Thema: Debattenkultur

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Debatte: Precht und Welzer unter massivem Dauerfeuer

Den ungezügelten Zorn der Medien auf das Buch von Precht und Welzer (Die vierte Gewalt) und ihren Auftritt bei Lanz im ZDF interpretiere ich in mehrere Richtungen.

  1. Beide haben den Kern eines Problems getroffen, der bisher zwar hörbar, jedoch folgenlos im Wesentlichen von Rechten und Coronaleugnern thematisiert wurde. Die Reaktion bei Twitter, die in Teilen einer regelrechten Rufmordkampagne gleicht, bestätigen in meinen Augen all das, was schon viele über die Wirkung bzw. Gefahren von Social Media gesagt und geschrieben haben.
  2. Getroffene Hunde bellen“. Für mich klingt die überbordende Kritik nach mangelnder Kritik- und Reflexionsfähigkeit unserer Medienschaffenden.
    Dass sich ganz viele an die Seite der Medien stellen, könnte damit zu tun haben, dass der verbrecherische Krieg Russlands gegen die Ukraine eine Rolle spielt und die Haltung beider Herren von der gefühlten Mehrheitsmeinung abweicht.
  3. Sicher würde auf das Thema Medienkritik nicht so heftig reagiert, gäbe es nicht den vorher schon bekannten Vorwurf der Einflussnahme unserer Medien auf die Regierung zugunsten der einseitigen und grenzenlosen Unterstützung der Ukraine.

Schelte von allen Seiten

Der Herausgeber der FAZ schildert im Kontext der Diskussionen über Precht und Welzer, dass Precht die Degradierung einer FAZ-Autorin verlangt habe, weil diese einen kritischen Text über ihn veröffentlicht hatte. Gleichzeitig liest man, dass beide, Precht mehr noch als Welzer, in ihren Fachrichtungen kaum Beachtung erlangt haben. Precht wird, übrigens nicht nur von Übermedien, als Vertreter philosophischer Populärliteratur bezeichnet. Unerhört finde ich solche geradezu ehrabschneidenden Spitzen. Wird sich jeder, der eine abweichende Haltung in Krisenzeiten einnimmt, mit Diffamierungen dieser Art auseinanderzusetzen haben?

Die Kritik geht zu weit

Die meinerseits als Herabwürdigung empfundene Formulierung wird eingerahmt von der Bemerkung, dass das ZDF ihn (Precht) abwechselnd als „TV-Moderator“, „Publizist“, „Bestsellerautor“ und „Philosoph“ bezeichnet. Dabei werden diese wechselnden Untertexte doch bei fast allen Gästen eingeblendet. Und das nicht nur bei Lanz!

So ist auch diese Bemerkung des Übermedien-Autors für mich ein Beleg dafür, welche Dimensionen die sehr einseitige Auseinandersetzung angenommen hat.

Es geht bei Twitter offensichtlich nur noch darum, die Reputation der beiden Männer zu zerstören.

Jedenfalls haben die Texte und Memes, die man bei Twitter findet, furchtbare Formen angenommen. Sollten solche “Debatten” die Zukunft unserer Demokratie begleiten, kann ich nur schwarz sehen.

Doch letzteres ist er trotz zweier Honorarprofessuren, die vor allem seiner Bekanntheit geschuldet sind, nur im populären Sinn. Einen nennenswerten Beitrag zur akademischen Philosophie leistet er nicht.

Übermedien

Dass solche Aussagen über Menschen, die im öffentlichen Raum notwendige Debattenbeiträge leisten, getroffen werden, ist nicht weniger bedenklich als vielleicht der eine oder andere voreilige Schluss, den beide Herren gezogen haben könnten.

Welzer kommt besser weg

Bei Welzer ist der Übermedien-Autor zurückhaltender. Dennoch wird auch in seinem Fall darauf verwiesen, dass Welzers Bekanntheit, wie auch im Fall Precht, auf eine starke mediale Präsenz zurückginge.

Studien über unser Vertrauen in die Medien

Schließlich wird darauf verwiesen, dass es die Mainzer Langzeitstudie gibt, mit der sich die beiden Herren leider nicht auseinandergesetzt hätten. Mir fällt dazu ein, dass es durchaus einige Aussagen (in Medien) gibt, die die Position von Precht und Melzer in diesem Fall eher stützen. Darauf nimmt man leider keinen Bezug. Der Vorwurf an Precht und Welzer lautet, sie hätten nicht hinreichend recherchiert bzw. sie wären, hätten sie dies getan, zu völlig anderen Schlussfolgerungen gekommen.

Die Kritiker tun so, als seien beide die einzigen, die sich der leider nachteilig entwickelten Aufmerksamkeitsökonomie bedienen. So wenig kritikfähig ist die deutsche Medienlandschaft, dass sie einen regelrechten Krieg gegen zwei Männer angezettelt hat. Cancel Culture, dabei bleiben all die, die mit Precht und Welzer so umgehen, unisono, gibt es bei uns ja nicht.

Deutschland: Wie egoistisch dürfen Menschen sein?

“Hart aber fair” gings zu. Das Thema war schwierig, die bekannten Ansichten zur Migrations- und Flüchtlingskrise prallten aufeinander. “Spiegel” – Kolumnist Nikolaus Blome löste starken Widerspruch aus, als er befand, dass Flüchtlinge besser gerettet und in die libyschen Lager, die für ihre Unmenschlichkeit berüchtigt sind, zurückgeführt werden sollten, als im Mittelmeer zu ertrinken.

