Bundesregierung: Fehlt es uns an politischer Führung oder sind moderne Gesellschaften heute imstande, diese zu kompensieren?

Die Grundlagen für unse­re Kommunikation haben sich ver­än­dert. Können wir die­se über­wie­gend tech­ni­schen Möglichkeiten dazu nut­zen, um Defizite an poli­ti­scher Führung auszugleichen?

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Haben jetzt alle was gesagt über das neue Führungsduo der SPD? Schön zu sehen, wie flüs­sig inzwi­schen die Namen der bei­den Neuen über die Lippen kommen. 

Ich dach­te noch vor ein paar Tagen, dass Walter der Vorname von Borjans wäre. Und das, obwohl der Mann doch immer­hin Finanzminister mei­nes Bundeslandes war. 

Fehlende Führung

Woran es man­gelt ist Führung. Das mag in den Ohren so man­cher Leser etwas hart klin­gen. Aber ich sehe das wohl nicht allein so.

Führungsdefizite gibt es nicht nur in Unternehmen. Dort kön­nen sie im Gegensatz zur poli­ti­schen Bühne schnell erkannt, beklagt und beho­ben wer­den. Politiker kön­nen län­ger blen­den und sich ver­ste­cken, als dies Unternehmern oder Managern gestat­tet wäre. 

Dass es in unse­ren Parteien ein Führungsproblem gibt, ist zwar schon seit Längerem evi­dent und wird daher in den Medien durch­aus the­ma­ti­siert. Bloß: es ändert sich nichts!

Plaudertaschen

Die Plaudertaschen aller Fraktionen sind gut dar­in, Defizite zu ver­schlei­ern. Daran sind unse­re Medien nicht schuld­los. Wer kei­ne Lösungsangebote hat, muss auch kei­ne Führungsqualität bewei­sen. Das soll­te viel stär­ker her­aus­ge­stellt wer­den. Vielleicht wür­de sich dann etwas ändern?!

Im Geldausgeben sind – ent­ge­gen gän­gi­ger Vorurteile – alle gut, nicht nur die Linken. Auch die FDP pro­fi­tiert davon, weil sie ihre Attacken gegen das Geldausgeben (vor­zugs­wei­se natür­lich für sozia­le Belange), wie eine Monstranz vor sich herprägt.

Themen

Wenn alle poli­ti­sche Parteien sich einig dar­in sind, dass eine der gro­ßen Herausforderungen unse­rer Zukunft der Umgang mit der Digitalisierung ist, fra­ge ich mich zum Beispiel, wer vom Führungspersonal unse­rer Parteien denn eine Vorstellung davon hat, wie die kon­kre­ten Folgen der als so gra­vie­rend beschrie­be­nen Veränderungen (Precht, Lobo und wie die „Propagandisten jener Schreckenzukunft” auch hei­ßen mögen) für das Leben der Menschen in Deutschland kon­kret aus­se­hen könn­ten. An Allgemeinplätzen haben wir uns über­hört. Wir wis­sen nun, dass es schwie­rig wird. Dass einer­seits zwar neue Arbeitsplätze geschaf­fen wür­den, man aber davon aus­ge­hen kön­ne, dass die Balance zwi­schen dem Verlust alter und dem Aufbau neu­er Arbeitsplätze schwie­rig wür­de und das lebens­lan­ges Lernen ein fes­ter Bestandteil unse­res Lebens würde. 

Wir wis­sen, wie wich­tig Bildung ist und sehen, dass die Budgets dafür bei Bund und Land nicht zu üppig sind im Vergleich zur Bedeutung, die gute Bildung und Ausbildung angeb­lich doch haben sol­len. Auch die OECD moniert, dass Deutschland zu wenig in Bildung investiert.

Reparaturen an Sozialsystemen

Bereits heu­te sind wir nicht in der Lage, trotz exor­bi­tant hoher Ausgaben für Sozialleistungen, Gerechtigkeit herzustellen. 

Neun Millionen Menschen arbei­ten im Billiglohnsektor. 40 % der deut­schen Bevölkerung besit­zen kei­ne finan­zi­el­len Rücklagen (Fratzscher) und kön­nen daher zum Beispiel kei­ne Vorsorge für ihre Rente treffen. 

Diese Tatsache ist eine der Folgen von Schröders Agendapolitik. 

Die Arbeitslosenzahlen befin­den sich der­zeit auf dem nied­rigs­ten Stand seit der Wiedervereinigung, die Beschäftigungsquote ist hoch wie nie. 

Trotzdem spü­ren wir Zukunftsangst im Land. Sie über­trägt sich, wie es scheint, wie ein resis­ten­ter Krankenhauskeim. Je schwä­cher die Menschen, des­to anfäl­li­ger schei­nen sie.

Vielleicht, nein hof­fent­lich, ist dies aber auch nur ein Phänomen, das mei­ne Generation erreicht und die Jungen sehen es viel gelas­se­ner, weil sie mit ande­ren Risiken erwach­sen wur­den? Die Älteren haben die Vorteile eines Landes genos­sen, in dem gefühls­mä­ßig jahr­zehn­te­lang alles immer nur berg­auf ging. Dass wir dabei Fehler gemacht haben, die unter ande­rem dar­in bestan­den haben, unse­ren unver­ant­wort­li­chen Ressourcenverbrauch zu igno­rie­ren, steht wie­der auf einem ande­ren Blatt. Wer bit­te könn­te von sich sagen, nie kri­tisch dar­über nach­ge­dacht oder im Freundeskreis dar­über dis­ku­tiert zu haben? Nur – gemacht haben wir schluss­end­lich nichts oder jeden­falls viel zu wenig.

