Die Netzfreiheit war ein schö­ner Traum

Foto des Autors

von Horst Schulte

Lesezeit: 4 Min.

Juncker und vie­le ande­re wun­dern sich ver­mut­lich immer noch dar­über, dass die EU wei­ter­hin an Zustimmung ver­liert. Was genau ist eigent­lich seit der Brexit-Entscheidung auf euro­päi­scher Ebene ver­än­dert wor­den – vor allem zum Guten? 

Mir war so, als soll­te doch so vie­les anders wer­den! Und jetzt das:

Der Rechtsausschuss des Parlaments (JURI) unter­stützt den Vorschlag des CDU-Abgeordneten Axel Voss für eine Reform des Urheberrechts und stimm­te dabei für die Einführung eines EU-wei­ten Leistungsschutzrechts sowie ver­pflich­ten­den Uploadfiltern für Internetplattformen. Ein in letz­ter Minute von der Piraten-Abgeordneten Julia Reda vor­ge­leg­ter Kompromissvorschlag fand kei­ne Unterstützung. Damit set­zen sich im Europaparlament die Verlagslobby und ande­re Rechteinhaber mit ihrem Drängen nach umfas­sen­der Kontrolle von Inhalten im Internet durch​.Link: Schlag gegen die Netzfreiheit: EU-Abgeordnete tref­fen Vorentscheid für Uploadfilter und Leistungsschutzrecht – netz​po​li​tik​.org

DSGVO und LSR machen die EU auch bei jun­gen Leuten sicher deut­lich beliebter!

Die DSVGO wur­de ein­ge­führt bzw. am 25. Mai d.Js. akti­viert und jetzt folgt ver­mut­lich bald das Leistungsschutzrecht mit den elen­di­gen (Upload-) Demokratie-Filtern, nicht das Recht im Internet stär­ken soll, son­dern nach Meinung vie­ler die Macht der Mächtigen bewah­ren hel­fen soll!

Das ist nicht im Sinne der EU-Bürger*Innen! Unabhängig davon, wie sie zum Internet an sich stehen.

Dies ist eine Maßnahme, die, wie inzwi­schen sogar Verlage kapiert haben, weni­ger dabei hilft, die Pfründe alter Medien zu schüt­zen, als die Demokratie in den EU-Mitgliedsländern nach­hal­tig zu beschädigen.

Als ob die wach­sen­de Macht der Populisten von Rechts und Links in so vie­len Ländern Europas nicht alar­mie­rend genug wäre!

Auf vie­le von uns wirkt das EU-Parlament in die­sen Tagen wie ein Moloch, der die bis­her welt­weit [sic?] gel­ten­de Netzfreiheit ver­putzt. Bedenkt man die damit ver­bun­de­nen poli­ti­schen Wirkungen könn­te die­se Maßnahme den Zerfall der EU beschleu­ni­gen. Schließlich kann man sie alles in allem mit Fug und Recht als unde­mo­kra­tisch, ja sogar als demo­kra­tie­feind­lich anprangern.

Frust und Sorge

Die jetzt wahr­schein­lich gewor­de­ne Entscheidung des EU-Parlaments frus­triert vie­le Menschen (> 200k haben Petitionen gg. das Leistungsschutzrecht gezeich­net!) und was viel­leicht lang­fris­tig noch schlim­mer ist: sie erschwert ihren Bürgerinnen und Bürgern mit die­ser als Popanz (DSGVO + LSR + Uploadfilter) emp­fun­de­nen Regelwut wahr­schein­lich die Chance auf öko­no­mi­sche Partizipation im gera­de die Tür ein­tre­ten­den Zeitalter der Digitalisierung.

Google arbei­tet an künst­li­cher Intelligenz, die EU führt die DSGVO ein. 

Nicht weni­ge malen hin­sicht­lich der Folgen der Digitalisierung ohne­hin schon den Teufel an die Wand. Soll so eine der Antworten unse­rer euro­päi­schen und natio­na­len Politik aussehen?

Die Maßnahmen erschwe­ren den gera­de jetzt gesell­schaft­lich so drin­gend erfor­der­li­chen offe­nen Diskurs. Ich fra­ge mich, wie die­ser mit akti­vem LSR künf­tig von­stat­ten gehen soll.

