Kulturelle Werte ohne Religion?

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Ich bedaue­re, dass in 2018 nur 61 katho­li­sche Priester geweiht wur­den. Vielen wird es völ­lig egal sein. Oder sie wer­den hier, weil ihnen auch noch so zurück­hal­ten­de aber posi­ti­ve Meinungen über Kirche nicht pas­sen, ein paar nicht so freund­li­che Zeilen hin­ter­las­sen. Das könn­te so ähn­lich aus­ge­hen, wie wenn man das Demonstrationsverbot für Abtreibungsgegner vor Arztpraxen kri­ti­sie­ren würde. 

Meistens wird die Reaktion aller­dings dünn sein, weil die aller­meis­ten sich für die­se Fragen gar nicht (mehr) inter­es­sie­ren. Ob es je anders war? 

Die Religion hat für vie­le Menschen ihre Bedeutung ver­lo­ren. Die Migration schafft eine neue, aller­dings ande­re Repräsentanz von Religion und damit Probleme, die wir noch nicht kann­ten. Fromme Menschen sind auf dem Rückzug. Die Kirchen wer­den die Hälfte ihrer Mitglieder in den nächs­ten Jahrzehnten ver­lie­ren. Vor die­sem Hintergrund ist es abseh­bar, dass gläu­bi­ge Muslime ungläu­bi­gen (ehe­ma­li­gen) Christen zah­len­mä­ßig über­le­gen sein werden. 

«Haben wir dann aber auch bit­te schön die Tradition, mal wie­der in einen Gottesdienst zu gehen oder ein biss­chen bibel­fest zu sein.»
- Angela Merkel, 2015

Die evan­ge­li­schen und katho­li­schen Kirchen haben jeden­falls viel Rückhalt in der Gesellschaft ver­lo­ren. Dabei ist es nicht zu bestrei­ten, dass sie und vor allem ihre Führung sich dies zum gro­ßen Teil selbst zuzu­schrei­ben haben.

Ich habe beob­ach­tet, dass es, falls man mit einem sol­chen Blogpost auf Resonanz stößt, schnell unge­müt­lich wer­den kann. Die Gegner der Kirche sind nicht zim­per­lich. Wer sich mit ihnen anlegt, merkt schnell: Sie haben nicht den gerings­ten Zweifel an ihrer mora­li­schen Überlegenheit und an der Stichhaltigkeit ihrer Botschaft. Ich ver­fol­ge das auch in TV-Diskussionen über Kirche, obwohl sie sel­ten gewor­den sind.

Meine Frau und ich sind noch immer dabei. Wir tre­ten nicht aus! Natürlich sehen wir die Dinge auch kri­tisch, die die Kirche zu ihrem aktu­el­len Status bei­getra­gen hat. Vermutlich ist es in unse­rem Fall aber eher kon­ven­tio­nel­les Denken, das uns bremst, wie so vie­le Freunde und Bekannte, ein­fach aus­zu­tre­ten. Das geht ja schließ­lich ganz einfach.

Von mei­nem Glauben abge­se­hen muss ich danach suchen, um einen Stich für die Kirche zu machen. 

Was kann eine Religionsgemeinschaft in unse­ren auf­ge­klär­ten Zeiten für uns sein? 

Seelsorgerische Betreuung habe ich per­sön­lich bis­her nicht erfah­ren. Am Todestag mei­nes Vaters kam ein Pfarrer. Wir kom­men kaum mit unse­rem Pastor in Kontakt. Das liegt aber an uns, nicht an ihm. Am Totenbett mei­nes Vaters war sei­ne Anwesenheit irgend­wie tröst­lich. Mehr kann ich dar­über aber nicht sagen. 

Mit den unter dem Dach der Kirche täti­gen Institutionen wie Caritas, dem Kolpingwerk oder den Maltesern wich­ti­ge Dienste für unse­re Gesellschaft leis­ten, sieht das anders aus. Was dort geleis­tet wird, ist hoch anzu­er­ken­nen. Aber auch die­se wich­ti­ge Arbeit wird von Kirchengegnern damit abge­tan, dass es von der Allgemeinheit bezahl­te Organisationen sind, die die­se Arbeit machen. Ich weiß nicht, ob die Caritas, die Malteser, das Kolpingwerk und die ande­ren Verbände über­haupt exis­tier­ten, gäbe es die Kirche nicht.

