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Verbannen wir Moral als normative Kraft unseres Zusammenlebens doch wie Toleranz einfach aus unserem Wortschatz!

Darf man Wähler ande­rer Parteien im Wahlkampf als unan­stän­dig bezeich­nen oder eine Formulierung wäh­len, die dies sug­ge­riert? Als ob so etwas noch nie vor­ge­kom­men wäre.

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Der Chefkorrespondent von Focus Online heißt Ulrich Reiz. Was auch immer die­ser Job bedeu­ten mag, er mag die Grünen, über­haupt alles Linke, so gar nicht. Das weiß der Leser schon, seit er noch Chefredakteur der „Rheinischen Post“ war. 

Er fällt immer wie­der mit gehar­nisch­ten Artikeln über alles auf, was ihm an denen „Links der Mitte“ nicht passt. Gut, ich mache das auch – eher nur anders­her­um. Im TV (bei „Maischberger“ zum Beispiel) tritt er inter­es­san­ter­wei­se viel mode­ra­ter auf als mit der Feder. Wahrscheinlich möch­te er wie­der ein­ge­la­den werden. 

Heute hat­te er Ricarda Lang, die grü­ne Co-​Chefin am Wickel und behaup­tet, sie packe im Wahlkampf die Moralkeule aus. Dabei hat­te Frau Lang aus mei­ner Sicht nichts Schlimmeres getan, als alle ande­ren Parteigrößen im Wahlkampf, das eben­falls alle nase­lang tun. Die Ratten und Schmeißfliegen, als die bei­spiels­wei­se vor vie­len Jahrzehnten Franz-​Josef Strauß, lin­ke Schriftsteller bezeich­net hat­te, sind nicht vergessen!

Strauß über sei­ne Gegner

„Arschloch, para­no­ides (über Rudolf Augstein). Filzpantoffel-​Politiker (Helmut Kohl). Gehirnprothesenträger (Studenten). Handlanger Moskaus (die Regierung Brandt). Kryptokommunisten (Bayern-​SPD). Mini-​Napoleon der Publizistik (wie­der Augstein). Pseudoliterarische Subkultur. Ratten und Schmeißfliegen (Schriftsteller). Verhetzte Kreaturen (Demonstranten).”

Quelle: Strauß – der Provokateur: Politik als Übertreibung | BR​.de

Und offen gesagt, was da man­che AfD-​Politiker nicht nur im Wahlkampf gegen ihre Gegner vom Stapel las­sen, zählt zu einer Kategorie von Verbalinjurien, für die man schwer einen zutref­fen­den Begriff fin­det. Aber nach Reiz’ Willen soll es mal wie­der um den Moralbegriff und die Grünen gehen. Und ande­re Parteien und ihre Redner sind eben­falls nicht zim­per­lich, wenn es um die Beurteilung poli­ti­scher Gegner geht.

Dass Lang es für wich­tig hält, dass es in Bayern „star­ke Grüne“ gibt, mag für vie­le Bayern eine Zumutung dar­stel­len. Und es sieht nach den Umfragen eher danach aus, als ob die Mehrheit rechts der Mitte (vor­sich­tig aus­ge­drückt) bestehen wird. Aus Sicht der Grünen-​Chefin und all derer, die mit Nationalismus und strikt kon­ser­va­ti­ven Perspektiven nicht so viel am Hut haben, sind star­ke Grüne nicht die Zumutung, als man­che Pressevertreter sie hin­stel­len. Auch nach alle­dem, was in der letz­ten Zeit auf Bundesebene pas­siert ist. Die Partei ist sta­bi­ler als DER Störenfried inner­halb der Ampel, die FDP.

Offen gestan­den, Ricarda Langs gemach­te und von Reiz mit star­ken Worten (popu­lis­tisch) kri­ti­sier­te Äußerung bringt Menschen, die trotz Überforderungsgefühlen einen Blick auf all das Leid von Flüchtlingen haben, nicht dazu, die­se Eindrücke ein­fach abpral­len zu las­sen. Es gibt Menschen, die das schein­bar leicht schaf­fen. Ich weiß das, jeder weiß das.

Lang sag­te: »Wer in Bayern eine Regierung mit Anstand will, kann nur die Grünen wäh­len.« Behauptet Lang, dass die wahr­schein­lichs­te Regierungskonstellation für Bayern von Menschen gewählt wür­de, die unan­stän­dig sind oder auch, dass die Politiker, die die­se bil­den, kei­nen Anstand besitzen? 

