Ein Brötchen, ein Bierkrug und der lange Schatten des Urheberrechts
Als ich im Jahr 2004 die digitale Schreibfeder hob und in die Welt des Bloggens aufbrach, ahnte ich kaum, wohin mich diese Reise führen würde. 2005 oder 2006 dann der nächste Schritt: ein gehosteter WordPress-Blog bei Allinkl. Elegant war das nicht – eher ein erster zögerlicher Tanz auf dem glatten Parkett der Öffentlichkeit. Damals schrieb ich, wie mir der Sinn stand. Kurz, spontan, aus dem Bauch heraus. Wenige Sätze zu allem und jedem. Mein missionarischer Eifer hielt sich noch in engen Grenzen.
Ein Thema jedoch hat mich all die Jahre nicht losgelassen. Es waberte durch die deutsche Blogosphäre, wurde mal intensiver, mal kaum wahrnehmbar diskutiert – aber wirklich populär war es nie: das Urheberrecht. Und wie es mein Verhältnis zur Technik, zur Fotografie und zuletzt zur Künstlichen Intelligenz geprägt hat.
Kaum vorstellbar heute, aber ich war damals ein ziemlich naiver Neuling. Dass das deutsche Urheberrecht nicht gerade ein Kuscheltier ist, wurde mir schmerzhaft bewusst – und zwar buchstäblich teuer. Ich hatte Bilder verwendet, die mir nicht gehörten. Ohne böse Absicht, aber eben auch ohne das nötige Wissen. Ein Brötchen war’s, das erste Mal. Später ein Bierkrug in Briefmarkengröße. Absurd? Vielleicht. Doch die Abmahnung kam mit voller Wucht.
Der Fotograf, ein in gewissen Kreisen nicht ganz unbekannter Akteur, ließ über seine juristischen Helferlein nichts anbrennen. Ich war nicht allein – viele Blogger fielen ihm zum Opfer. Für mich endete das in einer Unterlassungserklärung, einer saftigen Rechnung über mehr als 3.000 Euro und der Einsicht: Dummheit schützt vor Strafe nicht. Und wie meine Frau damals sagte: „Das nennst du ein Hobby?“
Also löschte ich den Blog. Alle Beiträge. Ein digitaler Kahlschlag aus Vorsicht, vielleicht auch aus Trotz. Die Vorstellung, jeden einzelnen Miniartikel auf potenzielle Rechtsverletzungen abzuklopfen, war einfach zu viel. Der Server war in einem Rutsch leergeräumt. Punkt, aus, vorbei – vorerst.
Einige Jahre später keimte eine neue Leidenschaft in mir: die Fotografie. Nicht, um Risiken zu minimieren, sondern weil ich plötzlich Freude daran hatte, selbst Bilder zu machen – mit meinem Blick auf die Welt. Ich begann, meine Fotos auf Flickr zu veröffentlichen. Bis vor Kurzem noch nicht unter Public Domain, aber das habe ich nun geändert. Wer fragt, darf meine Bilder nutzen. Ich sage fast nie nein. Ein Wasserzeichen gibt’s, sicher ist sicher – doch die Schranken sind gefallen.

Auf Google Maps sind inzwischen 462 meiner Bilder gelistet – mit zusammen über 2,9 Millionen Views. Manche davon wurden offenbar in Projekten mit großer Reichweite verwendet. Ob man mich dabei namentlich erwähnt hat? Keine Ahnung. Ist mir auch egal. Ich teile gern.
Eben stieß ich im Blog „Weltenwanderer“ von Saphirija auf einen klugen Beitrag zum Thema Urheberrecht. Er war der Anstoß für diesen Rückblick – nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzung. Ich finde es vollkommen richtig, dass jeder Urheberin eigene Maßstäbe setzt. Wer mit Herz und Seele fotografiert, soll auch bestimmen, wie die Werke genutzt werden.
Und dann kam Josh. Also nicht persönlich, sondern in Form seines YouTube-Videos:
▶️ „Der große Diebstahl: Warum KI alles verändert“
Ein brillanter Beitrag über die Wirkung der Künstlichen Intelligenz – ihre Möglichkeiten, ihre Gefahren. Und natürlich über das Urheberrecht, das mit jeder KI-generierten Zeile, mit jedem Bild zunehmend ins Wanken gerät. Danke an Claudia Klinger, deren Link mich überhaupt erst dorthin geführt hat. Wie er die kreative Kraft des Menschen in den Mittelpunkt seiner Überlegung rückte, hat mich bewegt.