Warum soll­te man ihre Existenz dem Wirken der Kirche zugu­te hal­ten, wenn doch die Allgemeinheit dafür auf­kommt? Manche Gegner füh­ren Gerüchte und Skandale gegen die Organisationen an, die im Prinzip im Wesentlichen auf die katho­li­sche Kirche abzie­len. Wie sich der Caritas-Verband bei­spiels­wei­se in der Flüchtlingskrise ver­hal­ten und geäu­ßert hat, dürf­te sei­nem Personal und dem Verband selbst neue Gegner ein­ge­bracht haben. 

Dass neben den Kirchen auch die­se Organisationen aus den Werten unse­rer abend­län­di­schen und sonst gern geprie­se­nen Kultur ent­stan­den sind, spielt kei­ne Rolle.

Ich fin­de es auch schreck­lich depri­mie­rend, dass Kirchen in Deutschland zu Hunderten pro­fa­niert und zum Teil auch abge­ris­sen wurden. 

Ich kann mich per­sön­lich auch nicht damit anfreun­den, dass sie nach ihrer Profanierung als Restaurants oder als Gesellschaftsräume wei­ter­ge­nutzt wer­den. Laut Wikipedia gin­gen seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland auf die­se Art 366 Kirchen ver­lo­ren. Die Wahrheit ist aus mei­ner Sicht viel schauriger. 

In die­sem Artikel ist allein von 453 Kirchenschließungen seit 2000 die Rede. Und das nur in unse­rem Bundesland (NRW). Woanders scheint das auch nicht bes­ser zu sein.

Früher oder spä­ter dürf­ten die Kirchenleute aber von der Realität ein­ge­holt wer­den. Zwischen 2000 und 2017 haben die katho­li­schen Bistümer in Deutschland die sakra­le Nutzung von knapp 500 Kirchengebäuden auf­ge­ge­ben. Rund 140 Kirchen wur­den sogar abge­ris­sen. Die evan­ge­li­sche Kirche ver­ab­schie­de­te sich zwi­schen 1990 und 2017 von über 700 Kirchengebäuden. Davon wur­den etwa 280 ver­kauft und über 100 zurück­ge­baut.

Geschlossene Kirchen: So krea­tiv wer­den sie genutzt – WELT

Mit mei­nem über­schau­ba­ren und an Argumenten armen Statement wird nie­mand sei­nen Austritt aus der Kirche zurück­stel­len oder ver­ges­sen. Ich fin­de es nötig, dass wir uns ab und zu mal an unse­ren kul­tu­rel­len Hintergrund erin­nern. Bei ande­ren Gelegenheiten pas­siert das ja häu­fi­ger. Dass wir dar­auf häu­fig nur mit Spott und Häme ant­wor­ten, darf uns ruhig nach­denk­lich machen. 

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6 Gedanken zu „Kulturelle Werte ohne Religion?“

  1. Ooch , «pöse Kommentare» kom­men von mir nicht – nur zwei mil­de Hinweise:

    - «Ich bedau­ert hier­mit» wür­de hof­fent­lich kei­ner der 61 neu­en Priester so schrei­ben oder in sei­ner Predigt verwenden…

    - ich bin schon vor (rech­ne, rech­ne – mur­mel, mur­mel) knapp 48 Jahren aus der evan­ge­li­schen Kirche ausgetreten

    Und noch eine Zusatzinfo: 1974 (war ich 23) woll­te mich der Vater mei­ner dama­li­gen Freundin zum rech­ten (katho­li­schen) Glauben bekeh­ren. Der dach­te ja, ich wäre «nur» evan­ge­lisch, dass ich schon aus­ge­tre­ten war, habe ich ihm nicht gesagt.

    Oooh, was hat der sich ins Zeug gelegt- wie ihm im 2. Weltkrieg als Pferdeführer bei der Artillerie die Russenkugeln nur so um die Ohren geflo­gen sind, aber sei­ne Gebete und der Herrgott haben ihn geschützt.

