Es war einer dieser Sommer, an denen der politische Himmel schon von selbst an vielen Tagen grau wirkt – und dann zog ein Sturm auf, der nicht aus den Sälen des Bundestages kam, sondern aus den Winkeln der Blogosphäre. Dort, wo Argumente wie Blitze einschlagen und Schlagzeilen erst entstehen, bevor sie in den Redaktionen landen.
Die Bühne des Sommers
Im Lichtkegel: Frauke Brosius-Gersdorf, renommierte Juristin, vorgeschlagen für das Bundesverfassungsgericht. Ein Schritt, der eigentlich Würde und Anerkennung bedeuten sollte – und doch wurde er zum Auftakt einer digitalen Schlammschlacht.
Die erste Salve
Die ersten Töne kamen rau. Auf dem Blog von Hadmut Danisch tauchten Vorwürfe auf – Ghostwriting, Plagiatslisten, Verdacht auf Textübernahmen. Kurz darauf legte plagiatsgutachten.com nach: akribische Parallelstellen, steile Thesen, aber ohne die methodische Gegengewichtung. Aus diesen Funken wuchs ein Feuer, das sich im Netz rasant verbreitete.
Der Chor der Kampagne
Rechte Blogs wie Tichys Einblick und Achgut griffen den Stoff auf – und machten daraus eine Geschichte vom „Staatstheater“ und einer angeblich untragbaren Kandidatin. Die Rhetorik: keine nüchterne Analyse, sondern scharfe Klingen.
Die Gegenstimmen
Währenddessen versuchten andere, den Ton zu dämpfen. Der Verfassungsblog sprach von „Schmutz und Würde“, warnte vor der politischen Herabwürdigung wissenschaftlicher Karrieren und stellte klar: Politisches Denken ist bei Verfassungsrichter:innen kein Makel, sondern Normalität. Der Theorieblog beleuchtete die Wahl als Spiegel des schwierigen Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik. Der Blog-der-Republik sprach offen von einer gezielten Kampagne von rechts – und einer politischen Spitze, die dem Druck nicht standhielt.
Mein Standpunkt
Ich habe mich in meinen eigenen Beiträgen von Beginn an deutlich positioniert:
Für mich war und ist klar, dass hier nicht nur eine Kandidatur zu Fall gebracht wurde, sondern auch das Bild einer unabhängigen und respektvollen Debattenkultur Schaden genommen hat. Ich habe mich klar auf die Seite von Brosius-Gersdorf gestellt, nicht weil ich jede ihrer juristischen Positionen teile, sondern weil ich das Muster erkenne: orchestrierte Kampagnen, angefeuert von Blogs, die nicht auf Aufklärung, sondern auf Vernichtung setzen. Die Parallelen zur späten Weimarer Republik, in der Medienhetze und politische Machtspiele eine gefährliche Allianz eingingen, sind für mich nicht zu übersehen.
Meine bisherigen Beiträge zur Causa:
- Rufmord als politische Waffe – die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf
- Macht euren Scheiß doch allein.
- Eigentum verpflichtet – aber nicht zur Wahrheit
- Richterwahl im Fadenkreuz: Die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf und Kaufhold
- Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden…
- Ulrich Reitz: Für mich sind Sie das Reizthema in der Causa Brosius-Gersdorf!
- Was sie ertragen muss – und was uns das über unser Land sagt
- Zwischen Rufmord und Rechtsstaat: Die rechts-konservative Kampagne gegen Brosius-Gersdorf
- Zwischen Würde und Wirklichkeit: Über Scheinheiligkeit in der Abtreibungsdebatte
Der Kulminationspunkt
Die Tage zwischen dem 4. und 8. August waren ein Gewitter. Artikel, Blogposts, Social-Media-Kommentare – alles beschleunigte sich. Am Ende trat sie zurück. Nicht, so sagte sie, aus Angst, sondern aus Sorge, das Ansehen des höchsten Gerichts zu beschädigen.
Zurück blieb der Nachhall eines Sommers, in dem Blogs nicht nur berichteten, sondern die Agenda setzten.
Die Lehre
Dieser Fall zeigt, wie zweifelhaft, zum ganz großen Teil aber auch unbeteiligt die Blogosphäre ist: Sie kann Debatten anstoßen, Missstände beleuchten und Gegenöffentlichkeit schaffen. Aber sie kann ebenso zu einer Waffe werden, die gezielt auf Zerstörung ausgerichtet ist. Nicht „nur” auf die Zerstörung einzelner Personen, die in den öffentlichen Fokus geraten, sondern in unserem Fall auf die Schwächung und Verächtlichmachung demokratischer Institutionen.