Umso erschro­cke­ner geben sich vie­le jetzt in einer Phase, in der Verdrängungsmechanismen nicht mehr funk­tio­nie­ren. Mit dem Erkennen der eige­nen Verantwortung wächst der Ärger über sich selbst und lei­der auch die Aggression denen gegen­über, die genau das laut­stark beklagen.

Recht haben und durchsetzen vs. demokratische Werte

Solche Gedanken mag ich schnell wie­der ver­wer­fen, wenn ich ande­rer­seits die Vehemenz, teil­wei­se auch die Radikalität der Klimaschutzdebatte verfolge.

Die Zuspitzung sehe ich einen der Hauptgründe für die pola­ri­sie­ren­de Debatte beim Thema Klimaschutz. So vie­le machen sich Sorgen über ihre Zukunft und die ihrer Kinder und Enkel. Diese Sorgen kul­mi­nie­ren zu dif­fu­sen Anforderungen an eine Gesellschaft, die so homo­gen nicht ist und sie ver­stär­ken so nur die Angst vor der Zukunft.

So sto­ßen die Forderungen der Klimaaktivisten ent­we­der auf Zustimmung oder aber auf kras­se Ablehnung. 

Es fehlt die poli­ti­sche Führung.

Nicht anders ver­hält es sich bei dem Thema der Migration und den weit­rei­chen­den Folgen. 

Statt klar zu sagen, dass die sehr hohen Kosten für die Migration eine selbst­ver­ständ­li­che Konsequenz der umstrit­te­nen poli­ti­schen Entscheidungen sind, ver­su­chen man­che Politiker das kom­plet­te Thema dadurch zu ent­schär­fen, dass sie die­sen Teil der Wahrheit ver­schwei­gen oder sogar bestreiten. 

Kein offener Diskurs

Ein Land, das Hunderttausende von Flüchtlingen auf­nimmt, muss selbst­ver­ständ­lich die so zwangs­läu­fig ver­ur­sach­ten Kosten auf­brin­gen. Dümmliche Aussagen, wie die von Heiko Maas und ande­ren PolitikerInnen wer­den nicht vergessen! 

❝ Die Milliarden für die Integration wur­den in die­sem Land erwirt­schaf­tet und wur­den nie­man­den weggenommen. ❞ 

Heiko Maas, damals noch Bundesjustizminister 

Sie bestim­men sogar noch heu­te die Debatte über die­se Fragen. Es fehlt nicht nur an Ehrlichkeit, son­dern vor allem fehlt es wie­der­um an poli­ti­scher Führung und – wenn man so möch­te – natür­lich auch an einer kla­ren und offe­nen Kommunikation.

Es funk­tio­niert ein­fach nicht, dass wir kon­tro­ver­se Themen des­halb aus­spa­ren, weil eine Regierung Konflikte scheut. Dass es die­se gibt, gehört schließ­lich zum Leben immer dazu!

So strei­ten wir uns über zuneh­men­de Gewalt (Gruppenvergewaltigungen, Messerstechereien) Antisemitismus oder Gewalt gegen Frauen und hören viel zu sel­ten etwas dar­über, wel­chen Anteil die durch die Migration aus ara­bi­schen Ländern stam­men­den Männer dar­an haben. Ja, man liest oder hört davon in kon­ser­va­ti­ven Medien, ein offe­ner Dialog über die Zusammenhänge kann nicht geführt wer­den. Das führt dazu, dass sol­che Zusammenhänge zwar gese­hen aber viel­fach nicht aus­ge­spro­chen wer­den. Und zwar aus Sorge vor kras­sen Reaktionen, die nicht nur von Beschimpfungen und Beleidigungen bestimmt sind, son­dern die bis zur Ausgrenzung und zum Mobbing hinwegreichen. 

Was denn nun?

Machen die­se Beispiele nicht deut­lich, wes­halb wir zwar einer­seits poli­ti­sche Führung ein­for­dern, ande­rer­seits aber sehr schnell ein bei­na­he schon grund­sätz­li­ches Problem mit der Meinung ande­rer bekom­men – und zwar aus­drück­lich das heu­ti­ge Führungspersonal aller Parteien eingeschlossen? 

Die gro­ßen alten Männer unse­rer Vergangenheit (Willy Brandt, Helmut Schmidt, Konrad Adenauer, Helmut Kohl) gaben uns, was wir unter poli­ti­scher Führung ver­ste­hen. Aber wie wür­den sie in der heu­ti­gen Zeit mit die­sem Millionenheer von öffent­li­chen Kritikern klar­kom­men? Könnten sie das heu­te noch leis­ten, was schein­bar vie­le als poli­ti­sche Führung vermissen? 

Ich glau­be, die­se Zeiten sind vor­über. Uns bleibt des­halb nichts wei­ter übrig, als uns der Richtigkeit unse­rer Ansichten stän­dig aufs Neue selbst zu ver­ge­wis­sern und damit umzu­ge­hen und zu leben, wenn wir zu ande­ren Einsichten gelan­gen. Dazu gehört es, dass wir neu ler­nen, mit­ein­an­der zu reden, zu strei­ten und den rich­ti­gen Weg zu suchen.


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