Dieser Teil der Kontroverse macht klar, worum es geht: Humanität vs. Rationalität. Die Zeit für moralische Argumente scheint an ihr Ende gekommen zu sein. Auch deshalb, weil viele Leute das nicht mehr hören können.

Dass die Zahl von Flüchtlingen weltweit inzwischen 80 Millionen übersteigt, zeigt die Dimension des Problems. Wer die Diskussionen verfolgt sieht Parallelen zur Klimadebatte. Auch hier scheinen viele zu glauben, Deutschland sei der Nabel der Welt. Vorreiter, tugend- und vorbildhafter Stichwortgeber.

Hat sich das Bewusstsein für das umstrittene Thema im Land gedreht? Ich glaube dies daran zu erkennen, dass auf die schlimmen Bilder und Berichte viel weniger gefühlig reagiert wird als noch vor wenigen Jahren.

Das gilt auch für die schlimmen Berichte über die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln oder auf dem Festland, um die von Algerien provozierte Landnahme von Flüchtlingen in der spanischen Enklave Ceuta und die brutale Reaktion der dortigen Polizei. Selbst Bilder von kleinen Kindern, die tot aus dem Wasser gezogen werden, lösen keine vergleichbaren Reaktionen aus (Alan Kurdi).

Im Meer bei Ceuta rettete ein Polizist ein Baby, das fast im Mittelmeer ertrunken war. Es braucht nicht viel, damit ich anfange zu weinen. Fast gleichzeitig fluche ich dann über die verkommene EU und die von EU-Funktionären gern betonten “Werte”.

Viele Menschen, die diese Bilder gesehen haben, werden ganz für sich still gelitten haben. Wer bleibt davon schon unberührt?

Mir leuchtet der Standpunkt der evangelischen Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber ein. Ich kann ihn mir, anders als früher, trotz allem nicht mehr zu eigen machen.

Dass die Bischöfin mit Inhalten des UN-Flüchtlingspakts argumentierte, habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sehr der Migrations- wie auch der Flüchtlingspakt in der Kritik standen. Zum einen merkten Rechtskonservative an, dass der Migrationspakt als Blaupause für sich nach und nach herausbildende gesellschaftliche Normen für die gesamte nationale Flüchtlingspolitik missverstanden, ja missbraucht werden könne. Andererseits wurde das Papier (von Links) als unverbindliches Papier dargestellt.

Dass Bosse-Huber so argumentierte, belegt, wie er verstanden und benutzt wird. Ich fand, es war von Beginn an klar, dass genau dies geschehen würde. Es existiert bereits wenige Jahre nach seiner Unterzeichnung eine normative Dimension.

Dass die Grünen den Grenzübertritt von Flüchtlingen (Migranten) nach Deutschland erleichtern wollen, ist im Abgleich mit dem UN-Papier kaum misszuverstehen. Gut, wenn man nicht nur auf eigene politische und moralische Vorstellungen, sondern auf offizielle internationale Regelwerke Bezug nehmen kann.

Zudem halten wir es für erforderlich, dass Deutschland auch international eine führende und verlässliche Rolle bei der Implementierung des Migrationspaktes einnimmt. […]

Die Staaten Europas und insbesondere Deutschland sind in der Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen, denn Menschenrechte müssen für alle gelten – egal wo, egal wann und egal für wen, auch im Transit, auch in Bewegung.

Migration geordnet und legal gestalten: Grüne im Bundestag

Der Verpflichtung, von dem im Grünen Papier die Rede ist, ist Deutschland aus meiner Sicht überaus großzügig nachgekommen. Angesichts der Notlage so vieler Menschen (80 Mio. Flüchtlinge weltweit) wird (außerhalb der AfD) niemand davon ausgehen, dass die damit verbundenen Probleme mittelfristig zu lösen sind. Das Thema ist eines, das Generationen nach uns beschäftigen wird. Die immer sichtbarer werdenden Folgen des Klimawandels werden alle damit verbundenen Herausforderungen noch erheblich vergrößern. Insofern ist es richtig, dass diese Aufgabe nur global lösbar ist.

Dass Grüne eine führende Rolle bei der Umsetzung der Ziele des UN-Migrationspaktes für Deutschland fordern, verstehe ich vor dem Hintergrund der Situation in Deutschland ganz und gar nicht. Dass dieses herausragende deutsche Engagement auf unsere NS-Vergangenheit zurückzuführen ist, muss nicht extra betont werden. Ich frage mich allerdings, wo die Belastungsgrenze eines Landes in dieser Hinsicht erreicht wäre. Dass Deutschland mit 100-jähriger Verspätung einen weiteren Völkermord eingestanden hat, sich dafür entschuldigt und nicht nur moralisch Verantwortung übernimmt, mag für viele vorbildlich sein. Ich verstehe es nicht und ich distanziere mich von allem, was das Bundesverfassungsgericht zu extremeren Positionen provozieren könnte, als die, die wir im Zusammenhang mit Versäumnissen beim Klimaschutz erfahren durften. Auch die Milliarde, die an Wiedergutmachung geleistet wird, belastet schließlich nachfolgende Generationen.

