Moderne Philister

HS230625

Horst Schulte

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Es scheint eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass sich Men­schen für ande­re ein­set­zen. Sind die Phi­lis­ter unter uns? Das über­trie­be­ne Gerech­tig­keits­emp­fin­den mei­ner Jugend­jah­re ist zwar vor­bei, trotz­dem kön­nen mich bis heu­te offen­sicht­li­che Unge­rech­tig­kei­ten auf die Pal­me brin­gen. Ande­ren gehts nicht anders. Aber die Ansprü­che sind mehr denn je zu hinterfragen.

Kriegstreiber wie Putin

Die Abscheu gegen Kriegs­trei­ber wie Putin oder Assad und das Enga­ge­ment für den Kli­ma­schutz sind mir näher als das, was ande­re Akti­vis­ten im Vor­feld zur Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft unter dem Label One Love ver­tra­ten – allen vor­aus der DFB und sei­ne Männernationalmannschaft.

Der Unter­schied kommt nicht daher, dass ich die Anlie­gen unter­schied­lich gewich­te. Aller­dings fällt wohl nicht allein mir auf, dass die ach so heh­ren Moti­ve zumin­dest unehr­lich wir­ken. Ich glau­be, dass nicht nur ich wegen der Über­flu­tung mit mora­li­schen The­sen ein Gefühl dafür ent­wi­ckelt habe, wenn an sich Gut­ge­mein­tes und Not­wen­di­ges hoch­sti­li­siert und instru­men­ta­li­siert wird – für medi­en­wirk­sa­me Zwe­cke und Botschaften.

Wenn die Demons­tra­tio­nen schließ­lich in jeder Hin­sicht so krass miss­lin­gen wie der Auf­tritt unse­rer Fuß­ball-Män­ner­na­tio­nal­mann­schaft, darf ich mich nicht dar­über wun­dern, wenn die Stim­mung kippt. Und zwar nicht nur in der rechts­kon­ser­va­ti­ven Ecke.

Das heißt nicht, dass Sen­si­bi­li­tät, Akzep­tanz und Tole­ranz für das The­ma ver­lo­ren­gin­gen. Dafür sind die Akti­vis­ten und ihre media­len Unter­stüt­zer ein­fach zu laut. Einen Dienst haben die­se Akti­vi­tä­ten der wich­ti­gen Sache aus mei­ner Sicht nicht erwie­sen. Jeder ver­nunft­be­gab­te Mensch ver­steht, dass alles, was mit dem Begriff One Love ver­bun­den ist, in der Öffent­lich­keit prä­sent blei­ben muss, damit die Nor­ma­li­tät all des­sen, was er an mensch­li­cher Lie­be ent­hält, auch auf Dau­er in unse­ren Gesell­schaf­ten eta­bliert bleibt.

Vorspiegelungen falscher Tatsachen

Dass Strea­ming­diens­te im Ver­gleich zu eta­blier­ten TV-Sen­dern sich als Vor­rei­ter und Weg­be­rei­ter schwu­ler, les­bi­scher oder trans­se­xu­el­ler Iden­ti­tät ent­wi­ckelt haben, ist des­halb posi­tiv zu bewer­ten. Eben­so wie die mit­un­ter schwer ver­dau­li­che Selbst­ver­ständ­lich­keit, in der PoC etwa eng­li­sche Adli­ge auf den bri­ti­schen Inseln spie­len. Man­che mögen sich aber nicht bloß aus ras­sis­ti­schen Moti­ven dar­an stoßen. 

Wie urplötz­lich könn­ten sich die­se Geschich­ten für Jugend­li­che von heu­te im Geschichts­un­ter­richt ent­pup­pen, wenn sie erfah­ren, wie krass die his­to­ri­schen Wahr­hei­ten von dem abwei­chen, was gut gedach­te und gemach­te Net­flix-Geschich­ten zeig­ten? Die Fra­ge ist, ob Bil­dung es voll­bringt, Wider­sprü­che sol­cher Art auf­zu­klä­ren. Sind Gesell­schaf­ten unter sol­chen Vor­aus­set­zun­gen dazu in der Lage, fal­sche Bil­der zu kor­ri­gie­ren und die Tat­sa­chen auch nach Jahr­zehn­ten noch zu klären?

