?

Intellektuelle aller Richtungen

Wer hat­te in die Welt gesetzt, dass der öffent­lich-recht­li­che Rundfunk von links-grü­nen Volontären geprägt wird? Inwiefern wur­den die Vorbehalte libe­ral-kon­ser­va­ti­ver Kreise in unse­rem Land aus­ge­räumt, dass links-grün das Meinungsspektrum zu stark und zu ein­sei­tig prägt? Sind etwa alle Vorbehalte gegen unse­re Medien aus­ge­räumt, nur weil die Meinungsführer in den Chefredaktionen sie nicht akzep­tie­ren wollen?

Ich emp­fin­de es bis heu­te so, dass der deut­schen Öffentlichkeit mit dem 24.02., also dem Beginn des rus­si­schen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine streng mora­li­sche Sicht zu Fragen der deut­schen Handlungsoptionen ver­ord­net, die nicht die kleins­ten Korridore für gedank­li­che Exkurse zulässt. 

Wer die Waffenlieferungen an die Ukraine hin­ter­fragt, hat sein sozia­les Kapital ver­spielt. Für pro­rus­si­sche Einwände fängt man sich die schlimms­ten aus­gren­zen­den Etiketten ein. Putinversteher wür­de ich dabei als harm­los betrachten.

Wenn Jakob Augstein oder Harald Welzer auf fami­liä­re Erfahrungen der Nachkriegszeit reflek­tie­ren, wird ihnen dies als Geschichtsvergessenheit aus­ge­legt. Dass bei­de Männer mit ihren Schilderungen ihre Angst vor dem Krieg beschrie­ben haben, liegt zwar nahe, ist aber für die intel­lek­tu­el­len Gegner völ­lig belanglos. 

Augstein wird seit sei­nem Interview mit einer Ukrainerin (es liegt Wochen zurück) man­geln­de Empathie vor­ge­wor­fen. Ja, was könn­te wohl schlim­mer sein, als einer Ukrainerin oder einem Ukrainer nicht anzu­rech­nen, dass ihre Vorfahren von deut­schen Vätern und Großvätern für Hitler mil­lio­nen­fach gemor­det haben?

Geradezu anstö­ßig hat es auf man­che Zuhörer bzw. Leser die­ses Interviews gewirkt, dass Augstein einer Kriegsverletzung sei­nes Vaters (des Spiegel-Gründers) Raum gege­ben hat. Deutsche dür­fen ihre Betroffenheit über Kriegsfolgen offen­bar nur äußern, wenn sie gleich­zei­tig nicht eige­ne Leiden beschrei­ben. Wie heißt es so schön bei den Jüngern der poli­ti­cal cor­rect­ness und denen, für die Identitätspolitik alles ist? Deutsche haben gefäl­ligst den Mund zu hal­ten. Vor allem dann, wenn es aus­nahms­wei­se um deut­sche Opfer in den Weltkriegen gehen könnte. 

Aber was Sie nicht wis­sen, ist sozu­sa­gen, was der Krieg für mich in mei­ner Biographie und in mei­nem Hintergrund bedeu­tet. Das kön­nen Sie auch nicht wis­sen. Ich ver­su­che es Ihnen jetzt aber klar­zu­ma­chen.“ Das hei­ße, so Augstein, er habe tat­säch­lich Angst vor Krieg.

Mit Verweis auf ein Interview des Sprechers der ukrai­ni­schen Präsidialverwaltung Olexij Arestowytsch, wor­in die­ser sagt, die Ukrainer hät­ten kei­ne Angst vor einem Atomkrieg, erklärt Augstein, er fin­de die­se Leichtfertigkeit gru­se­lig. Arestowytsch sol­le gefäl­ligst sei­ne Klappe hal­ten. Und fügt die rhe­to­ri­sche Frage hin­zu: „Verstehen Sie?“

FAZ, Felix Ackermann

Ich wür­de sagen, auch Deutsche haben einen Schimmer davon, wie schreck­lich Krieg ist. Warum soll­ten sie das nicht in der Debatte um den ver­stö­ren­den Krieg Russlands gegen die Ukraine ein­brin­gen? Dass sie für den bis­her Schlimmsten über­haupt die Verantwortung tra­gen, wis­sen doch alle. 


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5 Gedanken zu „Intellektuelle Engstirnigkeit greift um sich“

  1. Es muss sie doch geben, die­se Inspiration geben­den Intellektuellen in Deutschland, deren Aussagen man auf Anhieb als Bereicherung in unse­ren Diskursen erkennt und die so wenigs­tens zu eini­gen der gro­ßen Krisen Orientierung geben kön­nen?

    Es gibt sie nicht mehr.

