Es scheint eine Selbstverständlichkeit, dass sich Menschen für andere einsetzen. Sind die Philister unter uns? Das übertriebene Gerechtigkeitsempfinden meiner Jugendjahre ist zwar vorbei, trotzdem können mich bis heute offensichtliche Ungerechtigkeiten auf die Palme bringen. Anderen gehts nicht anders. Aber die Ansprüche sind mehr denn je zu hinterfragen.
Kriegstreiber wie Putin
Die Abscheu gegen Kriegstreiber wie Putin oder Assad und das Engagement für den Klimaschutz sind mir näher als das, was andere Aktivisten im Vorfeld zur Fußballweltmeisterschaft unter dem Label One Love vertraten – allen voraus der DFB und seine Männernationalmannschaft.
Der Unterschied kommt nicht daher, dass ich die Anliegen unterschiedlich gewichte. Allerdings fällt wohl nicht allein mir auf, dass die ach so hehren Motive zumindest unehrlich wirken. Ich glaube, dass nicht nur ich wegen der Überflutung mit moralischen Thesen ein Gefühl dafür entwickelt habe, wenn an sich Gutgemeintes und Notwendiges hochstilisiert und instrumentalisiert wird – für medienwirksame Zwecke und Botschaften.
Wenn die Demonstrationen schließlich in jeder Hinsicht so krass misslingen wie der Auftritt unserer Fußball-Männernationalmannschaft, darf ich mich nicht darüber wundern, wenn die Stimmung kippt. Und zwar nicht nur in der rechtskonservativen Ecke.
Das heißt nicht, dass Sensibilität, Akzeptanz und Toleranz für das Thema verlorengingen. Dafür sind die Aktivisten und ihre medialen Unterstützer einfach zu laut. Einen Dienst haben diese Aktivitäten der wichtigen Sache aus meiner Sicht nicht erwiesen. Jeder vernunftbegabte Mensch versteht, dass alles, was mit dem Begriff One Love verbunden ist, in der Öffentlichkeit präsent bleiben muss, damit die Normalität all dessen, was er an menschlicher Liebe enthält, auch auf Dauer in unseren Gesellschaften etabliert bleibt.
Vorspiegelungen falscher Tatsachen
Dass Streamingdienste im Vergleich zu etablierten TV-Sendern sich als Vorreiter und Wegbereiter schwuler, lesbischer oder transsexueller Identität entwickelt haben, ist deshalb positiv zu bewerten. Ebenso wie die mitunter schwer verdauliche Selbstverständlichkeit, in der PoC etwa englische Adlige auf den britischen Inseln spielen. Manche mögen sich aber nicht bloß aus rassistischen Motiven daran stoßen.
Wie urplötzlich könnten sich diese Geschichten für Jugendliche von heute im Geschichtsunterricht entpuppen, wenn sie erfahren, wie krass die historischen Wahrheiten von dem abweichen, was gut gedachte und gemachte Netflix-Geschichten zeigten? Die Frage ist, ob Bildung es vollbringt, Widersprüche solcher Art aufzuklären. Sind Gesellschaften unter solchen Voraussetzungen dazu in der Lage, falsche Bilder zu korrigieren und die Tatsachen auch nach Jahrzehnten noch zu klären?
Bewunderung für erfolgreiche Länder mit autokratischer Führung sind nicht mehr tragfähig
Wenn Ex-Kanzler Schmidt in seiner großen Bewunderung für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas dazu mahnte, moralische Ansprüche nicht zu hoch zu bewerten, frage ich mich heute, wie er in unserer Gegenwart von der woken Gemeinde für eine so tolerante Haltung gegen ein autokratisches Regime kritisiert würde. Er sprach Lebenserfahrungen und -weisheiten aus, was sich unsere heutigen Politiker kaum mehr trauen würden. Täten sie es, sie würden brutal und ohne langes Fehlerlesen gecancelt.
Bismarck
Wenn dieser Tage im deutschen Außenministerium der Name eines Sitzungszimmers geändert wird, ruft dieser Umstand den Widerstand rechtskonservativer Medien auf den Plan. Um Bismarcks Verfehlungen nach heutigen Maßstäben geht es.
Der Ex-Herausgeber des Focus, Markwort, behauptet in einem Text, den er für sein ehemaliges Blatt in seinem „Tagebuch“ geschrieben hat, dass Außenministerin Baerbock die Namensänderung veranlasst habe. Dabei konnte man ausführlich (im Spiegel) lesen, dass sie die Entscheidung in die Hände des dort tagenden Mitarbeitergremiums gelegt hatte.
Markwort wirft Baerbock in einem längeren Artikel Geschichtsvergessenheit vor und einen Mangel an Bildung. Bismarcks Nachfahren sind ebenfalls nicht erbaut von der Entscheidung im deutschen Außenministerium.
Mehr Toleranz, nicht weniger
Früher hat man diese Dinge unter Debatte verbucht und wäre durchaus hitzig bis streitig in diese Auseinandersetzungen hineingegangen. Was unsere Gesellschaft dagegen heute präsentiert, entspricht eher einem Vernichtungskampf Andersdenkender, aber leider kaum mehr einem zivilisierten Diskurs.
Mit ähnlichen Ansprüchen der moralischen Überlegenheit legten die Kreuzritter los, als sie ihre Vorstellungen von Moral unter dem Siegel des Christentums in die Welt trugen. Man sollte glauben, dass diese merkwürdigen und doch wohl längst als falsch erkannten Überheblichkeiten nicht bis in unsere Gegenwart tragfähig sein könnten.
Heute wissen wir mehr über andere Kulturen als je zuvor. Wie ist es also zu erklären, dass westliche Überheblichkeit immer noch so viel Bedeutung hat, selbst im Diskurs über etwas so Universelles wie Menschenwürde und Menschenrechte? Kulturelle und religiöse Eigenarten sind für uns im Westen keine Kategorie. Wir respektieren sie nicht, weil sie den eigenen ins Gehege kommen. Aber wohin soll das führen?
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