In Europa ziehen einige Länder nicht mehr mit. Nicht nur Ungarn, Polen oder die Tschechen sind ausgeschert. Auch die von uns lange als liberale Vorbilder gesehenen Niederländer oder Dänen ziehen die Reißleine.

Ob die Dänen mit ihren frischen Plänen zur Abwehr jeglicher Migration rechtlich nicht auf Sand gebaut haben, wird sich weisen. Der weiße Elefant steht unübersehbar im Raum. Es ist problematisch, insbesondere in Deutschland, mit Vergleichen zu arbeiten (Emcke Rede – Grüner Parteitag). Die Republikaner hatten ein Motto, das mir (leider) in den Kopf kommt, wenn ich an die trotz aller Änderungen am Asylgesetz vorherrschende deutsche Haltung zur Migration denke: “Das Boot ist voll”.

Mir ist egal, welchen Grad an Unverständnis und Ablehnung mein Text erntet. Ich habe mich geirrt. Nicht erst seit 2015 habe ich die Unterstützung von Flüchtlingen richtig gefunden und mich (wenn auch kurz) persönlich dafür engagiert. Ich habe die liberale Flüchtlingspolitik Merkels und ihrer Regierungen richtig gefunden.

Heute sehe ich das anders. Meine Haltung war falsch. Viel zu viele Dinge wurden nicht bedacht. Vor allem habe ich übersehen, dass es diese Gesellschaft überanstrengt und die Polarisierung diese auch mit diesem Thema auseinandergetrieben hat.

Die Folgekosten der Pandemie werden gewaltig sein und die Unsicherheit, die die Menschen durch offene, nichtsdestotrotz drängende Fragen (Klimawandel, digitale Veränderung der Arbeitswelt (Arbeitsplätze), Zukunft des Industriestandortes Deutschland, Bildungsdefizite, Rentensystem, Kosten der sozialen Absicherung, Sozialstaat, Zinspolitik der EZB, Demokratie) wird weiter zunehmen. Das heißt, dass auch die Unzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien zunehmen wird, denn sie weigern sich, die notwendigen Antworten zu erarbeiten und zu vermitteln. Man mag den Grünen zugutehalten, dass sie zumindest in ihren Ansichten über viele dieser Themen klar sind. Ob sie über die Managementqualitäten und Ressourcen verfügen, um diese kostspieligen und aus meiner Sicht schlichtweg unbezahlbaren Angebote, umsetzen zu können, herrschen Zweifel – wohl nicht nur bei mir.

In Deutschland leben Millionen von Migranten und Flüchtlingen. Viele sind nach 2015 ins Land gekommen. Schauen wir uns die mäßigen Fortschritte bei der Integration an und lassen uns nicht von positiven Berichten blenden. Dem stehen gewaltige Kosten gegenüber, die unser Land (nachfolgende Generation) massiv belasten werden. Ich halte es für seltsam, dass dieses Faktum an denen vorbeigeht, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuletzt bejubelt haben.

Zu viele Fragen werden nicht beantwortet. Der dänische oder ungarische Weg mit Migration umzugehen, ist unsympathisch und vielleicht auch nicht konform mit dem EU-Recht. Trotzdem finden solche Regelungen / “Alternativen” Zustimmung bei der Bevölkerung der betreffenden Länder.

Hier müssen wir mehr darauf achten, dass unsere Gesellschaft nicht noch weiter auseinanderdriftet. Im nächsten Jahr wird in Frankreich die/der nächste Präsident/in gewählt. Hoffentlich heißt sie nicht Marine Le Pen. Es wäre in Frankreich der Beginn einer anderen Migrationspolitik mit unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Stabilität des Landes. Das wäre meines Erachtens auch das Ende der EU.

Polarisierung der Gesellschaft oder Verlust demokratischer Prinzipien?

Was bedeutet es, wenn von einer Polarisierung der Gesellschaft geredet wird? Wie manifestiert sich die Spaltung einer Gesellschaft? Gab es in der Menschheitsgeschichte nicht immer schon kontroverse Meinungen über wichtige gesellschaftliche Fragen? Welche Folgen hatten Zuspitzungen in umstrittenen Fragen für die jeweiligen Gesellschaften?

In Amerika zum Beispiel gab es Krieg wegen unterschiedlicher Ansichten zur Sklaverei. Wirtschaftliche Gründe werden auch eine gewichtige Rolle gespielt haben. Aber vom Streit waren vermutlich nicht nur die Personen betroffen, die für die Interessengegensätze mit finanziellem Hintergrund standen. Es ging bei diesem Thema vermutlich auch um Ethik und Moral.

Während der Corona-Pandemie schützen Gesellschaften, vielleicht erstmalig in der Menschheitsgeschichte, durch die drastischen und folgenschweren Maßnahmen schwächere (kranke und alte) Menschen. Alle waren sich einig, als es um den Schutz derjenigen Menschen ging, die vom Virus vor allem wegen ihres Alters bedroht waren. Dass es aktuell anderes aussieht und viele wünschten, gefährdete Menschen würden (am liebsten allein zu ihren Lasten) isoliert, damit sie ein möglichst unbeeinträchtigtes Leben führen können, steht auf einem anderen Blatt.

