Die einen reden vom Krieg, andere beschreiben die aufziehende Apokalypse durch Szenarien zusammenbrechender Wirtschaften. Suchen wir uns aus, welches Szenarium uns doch so gar nicht interessiert, und üben uns weiter in Apathie. Mich erinnert der eher gelassene Umgang doch sehr an Zeiten zwischen den großen Kriegen – an jene unheimliche Stille, die nicht Friede ist, sondern das Schweigen vor dem Sturm.
Während der öffentliche Diskurs sich an Genderfragen und Verkehrspolitik abarbeitet, schieben sich unbemerkt tektonische Platten unter der Oberfläche des Weltfinanzsystems. Es kracht nicht, es knistert – aber das reicht klugen Köpfen wie Prof. Hans-Werner Sinn, um Alarm zu schlagen. Am 5. Juni 2025 war er bei Markus Lanz zu Gast und sprach aus, was viele lieber nicht hören wollen: Die weltweit größte Volkswirtschaft steht auf tönernen Füßen.
Prof. Sinn legte mit der ihm eigenen analytischen Schärfe dar, dass die USA mit einer Staatsverschuldung von rund 36 Billionen Dollar konfrontiert seien – einer Zahl, die so abstrakt wie absurd wirkt, bis man sie in Relation setzt: Mehr als 900 Milliarden Dollar müssen die USA jedes Jahr nur für Zinszahlungen aufbringen. Das sind 11 bis 13 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Zum Vergleich: Deutschland liegt mit etwa 2 Prozent deutlich niedriger – noch. Denn auch bei uns steigen die Kosten, das Unbehagen, die Ungewissheit.
Diese Dimension sei, so Sinn, „nicht nachhaltig“. Er spricht nicht von Panik, sondern von „systemischen Risiken“. Von einem Spiel mit dem Feuer, bei dem der Zündstoff längst bereitliegt, der Funke aber noch fehlt.
Brisant wurde es, als er Donald Trumps Rückkehr auf die politische Bühne kommentierte: Dessen angedrohte Strafzölle seien – so Sinn – nicht primär handelspolitische Instrumente, sondern ein verdeckter Versuch, Kapital aus dem Ausland anzuziehen, um das eigene System künstlich zu stabilisieren. Eine Art ökonomisches Beruhigungsmittel mit gefährlichen Nebenwirkungen. Die Weltwirtschaft als Spielball innenpolitischer Taktik – ein gefährliches Spiel, das den Zusammenhalt westlicher Demokratien auf die Probe stellen könnte.
Die Warnung kam nüchtern, nicht dramatisch: Wenn die Welt das Vertrauen in den Dollar verliert, wenn Kapital in sicherere Häfen strömt, könnte das globale Finanzsystem erschüttert werden. Und Europa? Es steht daneben, noch halbwegs stabil, aber ohne strategische Autonomie. Sinn plädierte eindringlich für eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit Europas, für mehr Selbstvertrauen – und für weniger Naivität gegenüber dem geopolitischen Großspiel.
Er malte kein Endzeitbild. Aber er zeichnete Linien nach, die sich irgendwann schneiden werden – und wo sich diese Linien schneiden, wird es ungemütlich.
Vielleicht ist das unsere Zeit: eine Zwischenzeit. Nicht Krieg, nicht Frieden. Eine Ära des Dazwischen, des bequemen Ignorierens. Wer genau hinhört, spürt: Die Einschläge kommen näher. Und wer die Worte eines Hans-Werner Sinn nicht einfach als „alte Schule“ abtut, sondern als Echo ökonomischer Erfahrung begreift, der ahnt, dass sich unter unserer Wohlstandsfassade längst Risse zeigen.
Nicht um Angst zu schüren, sondern um Klarheit zu gewinnen, sollten wir hinhören – und handeln.
Ich denke bei diesen Zahlen immer an die Visualisierungen von Chris Jordan.
Der hatte um 2007 seine Arbeit „Running the numbers“ vorgelegt.
Keiner weiß, was 500.000 ist. Erst recht nicht, was 5 Millionen oder 5 Milliarden sind.
So wie es Jordan darstellte, konnte man sich ein Bild machen.
@Gerhard: Mit solchen Zahlen können normale Menschen nicht wirklich was anfangen. Wahrscheinlich Politiker auch nicht. Aber sie hantieren trotzdem damit.