Twitter ist bäh, die Nutzerzahlen dafür jedoch ziemlich stabil

Emotion sticht Rationalität. So könn­te man das beschrei­ben, was wir in die­sen Zeiten gemein­sam durch­zu­ste­hen haben. Leider dür­fen bzw. soll­ten wir unse­ren eige­nen Anteil dar­an nicht übersehen.

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Gestern Abend hat Christian Sievert das „Heute Journal“ mit fol­gen­den Sätzen eröffnet: 

Guten Abend, wir sind mit­ten in einem Krieg, der vie­le Grenzen ver­wischt und über­schrei­tet. Ein Krieg, der im Nahen Osten tobt, aber gro­ße Teile die­ser Welt erreicht. In den soge­nann­ten sozia­len Medien wün­schen sich wild­frem­de Menschen gegen­sei­tig den Tod. Auf den Straßen wüten­de Proteste, ohne einen Augenblick des Innehaltens. Wohin man guckt, kaum noch Bereitschaft, die Argumente und den Blickwinkel der ande­ren auch nur wahr­zu­neh­men und das gilt für alle Seiten. Dabei ist man mit schwarz und weiß noch nie weitergekommen.

Christian Sievert, Heute Journal vom 5.11.2023

Ich habe heu­te Vormittag einen aus­führ­li­chen Spaziergang gemacht und über die­se Sätze nach­ge­dacht. Ich glau­be, an den meis­ten von uns zehrt die Situation, und wir fra­gen uns, wie es so weit kom­men konnte. 

Dabei ist, glau­be ich, nicht von Belang, wel­che Scharmützel wir uns dabei im Einzelnen anschau­en. Es geht nicht um den Umgang mit der Migrationskrise in Deutschland oder um die Corona-​Pandemie. Oder dass es eine AfD gibt. Es geht auch nicht um die Reaktion Israels auf den Hamas-​Terror. Das sind ver­mut­lich wich­ti­ge Meilensteine auf dem Weg in eine ent­fes­sel­te Öffentlichkeit. Sie scheint ver­ges­sen zu haben, wel­che unglaub­li­chen Errungenschaften in vie­len Teilen der Welt dazu bei­getra­gen haben, dass wir in vie­ler­lei Hinsicht in einer der bes­ten aller bis­he­ri­gen Welten leben durften.

Respekt und Toleranz sind out

Woher kommt der respekt­lo­se Ton, der schließ­lich zu offe­nem Hass führt und über des­sen Manifestation, wie ich hof­fen möch­te, man­cher selbst erschrickt, wenn er das an sich selbst bemerkt hat. Die „offe­ne Kommunikation“, in der man sich nicht nur theo­re­tisch über jede Konvention hin­weg­setzt, ist sozu­sa­gen State of the Art. Es wird mei­ne Leser nicht über­ra­schen, dass ich die aso­zia­len Netzwerke für die Entwicklung haupt­ver­ant­wort­lich erklä­re. Die eine oder ande­re extre­me Meinung gab es schon immer. Ob ihr bei Familienfesten oder Stammtischen Ausdruck ver­lie­hen wur­de, sie mutier­te des­halb nicht zur (gesell­schaft­li­chen) Belastung, weil sie in der Öffentlichkeit weder gehört noch ver­brei­tet wurde. 

Für mich ist das eine plau­si­ble Erklärung. Es däm­mert vie­len, dass unse­re Nutzung der aso­zia­len Netzwerke eine gro­ße Verantwortung für die Entwicklung haben. Ein Bewusstsein dafür, dass wir es letzt­lich selbst sind, die die­se zu dem Monster gemacht haben, könn­te hel­fen. Aber die­se Hoffnung habe ich auf­ge­ge­ben. Twitter ist eine Hass-​Jauche-​Grube, die angeb­lich doch alle (sic?) ver­las­sen woll­ten. Inzwischen sol­len tat­säch­lich 10 % der ursprüng­li­chen Nutzer abge­sprun­gen sein. Wow! Dabei sein ist halt alles. 

Staatliche Reglementierung hilft nicht

Interessant ist die Entwicklung, die es durch den Versuch staat­li­cher Reglementierungen gab. Weil es man­chen auf den regu­lier­ten (oder halb­wegs regu­lier­ten) Plattformen zu bunt wur­de, sind sie heu­te zusätz­lich oder ersatz­wei­se von Twitter und Facebook abge­wan­dert und haben zum Beispiel bei Telegram ihr Heil gefun­den. Das Wort „Heil“ passt in mei­nen Augen wun­der­bar. Mehr Nazis fin­den sich auf den ande­ren Kanälen ver­mut­lich nicht, wenn man alle Accounts addiert. Genug mit der Polemik.

Das Schöne an Blogs ist pri­mär, vor­aus­ge­setzt man hat nur eine gerin­ge Reichweite, dass man sich durch­aus kri­ti­scher posi­tio­nie­ren kann als auf den aso­zia­len Netzwerken. Der gefürch­te­te Shitstorm ist für sol­che Blogs eher sel­ten. Aber ich schwei­fe mal wie­der ab. 

Emotion ist Trumpf

Ist ein Kraut gegen die emo­tio­na­li­sie­ren­de Wirkung der aso­zia­len Medien gewach­sen, kön­nen wir Nutzer uns anders kon­di­tio­nie­ren? Haben wir unse­re Emotionen wenigs­tens soweit unter Kontrolle, dass wir nicht im Rahmen der zuläs­si­gen X‑Zeichen die Eskalationsspirale erfolg­reich antrei­ben? Doch dies ist lei­der nicht alles.