Reiz kol­por­tiert den Seelenzustand eines gro­ßen Teils der Bevölkerung, bes­ser gesagt, er nutzt sie für sei­ne Zwecke. Die Adressaten sind genau die, die ansons­ten die Haltung von Journalisten im Öffentlich-​Rechtlichen bemän­geln, wie er selbst auch.

Ist es anstän­dig, wenn die Mehrheit in die­sem Land (nach Umfragen) gegen das ver­stößt, was EU-​Größen oder die christ­li­chen Kirchen als „unse­re Werte“ mar­kie­ren? Wen juckt es, was mit den Menschen geschieht, die in irgend­wel­chen afri­ka­ni­schen Ländern die Entscheidung tref­fen, nach Europa und nach Deutschland zu flie­hen? Sie flie­hen vor Kriegen, vor Verfolgung, vor Gewalt oder „nur“ des­halb, weil ihre Lebensgrundlagen zer­stört wur­den oder sie erken­nen müs­sen, dass sie dort, in ihrer Heimat, kei­ne Zukunft mehr haben. 

Ich muss an die­ser Stelle nicht sagen, wel­che Namen man­che die­sen Menschen geben! Das ist gräss­lich. Es hat mit Werten und Mitmenschlichkeit nichts zu tun. Ich kann mich nicht aus der Verantwortung zie­hen, denn ich bin dabei, wenn es dar­um geht, die Überlastung unse­res Landes und die sich aus die­ser Überlastung zwangs­läu­fig erge­ben­den Ungerechtigkeiten zu beschrei­ben und mich dar­über zu beschweren.

Die Grünen ste­hen für etwas. Nicht für mora­li­sche Erhabenheit, für Besserwisserei oder was man ihnen schlech­ter­dings noch alles nach­sagt. Sie weh­ren sich gegen die Entwicklung, die im Land um sich gegrif­fen hat und gegen die man sich als Individuum so schwer behaup­tet. Der gesell­schaft­li­che Konsens hat sich von der einen auf die ande­re Seite posi­tio­niert. Und es fällt so leicht, den Wahnsinn, den unse­re poli­ti­sche Führung ange­rich­tet hat, in den Senkel zu stel­len. Wie konn­te man das nur so weit treiben?

Die Grünen ste­hen gemein­sam mit den Linken auf der Seite, die ihre Haltung nicht infra­ge stellt. Sie hal­ten an Dogmen fest, könn­te ich sagen. Auch idea­lis­ti­sche Überzeugungen kön­nen zu Dogmen wer­den. Normativ ist aller­dings der mensch­li­che Behauptungstrieb ebenfalls. 

Jetzt reden wir davon, dass der Zustrom an Flüchtlingen zu hoch wur­de. Wir reden von der Überforderung unse­res Landes, die Infrastruktur ist schlecht. Es fehlt Wohnraum, Plätze in Schulen und Kindergärten. Die Arztpraxen waren bereits vor­her über­las­tet. Na, ob Merz so falsch gele­gen hat? Er hat sich jeden­falls pla­ka­ti­ve und leicht ver­mit­tel­ba­rer Klischees zunut­ze gemacht. Als christ­li­cher Politiker hat man damit heu­te auch kein Problem mehr.

Spielt es eine Rolle, ob die mit Abstand meis­ten Geflüchteten nach Deutschland kom­men und nicht an einem ande­ren Ort bei unse­ren euro­päi­schen Nachbarn stran­den? Ist das Stranden Schutz suchen­der Menschen ein fal­sches Bild? Über 50 % der Geflüchteten müs­sen nach Durchlauf ihrer Verfahren theo­re­tisch auf ihre Abschiebung war­ten. Denken wir gele­gent­lich dar­an, wel­che Wirkung eine soge­nann­te Duldung auf die­se Menschen hat? 

Die Antwort ist, dass wir lau­fend dar­über strei­ten, wie effi­zi­ent das ist, was die Schweizer Rückschaffung und wir Abschiebung nennen. 

Die Grünen mora­li­sie­ren. Das ist ein Vorwurf, den man ihnen machen kann. Das bedeu­tet aber nicht, dass wir unse­re mora­li­sche Verantwortung abstrei­fen könn­ten. Wir kön­nen uns ihrer nicht ent­le­di­gen, obwohl es vie­le nach­voll­zieh­ba­re Gründe für das gibt, was an Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik Deutschlands gewach­sen ist. 


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