Was könnte politische Parteien ersetzen?

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Läge es nicht allein auf­grund der heu­te schon zur Verfügung ste­hen­den Kommunikationsmittel (Digitalisierung) im Bereich des Möglichen, dass gut ver­netz­te Menschen und orga­ni­sier­te Gruppen von Menschen (NGOs, Lobbyorganisationen) die Funktionen von poli­ti­schen Parteien übernehmen?

Gibt es dafür irgend­wo auf der Welt Beispiele? Ich glau­be nein.

Der gras­sie­ren­de Lobbyismus böte in die­sem Gedankenspiel einen star­ken Teil. In mei­ner Sicht reprä­sen­tiert er (anders als in der Gegenwart) den leicht iden­ti­fi­zier­ba­ren „Feind”. Warum sol­len Lobbyisten den umständ­li­chen und teu­ren Weg über die Entscheider in der Politik neh­men? Der Counterpart ist leicht aus­zu­ma­chen: Es sind die NGOs, die in gro­ßer Zahl ihrer­seits bestimm­te Interessen ver­tre­ten. Wessen Interessen das sind, muss viel­leicht auch noch hin­ter­fragt bzw. geklärt wer­den! NGOs wer­den von vie­len Menschen ver­tre­ten. Sie sind längst eine inter­na­tio­na­le Macht. Wir den­ken an AI, attac, Ärzte ohne Grenzen aber auch an die Caritas oder die Diakonie, obwohl letz­te­re ja kirch­li­che Organisationen sind und im enge­ren Sinn viel­leicht nicht als NGO zählen.

Lobbyisten und NGOs

Eigentlich stößt man an die­ser Stelle schon an die Grenzen sol­cher Überlegungen. Es geht schließ­lich nicht „nur” um die Verantwortung für das gro­ße Ganze. Wie könn­te die Organisation auf Landes- oder auf kom­mu­na­ler Ebene aussehen?

Was wür­den wir gewin­nen, wenn poli­ti­sche Parteien durch anders benann­te Interessenvertreter abge­löst wür­den? Ideologische Unterschiede wür­de es zwei­fel­los wei­ter­hin geben, und ein Funktionärswesen dürf­te auch in gemein­nüt­zi­gen Organisationen nicht über­flüs­sig bzw. ver­meid­bar sein. Schließlich braucht jeder Verein z.B. Vorstand und Kassierer und wenn es dabei nur um „ein­fa­che” orga­ni­sa­to­ri­sche Aufgaben geht.

Darüber, wie sich Lobbyisten finan­zie­ren, müs­sen wir nicht lan­ge nach­den­ken. Ihre Auftraggeber ver­fü­gen über aus­rei­chen­de Mittel und die auf klar umris­se­nen Interessen beru­hen­de „Politik” stün­de für sich genom­men für Transparenz. Wäre das auf der Seite der NGOs auch der Fall? Dazu müss­te man sich etwas ein­fal­len las­sen. Allein aus Spenden wer­den sie ihre Arbeit nicht erfolg­reich ver­rich­ten. Der Staat ist im Boot, dem­nach müs­sen Regeln geschaf­fen und deren Einhaltung geprüft werden.

In den Bundestag ist im September die AfD ein­ge­zo­gen wie in 14 Landesparlamenten davor. Die FDP ist in den Bundestag zurück­ge­kehrt und die GroKo-​Parteien haben schwe­re Verluste erlit­ten (bei­de zusam­men ca. 14%).

Angesichts der Art der Auseinandersetzungen über ver­schie­de­ne Themen, die stär­ker als frü­her im Fokus der Öffentlichkeit ste­hen, sind Veränderungen der Stimmenanteile nor­mal. Wir sehen die­se Phänomene nicht nur in Deutschland.

Ist die Demokratie in Gefahr?

Auch wenn es mir per­sön­lich nicht passt, letzt­lich ist es gut für die Demokratie, dass die Leute, die sich in den eta­blier­ten Parteien längst nicht mehr ver­tre­ten gese­hen haben, nun eine Stimme in den Parlamenten haben. Die Auseinandersetzungen über Standpunkte und Inhalte von Parteiprogrammen kön­nen jetzt in den Parlamenten geführt werden.

Leider bedeu­tet das aber nicht, dass sie des­halb nicht mehr außer­par­la­men­ta­risch – z.B. in den Social Media Kanälen – geführt wer­den. Das Gegenteil scheint rich­tig zu sein.

Die Art der Diskussionen, die mei­nes Erachtens weni­ger im Kollegen, Bekannten- oder Freundeskreisen geführt wer­den, son­dern im vir­tu­el­len Raum oder in Talkshows im Fernsehen, bele­gen nicht nur die Entfremdung von dem, was die AfD als Alt- oder Systemparteien bezeich­net. Soziologen spre­chen von Polarisierung der Gesellschaft(en).

Einleuchtende Erklärungen für die Entwicklung habe ich bis­her kaum gehört. Klar ist, dass eine Menge Leute sehr unter­schied­lich über die Flüchtlingspolitik Merkels den­ken und dass es im Zeitablauf seit 2005 zu Meinungsänderungen gekom­men ist.