Kriege

Von den 259 Kriegen, die nach 1945 geführt wurden, waren 2/3 Bürgerkriege. Bei den nach 1989 geführten Kriegen waren 95 % Bürgerkriege. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass Rechtsradikale in Deutschland öffentlich darüber sprechen, dass sie die gegenwärtigen Mitglieder der Bundesregierung und ihrer “Handlanger” für angebliche “Verbrechen am deutschen Volk” verfolgen und vor Gericht stellen wollen, dreht sich mir der Magen um. Das hat man bei Pegida-Demos und zuletzt bei der Anti-Corona-Demo in Berlin sehen müssen.

Krieg – was ist das?

Ein Bürgerkrieg? Etwa deshalb, weil BürgerInnen uneins darüber sind, ob man anderen (aus islamischen Ländern) helfen soll, in dem man sie nach Deutschland holt und ihnen eine Zukunft ermöglichst? Immerhin ist ein Grund für heftigste Auseinandersetzungen. Und zwar nicht nur im virtuellen Raum. Sogar Morde und Mordanschläge wurden deshalb von Rechten begangen. Bei diesem Thema reagiert der FI-Schalter überempfindlich.

Für mich reduziert sich alles auf die betrübliche Feststellung, dass sich die Deutschen ohne Migrationshintergrund Ausländern, die solche Hilfe brauchen, überlegen fühlen. Dass vor allem Migranten aus islamischen Ländern unbeliebt sind, liegt nicht nur an Büchern, die ein Thilo Sarrazin erfolgreich veröffentlicht hat. Die Verantwortung liegt auch bei den vielen Menschen aus islamischen Ländern, die seit Jahren unter uns leben und die wenig Anstalten machen, sich zu integrieren.

“Wer nichts in die sozialen Sicherungssystemen eingezahlt hat, sollte davon auch nicht profitieren.”

Unser Staat beruht auf einer Ordnungsstruktur (Sozialleistungen), die auf bestimmten Mechanismen fußt. Hohen finanzielle Belastungen für die Versorgung und Integration von Geflüchteten sind vor diesem Hintergrund leicht zu “Waffen” umzufunktionieren.

Gerechtigkeit und die Würde des Menschen

Das wirft die Frage nach Gerechtigkeit auf. Den Unterschied zwischen gerecht und ungerecht lernen wir früh, die meisten wahrscheinlich in frühester Kindheit von ihren Eltern. Um den Unterschied zwischen gerecht und ungerecht zu erkennen, braucht es vermutlich keine besondere Sensibilität.

Für Nationalisten und Rechtsextreme ist es entsprechend leicht, das für ihre Zwecke zu nutzen. Das sich dahinter auch ein sich entwickelndes Anspruchsdenken verbirgt, kann licht dazu führen, dass christliche oder humanitäre Gedanken verächtlich gemacht werden. Wenn die evangelische Kirche damit beginnt, sich in der Seenotrettung zu engagieren, erkennt man an den zum Teil drastischen Vorwürfen und Reaktionen die Wandlung in unserer Gesellschaft.

In Deutschland ist es auch fünf Jahre nach der grossen Flüchtlingswelle noch nicht möglich, ein heisses Herz mit einem kühlen Kopf in Einklang zu bringen. Die Lernkurve in Sachen Migration hat die Nulllinie nicht wesentlich überschritten.

Flüchtlinge: Politik kann kein permanenter Gnadenakt sein

Gerade erst habe ich einen Kommentar bei der NZZ geschrieben. Ein österreichischer NZZ-Autor bestandete den “deutschen Alleingang” nach dem Moria-Desaster (also ganz im Sinne seines Bundeskanzlers). Das Versprechen der deutschen Regierung, dass sich sowas wie 2015 nie wiederholen dürfe, sei nun obsolet. Man habe keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen.

Ja, es ist für viele schier unglaublich, dass die deutsche Regierung Menschen zur Hilfe eilt, die dringend auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dabei wäre die Aufnahme von ca. 1500 Flüchtlinge keineswegs die humanitäre Leistung als die sie der deutsche Innenminister Seehofer (schaut euch Curios Gesicht im Video an, als Seehofer sein humanitäres Engagement lobt!) ausgibt. Übrigens sehen bestehende Vereinbarungen auf EU-Ebene die Übernahme von Flüchtlingen aus Griechenland in solche Größenordnung vor. Deutschland ist dieser Verpflichtung bisher nur nicht gefolgt.

Dass nach alledem (dem wiederholten Alleingang der deutschen Regierung) die griechische Regierung aus den bekannten Gründen die Ausreise der Menschen verhindert, wird das Ansehen der deutschen Regierung auch nicht verbessern.

Unmut bezieht sich auf alle möglichen Fragen

Es tröstet mich nicht, dass die Art der Konflikte, die unsere Gesellschaften stark in Mitleidenschaft ziehen, kein spezifisch deutsches, britisches, us-amerikanisches, etc. Problem ist. In vielen Ländern ist das Phänomen zu beobachten und je nach Virulenz beschleicht einen das Gefühl, dass sich so der Beginn von Bürgerkriegen anfühlen könnte.

Aktuell durchleben wir eine ähnlich kontroverse Auseinandersetzung und Polarisierung um die Corona-Maßnahmen. Wer möchte von sich behaupten, in dieser Kakophonie noch den Überblick zu haben?

Es wird behauptet, dass all das, was im Rahmen der Pandemie vielleicht falsch läuft, die “Merkel-Diktatur” zu verantworten hätte. Immer mehr, so empfinde ich es, Medien geben sich konziliant. Man fordert, die “Anliegen” der Covidioten ernstzunehmen. Dass dabei gemeinsame Sache mit Nazis und Demokratieverächtern gemacht wird, tritt in den Hintergrund. Hauptsache, sie halten sich, ganz im Gegensatz zu 2015, ein Hintertürchen zum Feindeslager auf.

