Die SPD erinnert in vielen Social – Media – Beiträgen an Willy Brandt. Als ob es einen Mangel an relevanten politischen Themen gäbe. Es ist mit Händen zu greifen, dass im Willy-Brandt-Haus die Sorge überwiegt, noch mehr falsch zu machen. Geht das überhaupt?
Wenn ausgerechnet Funktionäre das Schicksal der Partei bestimmen, die den Niedergang zu verantworten haben, ist quälendes Siechtum unausweichlich. Aber so einfach lassen sich Strukturen nicht überwinden.
Andrea Nahles
Während Andrea Nahles, wie man hört, nach der Sommerpause auch ihr Bundestagsmandat niederlegen will, um komplett aus der Politik auszusteigen, gibt es Ärger mit dem designierten „Nachrücker“. Die betreffende Person scheint Sarrazins Ansichten näher zu sein als denen seiner Partei. Wohin das führt wissen wir.
Ich habe geglaubt, dass es bei 440.000 Mitgliedern [sic?] kein Problem wäre, echt gute Leute für den Parteivorsitz zu finden. Inzwischen haben sich einige Pärchen gemeldet.
Die Führungsgremien der Partei waren entweder gar nicht oder sehr schlecht beraten, als sie den Prozess zur Neuwahl des Vorsitzes beschlossen haben. Zu anderen Zeiten wäre das problemlos und ohne öffentliche Kommentare möglich gewesen.
Der Prozess wirkt kontraproduktiv. Vielleicht verstört er sogar die Partei mehr als das Publikum. Neben der zu langen Zeitspanne ist der Versuch, es den Grünen gleichzutun und mit einem Gespann aus Frau und Mann den Erfolg zu suchen, ein Schuss in den Ofen. Der Posten hätte in dieser Lage der Partei schnellstens wiederbesetzt werden müssen.
Olaf Scholz
Dass sich jetzt Olaf Scholz – viel zu spät – dazu durchringt, sein Gewicht als Minister und stellvertretender Kanzler in die Waagschale zu werfen, ist sicher der puren Verzweiflung und auch ein wenig dem Druck aus der Partei geschuldet. Dass Scholz andererseits in der Partei unpopulär ist, belegen seine wenig überzeugenden Ergebnisse bei den Stellvertreterwahlen zum Parteivorstand. Das gilt auch für Ralf Stegner.
Wie stark der rechte und linke Flügel in der Partei wirken, lässt sich auch daran erkennen. Dass unter Beteiligung von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel jüngst sogar eine dritte Gruppe (SPDpur) ihre Vorstellungen in die Öffentlichkeit trägt, unterstreicht das damit verbundene Problem.
Stephan Weil
Der Kölner Stadt-Anzeiger erinnert heute an eine Personalie, die bei mir persönlich nichts als Stirnrunzeln hervorruft. Autor Matthias Koch findet hingegen, Stephan Weil (Ministerpräsident in Niedersachsen), stehe „für einen neuen Stil“. Koch findet, Weil könne in diesen aufgeregten Zeiten mit seiner unaufgeregten Art punkten, die Leute würden ihm zuhören.
Abgesehen davon, dass Stephan Weil keine Anstalten macht, seinen Hut in den Ring zu werfen, wäre dieser in meinen Augen, ebenso wie Olaf Scholz, der falsche Kandidat. Scholz hat Wahlen gewonnen, Weil ebenfalls. Das spricht wohl für sie.
Andererseits sind beide so wenig kämpferisch oder anders ausgedrückt, so langweilig, dass ich sie mir als Retter einer untergehenden Partei nicht vorstellen kann. Dies wäre meines Erachtens nicht der „neue Stil“, den die Partei braucht.
Dass mich keins der Führungspärchen in spe überzeugen kann, muss ich der Ehrlichkeit halber anfügen. Aber es geht ja auch darum, dass die Partei ihr Führungspersonal kennt und wählt. Das ist hoffentlich ja der Fall?!
Die Grünen
Robert Habeck und Annalena Baerbock kannten außerhalb der Partei seinerzeit wahrscheinlich auch nur wenige. Trotzdem haben sie den Grünen gut getan und die Umfragen zu neuen Höhen geführt. Bei Wahlen wird sich das übrigens noch erweisen müssen.