Die aso­zia­len Netzwerke sind ein höchst effi­zi­en­tes Instrument, um mei­nungs­star­ke oder sogar gewalt­be­rei­te Gruppen von Menschen zu mobi­li­sie­ren. Wir erle­ben es in Deutschland, wenn zuletzt Clanfamilien oder gro­ße Gruppen von hoch­emo­tio­nal auf­ge­peitsch­ten Muslimen durch die Straßen unse­rer Großstädte zie­hen und Kleinbürgern wie mir echt Angst machen. 

Ohne Illusionen

Ich mache mir kei­ne Illusionen. Diese Kommunikationsmittel sind in der Welt und die Menschen las­sen sich die­se Instrumente, wenn sie auch häu­fig gegen sie Position bezie­hen, nicht davon abbrin­gen. Sie wer­den genutzt. Sollten sich in fer­ner Zukunft ver­nunft­be­gab­te Menschen zu einer Mehrheit zusam­men­fin­den, um die fata­len Auswirkungen über­mä­ßi­gen Medienkonsums aktiv zu bekämp­fen, wür­den immer noch genug von denen übrig sein, die zum Kampf gegen Zensur auf­ru­fen. Sie sehen in den neu­en Medien einen wich­ti­gen oder sogar grund­le­gen­den Vorteil für die Demokratie. Ein ech­ter Treppenwitz der Geschichte mit hohem Potenzial zur Selbstauslöschung der Menschheit. 

Putin hat in Russland die Atomtests, die über 30 Jahre aus­ge­setzt waren, wie­der erlaubt. Ein Minister im Kabinett Netanjahu hat­te davon gere­det, eine Atombombe auf Gaza zu wer­fen und wur­de vom Regierungschef sus­pen­diert. Am Ende sind es gar nicht die aso­zia­len Medien, son­dern Außerirdische haben uns mit einem bis­her noch unbe­kann­ten Virus infi­ziert. Das erin­nert nicht von unge­fähr an Corona. Na, lie­be Nutzer, macht was draus.


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2 Gedanken zu „Twitter ist bäh, die Nutzerzahlen dafür jedoch ziemlich stabil“

  1. Wir kön­nen die „Sozialen Medien” nicht zum Besseren hin regu­lie­ren. Alle bis dato behaup­te­ten und gefor­der­ten Mittel auf irgend­wel­chen medi­en­po­li­ti­schen Ebenen sind völ­lig untauglich.

    Was öffentlich-​rechtliche Alternativen angeht, habe ich mich neu­lich mal län­ger geäu­ßert. Ich bin da skep­tisch, aber nicht ganz hoffnungslos. 

    Die Relevanz von X lässt sich nur redu­zie­ren durch gerin­ge­re Beachtung respek­ti­ve Weggang derer, die jetzt immer noch zu glau­ben schei­nen, dass man dort wegen der Reichweite und der Erreichbarkeit der Zielgruppen prä­sent und aktiv blei­ben muss. Das ist ja der Tenor der ÖR-​Medien und zahl­rei­cher wich­ti­ger ande­rer Medienorgane. Aber das ist kom­plett Bockmist, denn man muss viel­mehr end­lich klar Position bezie­hen und in die­sem Zuge einen kon­se­quen­ten Wechsel zu ande­ren Plattformen voll­zie­hen. Die Zielgruppen wer­den folgen. 

    Das zitier­te Statement von Sievert fin­de ich schon wirk­lich gut. So etwas müss­te öfter kom­men, im Grunde stän­dig. Die ÖR-​Medien müss­ten u.a. auf sol­che Weise stän­dig die­se Missstände öffent­lich for­mu­lie­ren und sol­cher­art Stellung bezie­hen. Und klar­stel­len, dass das zu ihren Aufgaben in einer offe­nen Gesellschaft gehört.

    Natürlich gehör­te auch dazu, sub­stanz­lo­sen Nörglern und Hetzern kei­ne ör-​medialen Plattformen mehr zu bieten. 

    Das grund­le­gen­de Problem dahin­ter ist näm­lich, dass sich die­je­ni­gen, die einen guten, rich­ti­gen Weg gehen, stän­dig im Defensiv-​Modus befin­den, sie wer­den von den Schreihälsen, den Hass-​Bruder – und Schwesternschaften vor sich hergetrieben. 

    Sie über­las­sen den Lügnern und ver­ba­len Prüglern bedin­gungs­los das Feld, sie äffen sie wie Merz und sei­nes­glei­chen aus CDU, CSU, FDP nach, plap­pern die­sel­ben fal­schen Parolen dümm­lich nach – letzt­lich auch nur in ihrer arm­se­li­gen Gier nach Aufmerksamkeit (mal vom schie­ren Machtstreben abgesehen).

    Am Ende geht’s eigent­lich nur um Bedeutungshoheit, Wichtigtuerei und Aufmerksamkeit.

    Das wäre alles einen aus­führ­li­che­ren Beitrag wert, aber wahr­schein­lich gibt es schon schlaue Bücher zum Thema…

🌻 Freundlichkeit kostet nichts – bringt aber viel.

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