Ich gestehe: Mein schlechtes Gewissen meldete sich prompt. Seit Monaten nutze ich fast ausschließlich KI-generierte Bilder als Beitragsbilder. Aus Bequemlichkeit, aus Neugier, aus Spieltrieb. Aber was heißt das eigentlich für Menschen, die wirklich schaffen, statt prompten?
Ich weiß es nicht. Aber ich denke darüber nach. Und vielleicht ist das ja schon der erste Schritt zur Besserung.
Danke für die Verlinkung, freut mich, dass mein Blogpost dich inspiriert hat!
Ich gestehe: ein schlechtes Gewissen plagt mich nicht, wenn ich KI nutze. Als ich zum ersten Mal mit dieser Problematik in Kontakt kam – kurz nach Erscheinen von ChatGPT und dem damit verbundenen bekannter Werden der Bilder-KIs – hab ich mal kurz (!) recherchiert. Ich fragte, ob die Verwendung zu Schulungszwecken denn erlaubt sei oder nicht. Und fand im Urheberrecht die Ausnahme «§ 44b Text und Data Mining»:
Ob das nun alles abdeckt, was KI mit den gelernten Materialien macht, insbesondere, wenn die Anbieter eindeutig kommerziell agieren, ist sicher fraglich.
Aber selbst WENN die Ausnahme NICHT zutrifft und die Entwickler mal eben so alle Inhalte des Internets und an was sie sonst noch rankamen, der KI zum Fraß vorgeworfen haben, ohne geklärte Berechtigung: Ich hab das für mich akzeptiert. Warum? Weil mir völlig klar war, dass es anders nicht gegangen wäre! Es werden unvorstellbare Mengen an Daten gebraucht, um eine KI so zu schulen, dass sie all das kann, was wir doch recht beeindruckend finden – und in vieler Hinsicht sehr sehr nützlich.
Es wäre unmöglich gewesen, alle Urheber in aller Welt um Erlaubnis zu fragen: Das hätte Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedauert oder man hätte mit weit weniger Daten (z.B. nur die von Großunternehmen lizensierbaren Werke) auskommen müssen und nicht diese Ergebnisse erzielt.
Kurzum: in der Abwägung des massiven Fortschritts durch die LLMs (mit all dem Nutzen, der daraus entsteht) gegen die Interessen einzelner Urheber, die ihre Werke nicht im Lernmaterial sehen wollen – war das für mich ok!
Mittlerweile wird das alles vermutlich mehr und mehr verrechtlicht, ich bin nicht auf dem Stand, wie die Verfahren in den USA stehen. Aber «gelernt ist gelernt»: Was drin ist in der KI kommt nicht wieder raus – und was den immer noch immensen Datenbedarf angeht, ist man mittlerweile bei «synthetischen Daten» – was immer das sein mag!
Was ich ablehne: Stilklau von lebenden Künstlern und Musikern. Wenn ich da nur den Namen anklicken muss und dann kommt ein ähnliches Bild raus, finde ich das nicht in Ordnung und mache sowas auch nicht. Meine Bildexperimente kamen ohne Stile konkreter Urheber aus: Ich will, dass die KI meine Vorstellung umsetzt, ohne dass es aussieht wie «von Künstler XY».
Gerade erinnere ich mich an die Kunstfilter in Fotoshop, da gab es «Impressionismus», «alter Meister», und dergleichen. Das ist im Grunde ähnlich, bezieht sich aber auf Stilrichtungen von Künstlern, die schon lange nicht mehr leben. Daran gestört hat sich eigentlich auch niemand.
Deine Flickr-Fotos sind toll!
@ClaudiaBerlin: Stimme zu.
Das ist eher das Problem, zumal wir User diesen Stilklau ja nicht nur bewusst betreiben bzw. anreizen, sondern wir werden mit Produkten konfrontiert, deren Urheberschaft wir meistens gar nicht ob gewisser Ähnlichkeiten erkennen. Ich habe die Stile oft sogar besonders vorgegeben. Nicht aus Nichtsnutz oder böser Absicht, sondern eher aus Experimentierdrang. Inzwischen sehe ich (auch durch Josh) wie die Auswirkung dieses Handelns sind und dass sie Künstler (Beispiel wurde gegeben) ins Nichts stürzen. Das würde ich nicht wollen. Aber ich mach” mit und bin deshalb Teil des Problems. Dabei haben wir all diese Auswirkungen natürlich überhaupt nicht einmal zum Teil durchdrungen bzw. verstanden.