Die Voraussetzungen für die SPD sind gänzlich anders. Die Partei steht mit dem Rücken zur Wand und braucht neben einer überzeugenden Führung vor allem tragfähige Ideen, um ihre Politikfähigkeit zu zeigen.
Ältere (sorry) Apparatschiks sind dafür ungeeignet!
Schwan/Stegner
Ich finde Gesine Schwan toll. Auch Ralf Stegner mag ich. Mir ist allerdings klar, dass beide nicht das Führungsduo der SPD bilden sollten.
Ich glaube die rollenden Augen bei einer überwältigenden Mehrheit der BürgerInnen zu sehen, obwohl man andererseits Zweifel daran haben kann, dass beide überhaupt so vielen Leuten im Land bekannt sind. Da schlägt das „Problem“ der sozialen Medien voll durch. Dort wird Stimmung gegen Schwan, mehr noch gegen Stegner gemacht. Er ist eifrigster Twitterer und besitzt viele Follower. Ich glaube, dass die überwiegende Zahl eigentlich Hater, speziell Stegner-Hater, nicht Follower sind. Mit seiner wenig subtilen, angriffslustigen Art überzieht er häufig. Er erinnert ein wenig an Sawsan Chebli, die ihren Twitter-Account im permanenten Angriffsmodus betreibt. Der Journalist Hans-Ulrich Jörges suggerierte kürzlich in einer Talkshow, dass Außenminister Heiko Maas und eben Sawan Chebli als Duo die SPD-Spitze übernehmen könnte.
Aus meiner Sicht (heute weniger denn je) sind solche Paare innerparteilich nicht mehrheitsfähig. Übrigens ändert daran auch die schon wieder einsetzende Rote-Socken-Kampagne der nationalen und konservativen Kräfte im Land nichts (Stichwort Bremen).
Keine Spin Doctors frei?
Es wirkt so, als sei die Zeit von Politikberatern (Spin Doctors) vorbei. Entweder es gibt keine oder diejenigen, die noch aktiv sind, sind grottenschlecht. Wie wäre es sonst möglich, dass in einer so kritischen Phase, in der sich die SPD befindet, monatelang nach einer Doppelspitze gesucht wird, die für sich genommen, doch längst noch kein Erfolgsgarant ist? Selbst ein (weiterer) schwacher Vorsitzender wäre besser gewesen als dieses gefährliche Vakuum, das die SPD heute zeigt.
Ist es nicht sogar so, dass die SPD nur Willy Brandt wieder entdeckt hat, weil die AfD ernsthaft „Mehr Demokratie wagen“ plakatiert hat? Das desaströse Bild der SPD würde es nur abrunden. … Ich gebe zu, ich habe nie Sozialdemokraten gewählt. Und durch Schröder haben sie für mich auch jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Aber dennoch braucht es eine Partei wie die SPD eigentlich im System. Und man muss ihr anrechnen, dass es Sozialdemokraten waren, die mehrmals in der deutschen Geschichte staatspolitische Verantwortung übernommen haben, wo Konservative und Liberale – man muss es so hart sagen – den Schwanz eingezogen haben.
Natürlich hat das damit zu tun. Rechnerisch brauchte es die SPD, um undemokratische Kräfte zurückzudrängen bzw. erst gar nicht in die Position zu bringen, die in Sachsen und Brandenburg und wohl auch in Thüringen möglicht scheint. In der Programmatik der Partei fehlt allerdings viel. Die personelle Lage der Partei ist für mich desolat. Die Leute an der (bisherigen) Spitze überzeugen mich alle nicht. Dass sie mit der Agenda-Politik verbunden werden, spielt dabei eine große Rolle. Dass die SPD staatspolitisch tatsächlich Verantwortung übernommen hat, überzeugt kaum Wähler. Wir haben ja (bisher jedenfalls) mit dem Vakuum noch nichts zu tun gehabt. Aber das steht uns jetzt vielleicht bevor. Das ist der Punkt, der manchen die Partei einmal vermissen lassen wird.