    Ich habe mich das auch schon des Öfteren gefragt (und auch hier schon mal geschrie­ben, glau­be ich). Wer soll­te das heu­te sein? Es gibt kein intel­lek­tu­ell ergie­bi­ges Feuilleton mehr, kei­ne wirk­sam in die Öffentlichkeit hin­ein­rei­chen­den Debatten an den Universitäten. Es gibt kei­ne anspruchs­vol­len Talkformate im TV und im Internet hat sich bis­her kei­ner­lei Plattform (nicht mal im Ansatz) her­aus­ge­bil­det, die dezi­diert Raum für intel­lek­tu­ell for­dern­de Debatten zur Lage der Zeit bie­ten würde. 

    Ich ste­he nach wie vor dafür, Harald Welzer als eine der weni­gen Kapazitäten anzu­se­hen, der auf sei­nen Gebieten (Sozialforschung, auch in die Zukunft gerich­tet) ein gewich­ti­ges Wort ver­tritt. Scobel beschäf­tigt sich kon­zen­triert und klug mit wis­sen­schaft­li­chen Fragestellungen, weni­ger mit all­ge­mein gesell­schaft­li­chen Fragestellungen.

    Gelegentlich mel­det sich mal Harald Lesch all­ge­mei­ner zu Wort, er ist aber natur­ge­mäß stär­ker in die Vermittlung wis­senchaft­li­cher Inhalte eingebunden.

    Gäbe es eine eini­ger­ma­ßen ergie­bi­ge intel­lek­tu­el­le gesell­schaft­li­che Basis, auf der drän­gen­de Fragen gehalt­voll debat­tiert wür­den, dann hät­te sich bestimmt schon ein Weg her­aus­ge­bil­det, WO breit debat­tiert wer­den kann. Das müss­ten (soll­ten) heu­te nicht mehr die Zeitungen sein, das Internet wäre der adäqua­te Raum dafür. 

    Z.B. wür­de sich WordPress als Software-Plattform anbie­ten, das System bie­tet alle not­wen­di­gen Features: mit­ein­an­der ver­netz­te Blogs, Multi-Autorenschaft pro Blog, Zugangsmöglichkeit für Leser per Kommentarfunktion inklu­si­ve Moderation.

    Es gäbe nicht die Beschränkungen und Mängel der bekann­ten „Sozialen Netzwerke”, die für die Art von frucht­ba­ren Debatten, die mir vor­schwe­ben, über­haupt in kei­ner Weise geeig­net sind.

    Aber es scheint mir, dass es das lei­der nicht gibt.

    Was es statt­des­sen gibt, völ­lig aus­sichts­los lei­der, ist das bekann­te kurz­at­mi­ge und schril­le Getöse um behaup­te­te „Wahrheiten”, die mit geball­ter Meinungsmacht und genü­gen­der Followerschaft mög­lichst schnell und nach­hal­tig fest­geta­ckert wer­den an den neu­en „Klowänden” des Internet.

    Darauf hat sich inzwi­schen lei­der die gesam­te Medienlandschaft, aus­nahms­los, ein­ge­schos­sen. Ich fürch­te, aus die­sem absur­den Zerrspiegel gesell­schaft­li­cher Debatten kom­men wir kaum noch heraus. 

  2. Was stellst du dir unter „Intellektuellen, die dich inspi­rie­ren” vor? Ich fin­de, die­ser Wunsch geht zumin­dest am Bedarf der Gesellschaft völ­lig vor­bei! Wir haben näm­lich kei­ne Erkenntnisprobleme, die sich durch tief schür­fen­de Analysen und „inspi­rier­te Diskurse” lösen lie­ßen. Wir haben hand­fes­te Umsetzungsprobleme und davon vie­le groß­for­ma­ti­ge gleichzeitig! 

    Gerade hab ich die wirk­lich sehens­wer­te Doku
    Teuerland – Abschied vom deut­schen Wohlstand? gese­hen und emp­feh­le sie sehr!
    Es wird ein sach­li­cher und fun­dier­ter Überblick über die aktu­el­len Problemlagen gege­ben (Energiekrise, Inflation, Teuerung, Arbeitskräftemangel, kaputt gespar­te Infrastruktur, demo­gra­fi­sche Entwicklung), ein­schließ­lich der sich anbah­nen­den Folgen. DAS ist das Programm, an dem sich alle abar­bei­ten soll­ten, ja müs­sen, die noch etwas bei­tra­gen können.

    Damit ver­gli­chen sind die Auseinandersetzungen, die du ansprichst, ein­fach nur irrele­van­ter Pipifax, Gedöhns rund um Befindlichkeiten oder krank­haf­tes Festhalten an abge­hak­ten Themen von ges­tern (Ja, wir lie­fern Waffen, das ist der Konsens der Mehrheit, nach­dem wirk­lich alles dazu gesagt wur­de, Punkt.). Das alles wür­de nicht bes­ser oder inter­es­san­ter, wenn mehr „inspi­rie­ren­de Intellektuelle” ihren Senf dazu gäben. 