    «Wenn sie und mei­ne Tochter sich ein­mal näher kom­men, dann…usw.»

    G.s.D. hat der gute Mann nicht gewußt, dass das, was er mit «näher kom­men» wohl mein­te, in mei­nem dama­li­gen Auto längst pas­siert war. Sonst hät­te ich aber gleich flüch­ten müs­sen, grins!

    Die Tochter war übri­gens nicht sooo katho­lisch, son­dern ganz nor­mal. Verkäuferin in einer Bäckerei war sie, Rita F. hieß sie. Paar Monate hielt die Liebe, dann war´s zu Ende. Jaaahrende spä­ter hat der neu­gie­ri­ge Herr Hugo her­aus­ge­fun­den, das sie a) einen katho­li­schen Eisenbahner gehei­ra­tet und b) mit ihm 3 Kinder hatte.

    Das noch viel spä­ter bei der Beerdigung mei­nes Vaters in Polen ein evan­ge­li­scher UND ein katho­li­scher Pfarrer anwe­send ware, habe ich ja schon gele­gent­lich erwähnt. 

    Antworten
  2. Glaube, Religion, Kirche -, ja, nicht sel­ten lösen die­se Themen einen rich­ti­gen Beißreflex aus., wobei fast immer auf mensch­li­ches Fehlverhalten rum­ge­sto­chert wird. Zu einer dar­über hin­aus gehen­de Betrachtung sind die meis­ten nicht bereit. Fast habe ich das Gefühl, sie haben Angst davor. 

    Ich habe in allen 3 Themenbereichen mei­ne guten und weni­ger guten Erfahrungen gemacht.
    Ich bedaue­re sehr, das all­ge­mein nur sehr wenig Bereitschaft dar­in besteht, den tie­fe­ren Wert erken­nen zu wol­len, der unter die­sen tra­di­tio­nel­len Menschheitssäulen liegt.

    Was jeder dann am Ende dar­aus macht, ist eine per­sön­li­che Entscheidung. 

    Antworten
  3. Ich ver­wei­se bei Diskussionen über «die Kirchen» immer dar­auf, dass es ja immer­hin gut ist, dass es noch Institutionen gibt, die nicht zuvor­derst dem Kommerz, Profit, Wachstum etc. ver­pflich­tet sind – wie wir es z.B. bei der Verwandlung des Gesundheitssystems in den letz­ten Jahrzehnten erle­ben müssen.

    Man muss auch in Betracht zie­hen, dass es seit lan­gem ein brei­tes Spektrum kir­chen­fer­ner Zusammenschlüsse unter­schied­lichs­ter Art gibt, die im wei­ten Sinne der «Spiritualität» gewid­met sind. Wer als «sucht», wird anders­wo heu­te her fün­dig als in der chris­li­chen Kirche!

    Die tra­di­tio­nel­len Kirchen sind in ihren Traditionen ver­haf­tet und ver­schie­de­ne Versuche, da zu moder­ni­sie­ren kom­men wie­der­um nicht immer gut an und haben auch Grenzen durch die Machtstrukturen, ins­be­son­de­re bei den Katholiken.

    Hier mal ein Bericht von mei­nem letz­ten (zufäl­lig zustan­de gekom­me­nen) Kirchenbesuch:

    https://​www​.clau​dia​-klin​ger​.de/​d​i​g​i​d​i​a​r​y​/​2​0​0​2​/​0​1​/​0​2​/​s​t​-​h​e​d​w​ig/

    Den Furor der Gegner kann ich auch nicht recht ver­ste­hen. Ungläubig sein ist doch weit­ge­hend nor­mal und man wird des­halb von nie­man­dem ange­fein­det oder diskriminiert.
    Aus mei­ner Sicht sind das evtl. ent­täusch­te Sucher, ein­fach sau­er, dass Leute noch an etwas glau­ben… Und natür­lich ver­letz­te Seelen, die selbst üble Erfahrungen mit Klerikern machen mussten. 

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