Was bedeutet es, wenn von einer Polarisierung der Gesellschaft geredet wird? Wie manifestiert sich die Spaltung einer Gesellschaft? Gab es in der Menschheitsgeschichte nicht immer schon kontroverse Meinungen über wichtige gesellschaftliche Fragen? Welche Folgen hatten Zuspitzungen in umstrittenen Fragen für die jeweiligen Gesellschaften?
In Amerika zum Beispiel gab es Krieg wegen unterschiedlicher Ansichten zur Sklaverei. Wirtschaftliche Gründe werden auch eine gewichtige Rolle gespielt haben. Aber vom Streit waren vermutlich nicht nur die Personen betroffen, die für die Interessengegensätze mit finanziellem Hintergrund standen. Es ging bei diesem Thema vermutlich auch um Ethik und Moral.
Während der Corona-Pandemie schützen Gesellschaften, vielleicht erstmalig in der Menschheitsgeschichte, durch die drastischen und folgenschweren Maßnahmen schwächere (kranke und alte) Menschen. Alle waren sich einig, als es um den Schutz derjenigen Menschen ging, die vom Virus vor allem wegen ihres Alters bedroht waren. Dass es aktuell anderes aussieht und viele wünschten, gefährdete Menschen würden (am liebsten allein zu ihren Lasten) isoliert, damit sie ein möglichst unbeeinträchtigtes Leben führen können, steht auf einem anderen Blatt.
Kriege
Von den 259 Kriegen, die nach 1945 geführt wurden, waren 2/3 Bürgerkriege. Bei den nach 1989 geführten Kriegen waren 95 % Bürgerkriege. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass Rechtsradikale in Deutschland öffentlich darüber sprechen, dass sie die gegenwärtigen Mitglieder der Bundesregierung und ihrer „Handlanger“ für angebliche „Verbrechen am deutschen Volk“ verfolgen und vor Gericht stellen wollen, dreht sich mir der Magen um. Das hat man bei Pegida-Demos und zuletzt bei der Anti-Corona-Demo in Berlin sehen müssen.
Krieg – was ist das?
Ein Bürgerkrieg? Etwa deshalb, weil BürgerInnen uneins darüber sind, ob man anderen (aus islamischen Ländern) helfen soll, in dem man sie nach Deutschland holt und ihnen eine Zukunft ermöglichst? Immerhin ist ein Grund für heftigste Auseinandersetzungen. Und zwar nicht nur im virtuellen Raum. Sogar Morde und Mordanschläge wurden deshalb von Rechten begangen. Bei diesem Thema reagiert der FI-Schalter überempfindlich.
Für mich reduziert sich alles auf die betrübliche Feststellung, dass sich die Deutschen ohne Migrationshintergrund Ausländern, die solche Hilfe brauchen, überlegen fühlen. Dass vor allem Migranten aus islamischen Ländern unbeliebt sind, liegt nicht nur an Büchern, die ein Thilo Sarrazin erfolgreich veröffentlicht hat. Die Verantwortung liegt auch bei den vielen Menschen aus islamischen Ländern, die seit Jahren unter uns leben und die wenig Anstalten machen, sich zu integrieren.
„Wer nichts in die sozialen Sicherungssystemen eingezahlt hat, sollte davon auch nicht profitieren.“
Unser Staat beruht auf einer Ordnungsstruktur (Sozialleistungen), die auf bestimmten Mechanismen fußt. Hohen finanzielle Belastungen für die Versorgung und Integration von Geflüchteten sind vor diesem Hintergrund leicht zu „Waffen“ umzufunktionieren.
Gerechtigkeit und die Würde des Menschen
Das wirft die Frage nach Gerechtigkeit auf. Den Unterschied zwischen gerecht und ungerecht lernen wir früh, die meisten wahrscheinlich in frühester Kindheit von ihren Eltern. Um den Unterschied zwischen gerecht und ungerecht zu erkennen, braucht es vermutlich keine besondere Sensibilität.
Für Nationalisten und Rechtsextreme ist es entsprechend leicht, das für ihre Zwecke zu nutzen. Das sich dahinter auch ein sich entwickelndes Anspruchsdenken verbirgt, kann licht dazu führen, dass christliche oder humanitäre Gedanken verächtlich gemacht werden. Wenn die evangelische Kirche damit beginnt, sich in der Seenotrettung zu engagieren, erkennt man an den zum Teil drastischen Vorwürfen und Reaktionen die Wandlung in unserer Gesellschaft.
