51 Jahre – vom Jüngelchen zum alten Mann

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 2 Kommentare

947

4 Min.

Bungalows Ferien

Wenn man ganz genau hin­sieht – wirk­lich ganz genau –, dann kann man ihn erken­nen: links, im Spiel aus Licht und jugend­li­cher Unschuld, den zar­ten Ansatz eines Schnäuzers. Kein Prachtstück, gewiss nicht, eher ein Flüstern von Männlichkeit, das sich wie ein heim­li­cher Wunsch auf der Oberlippe nie­der­ge­las­sen hat­te. Der Rest? Nun ja, die Ähnlichkeit mit mei­nem heu­ti­gen Selbst ist… sagen wir mal: begrenzt. Und doch wohnt die­sem alten Foto etwas inne, das mich kaum loslässt.

Damals, 1974, stan­den wir auf dem Scheitelpunkt unse­rer Jugend, die Köpfe vol­ler Flausen und Freiheit. Estepona – ein klei­nes anda­lu­si­sches Dorf, noch unbe­rührt vom Glanz Marbellas – war unser Sehnsuchtsort. Zugegeben: Wir ahn­ten das bei unse­rer Abfahrt aus Bedburg nicht. Vier Wochen im Mai, Sonne auf der Haut, Salzwasser in den Haaren und Freundschaft in Reinform. Unsere Jugendfeuerwehr – eine rei­ne Männerbastion damals – fei­er­te den Abschluss die­ser wun­der­ba­ren sechs Jahre mit einer Reise, die sich wie ein Versprechen anfühl­te: Das Leben liegt vor dir. Greif zu.

Ich erin­ne­re mich an alles. An das ers­te Mal Fliegen – das Kribbeln im Bauch, das ich damals eher mei­ner Verliebtheit zuschrieb, aber viel­leicht war es auch schlicht Höhenangst. An die Briefe, sei­ten­wei­se ver­liebt und ver­schmiert von Sonnencreme, die ich mei­ner dama­li­gen Freundin schrieb – mei­ner heu­ti­gen Frau. An unse­re bis­he­ri­ge noch recht kur­ze gemein­sa­me Zeit, die Schwärmereien und an die Momente, in denen ich (damals 18) ahn­te: So fühlt sich Glück an.

Einige Jahre spä­ter wag­ten eini­ge von uns es noch ein­mal. Zum glei­chen Ort. Aber es war doch nicht das­sel­be. Die Erwartung war ein Klotz am Bein. Nichts konn­te die­sen ers­ten Urlaub nach­füh­len. Vielleicht ist das das Wesen der Erinnerung: Sie leuch­tet am hells­ten, wenn man sie nicht zu oft ins Licht zerrt.

Heute, gute fünf­zig Jahre spä­ter, gehe ich öfter zum Friseur. Ausgerechnet jetzt, im Rentenalter. Früher, als das Rasieren noch täg­li­ches Ritual war – fast schon eine Pflicht –, konn­te ich mich mit Friseuren nicht anfreun­den. Der Kontrollverlust beim Haareschneiden, das Ausgeliefertsein! Das erin­nert mich an Fynn, mei­nen Großneffen. Er hat rich­tig lan­ge Haare und mag kei­ne Friseure. 

Marlon Brando frag­te in der Pate I sei­nen Friseur: „Wie lan­ge schnei­dest du mir die Haare?“ Über 40 Jahre war des­sen Antwort. Haare schnei­den ist Vertrauenssache, auch für Mafia-Boss. In mei­nem Fall sind es sogar 10 Jahre mehr. Ich sage das mit einem gewis­sen Stolz – und einem Augenzwinkern. Wer kann das schon von sich behaup­ten, fast sein Leben lang bei einem Friseur Kunde gewe­sen zu sein?

Ja, der Schnäuzer kam lan­ge wirk­lich zur Blüte. Und ja, auch der Dreitagebart war mehr Mode als Überzeugung. Aber das Gesicht, das mich da auf dem alten Bild anschaut, trägt etwas in sich, das geblie­ben ist. Eine Ahnung von Aufbruch, eine stil­le Freude am Leben. Und auch ein biss­chen Wehmut.

Denn wenn ich an Estepona den­ke, sehe ich nicht nur uns lachen­de Jungen, son­dern auch die bit­ter­trau­ri­ge Leerstelle jener, die heu­te feh­len. Manche sind zu früh gegan­gen, einer hat sich in Dinge ver­strickt, die damals nie­mand hät­te vor­aus­ah­nen kön­nen. Manchmal blät­te­re ich durch alte Fotos wie durch ein Buch, des­sen Ausgang ich längst ken­ne. Diese Art von Wiederholung ver­är­gert mich nicht und ich kann nicht auf­hö­ren, dar­in zu »lesen«.

Und so rasie­re ich mich heu­te nicht mehr täg­lich. Ich müss­te zu häu­fig in den Spiegel schau­en. Dort sehe ich den Mann, der ich gewor­den bin. Ein klei­nes Lächeln viel­leicht. Und manch­mal, nur manch­mal, den­ke ich, auf die­sen Schnäuzer wür­de ich ver­zich­ten, aber nicht auf mei­ne Erinnerungen.

Schreibe einen Kommentar zu Horst Schulte Antworten abbrechen


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


2 Gedanken zu „51 Jahre – vom Jüngelchen zum alten Mann“

  1. Schöner Beitrag, Horst. Meine Frau, die gera­de am Computer vor­bei kam und dein Jugendbild sah, frag­te mich: Bist du das? Und in der Tat, wir sehen uns in die­sen Jugendtagen wirk­lich sehr ähn­lich. Nur, ich hat­te nicht so lan­ge Haare (haben dürfen). 

    Tja,- und das Wesen der Erinnerungen, was du oben ange­deu­tet hast, beschäf­tigt mich in den letz­ten Wochen sehr. Wieviel per­sön­li­che brau­chen wir davon, und wenn,- wel­che und wozu? 

    Antworten

Mehr lesen aus dieser Kategorie

🧭 Wer anderen hilft, findet oft selbst den Weg.