Ich bleibe dabei: Wer Verfassungsrichter:innen wählt, muss den Mut haben, Kampagnen zu widerstehen – und die Würde der Institution vor den Lärm der Empörung zu stellen. Vor allem aber dürfen diejenigen, die unser Mandat haben, sich nicht vor den Karren rechter Journalisten spannen lassen, die selbst im günstigsten Fall aufgrund ihrer eigenen politischen Orientierung zu weit gehen und bewusst Lügen verbreiten. Nur der Bamberger Erzbischof hat sich dazu bekannt, falsch informiert gewesen zu sein. Von rechten und konservativen Politikern hat man das – in diesem Fall – nie gehört!
Diese Timeline soll die Entwicklungen rund um die Causa Brosius-Gersdorf nachzeichnen – mit Fokus auf Veröffentlichungen in großen Medienhäusern, Blogs sowie anderen relevanten Plattformen:
Timeline zur Causa Brosius-Gersdorf
Datum | Ereignis |
---|---|
25. Juni 2025 | Änderung des Wikipedia-Eintrags durch den Verfassungsrechtler Ekkehart Reimer – Eintrag ergänzt Informationen zur Mitwirkung von Brosius‑Gersdorf in der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung, was eine laufende Kampagne gegen sie einleitete. (Wikipedia) |
30. Juni 2025 | Offizielle Bekanntgabe ihrer SPD-Nominierung als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Medien wie FAZ, Welt & Co. stellen ihren Werdegang und die Bedeutung der Personalie vor. (Wikipedia) |
2. Juli 2025 | Beginn auffälliger negativer Medienberichte: Themen wie Schwangerschaftsabbruch, vermeintlich linke Positionierungen, werden scharf diskutiert, z. B. in Cicero und Die Zeit. (Wikipedia) |
11. Juli 2025 | Geplante Wahl zur Verfassungsrichterin abgesagt – zeitgleich starten die Plagiatsvorwürfe, zunächst in Blogs. In etablierten Medien nur zurückhaltende Berichte. (Wikipedia, Doz. Dr. Stefan Weber, Wikipedia) |
10. Juli 2025 | Blog plagiatsgutachten.com veröffentlicht erste Hinweise auf Parallelen zwischen ihrer Dissertation und Texten ihres Ehemanns. (Doz. Dr. Stefan Weber) |
15. Juli 2025 | Interview bei Markus Lanz: Brosius-Gersdorf verteidigt sich gegen Diffamierungen und betont ihre moderate Positionierung. Zahlreiche Medien greifen das Interview auf. (Wikipedia) |
16. Juli 2025 | In etablierten Medien wie Tagesschau & LTO werden nun verstärkt Vorwürfe aufgegriffen, und es mehren sich medienkritische Bewertungen der Kampagne. Über 230.000 Menschen unterzeichnen Petition „Schluss mit der Hetzkampagne“. (Wikipedia, Wikipedia) |
4. August 2025 | plagiatsgutachten.com veröffentlicht umfassende Dokumentation mit 91 Textstellen und Ghostwriting-Verdacht – große Medien berichten teils tendenziös. (Doz. Dr. Stefan Weber) |
7. August 2025 | Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur zurück mit Hinweis auf unvermeidlichen Reputationsschaden für das Bundesverfassungsgericht. Große Medien wie WELT, ZDF, ARD & Co. berichten umfassend. (Wikipedia, Wikipedia) |
Keine sichtbare Resonanz | Gut 300 Rechtswissenschaftler:innen äußern sich in offenen Briefen, kritisieren mangelnde politische Rückendeckung und instrumentalisierten Umgang. Medien berichten breit. (Wikipedia) |
Diagramm zur Rollenverteilung
- Blogs (Danisch, plagiatsgutachten.com)
dienten als Frühwarnsysteme—erste Thesen, dokumentierende Belege. Ihre Reichweite ist begrenzt, aber die Stimmungslage war gesetzt. - Etablierter Medienapparat (Welt, FAZ, Tagesschau, etc.)
– ab Juni/Juli klar die Taktgeber. Sie produzierten Inhalte mit großer Reichweite, setzten die Narrative in die breite Öffentlichkeit, provozierten politische Reaktionen und beeinflussten den öffentlichen Diskurs maßgeblich.
Blogs lieferten frühe Impulse und „Rohmaterial”, doch die wirkliche Schlagzahl und Wirkung entfalten sich erst durch die etablierten Medien. Sie bestimmten Tempo, Tonlage und Reichweite der Debatte – und trieben die Angelegenheit sichtbar voran.
Leider habe ich in den Blogs, die ich lese, keinen Artikel über diesen Fall gelesen. Gut, ich habe das ausgeglichen. Ob so viele Blogger wohl anderer Meinung sind als ich? Mehr als Hinweise darauf gibt es nicht. Gut, ich muss halt mit 71 weiter an mir arbeiten und wohl meine Toleranzschwelle erhöhen.
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