Die pas­sen­den Drohungen waren lan­ge ausgesprochen:

„Netzgemeinde, ihr wer­det den Kampf verlieren!“
«Das Web 2.0 wird bald Geschichte sein»

Hat Ansgar Heveling (CDU) denn auch Antworten? Wer über­nimmt Verantwortung für die Folgen die­ser euro­päi­schen Politik?

Darauf könn­ten wir erfah­rungs­ge­mäß wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag war­ten. Hevelings feuch­ter Traum geht nach weni­gen Jahren wohl in Erfüllung.

Es sieht danach aus, als ob – ver­mut­lich auf Betreiben oder wenigs­tens mit Zustimmung des Europa-Rates – ganz ande­re Antworten zur Stabilisierung der EU aus Brüssel kom­men, als die vie­le von uns Gutgläubigen sich nai­ver­wei­se ein­mal vor­ge­stellt hat­ten. Es sind nicht unbe­dingt sol­che, die nor­ma­le Menschen unter demo­kra­tie­stär­ken­den Maßnahmen ver­ste­hen. Die Empörung ist ent­spre­chend. Twitter und Facebook sind voll mit bösen und empör­ten Kommentaren zur Entscheidung des EU-Rechtsausschusses.

Deutsches Recht?

Die deut­sche Politik mach­te sich nicht die Mühe, die DSGVO zeit­ge­recht in deut­sches Recht zu über­füh­ren und die Einführung mit Sorgfalt zu beglei­ten. Stattdessen offen­bart sich Erschreckendes. Eine Tatsache und eine nahe­lie­gen­de Vermutung.

Zweierlei ist festzuhalten:

Zum einen die erschre­cken­der Unkenntnis des poli­ti­schen Personals über tech­ni­sche Notwendigkeiten und Zusammenhänge, die auch in einer Bundes-Pressekonferenz (ZDF – Video) mit bestür­zen­der Eindringlichkeit vor­ge­führt wurde.

Zum ande­ren besteht offen­bar die Absicht, sich eine via Internet unge­lieb­te neue und manch­mal eben auch sehr kri­ti­sche Öffentlichkeit mit sol­chen Regeln und Gesetzen vom Hals zu schaffen.


Der nächs­te Schritt ist die Abstimmung im gesam­ten EU-Parlament, die am 4. oder 5. Juli 2018 geplant ist. Viel Hoffnung gibt es nicht, weil das Parlament für gewöhn­lich den Empfehlungen des Rechtsausschusses folgt. Die end­gül­ti­ge Entscheidung über das Gesetz könn­te im Herbst oder Winter die­ses Jahres fal­len. Drücken wir die Daumen, dass der Widerstand im Parlament, der vor allem durch die umstrit­te­nen Upload-Filter zuge­nom­men hat, erfolg­reich ist!


Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe auf dem Land.

hs010225 a

Artikelinformationen

Bereits 206 Mal gelesen5 heute

2 Gedanken zu „Die Netzfreiheit war ein schö­ner Traum“

  1. Für mich war es das wohl end­gül­tig mit (dem ver­blie­be­nen Rest) mei­ner posi­ti­ven Einstellung zur EU. Der letz­te Rest davon ist weg. Aus, vor­bei. Für mich kann die EU ab sofort den Bach run­ter­ge­hen, nie­mand braucht das noch.

    Sorry, aber da ent­schei­den, wie wir gera­de sehen, Schwachköpfe Schwachsinn für Wirtschaftsvertreter. Rechtsausschuss, EU-Kommission, EU-Parlament sind für mich nichts wei­ter als abhän­gi­ge aus­füh­ren­de Organe der Interessenvertreter von Großkonzernen. Die Wahl zum Europaparlament ist ledig­lich dreis­ter Missbrauch von Wählerstimmen zu deren Gunsten. Eine rei­ne Alibi-Veranstaltung, die man offen­bar noch zu brau­chen meint. Vielleicht lie­gen ja schon Pläne in gehei­men Schubladen, das auch noch abzuschaffen. 

    (Wow, so sieht wohl Politikverdrossenheit aus… 😉

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht!


🕊️ Ein gutes Wort kann Wunder wirken.
💬 2