Überhaupt frage ich mich immer, was wohl die eine oder andere Seite später mal tun wird, wenn sich vielleicht einmal erweisen sollte, was nun wirklich richtig und was falsch war? Dass Spahn mal davon gesprochen hat, dass es Zeiten geben könnte, in denen wir uns gegenseitig viel verzeihen müssten, wird von den Covidioten gleichsam als Eingeständnis Spahns gewertet, Fehler gemacht zu haben. Als ob in einer solchen Lage nicht zwangsläufig Fehler passieren.

Ich stehe zur Regierung und finde, dass sie während der Corona-Krise bisher gut gearbeitet hat. Wer mich deshalb als systemtreuen Idioten oder Schlafschaft beleidigen will – nur zu!

Wie wars früher?

Harte Auseinandersetzungen gab es schon immer. Auch in den Nachkriegsjahrzehnten war das der Fall. Es gab die Wiederbewaffnung der Bundeswehr, die Ostverträge, die politischen Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung. Das sind nur ein paar der schwierigen und strittigen Themen früherer Zeiten.

Nach jahrelangen, zum Teil erbittert geführten Diskussionen wird die Unternehmensmitbestimmung 1976 auf ein neues Fundament gestellt.

Die Geschichte der Mitbestimmung

Streit um den richtigen Weg. Der Satz klingt gut. Er enthält eine konstruktive Komponente. Heute aber will jede Seite unbedingt Recht bekommen. Dabei wird zu Mitteln gegriffen, die eigentlich inakzeptabel sind. Inakzeptabel ist es, wenn Menschen aus einem gesellschaftlichen Dialog ausgeschlossen werden. Ich habe mir manche der Interviews von Sucharit Bhakdi  angesehen und mir danach ein Urteil gebildet.

Ich höre das, was uns die Professoren Drosten, Kekule, Streeck, Brinkmann und Schmidt-Chanasit zu sagen haben und versuche, mir ein Urteil zu bilden. Bhakdi hat gemeinsam mit seiner Frau ein Buch herausgebracht, das angeblich die Bestseller-Listen anführt. Ich schließe daraus, dass die Offenheit der Leute, sich mit Gegenthesen auseinanderzusetzen größer ist, als ich oft denke.

Die Themen wurden entsprechend kontrovers an den Stammtischen des Landes ausgebreitet. Ich persönlich habe keine Erinnerungen an diese politischen Scharmützel. Zum Glück gibt es aber bei Youtube oder im Bundestagsarchiv noch Ausschnitte aus den damaligen Debatten. Sie waren ansehnlich und jedenfalls zum Teil unterhaltsamer als die heutigen. Gab es damals keine Polarisierung?

Nie war es so schlimm wie heute

Heute werden die Debatten anders geführt. Viele außerhalb des Bundestages lehnen ihre Beiträge nicht an den Debatten des Bundestages an, sondern orientieren sich an den begleitenden Kommentaren. Das war früher vielleicht nicht anders. Heute stelle ich eine stärkere, oft überzogen kritische Berichterstattung in den Medien fest. Meine Feststellung scheint allerdings überhaupt mit dem übereinander zu passen. Die Konsumenten so genannter Alternativen Medien beklagen das fortwährend (Systemmedien, Mainstreammeinungen).

Es werden so viele Themen problematisiert und in kürzester Zeit hochgejazzt, dass viele Menschen sich davon überfordert fühlen – ohne das freilich jemals zugeben zu wollen.

Von einem Teil der (alternativen) Medien wird der mediale Mainstream wiederum als Sprachrohr der Regierung diffamiert. Daneben gibt es die, die versuchen ihren eigenen Weg zu gehen (“Cicero”, “Weltwoche”, “NZZ”) und die, die den Populisten Zucker geben. Dazu zähle ich die “Achse des Guten” und “Tichys Einblick” mit all ihren Autoren, deren Vita, wenn ich sie (in Einzelfällen) genauer angesehen habe, einiges aussagen.

Ich mag Querdenker. Aber nicht die, die sich auf den ersten Blick als Quertreiber und Provokateure entpuppen. Das so mancher Autor darunter ist, der den Rechten als Zeuge für ihre demokratiefeindlichen Agitationen dient, sollte wenigstens gesehen werden.

Für mich ist ein Teil der Medien gleichzeitig Nutznießer und Förderer der wachsenden Demokratieverdrossenheit im Land.

Alternative Medien sind heute diejenigen, denen ich die Hauptverantwortung für die Polarisierung der Gesellschaft gebe. Sie tun nur so, als würden sie Licht in eine Welt bringen, die von konspirativen Medien im Sinne einer Regierung verdunkelt wurde.

Wer fragt sich nicht, warum viele Debatten von so übler Natur sind? Diese Frage werden sich die krassesten Kontrahenten bei ihren Themen stellen. Auch dann, wenn ihnen die Frage sehr ernst ist, werden sie vermutlich keine Antwort darauf finden. Ich glaube, die meisten von uns bedauern die Entwicklung.

Aber he, wer sieht schon eine Chance, die Misere zu beenden, uneinsichtig wie die sich verhalten?