«.…nicht einmal zum Teil durchdrungen bzw. verstanden.»
Das ging mir bis vor wenigen Tagen genauso, @Horst, bis mich ein Freund auf die KI-SUNO Plattform aufmerksam machte. Ein Text dazu mit Copy and Paste eingegeben, mit einem Klick das Genre «Jazz» gewählt und in wenigen Sekunden lieferte es mir kostenfrei 2 komplette song-Vorschläge. Mal von dem schrottigen Gesang abgesehen,- ansonsten aber ein wirklich sehr gut gesetztes Stück. Jazzig,- genau wie ich es mag. Das hat mich tief beeindruckt, bei gleichzeitig großem Entsetzen. Zwischen Mensch und Maschine für mich als Amateur nicht mehr unterscheidbar.
Dieses Thema betrifft ja ganz viele von uns, ob die schreibende Claudia, dich zusätzlich als Fotograf, mich als Hobbymusiker oder auch Gerhard, wo,- wenn nicht schon möglich‑, 3D Drucker KI-generierte Werkstücke erzeugen können.
Das sehr gut gemachte Video von Josh (danke für den Tip), das seinen eigenen kreativen und anspruchsvollen Ansprüchen absolut gerecht wird, verdeutlicht das Thema nochmals auf mehreren Ebenen.
Wenn ich einmal «Musik» als Beispiel nehme, so begann für mich der Anfang der KI mit dem ersten technischen Hilfsmittel, das Musik in eine vielseitigere Ausrucksform bringen konnte. Vielleicht war es das Klangholz, später die Saiteninstrumente, dann folgten E‑Gitarren, Mikorphone, Verstärker, Syntheziser.. . und heute sind Konzerte von Rammstein oder Adele selbst schon digitale Show,-Hör,- und Eventkunstwerke, ohne die der Hauptakteur den Menschen nicht annähernd das geben könnte, was alle erwarten. Eine stetige und fortschreitende Entwicklung. Jeder Künstler, der da nicht mitmacht, wird möglicherweise eine dankbare Nische finden, aber keine Masse erreichen. Das muss jeder selbst entscheiden, und da gibt es kein gut oder schlecht.
Die Frage ist also für mich: Können wir eine Grenze im technischen Fortschritt setzen?
Und meine Antwort ist derzeit: Nein, bis wohin jeder mitgeht, muss jeder für sich allein entscheiden. So lehnen z.b. Musikerfreunde von mir jede Art der digitalen Nachbearbeitung zur Soundverbesserung ab, im Gegensatz zu mir, (ähnlich dem Fotoshop-Prinzip). Ich hab das nie richtig verstanden. Bis jetzt. Heute verstehe ich und akzeptiere das.
Das gesamte Thema ist sehr umfangreich und mir wichtig und ich hoffe das ist in Ordnung, wenn ich hier dazu ein wenig mehr Platz in Anspruch genommen habe, wobei ich mich den großen Block Urheberrecht noch garnicht angenähert habe.
@Menachem Welcland:
Genau das geht wohl vielen so. Je mehr man mit KI macht, desto größer die Verwunderung, gefolgt von einem ordentlichen Schrecken. Es gibt auch andere Anwendungsbereiche, bei denen wir sofort positiv gestimmt sein dürften. Medizin ist so etwas. Aber selbst die Kunst, die ja nun von der menschlichen Kreativität lebt, bringt Dinge hervor, die ich bewundere. Ich erwähne den Namen Inge Schuster in diesem Zusammenhang immer wieder.
Was möglich ist, wird gemacht. Da helfen Ethikkommissionen und entsprechende Gesetze letztlich wenig. «Wenn wir es nicht tun, machen es die anderen». Wie oft hat man in anderen Zusammenhängen, den technischen Fortschritt betreffend, solche Sätze schon gehört? Die Gentechnik ist dafür ein Beispiel, das mir sofort einfällt. Was haben all die Beschränkungen genutzt? Woanders wird geforscht und an Dingen gearbeitet, die hier aus guten Gründen nicht akzeptiert und von Ethikkommissionen geregelt wurden.