    Was wir brau­chen sind nicht mehr Meisterdenker/​innen, son­dern inspi­rie­ren­de Umsetzer/​innen: Menschen, die Andere mit­reis­sen, etwas zu tun, anstatt nur zu meckern. zu jam­mern, zu schimp­fen und zu mäkeln.

    Wenn man auf die­ser Schiene sucht und sich umschaut, stellt man fest: es gibt sie sogar! Auf vie­len Gebieten der anste­hen­den Veränderungen sind sie aktiv, in der Realität, nicht in den Pseudo-Debatten der aso­zia­len Netze, wo es mehr­heit­lich bloß dar­um geht, die täg­li­che Dosis Erregung abzugreifen. 

    Hach, das muss­te halt mal raus… 🙂 

  3. Ja, was will ich eigent­lich? Von Leuten wie dir sind doch alle Probleme die­ser Welt lücken­los ana­ly­siert wor­den. Sie müss­ten nur noch einer zügi­gen Umsetzung zuge­führt wer­den. Das Fehler im woken Protokoll ste­cken könn­te n, wird nicht in Betracht gezo­gen. Warum auch? Die, die etwas vor­sich­tig agie­ren, wer­den als Egoisten und Ewiggestrige abqua­li­fi­ziert, als Gegner. Fertig ist das links-grue­ne Weltbild. Kann man alles tun. Nur bit­te ohne mich. Bitte strei­che mich von dei­ner Linkliste. 

  4. Hallo Horst,

    was ist denn dir für eine Laus über die Leber gelau­fen? Ich hab weder etwas beson­ders „Linkes” gesagt noch gemeint! (Meine Aufzählung hat die unum­strit­ten drän­gends­ten Probleme unse­rer Zeit benannt). Das Statement, dass wir kein Erkenntnisproblem, son­dern Umsetzungsprobleme haben, ist auch nicht von mir, son­dern sehr ver­brei­tet und zig­mal for­mu­liert. Erst recht sehe ich mich selbst nicht als „Intellektuelle”, schon gar nicht als eine mit beson­ders inno­va­ti­ven Gedanken!

    Es ist doch sehr offen­sicht­lich – um nur mal ein Beispiel zu nen­nen – dass es unzäh­li­ge gut und weni­ger gut begrün­de­te Maßnahmen und Programme gibt, um dem Klimawandel zu begeg­nen und die gröbs­ten Schäden zu begren­zen. Gestritten wird über die Umsetzungen, weil ver­schie­de­ne Gruppen unter­schied­lich betrof­fen sein wer­den, ver­schie­de­ne Interessen haben, und und und.

    Anderes Beispiel: Die Debatte um die Waffenlieferungen war lang und breit und anhal­tend. Ich kann nichts dafür, dass man­che in die­sem Kontext in unter­ir­di­scher Weise „shit­s­tor­men”, ich betei­li­ge mich dar­an nicht und haf­te auch nicht dafür. Es ist mir jeden­falls kein Argument von kei­ner Seite unbe­kannt geblie­ben, ver­mit­telt über ÖRR, Private und SM. Heraus gekom­men ist ein mehr­heit­li­cher Konsens für die Lieferung (wg. „Ukraine muss sich ver­tei­di­gen kön­nen”) – und des­halb hal­te ich die­se Debatte für abge­schlos­sen und fän­de es gut, wenn die Beteiligten ihre Feindseligkeiten unter­las­sen würden.

    Deine Reaktion hat mich wirk­lich erschreckt, weil ich mich so der­art miss­ver­stan­den füh­le. Dass du den Kampfbegriff „woke” über­nimmst, fin­de ich scha­de, füh­le mich aber auch da zu Unrecht zuge­ord­net. (Häufig genug bin ich gar nicht ein­ver­stan­den mit diver­sem, was Neo-Linke so brin­gen – und mit Grünen hat­te ich vor der letz­ten Wahl nur 62% Übereinstimmung).-

    Dich aus mei­ner Linkliste zu strei­chen, sehe ich kei­nen Anlass. Ich lese ger­ne hier und freue mich, dass noch jemand die­sen Elan auf­bringt, so häu­fig zu Aktuellem zu pos­ten! ES tut mir leid, dass du dich so ange­grif­fen gefühlt hast – mich treibt es wirk­lich sehr um, dass viel­fach auf Nebengebieten „gestrit­ten und gelit­ten” wird, wäh­rend die Welt auf 2,5 bis 3 Grad zugeht.

    Lieben Gruß!

    P.S. Harari ist z.B. ein inspi­rie­ren­der Intellektueller – aber ZU WAS inspi­riert er? Nicht wirk­lich zu etwas, was jetzt und heu­te hilft. 

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