Bewunderung für erfolgreiche Länder mit autokratischer Führung sind nicht mehr tragfähig

Wenn Ex-Kanz­ler Schmidt in sei­ner gro­ßen Bewun­de­rung für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung Chi­nas dazu mahn­te, mora­li­sche Ansprü­che nicht zu hoch zu bewer­ten, fra­ge ich mich heu­te, wie er in unse­rer Gegen­wart von der woken Gemein­de für eine so tole­ran­te Hal­tung gegen ein auto­kra­ti­sches Regime kri­ti­siert wür­de. Er sprach Lebens­er­fah­run­gen und ‑weis­hei­ten aus, was sich unse­re heu­ti­gen Poli­ti­ker kaum mehr trau­en wür­den. Täten sie es, sie wür­den bru­tal und ohne lan­ges Feh­ler­le­sen gecancelt.

Bismarck

Wenn die­ser Tage im deut­schen Außen­mi­nis­te­ri­um der Name eines Sit­zungs­zim­mers geän­dert wird, ruft die­ser Umstand den Wider­stand rechts­kon­ser­va­ti­ver Medi­en auf den Plan. Um Bis­marcks Ver­feh­lun­gen nach heu­ti­gen Maß­stä­ben geht es.

Der Ex-Her­aus­ge­ber des Focus, Mark­wort, behaup­tet in einem Text, den er für sein ehe­ma­li­ges Blatt in sei­nem „Tage­buch“ geschrie­ben hat, dass Außen­mi­nis­te­rin Baer­bock die Namens­än­de­rung ver­an­lasst habe. Dabei konn­te man aus­führ­lich (im Spie­gel) lesen, dass sie die Ent­schei­dung in die Hän­de des dort tagen­den Mit­ar­bei­ter­gre­mi­ums gelegt hatte. 

Mark­wort wirft Baer­bock in einem län­ge­ren Arti­kel Geschichts­ver­ges­sen­heit vor und einen Man­gel an Bil­dung. Bis­marcks Nach­fah­ren sind eben­falls nicht erbaut von der Ent­schei­dung im deut­schen Außenministerium. 

Mehr Toleranz, nicht weniger

Frü­her hat man die­se Din­ge unter Debat­te ver­bucht und wäre durch­aus hit­zig bis strei­tig in die­se Aus­ein­an­der­set­zun­gen hin­ein­ge­gan­gen. Was unse­re Gesell­schaft dage­gen heu­te prä­sen­tiert, ent­spricht eher einem Ver­nich­tungs­kampf Anders­den­ken­der, aber lei­der kaum mehr einem zivi­li­sier­ten Diskurs. 

Mit ähn­li­chen Ansprü­chen der mora­li­schen Über­le­gen­heit leg­ten die Kreuz­rit­ter los, als sie ihre Vor­stel­lun­gen von Moral unter dem Sie­gel des Chris­ten­tums in die Welt tru­gen. Man soll­te glau­ben, dass die­se merk­wür­di­gen und doch wohl längst als falsch erkann­ten Über­heb­lich­kei­ten nicht bis in unse­re Gegen­wart trag­fä­hig sein könnten.

Heu­te wis­sen wir mehr über ande­re Kul­tu­ren als je zuvor. Wie ist es also zu erklä­ren, dass west­li­che Über­heb­lich­keit immer noch so viel Bedeu­tung hat, selbst im Dis­kurs über etwas so Uni­ver­sel­les wie Men­schen­wür­de und Men­schen­rech­te? Kul­tu­rel­le und reli­giö­se Eigen­ar­ten sind für uns im Wes­ten kei­ne Kate­go­rie. Wir respek­tie­ren sie nicht, weil sie den eige­nen ins Gehe­ge kom­men. Aber wohin soll das führen?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

So, kann losgehen jetzt.

Die Pandemie und die Deutschen

Schlagworte: Deutschland Gesellschaft Toleranz

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