Und dann kamen die asozialen Medien

Die asozialen Medien haben alles schlimmer gemacht. Sie verderben alles, vor allem jeden politischen Diskurs.

Es stimmt vielleicht, was andere mir auf meinen Vorwurf antworten. Sie meinen, die asozialen Medien seien doch letztlich nur ein Spiegel der Gesellschaft. Dazu passt, was irgendeiner sinngemäß kürzlich mal geschrieben hat: Früher haben wir all die Idioten nicht gesehen, die mit uns diesen Planeten bevölkern. Die sozialen Medien haben sie sichtbar werden lassen.

Bundesregierung: Fehlt es uns an politischer Führung oder sind moderne Gesellschaften heute imstande, diese zu kompensieren?

Haben jetzt alle was gesagt über das neue Führungsduo der SPD? Schön zu sehen, wie flüssig inzwischen die Namen der beiden Neuen über die Lippen kommen.

Ich dachte noch vor ein paar Tagen, dass Walter der Vorname von Borjans wäre. Und das, obwohl der Mann doch immerhin Finanzminister meines Bundeslandes war.

Fehlende Führung

Woran es mangelt ist Führung. Das mag in den Ohren so mancher Leser etwas hart klingen. Aber ich sehe das wohl nicht allein so.

Führungsdefizite gibt es nicht nur in Unternehmen. Dort können sie im Gegensatz zur politischen Bühne schnell erkannt, beklagt und behoben werden. Politiker können länger blenden und sich verstecken, als dies Unternehmern oder Managern gestattet wäre.

Dass es in unseren Parteien ein Führungsproblem gibt, ist zwar schon seit Längerem evident und wird daher in den Medien durchaus thematisiert. Bloß: es ändert sich nichts!

Plaudertaschen

Die Plaudertaschen aller Fraktionen sind gut darin, Defizite zu verschleiern. Daran sind unsere Medien nicht schuldlos. Wer keine Lösungsangebote hat, muss auch keine Führungsqualität beweisen. Das sollte viel stärker herausgestellt werden. Vielleicht würde sich dann etwas ändern?!

Im Geldausgeben sind – entgegen gängiger Vorurteile – alle gut, nicht nur die Linken. Auch die FDP profitiert davon, weil sie ihre Attacken gegen das Geldausgeben (vorzugsweise natürlich für soziale Belange), wie eine Monstranz vor sich herprägt.

Themen

Wenn alle politische Parteien sich einig darin sind, dass eine der großen Herausforderungen unserer Zukunft der Umgang mit der Digitalisierung ist, frage ich mich zum Beispiel, wer vom Führungspersonal unserer Parteien denn eine Vorstellung davon hat, wie die konkreten Folgen der als so gravierend beschriebenen Veränderungen (Precht, Lobo und wie die “Propagandisten jener Schreckenzukunft” auch heißen mögen) für das Leben der Menschen in Deutschland konkret aussehen könnten. An Allgemeinplätzen haben wir uns überhört. Wir wissen nun, dass es schwierig wird. Dass einerseits zwar neue Arbeitsplätze geschaffen würden, man aber davon ausgehen könne, dass die Balance zwischen dem Verlust alter und dem Aufbau neuer Arbeitsplätze schwierig würde und das lebenslanges Lernen ein fester Bestandteil unseres Lebens würde.

Wir wissen, wie wichtig Bildung ist und sehen, dass die Budgets dafür bei Bund und Land nicht zu üppig sind im Vergleich zur Bedeutung, die gute Bildung und Ausbildung angeblich doch haben sollen. Auch die OECD moniert, dass Deutschland zu wenig in Bildung investiert.

Reparaturen an Sozialsystemen

Bereits heute sind wir nicht in der Lage, trotz exorbitant hoher Ausgaben für Sozialleistungen, Gerechtigkeit herzustellen.

Neun Millionen Menschen arbeiten im Billiglohnsektor. 40 % der deutschen Bevölkerung besitzen keine finanziellen Rücklagen (Fratzscher) und können daher zum Beispiel keine Vorsorge für ihre Rente treffen.

Diese Tatsache ist eine der Folgen von Schröders Agendapolitik.

Die Arbeitslosenzahlen befinden sich derzeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, die Beschäftigungsquote ist hoch wie nie.

Trotzdem spüren wir Zukunftsangst im Land. Sie überträgt sich, wie es scheint, wie ein resistenter Krankenhauskeim. Je schwächer die Menschen, desto anfälliger scheinen sie.

Vielleicht, nein hoffentlich, ist dies aber auch nur ein Phänomen, das meine Generation erreicht und die Jungen sehen es viel gelassener, weil sie mit anderen Risiken erwachsen wurden? Die Älteren haben die Vorteile eines Landes genossen, in dem gefühlsmäßig jahrzehntelang alles immer nur bergauf ging. Dass wir dabei Fehler gemacht haben, die unter anderem darin bestanden haben, unseren unverantwortlichen Ressourcenverbrauch zu ignorieren, steht wieder auf einem anderen Blatt. Wer bitte könnte von sich sagen, nie kritisch darüber nachgedacht oder im Freundeskreis darüber diskutiert zu haben? Nur – gemacht haben wir schlussendlich nichts oder jedenfalls viel zu wenig.