In Deutschland ist es auch fünf Jahre nach der grossen Flüchtlingswelle noch nicht möglich, ein heisses Herz mit einem kühlen Kopf in Einklang zu bringen. Die Lernkurve in Sachen Migration hat die Nulllinie nicht wesentlich überschritten.
Flüchtlinge: Politik kann kein permanenter Gnadenakt sein
Gerade erst habe ich einen Kommentar bei der NZZ geschrieben. Ein österreichischer NZZ-Autor bestandete den „deutschen Alleingang“ nach dem Moria-Desaster (also ganz im Sinne seines Bundeskanzlers). Das Versprechen der deutschen Regierung, dass sich sowas wie 2015 nie wiederholen dürfe, sei nun obsolet. Man habe keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen.
Ja, es ist für viele schier unglaublich, dass die deutsche Regierung Menschen zur Hilfe eilt, die dringend auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dabei wäre die Aufnahme von ca. 1500 Flüchtlinge keineswegs die humanitäre Leistung als die sie der deutsche Innenminister Seehofer (schaut euch Curios Gesicht im Video an, als Seehofer sein humanitäres Engagement lobt!) ausgibt. Übrigens sehen bestehende Vereinbarungen auf EU-Ebene die Übernahme von Flüchtlingen aus Griechenland in solche Größenordnung vor. Deutschland ist dieser Verpflichtung bisher nur nicht gefolgt.
Dass nach alledem (dem wiederholten Alleingang der deutschen Regierung) die griechische Regierung aus den bekannten Gründen die Ausreise der Menschen verhindert, wird das Ansehen der deutschen Regierung auch nicht verbessern.
Unmut bezieht sich auf alle möglichen Fragen
Es tröstet mich nicht, dass die Art der Konflikte, die unsere Gesellschaften stark in Mitleidenschaft ziehen, kein spezifisch deutsches, britisches, us-amerikanisches, etc. Problem ist. In vielen Ländern ist das Phänomen zu beobachten und je nach Virulenz beschleicht einen das Gefühl, dass sich so der Beginn von Bürgerkriegen anfühlen könnte.
Aktuell durchleben wir eine ähnlich kontroverse Auseinandersetzung und Polarisierung um die Corona-Maßnahmen. Wer möchte von sich behaupten, in dieser Kakophonie noch den Überblick zu haben?
Es wird behauptet, dass all das, was im Rahmen der Pandemie vielleicht falsch läuft, die „Merkel-Diktatur“ zu verantworten hätte. Immer mehr, so empfinde ich es, Medien geben sich konziliant. Man fordert, die „Anliegen“ der Covidioten ernstzunehmen. Dass dabei gemeinsame Sache mit Nazis und Demokratieverächtern gemacht wird, tritt in den Hintergrund. Hauptsache, sie halten sich, ganz im Gegensatz zu 2015, ein Hintertürchen zum Feindeslager auf.
Überhaupt frage ich mich immer, was wohl die eine oder andere Seite später mal tun wird, wenn sich vielleicht einmal erweisen sollte, was nun wirklich richtig und was falsch war? Dass Spahn mal davon gesprochen hat, dass es Zeiten geben könnte, in denen wir uns gegenseitig viel verzeihen müssten, wird von den Covidioten gleichsam als Eingeständnis Spahns gewertet, Fehler gemacht zu haben. Als ob in einer solchen Lage nicht zwangsläufig Fehler passieren.
Ich stehe zur Regierung und finde, dass sie während der Corona-Krise bisher gut gearbeitet hat. Wer mich deshalb als systemtreuen Idioten oder Schlafschaft beleidigen will – nur zu!
Wie wars früher?
Harte Auseinandersetzungen gab es schon immer. Auch in den Nachkriegsjahrzehnten war das der Fall. Es gab die Wiederbewaffnung der Bundeswehr, die Ostverträge, die politischen Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung. Das sind nur ein paar der schwierigen und strittigen Themen früherer Zeiten.
Nach jahrelangen, zum Teil erbittert geführten Diskussionen wird die Unternehmensmitbestimmung 1976 auf ein neues Fundament gestellt.
Die Geschichte der Mitbestimmung
Streit um den richtigen Weg. Der Satz klingt gut. Er enthält eine konstruktive Komponente. Heute aber will jede Seite unbedingt Recht bekommen. Dabei wird zu Mitteln gegriffen, die eigentlich inakzeptabel sind. Inakzeptabel ist es, wenn Menschen aus einem gesellschaftlichen Dialog ausgeschlossen werden. Ich habe mir manche der Interviews von Sucharit Bhakdi angesehen und mir danach ein Urteil gebildet.
