Bleibt die »konservative Revolution« in den Startlöchern stecken?

Bürokratie blockiert Reformen. Umweltklagen zeigen Wirkung, behindern aber Infrastruktur. Politische Grabenkämpfe verstärken die Krise.

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HORST SCHULTE

Die konservative Revolution gerät ins Stocken, bevor sie noch ein Opfer gekostet hätte. Eines dieser Opfer sollte die Bürokratie werden. Nun, ich bin überzeugt davon, dass gegen sie kein Kraut gewachsen zu sein scheint.

„Bürokratie dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Frei nach Cyril Northcote Parkinson (1957).

Abgesehen von den Beharrungskräften dieses sich selbst erhaltenen Systems dürfte ihre Hartnäckigkeit von den vielen Menschen bestimmt sein, die ihren beruflichen Alltag in ihr erleben. Das macht es nicht einfach, Verständnis für gewisse Notwendigkeiten zu finden, insbesondere, wenn es um ihren Abbau geht. Bürokratie zeigt wenig Neigung, sich selbst abzuschaffen. Dabei ist der Amtsschimmel längst nicht ihre bedrohlichste Ausprägung.

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Alles in Bewegung? Oder doch nicht.

Max Weber sah Bürokratie als Idealtypus einer rationalen Herrschaftsform. Das trifft es doch hervorragend.

Ich muss seit ein paar Jahren immer zuerst daran denken, wie in unseren Gesundheitsämtern während der Corona-Pandemie mit den Vorhaltungen der Rückständigkeit (Faxnutzung) umgegangen wurde. In meinen Augen nämlich gar nicht. Gibt es inzwischen einheitliche Computersysteme, die untereinander (womöglich bundesweit) vernetzt sind? Es eilt ja nicht, die nächste Pandemie ist nicht in Sicht.

Ich erweitere den Begriff Bürokratie, in dem ich auf die augenblickliche Diskussion über das Verbandsklagerecht bei Infrastrukturvorhaben zu sprechen komme. Für mich haben solche juristischen Feinheiten natürlich ebenfalls mit Bürokratie zu tun. Wahrscheinlich sogar mit sehr viel Bürokratie.

Wenn es uns mit unserer Infrastruktur wirklich ernst ist, müssen wir notwendigerweise zuvorderst darauf achten, dass die ganzen Genehmigungsverfahren erheblich eingedampft werden. Womit wir sofort beim Verbandsklagerecht wären. Die FAZ hat diesen Artikel dazu veröffentlicht. Den Hinweis darauf hatte ich durch Bluesky erhalten. Clas Gefroi schrieb dazu:

Die Union will das Verbandsklagerecht bei Infrastrukturvorhaben abschaffen, wissend, dass die Umweltverbände die einzigen Anwälte für Natur und Umwelt sind. Die Erfolgsquote von über 50% ihrer Klagen zeigt, wie notwendig diese juristische Kontrolle von Planung ist.

Gerade weil die Erfolgsquote so hoch ist, sollte uns das aus meiner Sicht doch zu denken geben. Aber stattdessen kommt ein Hinweis, der belegen soll, wie schwierig die juristische Seite des Ansinnens doch ist:

Es gebe viel weniger Spielraum, als viele meinten, fügt Korbmacher mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) hinzu.

Quelle

Mich erinnert das sofort an alle Vorhaben, die Migration in den Griff zu bekommen. Die Grünen und die SPD haben sich mit Ansage stets auf den Hinweis zurückgezogen, dass die bestehende Gesetzgebung, im Zweifel auf europäischer Ebene, diese oder jene Vorhaben verbieten würde. Jetzt ist das bei unseren Planfeststellungsverfahren vermutlich auch nicht anders.

Außerdem wollen die ganzen NGOs, die Merz mit seinen Versuchen, diesen die Legitimierung abzusprechen, doch nicht auf ihre Projekte verzichten. Was wäre die »Deutsche Umwelthilfe« ohne Feinstaubalarm? Über diese Leute war zwar immer wieder etwas Negatives zu lesen. Das hat sie aber nicht daran gehindert, ihren Stiefel durchzuziehen.

Wie große Bauvorhaben immer wieder durch ein plötzliches in Erscheinung getretenes Vorkommen einer bedrohten Tierart verhindert oder verzögert wurden, werden die meisten wohl erinnern. Da gabs im Zweifel Applaus. Schließlich geht uns das Artensterben nicht am Allerwertesten vorbei.

