Gewalt auf dem Bildschirm, Werte im Herzen

Sind Medien schuld an der Verrohung? Oder fehlen uns einfach nur die echten Vorbilder?

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„Nicht so viel fernsehen, das macht dich dumm!“ – ein Satz, den ich in meiner Kindheit manchmal zu hören bekam. Häufiger kam er aus dem Mund der Mutter meines Freundes. Er stammte, wie man damals so sagt, „aus besserem Hause“. Bei ihnen lief der Fernseher nicht einfach nebenbei – das war allerdings auch bei uns nicht anders. Ich habe es immer gehasst, wenn ich irgendwo hinkam und das Gerät lief immerzu. Es gab auch bei uns gewisse Limite. Die waren nicht begrenzt auf das Testbild ab 0:00 Uhr.

Aber bei uns zu Hause war das schon anders. Da flackerte der Kasten nicht nur selektiv zur Kinderstunde. Die „Straßenfeger“ hatten ihren festen Platz, der „Kommissar“ rauchte sich durch die Wohnzimmer, und später trat Horst Tappert in seine feinkantige Rolle als Derrick. Gewalt war natürlich Thema – nicht in der brachialen Art heutiger Produktionen, aber sie war da. Und dennoch: Ich habe später keine Waffen getragen, keine Bank überfallen, keine Schlägerei gesucht. Im Gegenteil: Ich hasse Gewalt!

Hat mir der TV-Konsum geschadet? Aus heutiger Sicht würde ich sagen: nein. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur heil davongekommen. Vielleicht war es nicht der Fernseher, der mich geprägt hat, sondern die Menschen um mich herum. Einschließlich natürlich der Warner, die mich damals durchaus „erreicht“ haben. Man hörte als Kind und als Jugendlicher eben auf das, was Erwachsene sagten.

In den 70ern wurde heftig über die Wirkung von Medien auf Kinder und Jugendliche gestritten. Die Sorge: Dass zu viel Gewalt auf dem Bildschirm abstumpft, zu Aggression führt, Empathie verdrängt. Heute ist es nicht mehr der Fernseher, der im Zentrum der Debatte steht. Heute sind es Games – am liebsten Ego-Shooter –, soziale Medien, YouTube-Shorts und algorithmische Abgründe, in denen sich unsere Kinder verlieren sollen.

Auch bei uns in der Familie gibt es die Diskussion: Muss ein Elfjähriger wirklich in virtuellen Kriegsgebieten Gegner jagen? Ist das altersgerecht? Oder gar gefährlich?

Es ist nicht leicht, diese Fragen zu beantworten. Die Debatte wird oft mit einer Schärfe geführt, als hinge das Seelenheil ganzer Generationen davon ab. Und natürlich: Ein waches Auge auf das zu haben, womit sich Kinder beschäftigen, ist wichtig. Aber vielleicht ist die Wurzel nicht die Spielkonsole. Vielleicht liegt das Entscheidende woanders.

Ich neige zu einem Menschenbild, das heute vielleicht als altmodisch gilt. Ich glaube nicht an die Allmacht der Medien, so laut und allgegenwärtig sie auch sein mögen. Ich glaube an Menschen. An Vorbilder.

Kinder lernen durch Nachahmung. Sie formen ihr Wertesystem nicht nur durch das, was sie sehen, sondern vor allem durch das, was sie erleben. Wenn sie mitbekommen, wie man sich streitet, wie man sich versöhnt. Wie man miteinander redet. Ob ein Nein ein Nein bleibt, ob ein Ja Rückgrat hat.

Doch genau daran fehlt es heute vielerorts. Ich beklage mich häufig darüber – und ich meine das nicht als nostalgische Marotte eines Älteren, der die Welt nicht mehr versteht. Ich meine es ganz real. Wo sind sie, die Persönlichkeiten, die Orientierung geben? Die nicht auf TikTok tanzen, sondern auf Bühnen der Moral stehen? Nix gegen Tanzen. Aber alles zu seiner Zeit. Dann erhält das Tanzen die Aufmerksamkeit, die es verdient.

Menschen wie Margot Friedländer zum Beispiel. Eine Frau, die trotz allem, was ihr widerfahren ist, nicht verbittert, nicht hasserfüllt, sondern liebevoll und klar geblieben ist. Die uns allen einen Spiegel vorgehalten hat – nicht mit Anklage, sondern mit Würde. Ihre Worte haben mehr bewegt als jede Talkshow. Ihre Haltung war ein Licht in Zeiten, in denen Orientierung oft fehlt.

Solche Stimmen werden leiser. Oder besser gesagt: Sie werden übertönt. Von Aufgeregtheit, von Empörungsökonomie, von Lautstärke um der Lautstärke willen.

Dabei wäre es so wichtig, dass unsere Kinder nicht nur gute Inhalte konsumieren – sondern gute Menschen erleben. Denn Medien mögen beeinflussen. Aber es sind die Menschen, die prägen. Die Väter, Mütter, Tanten, Lehrerinnen. Die Nachbarn, Trainer, Mentoren, Freunde und Bekannte.

Vielleicht ist es nicht die Konsole, die den Charakter verdirbt – sondern das Fehlen eines echten Gesprächs, einer helfenden Hand, eines Vorbilds. Und vielleicht ist es nicht der Bildschirm, der Kinder in die Irre führt – sondern die Leere, die entsteht, wenn niemand mehr da ist, der ihnen etwas zutraut, etwas vorlebt.

Wenn das altmodisch ist, dann nehme ich das in Kauf. Es ist mir lieber, altmodisch zu sein und an das Gute im Menschen zu glauben, als modern zu sein und aufzugeben.

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Schlagworte: Jugendkultur Medienkritik Vorbilder

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