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Diskurs wird mit allen Mitteln geführt

Diskurs: „Der Klügere gibt nach“ ist sowas von überholt.

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von Horst Schulte

∼ 9 Min. Lesezeit

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Ist es sinnvoll, Blogartikel zu lesen oder Podcasts und Videos zu konsumieren, deren Inhalte nicht kompatibel sind mit der eigenen Meinung? Was sonst hält den gesellschaftlichen Diskurs am Laufen? Ja, ich hätte das Wort „politisch“ nicht einfach weglassen dürfen. Denn ein bisschen Streit ist oft inspirierend und belebend. Wenn es nicht gerade um Politik geht. So denkt jeder gleich, was will der von mir? Es geht zunächst mal nur um unterschiedliche politische Ansichten. Nur – wie weit ist es dann noch bis zum Grundsätzlichen? Haben nicht alle Themen irgendwie auch eine politische Komponente?

Vielleicht war es klug, wenn die Alten sagten, dass man in einer Gesellschaft nicht über Politik reden solle. Wir wissen, dass die Brexit-Frage in Großbritannien Familien gespalten hat. Bei uns gibt das in Ansätzen auch. Die Flüchtlingskrise hat sichtbare Gräben zwischen Freunden und Kollegen aufgerissen. Sowas hätte ich vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten.

Freude am Diskurs sieht anders aus

Ich mache das. Ich lese viel in anderen Blogs und schau mir Videos an, von denen ich weiß, dass ihr Inhalt mit meinem Denken oft ziemlich inkompatibel ist und obwohl mir dabei mitunter schon mal die Galle übergeht. Es wird wohl daran liegen, dass ich viel Zeit habe. Ich mache aber auch ungern den Fehler, mich dem Meinungsdiktat anderer zu unterwerfen. Das klingt jetzt stark nach rechten Narrativen, oder? Ich verlinke kritische Beiträge in rechten Blogs nicht. Sogar dann nicht, wenn ich mich mit diesen im Text kritisch auseinandersetze. Ich nutze, wie andere, Umschreibungen oder fische Links via WaybackMachine auf und verlinke diese URL. Das habe ich von anderen gelernt, die sich mit ähnlichen Prinzipien herumquälen. Albern und blöd. Ich ändere das ab sofort! Dabei weiß ich inzwischen, wie ein paar Likes dein Leben auf den Kopf stellen können. Als Rentner bin ich unabhängig. Ich kann und mach das jetzt so.

Debattenkultur im Arsch

Wie ich erfahren musste, gibt es auch rechte Comedians in Deutschland. Ich hatte immer behauptet, das sei gar nicht möglich, Satire sei grundsätzlich links. Aber diejenigen, die die Meinungshoheit in diesem Land besitzen, haben mich inzwischen eines Schlechteren belehrt. Dieter Nuhr wird von linken und rechten angemacht. Ich würde als Comedian daraus die Lehre ziehen, alles richtig gemacht zu haben.

Ein oder mehrere böse Worte über „die Wissenschaft“ oder „Greta“ und du bist raus aus dem demokratischen Diskurs. Danach nimmt nicht mal einer ’nen Witz von dir. Dieter Nuhr ist wohl auf eine dieser imaginären roten Listen gerutscht. Ob er noch lange seinen Sendeplatz bei der ARD behält? Das Etikett „Persona non grata“ kriegst du heute ganz flott auf die Stirn getackert und die Medien reagieren mitunter recht schnell auf diese Art von Meinungsschwankungen. Der Grad an Ablehnung, den der arme Kerl in den letzten Monaten zu spüren bekommt, wird mir jedenfalls langsam unheimlich.

Cancel Culture

Wenn es nach den Linken geht, ist jeder Rechte – das sind viele – mit gesellschaftlicher Ächtung abzustrafen. Am liebsten möchte man alle, die nicht der eigenen Meinung entsprechen, aus dem Diskurs herauskatapultieren. Cancel Culture ist ein Begriff, der die Runde macht, denn es geht längst nicht nur um politische Personen, Journalisten, Blogger, sondern auch um Publikationen oder Kultur im weiteren Sinn. Die Art und Weise, wie man dem Bio-Deutschen seinen ekelhaften Rassismus austreiben will, ist auch ein Beispiel für einen Eifer, der mir Angst macht. Für manche Leute scheint es einem gesteckten Ziel zu entsprechen, andere (vermeintlich rechte) Meinungen aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Vor allem kommt das von denen, die längst schon Twitter-Diskurs prägen. Ihr Bannstrahl trifft aber nicht nur solche wie den veganen Göbbels-Verschnitt, der ständig in den Trends zu finden ist. Es ist putzig, wie solche Leute immer noch behaupten, dass „man“ in einer Debatte halt auch die Gegenrede aushalten müsse. Dabei arbeiten sie mit Vollkampf daran, jede unliebsame Debatte im Keim zu ersticken und dafür die beklopptesten Nebenthemen auf die Agenda zu heben. Bücherverbrennung ist nicht weit. Im Grund gibt es sowas schon. Wenn man ernsthaft verlangt, dass Verlage ihre Buch- oder Filmangebote kritisch prüfen, ist das der Anfang. Ohne Grund hat der Begriff Cancel Culture nicht Hochjunktur.