Die Einstellung zu Geflüchteten hat sich durch Berichte in den Medien und durch eige­ne Erfahrungen bei vie­len Leuten gewan­delt. Es gibt vie­le, deren Gefühle von Ablehnung bis Hass nicht nur gegen Geflüchtete, son­dern auch gegen alle gerich­tet sind, die anders den­ken. Dass es sich bei vie­len die­ser Leute um die han­delt, die am 24.9. die AfD gewählt haben, steht für mich fest. Aber natür­lich ist die Geschichte kom­plex. Die Gründe für den Rechtsruck in unse­rem Land sind nicht monokausal.

Die zen­tra­len Punkte, die bei mir als Gründe für die Wut von Menschen hän­gen­ge­blie­ben sind, sind Angst und Unsicherheit.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Aber nicht nur die­je­ni­gen, die selbst schon exis­ten­zi­el­le Not gespürt haben, kön­nen nach­voll­zie­hen, was das heißt in eine schein­bar aus­weg­lo­se Lage zu gera­ten. Angst kann aggres­siv machen. Und ver­mut­lich ist das ein Teil der Erklärung, war­um Diskussionen im Internet so schnell in gegen­sei­ti­ge Beschimpfungen aus­ar­ten. Keiner weiß vom ande­ren, in wel­cher Lage er sich befin­det. Trotzdem beur­tei­len wir wech­sel­sei­tig unse­re Standpunkte zu ver­schie­de­nen Themen mit einer hohen Grundaggressivität.

Schon auf Kleinigkeiten reagie­ren vie­le von uns mit kras­ser Ablehnung, ja oft­mals bis hin zu jus­ti­zia­blen Beleidigungen. In man­chen Fällen sind es sogar Drohungen mit denen wir kon­fron­tiert sind.

Das Internet hat ein hohes Zerstörungspotenzial

Die Anonymität im Netz spielt eine Rolle. Denn auch die­je­ni­gen, die unter ihren Klarnamen pos­ten, ken­nen ihr Gegenüber meis­tens nicht per­sön­lich. Von daher ist der „Fight” anonym. Es steht nicht zu befürch­ten, dass die­ser mor­gen an die Tür klopft.

Ich sehe das als wahr­schein­lichs­te Erklärung für die Verhaltensänderungen, die im Web beson­ders häu­fig und krass zuta­ge treten.

„Merkel muss weg” ist ein Wunsch, den vor allem die AfD-​Wähler gern äußern. Es mag auch unter den Anhängern ande­rer Parteien Leute geben, die die­sen Wunsch ver­spü­ren. Aber die Rechten gehen natür­lich wei­ter. Für sie wäre es nicht damit getan, wenn die Kanzlerin ihr Amt auf­ge­ben wür­de. Sie for­dern, dass Merkel und die ande­ren feder­füh­ren­den Leute der „Alt-​Parteien” vor Gericht gestellt wer­den. Dass Pegida-​Mitläufer Galgen mit sich füh­ren passt dazu.

Das Gesamtbild soll­te jedem klar machen, was die Uhr geschla­gen hat. Menschen, die sol­chen Phantasien frö­nen, sind viel­leicht für die Demokratie ver­lo­ren. Jedenfalls ste­hen sie ganz bestimmt nicht mehr für Diskussionen über den rich­ti­gen Weg zur Verfügung. Sie haben wie es scheint, ihre Entscheidung getrof­fen. Wenn Sarrazin schreibt: „Deutschland schafft sich ab” wür­de ich behaup­ten, dass sei­ne Fans, die mit den Anhängern von Pegida und der AfD iden­tisch sein dürf­ten, das Deutschland, das wir ken­nen und lie­ben, abschaf­fen wol­len. Diesen Unterschied wol­len sie nicht sehen, weil sie dann näm­lich zuge­ben müs­sen, dass sie die Demokratie auf­ge­ge­ben haben.

Was folgt auf die Demokratie?

Manche Journalisten und sogar Politikwissenschaftler fin­den, dass nie so vie­le Menschen wie es gegen­wär­tig der Fall ist, sich für Politik inter­es­sie­ren wür­den. Sie bewer­ten dies als posi­tiv. Ich sehe es anders. Viele Leute befas­sen sich nicht mit Politik. Ihnen ist die­ses Thema fremd, und sie hal­ten den Bundestag im bes­ten Fall für eine „Quasselbude”, in der im Wesentlichen ihr hart erar­bei­te­tes Geld ver­bra­ten wird.

So las­sen sich die Politiker fast per­ma­nent ver­ächt­lich machen­den Kommentare in den sozia­len Netzwerken erklären.

Diesen „Quasselsprippen” geht es nicht dar­um, ein gutes, über­zeu­gen­des Programm zu erken­nen, zu unter­stüt­zen und im Rahmen einer Koalitionsregierung umzu­set­zen. Es geht um die Zerstörung eines Systems. Eines Systems, Demokratie genannt, das vie­le zu vie­le Leute mei­ner Ansicht nach bis heu­te nicht kapiert haben. Anders kann ich mir die bru­ta­le Ablehnung demo­kra­ti­scher Grundsätze nicht erklären.

Hoffentlich erle­ben wir nicht jene Zeitenwende, nach der die bru­ta­le Nichtachtung unse­rer demo­kra­ti­schen Errungenschaften all das kaputt­macht, was uns in den letz­ten sieb­zig Jahren hei­lig gewor­den sein sollte. 


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