Die Tagesschau berichtete jüngst von der beunruhigenden Entwicklung, dass die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland weiterhin steigt und zwar selbst unter Menschen, die einer regulären Arbeit nachgehen. Was lange wie ein Phänomen des amerikanischen Traums im Verfall wirkte – Job ja, Wohnung nein – erreicht also auch unsere Städte.
Dass Arbeit längst nicht mehr automatisch Schutz vor Armut bietet, ist bekannt. Doch dass selbst ein festes Einkommen nicht genügt, um ein Dach über dem Kopf zu sichern, rührt an den Kern unseres sozialen Selbstverständnisses.
Die Ursachen liegen offen zutage: steigende Mieten in Ballungszentren, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, das Zurückfahren des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahrzehnten. Hinzu kommt, dass die Politik zwar über Neubauquoten streitet, die Realität aber hinter den Plänen zurückbleibt.
Und es ist kein rein deutsches Problem. Auch in den Niederlanden kämpfen Städte wie Amsterdam mit ähnlichen Dynamiken. Wohnungsnot ist ein europäisches, ja globales Symptom: Der Markt folgt der Logik der Rendite, während soziale Bedürfnisse auf der Strecke bleiben.
Deutschland darf sich nicht an den USA orientieren, wo Zeltstädte längst Teil des urbanen Bildes sind. Doch die wachsende Zahl von Erwerbstätigen ohne Wohnung mahnt uns: Wir laufen Gefahr, denselben Weg zu beschreiten, wenn wir nicht konsequent gegensteuern.
weitere Informationen:
Wohnungs- und Obdachlosigkeit – Diakonie Deutschland
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Letztendlich ist es der „Durchmarsch” des Kapitalismus seit der Wende: Keine Systemkonkurrenz mehr, also gibt es keine Schranken mehr für das Profitstreben. (Dazu passt, dass 1990 die Gemeinnützigkeit des Wohnungsbaus abgeschafft wurde, die neue Version von 2024 ist KEIN vergleichbarer Ersatz!)
Im Detail sind die Ursachen natürlich vielschichtig, ein Faktor ist die Vorschriftendichte beim Neubau. Berlin hat ein „schneller-bauen-Gesetz” verabschieden, wenn ich mir dessen „Maßnahmenpaket” ansehe, wird mir ganz schlecht, denn da wird auf einmal transparent, was bei einem Neubau alles beachtet werden muss, bzw. einem Neubau entgegen stehen kann. Auch reicht ein Landesgesetz bei weitem nicht und im Bund machen sie offenbar langsam voran.
Zu den Gründen des Mengels zählt der Bevölkerungszuwachs, der fehlende Sozialwohnungsbau, der Trend zu 1‑Personenhaushalten, aber auch der für viele unerschwinglich gewordene Eigenheimbau (inkl. Grundstückspreise) – die bleiben also in ihren Mietwohnungen. Dazu kommt die Umwandlung in Ferienwohnungen, Leerstand aufgrund von Spekulation – und eben auch die langwierigen Prozesse, wenn kreative Architekten Bürobauten in Wohnungen umwandeln wollen. Auch der Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft (Verluste bei Corona) soll mehr Bautätigkeiten im Wege stehen.
Ich fürchte mich durchaus ein wenig, auch mit Altmietvertrag und einem „vernünftigen” Einzeleigentümer als Vermieter – irgendwann kommen die Erben oder er kann den Verlockungen des Geldes nicht mehr widerstehen. Dann steh ich mit 70plus auf der Straße!
@ClaudiaBerlin: Die Probleme werden ja immer wieder in dieser Weise erörtert. Dabei fällt mir nach etwas Beschäftigung mit dem Thema auf, dass Wohnungsnot in vielen europäischen Ländern verbreitet ist (https://www.eurofound.europa.eu/en/publications/2023/unaffordable-and-inadequate-housing-europe). Die etwas einseitigen Vorwürfe an die Adresse der Politik werden unter diesem Aspekt schwer zu halten sein, finde ich. Andererseits wird dieser Teil der sozialen Schieflage (nicht nur in unserem Land) als weiterer Beleg dafür zu sehen sein, dass grundlegende Sozialstaatsreformen überfällig sind. Merz hat sich ja gestern in geradezu erfrischender Weise dazu geäußert. Er will den Sozialstaat schleifen, aber die Reichen nicht mit zusätzlichen Steuern belasten. Damit werden sich die Probleme am Wohnungsmarkt nicht lösen, sondern verschärfen.