Ich höre das, was uns die Professoren Drosten, Kekule, Streeck, Brinkmann und Schmidt-Chanasit zu sagen haben und versuche, mir ein Urteil zu bilden. Bhakdi hat gemeinsam mit seiner Frau ein Buch herausgebracht, das angeblich die Bestseller-Listen anführt. Ich schließe daraus, dass die Offenheit der Leute, sich mit Gegenthesen auseinanderzusetzen größer ist, als ich oft denke.
Die Themen wurden entsprechend kontrovers an den Stammtischen des Landes ausgebreitet. Ich persönlich habe keine Erinnerungen an diese politischen Scharmützel. Zum Glück gibt es aber bei Youtube oder im Bundestagsarchiv noch Ausschnitte aus den damaligen Debatten. Sie waren ansehnlich und jedenfalls zum Teil unterhaltsamer als die heutigen. Gab es damals keine Polarisierung?
Nie war es so schlimm wie heute
Heute werden die Debatten anders geführt. Viele außerhalb des Bundestages lehnen ihre Beiträge nicht an den Debatten des Bundestages an, sondern orientieren sich an den begleitenden Kommentaren. Das war früher vielleicht nicht anders. Heute stelle ich eine stärkere, oft überzogen kritische Berichterstattung in den Medien fest. Meine Feststellung scheint allerdings überhaupt mit dem übereinander zu passen. Die Konsumenten so genannter Alternativen Medien beklagen das fortwährend (Systemmedien, Mainstreammeinungen).
Es werden so viele Themen problematisiert und in kürzester Zeit hochgejazzt, dass viele Menschen sich davon überfordert fühlen – ohne das freilich jemals zugeben zu wollen.
Von einem Teil der (alternativen) Medien wird der mediale Mainstream wiederum als Sprachrohr der Regierung diffamiert. Daneben gibt es die, die versuchen ihren eigenen Weg zu gehen („Cicero“, „Weltwoche“, „NZZ“) und die, die den Populisten Zucker geben. Dazu zähle ich die „Achse des Guten“ und „Tichys Einblick“ mit all ihren Autoren, deren Vita, wenn ich sie (in Einzelfällen) genauer angesehen habe, einiges aussagen.
Ich mag Querdenker. Aber nicht die, die sich auf den ersten Blick als Quertreiber und Provokateure entpuppen. Das so mancher Autor darunter ist, der den Rechten als Zeuge für ihre demokratiefeindlichen Agitationen dient, sollte wenigstens gesehen werden.
Für mich ist ein Teil der Medien gleichzeitig Nutznießer und Förderer der wachsenden Demokratieverdrossenheit im Land.
Alternative Medien sind heute diejenigen, denen ich die Hauptverantwortung für die Polarisierung der Gesellschaft gebe. Sie tun nur so, als würden sie Licht in eine Welt bringen, die von konspirativen Medien im Sinne einer Regierung verdunkelt wurde.
Wer fragt sich nicht, warum viele Debatten von so übler Natur sind? Diese Frage werden sich die krassesten Kontrahenten bei ihren Themen stellen. Auch dann, wenn ihnen die Frage sehr ernst ist, werden sie vermutlich keine Antwort darauf finden. Ich glaube, die meisten von uns bedauern die Entwicklung.
Aber he, wer sieht schon eine Chance, die Misere zu beenden, uneinsichtig wie die sich verhalten?
Und dann kamen die asozialen Medien
Die asozialen Medien haben alles schlimmer gemacht. Sie verderben alles, vor allem jeden politischen Diskurs.
Es stimmt vielleicht, was andere mir auf meinen Vorwurf antworten. Sie meinen, die asozialen Medien seien doch letztlich nur ein Spiegel der Gesellschaft. Dazu passt, was irgendeiner sinngemäß kürzlich mal geschrieben hat: Früher haben wir all die Idioten nicht gesehen, die mit uns diesen Planeten bevölkern. Die sozialen Medien haben sie sichtbar werden lassen.
Wow, so viele Themen in einem einzigen Artikel!
Inhaltlich bin ich nahe bei dir, wie so oft. Derzeit schaffe ich es leider nicht, zu bloggen, da die Arbeit mich sowieso zu viel am Bildschirm hält – die Augen!
Die haben es bei Themes auf schwarzem Grund besonders schwer (strengt deutlich mehr an)- ich war regelrecht erschrocken, als ich das hier gesehen habe!
Nun, man darf hoffen, dass die schwarze Phase schnell wieder vorbei geht…
Lieben Gruß!