Bloß nicht ins Krankenhaus

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Der letz­te Sonntag war kein guter Tag für Mutter (94). Sie muss­te nach 1 1/​4 Jahren wie­der ein­mal ins Krankenhaus. 

Ganz plötz­lich hat­ten sich all­ge­mei­nes Unwohlsein und hohes Fieber ein­ge­stellt. Wenn spä­ter war sie kaum noch ansprech­bar, nach­dem wir sie ins Bett gebracht hat­ten. Sie war so unbe­weg­lich und des­ori­en­tiert, so dass wir mit unse­ren Kräften schnell an unse­re Grenzen kamen. Also rief ich den Rettungsdienst.

Ein Rettungssanitäter stell­te fest, dass es nicht so schlimm wäre. Seine Meinung änder­te sich, nach­dem er ihren enorm hohen Blutdruck gemes­sen hat­te. Es wur­de ein Notarzt hin­zu­ge­zo­gen. Dieser wur­de von einem wei­te­ren Rettungssanitäter beglei­tet. Schnell war klar, Mutter muss­te ins Krankenhaus.

Untragbar

Wir woh­nen im 1. Stock. Der Flur ist breit. Mutter wur­de in den letz­ten Jahren schon viel zu oft per Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht und – seit­dem sie nicht mehr lau­fen kann – auch zurück­ge­bracht. Den Transport trau­ten sich die 4 Männer allein nicht zu. Deshalb wur­de ein wei­te­re Kollege von der Feuerwehr ange­for­dert. Sechs wei­te­re Feuerwehrleute in vol­ler Montur und mit Blaulicht und Martinshorn kamen zur Hilfe. 10 Männer waren da, die meis­ten in Mutters Zimmer. Das hat Abmessungen von unge­fähr knapp 3 x 4 Metern. Es war eng. 

Ich mache hier kein Feuerwehr- oder Rettungsdienstbashing. Jeder kann sich ange­sichts mei­ner knap­pen und kei­nes­wegs bös­wil­li­gen Schilderung selbst ein Bild über die­sen Einsatz machen. Etwas Vergleichbares habe ich in mei­nem Leben jeden­falls noch nie erlebt. Ich war übri­gens 14 Jahre Mitglied in einer frei­wil­li­gen Feuerwehr.

Die Vorschriften

Wir baten dar­um, dass Mutter nichts ins ört­li­che, son­dern in ein benach­bar­tes Krankenhaus gebracht wird. Das sei nicht mög­lich. Die Vorschriften besag­ten, dass das nächst­ge­le­ge­ne Krankenhaus ange­fah­ren wer­den müs­se. Wir wur­den gefragt, war­um wir woll­ten, dass Mutter ins ört­li­che Krankenhaus gebracht wer­de. Warum wohl? Die Antwort: Schlechte Erfahrungen kön­nen sie auch dort machen. Wir wis­sen, dass das stimmt. Denn auch dort ist Mutter in den letz­ten Jahren schon gewesen. 

Vorschriften die­ser Art wird es aus guten Gründen geben. Allerdings haben wir auch schon erlebt, dass unse­rem Wunsch nach­ge­kom­men und ein ande­res Krankenhaus ange­fah­ren wur­de. Wir hät­ten die­sen Transport auch pri­vat bezahlt. Das war an die­sem Tag irrelevant.

Deprimierend

Es ist wohl nor­mal, dass sich kei­ner von uns ohne schlech­te Gefühle und Angst ins Krankenhaus begibt. Aber dabei geht es heut­zu­ta­ge oft nicht nur dar­um, dass man Sorgen wegen einer mög­li­chen schwe­ren Erkrankung oder gar einer bevor­ste­hen­den Operation hät­te. Es sind eher Erfahrungen, die Verwandte, Freunde und Bekannte in Krankenhäusern gemacht haben. Nur sel­ten wird dabei über posi­ti­ve Geschichten berich­tet. Zum Teil ist das nor­mal, denn wir erzäh­len halt häu­fi­ger und inten­si­ver von nega­ti­ven als von posi­ti­ven Erfahrungen. Das ist nicht schön aber so sind die Menschen. 

Empathie

Sobald ich ein Krankenzimmer betre­te (in unse­rem Fall sind dort bereits drei alte Damen unter­ge­bracht) und mei­ne Schwiegermutter kommt in das vier­te Bett, wan­dern mei­ne Augen und Gedanken von einer zur ande­ren Patientin. Ich ver­fü­ge über kei­ne medi­zi­ni­schen Kenntnisse. Zwei der Frauen sind schlecht dran. Ich erfah­re nach und nach, dass eine erblin­det ist und eine ande­re schon seit 4 Wochen im Krankenhaus liegt. Sie gibt kaum einen Ton von sich. Einer wei­te­ren Frau wird Sauerstoff zuge­führt. Mit ihr unter­hal­te ich mich eine Weile. 

Am nächs­ten Tag ist sie nicht ansprech­bar. Ihr Zustand hat sich mas­siv erschlech­tert. Sauerstoff wird aller­dings nicht mehr zuge­führt. Ich hel­fe ihr dabei, sich im Bett auf­zu­rich­ten und habe Sorge, dass sie mir vorn­über kippt. Ich ach­te dar­auf, dass nichts pas­siert. Nach einer Weile ver­sucht sie, sich wie­der in die nor­ma­le Liegeposition zu brin­gen. Es klappt nicht. Ich hel­fe ihr, in dem ich ihre Beine vor­sich­tig nach oben schie­be. Mit etwas Mühe klappt das. Ich unter­hal­te mich mit der blin­den Frau. Sie hat vor ein paar Jahren ihren Mann ver­lo­ren. Die dra­ma­ti­schen Umstände sei­nes Todes haben sie zwei Jahre lang in Träumen beschäf­tigt, erzählt sie. Sie lei­det unter ver­schie­de­nen Erkrankungen. Sie ist sehr dünn. Sie ist ein fra­gi­les Persönchen, das ihrer Physis zum Trotz über eini­ges Durchsetzungsvermögen ver­fügt. Ich fin­de sie ganz witzig.