Es gibt zahlreiche Beispiele für Bauvorhaben, die durch das Auftreten seltener oder geschützter Tiere verzögert wurden.

  • Zauneidechse (Stuttgart 21): Das Milliardenprojekt Stuttgart 21 wurde wegen der Entdeckung einer Population von Zauneidechsen entlang der geplanten Trasse verzögert. Die Tiere mussten kostspielig umgesiedelt werden, was den Bau erheblich verzögerte.
  • Schierlings-Wasserfenchel (Elbvertiefung in Hamburg): Dieses seltene Gewächs führte zu einer Verzögerung des millionenschweren Projekts zur Elbvertiefung, da das Bundesverwaltungsgericht Nachbesserungen im Umweltschutz forderte.
  • Haussperling (Jahnsportpark in Berlin): Der Abriss des Cantianstadions wurde gestoppt, weil 94 Brutplätze des Haussperlings nicht ausreichend geschützt waren. Dies führte zu einem Baustopp bis mindestens März 2025.
  • Kreuzkröte (Pankower Tor, Berlin): Der Bau eines neuen Stadtquartiers mit 2.000 Wohnungen wurde durch den Konflikt um die Umsiedlung der Kreuzkröten massiv verzögert. Naturschutzverbände forderten, die Tiere vor Ort zu belassen
  • Haselmaus: In mehreren Projekten, etwa beim Bau einer Umgehungsstraße in Bayern und eines Gewerbegebiets in Hamburg, mussten Haselmäuse umgesiedelt werden. Dies führte zu Verzögerungen und zusätzlichen Kosten.
  • Hirschkäfer (Frankfurter Flughafen): Der Bau einer Wartungshalle verzögerte sich, da Hirschkäfer-Larven in Baumstümpfen entdeckt wurden, die erst umgesetzt werden mussten.
  • Bechsteinfledermaus (Hambacher Forst): Der Lebensraum dieser Fledermausart trug dazu bei, dass die Abholzung des Hambacher Forsts gestoppt wurde.

Und diese Beispiel handeln sich nur um Fälle, die aus meiner Sicht gut nachzuvollziehen sind. Daran ändert auch die Kritik nichts, die von gewisser Seite an solchen partiell etwas merkwürdig anmutenden Begründungen geübt wurde.

Jeder Bürger kann klagen. Viele tun das — und zwar nicht nur einmal. Die Ausnahme scheint manchmal zur Normalität geworden zu sein. Wie viel diese Tatsache mit unserer aktuellen Lage zu tun hat, vermag ich nicht zu beurteilen und will das auch gar nicht.

Wir müssen uns allerdings schon fragen, ob wir das weiter so halten wollen oder ob wir all die, die ihre Betätigungsfelder nun in Gefahr sehen, weiter gewähren lassen. Sollten wir uns für Letzteres entscheiden, sehe ich schwarz bei all den Reformvorhaben, die im Übrigen ja in den Koalitionsverhandlungen offenbar von der SPD schon wieder kassiert wurden. Jedenfalls gibt es wohl einigermaßen viel Streit hinter den Kulissen. Das macht manche Journalisten in diesem Land so wuschig, dass sie damit begonnen haben, das zu tun, was sie am besten können. Sie sind schon wieder (nach Ende der Ampel) dabei, gewählte Politiker zu diskreditieren und für Dinge in Verantwortung zu nehmen, ohne über genauere Informationen zu verfügen. Hört man manchen Sermon von diesen Leuten, denkt man gleich, man wäre noch in der aktiven Ampel-Zeit.

Ich muss daran erinnern: Sollte diese Koalition nicht erfolgreich starten oder womöglich scheitern, wartet eine böse Überraschung auf Deutschland. Und zwar nicht erst in vier Jahren. Eine letzte Umfrage des ZDF sieht den Abstand von Union und AfD bei nur mehr fünf Prozent!

Sollte die SPD es schaffen, die Goodies, die nach den deutschen Meistern des Journalismus bereits auf ihrem Konto zu verbuchen sind, könnte mich das als SPD-Wähler doch freuen. Ich sehe es aber anders: Gegen eine schwächelnde Union Punkte zu machen und die Bilanz zu ihren Lasten auszubauen, wäre für unser Land wahrscheinlich schlecht.

Im Interesse des Ganzen werde ich einen Teufel tun. Das ist vielleicht wirklich der letzte Schuss der Demokratie.

Horst Schulte

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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Bürokratie, Infrastruktur, Verbandsklagerecht

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