Umso erschrockener geben sich viele jetzt in einer Phase, in der Verdrängungsmechanismen nicht mehr funktionieren. Mit dem Erkennen der eigenen Verantwortung wächst der Ärger über sich selbst und leider auch die Aggression denen gegenüber, die genau das lautstark beklagen.

Recht haben und durchsetzen vs. demokratische Werte

Solche Gedanken mag ich schnell wieder verwerfen, wenn ich andererseits die Vehemenz, teilweise auch die Radikalität der Klimaschutzdebatte verfolge.

Die Zuspitzung sehe ich einen der Hauptgründe für die polarisierende Debatte beim Thema Klimaschutz. So viele machen sich Sorgen über ihre Zukunft und die ihrer Kinder und Enkel. Diese Sorgen kulminieren zu diffusen Anforderungen an eine Gesellschaft, die so homogen nicht ist und sie verstärken so nur die Angst vor der Zukunft.

So stoßen die Forderungen der Klimaaktivisten entweder auf Zustimmung oder aber auf krasse Ablehnung.

Es fehlt die politische Führung.

Nicht anders verhält es sich bei dem Thema der Migration und den weitreichenden Folgen.

Statt klar zu sagen, dass die sehr hohen Kosten für die Migration eine selbstverständliche Konsequenz der umstrittenen politischen Entscheidungen sind, versuchen manche Politiker das komplette Thema dadurch zu entschärfen, dass sie diesen Teil der Wahrheit verschweigen oder sogar bestreiten.

Kein offener Diskurs

Ein Land, das Hunderttausende von Flüchtlingen aufnimmt, muss selbstverständlich die so zwangsläufig verursachten Kosten aufbringen. Dümmliche Aussagen, wie die von Heiko Maas und anderen PolitikerInnen werden nicht vergessen!

❝ Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden weggenommen. ❞

Heiko Maas, damals noch Bundesjustizminister

Sie bestimmen sogar noch heute die Debatte über diese Fragen. Es fehlt nicht nur an Ehrlichkeit, sondern vor allem fehlt es wiederum an politischer Führung und – wenn man so möchte – natürlich auch an einer klaren und offenen Kommunikation.

Es funktioniert einfach nicht, dass wir kontroverse Themen deshalb aussparen, weil eine Regierung Konflikte scheut. Dass es diese gibt, gehört schließlich zum Leben immer dazu!

So streiten wir uns über zunehmende Gewalt (Gruppenvergewaltigungen, Messerstechereien) Antisemitismus oder Gewalt gegen Frauen und hören viel zu selten etwas darüber, welchen Anteil die durch die Migration aus arabischen Ländern stammenden Männer daran haben. Ja, man liest oder hört davon in konservativen Medien, ein offener Dialog über die Zusammenhänge kann nicht geführt werden. Das führt dazu, dass solche Zusammenhänge zwar gesehen aber vielfach nicht ausgesprochen werden. Und zwar aus Sorge vor krassen Reaktionen, die nicht nur von Beschimpfungen und Beleidigungen bestimmt sind, sondern die bis zur Ausgrenzung und zum Mobbing hinwegreichen.

Was denn nun?

Machen diese Beispiele nicht deutlich, weshalb wir zwar einerseits politische Führung einfordern, andererseits aber sehr schnell ein beinahe schon grundsätzliches Problem mit der Meinung anderer bekommen – und zwar ausdrücklich das heutige Führungspersonal aller Parteien eingeschlossen?

Die großen alten Männer unserer Vergangenheit (Willy Brandt, Helmut Schmidt, Konrad Adenauer, Helmut Kohl) gaben uns, was wir unter politischer Führung verstehen. Aber wie würden sie in der heutigen Zeit mit diesem Millionenheer von öffentlichen Kritikern klarkommen? Könnten sie das heute noch leisten, was scheinbar viele als politische Führung vermissen?

Ich glaube, diese Zeiten sind vorüber. Uns bleibt deshalb nichts weiter übrig, als uns der Richtigkeit unserer Ansichten ständig aufs Neue selbst zu vergewissern und damit umzugehen und zu leben, wenn wir zu anderen Einsichten gelangen. Dazu gehört es, dass wir neu lernen, miteinander zu reden, zu streiten und den richtigen Weg zu suchen.

Vaterlandsliebe und Vaterlandsverräter

Überlegen wir mal kurz, wie koalitionstechnisch die politischen Optionen der näheren Zukunft für die Union aussehen. Man muss kein Prophet sein, der nächste Koalitionspartner wird nicht SPD heißen. Die Grünen sind dran! Andere Alternativen sind kaum denkbar.

Was ist dem blassen und in seiner Partei nicht mehr ganz so hochangesehenen CDU-Generalsekretär von AKK’s Gnaden nur eingefallen, einen von der AfD und ihren Anhängern ständig wiederholten Vorwurf gegen Robert Habeck zu übernehmen?

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Bei Twitter trendet derzeit #Vaterlandsliebe und #niewiederCDU. Die üblichen Auswüchse, sowohl bei Antifa – Anhängern als auch auf der Seite der Deutschtümler waren unausweichlich. Dabei sind die Vokabeln Patriotismus oder gar Nationalismus nicht einmal gefallen.

Den Spruch hätte @paulZiemiak besser stecken lassen. Habeck hatte sich mal in einem Buch deutschlandkritisch geäußert. Ganz so, wie die Leute von der @afd es auch ständig tun, zieht er – Ziemiak – dieses Beispiel aus dem Hut, um den politischen Gegner und Koalitionspartner der Zukunft vor den Koffer zu scheißen. Er spricht Robert Habeck ab, Regierungsverantwortung für unser Land tragen zu können. Dem Mann also, dem viele inzwischen längst Kanzler zutrauen würden. Wie dumm muss man eigentlich sein?