Diskurs der Feinde

Die AfD wollen die Linken mit aller Macht aus dem politischen Diskurs raushalten. Sie fordern, dem Personal der Partei TV-Auftritte zu untersagen. Hält sich ein Sender nicht an die Wünsche, kriegt er Druck, neudeutsch: Shitstorm. Der Rbb hatte kürzlich den Ex-AfDler Kalbitz im Sommerinterview. Da war aber was los! Wie kann man diesen braunen Buben eine Plattform bieten? Und jetzt komm mir nur keiner mit der Hufeisen-Theorie. Die war doch schon out, als Lenin gerade die russische Revolution im April 1917 vom Ausland aus ausgerufen hatte.

Die SPD ist Sarrazin los und der will immer noch keine Ruhe geben und zivilrechtlich sein Recht durchsetzen. Manche Leute sind echt schmerzfrei oder haben viel Geld. Wer bei der Bundeswehr Offizier ist und irgendwas mit Social Media macht, der muss auf der Hut sein. Wehe du likt etwas, das gesellschaftlich nicht konform ist. Womit konform, fragst du? Na, mit dem, was linke Meinungsführer im Internet oder TV-Journalisten als konform bezeichnen. Genau weißt du es erst, wenn du ein Like für irgendwas von der AfD oder so abgegeben hast. Dann biste geliefert. Und wenn dann andere (Journalisten, rächts der Mitte) Partei für dich ergreifen und allerlei Unangenehmes über die Initiatoren der Denunziation (so nennt man das!) veröffentlichen, kriegste du die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen. So in der Art jedenfalls.


Großdemos mit Ansteckungspotenzial?

Erinnerst du dich noch an die Großdemo von Black Lives Matter, die vor ein paar Wochen in Berlin stattgefunden hat? Ich erinnere mich, dass diese Demonstration sehr wohlwollend von Politik und Medien begleitet wurde. Man tat schließlich was für die gute Sache. Nicht wie der „rechte Pöbel“, der gestern Berlin unsicher machte. Über den habe ich mich gestern schon ausgelassen.

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Viele äußerten sich skeptisch, weil auch die Teilnehmer an der BLM Demo nahebeieinander waren und nicht alle Maske getragen haben. Die Polizei war in diesem Fall sehr zurückhaltend. Nun, die Berliner Polizei setzte auf Deeskalation. Schließlich war’s ja eine linke Veranstaltung und es ging um Rassismus. Dafür liefen sich schon Journaille und Politik (Internet sowieso) gegenseitig den Hysterie-Rang ab. Außer dem Karl natürlich. Der hat auch bei diesem Anlass gesagt, was aus epidemiologischer Hinsicht davon zu halten ist. Ich fands richtig, was er dazu ausgeführt hat.

Man weiß es nicht genau. Aber angeblich soll die BLM-Demo keine Auswirkungen im Infektionsgeschehen gehabt haben. Dabei liegt diese Veranstaltung, die übrigens auch ca. 15.000 Teilnehmer hatte, inzwischen über eineinhalb Monate zurück. Wer kann den aktuellen Anstieg schon solchen Events zuordnen, für den Teilnehmer aus der ganzen Republik nach Berlin, Stuttgart oder Karlsruhe kamen? Die Zahl der Neuinfektionen steigt jedenfalls.

Wenn das so ist, hat das aber natürlich nichts mit den BLM-Demos überall im Land zu tun, sondern ganz ausschließlich mit der gestrigen Demo gegen die Corona-Maßnahmen, die von den üblichen Verdächtigen dafür auch ziemlich hart angegangen wurden. Auch von mir, wie ich anfügen will. Zur Ehrenrettung der BLM-Demonstranten muss ich aber erwähnen, dass die meisten (nach den TV-Bildern und Fotos, die ich gesehen habe) eine Maske trugen, während bei der gestrigen Demo nirgends eine zu sehen war. Warten wir ab, was die Zahlen hergeben.

Was ist eigentlich mit der Korrelation von Neuinfektionen und Testungen?