Meiner Schwiegermutter geht es heu­te schon wie­der ganz gut. Sie möch­te unbe­dingt nach Hause. Wir ken­nen das schon von frü­he­ren Aufenthalten im Krankenhaus. Das ist für jeden abso­lut nach­zu­voll­zie­hen, den­ke ich. Aber es wird schon noch ein paar Tage dau­ern, und wir müs­sen hof­fen, dass die unver­meid­li­che Antibiotikagabe nicht zu einem erneu­ten Clostridienbefall füh­ren wird. Dieser hät­te sie vor eini­gen Jahren fast das Leben gekos­tet. Außerdem könn­te bei wei­ter­ge­hen­den Untersuchungen, wie vor ein paar Jahren, ein Krankenhauskeim ent­deckt wer­den. Damals war es MRSA. Wir haben Mutter damals trotz die­ser Diagnose gegen den Rat des Arztes mit nach Hause genom­men und die ent­spre­chen­den Behandlungen zu Hause durch­ge­führt. Meine Frau und ich haben uns von unse­ren Hausärzten unter­su­chen las­sen. Die Tests waren negativ.

Routine

Die Dame, der ich ges­tern gehol­fen hat­te, war heu­te nicht mehr im Zimmer. Sie hat­te einen Hirnschlag erlit­ten, wie ich nach­her erfah­ren habe. Die Angehörigen waren geru­fen wor­den, weil sie jetzt in Lebensgefahr schwebt. Ich hat­te ges­tern das Gefühl, dass es der Frau furcht­bar schlecht ging. Meine Frau hat­te ihr abends beim Abendessen gehol­fen, weil sie allein dazu nicht mehr in der Lage war. Eine Ärztin hat­te die Besucher ges­tern auf­ge­for­dert, das Zimmer kurz zu ver­las­sen. Die Tür blieb unver­schlos­sen. So hör­ten wir dabei zu, wie sie mit die­ser Patientin die Punkte einer Patientenverfügung durch­ge­gan­gen ist. Eine so wenig ein­fühl­sa­me Prozedur, die wohl auf Veranlassung ihrer Kinder durch­ge­führt wur­de, habe ich Gott sei Dank zum Glück noch nicht mit­er­lebt. Auf die Frage, ob sie im Falle eines Herzstillstandes lebens­ver­län­gern­de Maßnahmen wün­sche, sag­te die Dame so nach­drück­lich es in ihrer mise­ra­blen Verfassung mög­lich war: „Ja, natür­lich wün­sche ich die­se. Ich möch­te noch ein paar Jahre mit mei­nen Kindern haben”. Heute steht ihr Leben auf der Kippe. 

Viel Geld im System – nur an den falschen Stellen

Wie es sein kann, dass in einem Krankenzimmer, das mit 4 Personen maxi­mal belegt ist, nur eine Klingel (Notruf) vor­han­den ist und Menschen seit mor­gens oder mit­tags kei­ne neu­en Windeln ange­legt bekom­men, obwohl das drin­gend nötig wäre? Man könn­te das eine mit dem ande­ren begrün­den. Aber das wäre zu ein­fach. Schließlich müs­sen Menschen die­se Dienste leis­ten. Wenn es aber nur eine Minimalbesetzung gibt und die mit den Aufgaben auf der gan­zen Station gren­zen­los über­for­dert sind, dann sind die Patientinnen und Patienten die Leidtragenden. Auch des­halb haben wir Angst ins Krankenhaus zu gehen. Jedenfalls in die, die ohne­hin schon nicht den bes­ten Ruf haben. Das ist aber nicht den Menschen zuzu­schrei­ben, die dort arbei­ten, son­dern einem grot­ten­schlech­ten und aus­ge­trock­ne­ten System, dem vor allem eins zu feh­len scheint: das nöti­ge Geld. Dabei, so sagen die Gesundheitsexperten doch immer so gern, ist ja so viel Geld im System. Wenn das stimmt, ver­steckt es sich an den fal­schen Stellen. Normalpatienten – und für die kann ich nur spre­chen – fin­den es näm­lich nur schwer.


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2 Gedanken zu „Bloß nicht ins Krankenhaus“

  1. Hallo Horst,

    ein sehr bewe­gen­der Bericht. Leider wird das in den Krankenhäusern nicht bes­ser wer­den, solan­ge es immer mehr gewinn­ori­en­tier­te Unternehmen wer­den, wel­che von irgend­wel­chen Schlipsträgern ver­wal­tet wer­den. Diese sehen immer nur neue Chancen, der Patient steht immer mehr in Hintergrund.

    Meine Frau hat nun, nach 20 Jahren im Krankenhaus, den Job dort gekün­digt. Sie kann nicht mehr! Das hat mit einer Versorgung von Menschen, wo die Würde und das Wohlergehen der Patienten im Vordergrund ste­hen sol­len, nichts mehr zu tun. Die Geschichten, die sie teil­wei­se erzählt hat, möch­te man nicht am eige­nen Leib erfah­ren müssen.

    LG Thomas

    PS: Daumen für Deine Mutter sind gedrückt! 

🌈 Gemeinsam ist schöner als allein.

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