Die Junge Union und ihr Jungchef Tilman Kuban stehen der Werteunion vielleicht näher als der aktuellen CDU – Führung. Der Applaus für AKK oder Jens Spahn hat sich beim “Deutschlandtag” der Jungen Union in engen Grenzen gehalten haben, wie berichtet wurde. Dafür wurde der Kandidat der Werteunion, Friedrich Merz, einmal mehr hochgejazzt.

Vielleicht will Kuban die Urwahl für die Union zur Bestimmung des Kanzlerkandidaten, nicht nur, weil er AKK so loswerden könnte, sondern auch, weil er den weitreichenden Einfluss der Werteunion kennt und die Chancen für einen wie Friedrich Merz exponenziell steigen würden. Eine Anleihe bei den Demokratiesierungsbemühungen der SPD wird sein Antrieb eher nicht sein. Er will AKK basisdemokratisch als Kanzlerkandidatin ausschließen.

Die AfD belebt nicht die Demokratie, sie desavouiert sie bei allen Gelegenheiten

Meine Meinung ist, unsere Demokratie braucht die AfD nicht. Und die Debattenkultur wird durch sie auch nicht besser! Das Aufkommen der AfD so zu verniedlichen, wie es Eric Gujer im neuesten Beitrag der NZZ-Rubrik “Der andere Blick” gemacht hat, halte ich deshalb für falsch.

Daran ändert auch nichts, dass die AfD von 6 Mio. BürgerInnen gewählt wurde. Es ist kein Trost für mich, dass die Partei sich seither, was die Umfragen anlangt, kaum von der Stelle bewegt hat.

Klar, dass mir deshalb jetzt viele ein seltsames Demokratieverständnis vorwerfen dürften.

Aber ich habe vielleicht begründete Sorgen. Schließlich wurde Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts auch die NSDAP demokratisch in den Reichstag gewählt. Von ursprünglich 32 Sitzen (1924) arbeiteten sich die Nazis auf die Mehrheit von 288 Sitzen im März 1933 voran. Es ist historisch belegt, dass dies der Art der politischen Auseinandersetzung nicht gerade gut bekommen ist.

Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, wie inzwischen jeder weiß und sogar sagen darf. Insofern halte ich das Plädoyer von Chefredakteur Gujer für falsch. Er teilt übrigens, was durchaus nicht auf der Hand liegt, diese Meinung mit Roger Köppel, dem Chefredakteur der schweizerischen “Weltwoche”. Wer den SVP – Abgeordneten einigermaßen kennt, hätte auch nichts anderes erwartet. Er würde sich bei der AfD sicher wohlfühlen.

Mein Einwand ist, demokratisch gesehen, natürlich höchst problematisch. Dessen bin ich mir bewusst. Aber da die Rechten ja stets so viel wert auf ihre Meinungsfreiheit legen und jeden Versuch, Hass und Abgrenzung zu unterbinden, grundsätzlich als Zensur diffamieren, erlaube ich mir eine klare politisch unkorrekte Antwort auf die in meinen Augen bekloppte Behauptung, die AfD würde unserer Demokratie und unserer Debattenkultur gut tun.

Ich respektiere die Wahlentscheidung jedes AfD-Wählers, ebenso wie die aller anderen Wähler demokratischer Parteien.

Dennoch halte ich die Argumentation von Eric Gujer, die von einigen Kommentatoren geteilt wird und die sich nach meinem Empfinden viel Zustimmung erfährt, für zu kurz gegriffen und deshalb für grundfalsch.

Gujer hat in seinem Beitrag zwar einige Merkwürdigkeiten von AfD-Positionen beschrieben, die unter anderem in Bundestagsdebatten geäußert wurden. Ich finde viele AfD-Debattenbeiträge, ganz abgesehen davon, dass sie teilweise in aggressivem und feindseligen Tonfall geäußert werden (“Wir gegen alle!”) für irrelevant und zudem für nervend redundant. Immer die gleiche Schose. Das ist halt so, weil sich die Beiträge der AfD auf so wenige Gebiete beschränken. Die haben nix zu sagen, und sie bringen unser Land nicht voran. Diese Partei leistet keinen Beitrag für unsere Demokratie, ihr Personal ist auf dem Spaltungstrip. Und von vielen ihrer Anhänger will ich gar nicht erst anfangen. Was ich von denen und ihrem “demokratischen Gehabe” halte, werden aber vielleicht auch diejenigen nachvollziehen können, die meine Meinung zu einer überschätzten AfD-Präsenz im Bundestag als gute Demokraten ablehnen.

Im Übrigen ist es so, dass ich an der Arbeit der “neuen” GroKo fast gar nichts gut finde. Ich sehe nicht, dass die von anderer Stelle gelobte Präsenz der AfD darauf irgendeinen einen positiven Einfluss gehabt hätte.

Da steht ein saturierter Haufen von Abgeordneten, der uns Glauben machen wollte, dass “sich was ändern müsse”, einem anderen Haufen gegenüber, der bisher nur aufgrund seiner unverschämten und rückwärtsgewandten Äußerungen auffällig wurde.

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