Eins noch zum Thema Zahlen. Kürzlich diskutierte ich mit einem Freund über die Entwicklung der Neuinfektionen. Er bemängelte, dass das RKI keine Vergleichszahlen anbieten würde. Es bestehe aber doch ein Zusammenhang zwischen den gestiegenen Neuinfektionen und der Ausweitung der Tests. Da hat er Recht. Warum wird das immer noch nicht gemeldet? Nun, ich habe ein bisschen recherchiert. Es gibt solche Zahlen. Die finden allerdings ihren Niederschlag in den täglichen, offiziellen Daten. Warum weiß ich auch nicht.

Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 30.7.2020), Epid Bull 30-31 2020 (PDF, 258 KB, Datei ist nicht barrierefrei)

Ich habe die Daten in Excel etwas ergänzt bzw. aufbereitet.

In der letzten Woche (KW 30) haben wir 563.553 Tests in Deutschland gesehen. Davon waren 0,8% positiv. Vergleicht man nun die Positivraten der vergangenen Wochen sieht man, dass sich diese Quoten nicht wesentlich verändert haben. Seit der KW 27 liegt die Anzahl der Tests zwischen 505 und 563′ wöchentlichen Tests. Das sind ziemlich statische Werte. Die kleine Theorie der Corona-Leugner, dass es doch klar sei, dass steigende Testzahlen steigende Neuinfektionen zur Folge haben, halte ich damit für widerlegt. Die Zunahme von Infektionen liegt nicht daran, dass mehr getestet wird. Die prozentuale Zunahme der Neuinfektionen gegenüber der Vorwoche ist deutlich höher als die der durchgeführten Testungen. Jemand anderer Ansicht?

Claudia hatte gestern ebenfalls zum Thema Debattenkultur einen Beitrag geschrieben, den ich hier gern verlinke: Link: Gewaltfantasien und Hass-Kommentare: auch „Covidioten“ sind Menschen! › Digital Diary – Claudia Klinger

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2 Gedanken zu „Diskurs wird mit allen Mitteln geführt“

  1. Es gibt immerwo Menschen die gegen Allles sind, was die große Mehrheit für „richtig“ erachten. Diese Menschen, die gegen „Alles“ sind, sind meist Menschen die das „Leben“ in vollen „zügen“ leben wollen, egal ob es der Mehrheit der Menschen schadet. Wenn es nachweislich „richtig“ ist, dann sind es für diese Menschen alles „Fakes“. Wenn Argumente richtig sind, dann sind es „Fakes“ weil es keine Gegenargumente gibt. Wenn Argumente ausgegangen sind, dann müssen diese Menschen „schreien“ das diese Menschen von der Mehrheit beachtet werden. Dann (!!!) fühlen sich diese Menschen wieder „wichtig“, weil diese Menschen beachtet werden, egal der Argumente! Das kommt davon, wenn Kinder kein Stubenarrest bekommen, wenn die Erziehung fehlt, weil die Mehrheit versäumt hat, diesen Menschen keine Grenzen aufzuerlegen und diese stattdessen „Laufen“ lassen. Am Ende fragt sich die Mehrheit warum „Trumpeltiere“ plötzlich „die Macht“ bekommen. Ich könnte Namen nennen, aber das lass ich besser, da ich noch nie Zeit hatte um zu „Protestieren“, weil ich täglich zur „Arbeit“ muss, ob es Spaß macht oder nicht – von etwas muss ich schon die Steuern zahlen, dass diese Menschen in Berlin – in der „Regenbogenstadt“ verprellen. Was lieber Horst sollen wir machen, außer „Laufen“ lassen. Da haben wir das Dilemma 😉

  2. Hallo Martin,

    wenn Mitglieder einer im Bundestag vertretenen Partei dann auch noch die angeblichen Teilnehmerzahlen schamlos fälschen, wächst u.U. die Zahl der Anhänger dieser Vollidioten weiter. Wie man unter diesen Voraussetzungen behaupten kann, es gehe dabei um einen Kampf für Freiheit und gegen Unterdrückung erschließt sich keinem, der noch bei Verstand ist. Ich fürchte, die Erde wurde lange vor Corona von einem neuartigen Virus heimgesucht. Wahrscheinlich ist, dass dieses Driss-Internet an den Entwicklungen großen Anteil hat. Leider ist das aber sakrosankt, kein Politiker (außer ein paar Autokraten (Trump inkl.) erlauben, das eine oder andere so zu reglementieren, dass die Art von Freiheitsdrang endlich wirksam eingehegt wird. Vor allem denke ich an Telegram oder die geschlossenen Gruppen von Facebook. Was da abgeht, gebiert, unterstützt und fördert eine Entwicklung, die bis zum Bürgerkrieg gehen könnte.

    Solange sich keiner mit der heiligen Kuh beschäftigen wird, wird es immer doller. Das mit dem Spiegel der Gesellschaft war immer ein falsches Bild, weil es die Dynamik und katalysatorischen Eigenschaften in keiner Weise berücksichtigt hat.

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