Bob Dylan. Ein Künstler, der sich entzieht – mit jedem Schritt, jedem Song, jeder Silbe. Und ausgerechnet über diesen Mann hat James Mangold nun ein Biopic gedreht. A Complete Unknown – schon der Titel ist mehr als nur ein Verweis auf den berühmten „Like a Rolling Stone“-Vers: Er ist eine Vorwarnung.
Dieser Film erklärt nichts. Er rekonstruiert keine Karriere. Er stellt Dylan nicht auf ein Podest und zerpflückt ihn auch nicht mit dem Seziermesser.
Stattdessen folgt er Dylan durch jene flirrenden Jahre Anfang der 60er, in denen aus einem jungen Mann aus Duluth, Minnesota, etwas Unfassbares wurde. Etwas, das man später Legende nennen würde. Oder Messias. Oder Hochstapler. Je nach Laune und politischem Standort.
Mangold erzählt nicht chronologisch, sondern atmosphärisch. Kein „und dann und dann“, sondern ein „wie fühlte es sich an?“ – das ist die große Stärke dieses Films. Dass er damit auch scheitern kann, liegt in der Natur seines Protagonisten.
Chalamet spielt nicht Dylan – er beschwört ihn
Timothée Chalamet hat mich überrascht. Statt vielleicht zu erwartender Darstellung kommt da jemand auf die Bühne, der Dylans Körpersprache nicht nur imitiert, sondern transformiert. Er singt live, er spielt Gitarre, Harmonika – und wirkt doch nie wie ein Schauspieler, der Dylan spielt. Eher wie jemand, der kurz in ihn hineingeschlüpft ist. Eine Art Medium.
Chalamets Dylan ist mal verletzlich, mal spröde, mal erschöpft – nie glatt. Nie berechenbar. Er fragt nicht, ob man ihn mag. Und das macht ihn umso glaubwürdiger.
Newport, Guthrie, Baez – Ikonen im Nebenlicht
Der Film erzählt von Dylans Aufbruch nach New York, von den Besuchen bei Woody Guthrie im Krankenhaus, von Joan Baez, von Pete Seeger und vom berühmten Newport Folk Festival 1965, bei dem Dylan seine akustische Gitarre gegen eine elektrische tauschte – und damit eine Revolution losbrach.
Edward Norton als Pete Seeger ist eine kleine Wucht, Monika Barbaro als Baez trifft den Ton zwischen Liebe und politischem Ernst erstaunlich genau. Und Elle Fanning als fiktive Figur Sylvie Russo – tja, die bleibt leider eine Projektionsfläche. Vielleicht muss das so sein, vielleicht ist sie ein Echo all der namenlosen Frauen, die an der Seite großer Männer verschwinden.
Viel Applaus, ein paar Pfeifkonzerte
Der Film wurde bei seiner Premiere in Cannes gefeiert, erhielt acht Oscar-Nominierungen, darunter für Chalamet, Norton und Mangold. Nicht alles funktioniert. Kritiker bemängeln die dramaturgische Oberflächlichkeit – Rotten Tomatoes nennt ihn eine „shallow character study“. Und sie haben nicht ganz unrecht. Wer Dylan wirklich sucht, wird ihn auch in diesem Film nicht finden.
Aber ganz ehrlich? Das hätte er verdient. Denn Dylan war nie dazu da, verstanden zu werden. Sein Werk ist dazu zu groß.
Kino der Zwischenräume
„A Complete Unknown“ ist kein Denkmal, sondern ein Kaleidoskop. Bruchstücke, Lieder, Begegnungen. Manchmal berührend, manchmal rätselhaft, manchmal ärgerlich. Ein Film, der sich weigert, sich festzulegen – ganz wie sein Sujet.
Ich mochte ihn — manchmal. Ein Nonkonformist? Ziemlich sicher. Jedenfalls ist Dylan kein glatt gebügelter Star, wie wir sie zuhauf in unserer Gegenwart fast nur noch sehen.
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