Von der Oper zum Schlager

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Die Lieder fand ich nerv­tö­tend. Damals war für mich alles, was Schlager hieß oder danach klang, inak­zep­ta­bel. Wie das dazu pass­te, dass wir uns gleich­zei­tig etwas auf unse­re Toleranz ein­bil­de­ten, gehört zu den unge­lös­ten Mysterien die­ser Zeit. Wir tru­gen Bluejeans, wei­ße T‑Shirts und Boots. Uniformierter ging nicht. Das könn­te eine Rolle gespielt haben.

Bei der Musik bin ich heu­te etwas wei­ter, ich höre Jazz‑, Rock- und Popmusik auch klas­si­sche Musik inklu­si­ve Oper. Deutschsprachigen Pop höre ich genau­so wie deut­sche Schlager. Letztere schon etwas seltener. 


Anfang der 70-er Jahre des letz­ten Jahrhunderts habe ich mei­ne Platten manch­mal in einem der bei­den Plattengeschäfte hier im Ort gekauft. Lieber war ich in Kölner Plattenläden unter­wegs, weil die Auswahl grö­ßer war. Aber ich erin­ne­re mich, dass es hier eine gute Beratung gab. Die Leute kann­ten sich aus und besorg­ten für die Kundschaft Platten, die im Laden gera­de nicht ver­füg­bar waren. 

Ich erin­ne­re mich an einen Besuch, den ich noch schnell nach Büroschluss in einem die­ser Plattenläden mach­te. Wahrscheinlich war das 1971. Die Geschäfte hat­ten damals noch bis 18:30 Uhr geöff­net. Doch, das klapp­te durch­aus. Im Laden befand sich außer mir noch ein ande­rer Kunde. Ich kann­te ihn, was bei der Größe unse­res Städtchens durch­aus nor­mal war. Er war ein wenig älter als ich und war kogni­tiv nicht ganz auf der Höhe. 

Anekdote

Scheinbar hat­te er schon eine gewis­se Zeit in die Suche nach einem bestimm­ten Lied inves­tiert – ohne Erfolg. Er ging zur Kasse und ich hör­te ihn fra­gen: «Haben Sie auch die neue Platte von der ’schö­nen Maid?› »

In die­sem Moment hat­te ich eine Anekdote fürs Leben. Manche könn­ten das fies von mir fin­den. Ich mei­ne, dass ich mich über die Ausdrucksweise die­ses hilf­lo­sen, aber offen­sicht­lich gro­ßen Tony Marshall Fan lus­tig gemacht habe. Mir lag das fern, aber die Szene war wirk­lich witzig. 

Es ging ihm damals wohl um den zwei­ten Hit Tony Marshalls mit dem Titel: «Komm gib mir dei­ne Hand». Dieser erschien im sel­ben Jahr wie jener Titel «Schöne Maid», der Marshalls Durchbruch als Schlagerstar brachte. 

Bora Bora

Ich erin­ne­re mich an eine ande­re Geschichte, in der Tony Marshalls Auftritt zu einem gelun­ge­nen Act in der damals noch wit­zi­gen Show «Verstehen Sie Spaß?» wur­de. Er wur­de enga­giert, um auf einem Paddelboot sei­nen dama­li­gen Hit «Bora Bora» zu sin­gen. Er fand sein Engagement und die Umstände zwar ein wenig befremd­lich. Aber er wäre nicht Tony Marshall gewe­sen, hät­te er nicht mitgemacht.

Das Boot war prä­pa­riert, es ver­lor wäh­rend des Paddelns auf dem See lang­sam die Luft. Der rudern­de Tony Marshall hat die Lage, jeden­falls so weit ich mich nach so lan­ger Zeit noch erin­nern kann, sou­ve­rän gemeis­tert. Ich habe sel­ten so gelacht. Das Boot hat­te in der Mitte einen gro­ßen Knick, trotz­dem ruder­te er tap­fer wei­ter, wäh­rend sich das Boot immer wei­ter mit Wasser füll­te. Dass er dabei sei­nen Titel «Bora Bora» sang, mach­te das Vergnügen perfekt.

Ich lach­te nicht aus Boshaftigkeit, etwa weil er als Schlagerstar ein gutes Opfer abge­ge­ben hät­te. Meine Voreingenommenheit gegen Schlager und ihre Interpreten hat­te ich damals schon abge­streift. Marshall besaß auch in die­ser Szene Souveränität und einen gol­de­nen Humor. Diese Eigenschaften waren noch nie selbst­ver­ständ­lich, auch frü­her nicht.

Tony Marschall wur­de am 3. Februar 85 Jahre alt. Gestern Abend ist er ver­stor­ben. RIP.

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4 Gedanken zu „Von der Oper zum Schlager“

  1. Schön, @Horst, das du neben all den hoch­ex­plo­si­ven tages­po­li­ti­schen Themen auch mal zu Tony Marshall dei­ne Gedanken schreibst. Tja, schon komisch, dass oft erst nach dem Tod von so vie­len stän­dig in den Medien prä­sen­ten Menschen die vie­len Facetten sicht­bar wer­den, die eben auch die­se Persönlichkeiten ausmachten.

    Das macht nach­denk­lich. Besonders und auch,- persönlich. 

  2. Mein musi­ka­li­scher Horizont hat sich im Laufe mei­ner Erwachsenenjahre erheb­lich erwei­tert, wor­über ich sehr froh bin. Früher war ich unduld­sam, was Musikstile anging, die ich nicht moch­te. So etwas wie deut­scher Schlager ging abso­lut gar nicht. Tony Marshall? Rex Gildo? Vicky Leandros? Oder gar Heino?? NO GO.

    All das höre ich auch heu­te nicht ger­ne. Auch nicht Helene Fischer. Urghhh…

    Aber ich ach­te das, was die­se Menschen tun, inzwi­schen genau­so, wie ich das ach­te, was die­se ande­ren Menschen tun, deren Musik ich lie­be. Das ist der Unterschied zu mei­nen jun­gen Jahren.

    Inzwischen ist aller­dings die Zeit gekom­men, wo mei­ne liebs­ten Musiker und auch die Meistgehassten von damals so lang­sam nach und nach «weg­ster­ben».

    Das kann – mög­li­cher­wei­se – damit zusam­men­hän­gen, dass auch ich älter werde… 

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