Vorwürfe an Katastrophenschutz, Bürgermeister und Landräte

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Mich beschäf­tigt seit län­ge­rer Zeit immer wie­der die glei­che Fra­ge. Vor­wür­fe gegen Poli­ti­ker und Ver­ant­wort­li­che in Behör­den und Ämtern, auch gegen Ehren­amt­ler, ver­ba­le Gewalt inklu­si­ve, neh­men immer mehr zu, vor allem wäh­rend der Pan­de­mie und nach der Flutkatastrophe.

Die Kri­tik an der Hand­lungs­wei­se von Men­schen ist so ein­fach. Es ist kei­ne Aus­nah­me mehr, dass in Kom­men­ta­ren und Tweets unflä­ti­ge Vor­wür­fe for­mu­liert oder sogar Rück­tritts­for­de­run­gen gestellt wer­den. Auch Letz­te­res geht ganz fix. Was damit lang­fris­tig aller­dings ange­rich­tet wer­den könn­te, schei­nen vie­le nicht auf dem Zet­tel zu haben. Viel­leicht steht im Vor­der­grund, per­sön­li­chen Frust abzu­bau­en. Dabei stört der Gedan­ke an ande­re nur. An den Zustand unse­res Gemein­we­sens (der Demo­kra­tie ins­ge­samt), so scheint es mir, den­ken vie­le nicht. 

Ich schrei­be das im aus­drück­li­chen Bewusst­sein, dass so vie­le Men­schen in phä­no­me­na­ler Art und Wei­se ihre Zeit und Kraft in den Dienst der Betrof­fe­nen in den Flut­ge­bie­ten stellen. 

Wer wohnt gern in einem solchen Land

Was macht es mit der Bevöl­ke­rung eines Lan­des, wenn Medi­en stän­dig berich­ten, wie schlecht alles orga­ni­siert ist (Mas­ken, Imp­fun­gen, War­nun­gen, Ren­te, sozia­le Unter­schie­de) und wenn gleich­zei­tig behaup­tet wird, wie wenig sich Poli­ti­ker (auf allen Ebe­nen) um die drän­gen­den The­men küm­mern? Gleich­zei­tig wird gern der Vor­wurf erho­ben, „die Poli­tik“ wür­de sich vor­nehm­lich um die Inter­es­sen mäch­ti­ger Lob­by­grup­pen kümmern.

Kurz gesagt, vie­le glau­ben, Poli­ti­ker und Behör­den­lei­ter machen kei­nen guten Job, sie wären inkom­pe­tent, unfä­hig oder über­for­dert. Das wird jeden frus­trie­ren, der nor­ma­ler­wei­se aus sei­ner ver­ant­wor­tungs­vol­len und schwie­ri­gen Arbeit für die All­ge­mein­heit eine Moti­va­ti­on ablei­tet, die es drin­gend braucht, um einen im Ver­gleich mit­tel­mä­ßig bezahl­ten, nichts­des­to­trotz aber exis­ten­zi­el­len Job für die Gesell­schaft zu leis­ten. Ich den­ke auch und vor allem an ehren­amt­li­che Bür­ger­meis­ter, Feu­er­wehr­leu­te, die THW Mit­ar­bei­ter aber auch deren Führung. 

Warum bereiten unsere Medien das Feld für die Feinde der Demokratie?

Die alle könn­ten sich von der gro­ßen Kri­tik wegen angeb­lich aus­ge­blie­be­ner Vor­war­nun­gen ange­spro­chen füh­len. Ich glau­be, vie­le tun das auch. Ist das fair? Ist es ange­bracht, ange­sichts einer Kata­stro­phe, die lei­der auch zu vie­len Toten führ­te? Dass unge­wöhn­lich gro­ße Regen­men­gen nie­der­ge­hen wer­den, war Tage zuvor bekannt, selbst wenn sie „nur“ den Wet­ter­be­richt im öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen, ein­ge­schal­tet haben. In man­chen Orten wur­den die Men­schen gewarnt, per Durch­sa­ge oder per Sire­ne. Die Fra­ge wird gestellt, ob man die Men­schen eines Behin­der­ten­heims hät­te in Sicher­heit brin­gen müs­sen? Nach wel­chen Kri­te­ri­en wäre dabei vor­zu­ge­hen gewe­sen? Konn­te damit gerech­net wer­den, dass die Was­ser­mas­sen an die­sem Ort in Sin­zig die­se Aus­wir­kun­gen haben? Und wo hät­te die Fra­ge auch an allen ande­ren Orten lau­ten müssen. 

Bis keiner mehr den Job machen will

Wer von denen, die heu­te ganz genau zu wis­sen glau­ben, wel­che Maß­nah­men in die­ser Lage ange­bracht wären, möch­te sich dazu äußern? Könn­ten sie oder er dafür die Ver­ant­wor­tung über­neh­men? Wo und in wel­chem Umfang hät­ten Eva­ku­ie­run­gen statt­fin­den müs­sen. Wären die Men­schen den Anord­nun­gen der Behör­den gefolgt mit wel­chen Reak­tio­nen hät­ten Poli­zei, Feu­er­weh­ren und Ord­nungs­äm­ter zu tun bekom­men? Ich könn­te mir gut vor­stel­len, wel­che Ansa­gen in einem sol­chen Fall von vie­len Sei­ten gekom­men wären.

Das vor 27 Jah­ren in Sin­zig als ers­te Wohn­stät­te für Men­schen mit Beein­träch­ti­gun­gen im Kreis Ahr­wei­ler fer­tig gestell­te Haus bot 36 Men­schen mit ver­schie­de­nen Beein­träch­ti­gun­gen ein Zuhau­se. Die Lebens­hil­fe hat­te nach eige­nen Anga­ben gera­de damit begon­nen, das Haus um einen Anbau zu erweitern.

Zwölf Tote im Sin­zi­ger Lebens­hil­fe­haus – SWR Aktuell

Wir wis­sen, bewirkt haben die Aktio­nen lei­der wenig. In Sin­zig sind zwölf Men­schen in einem Behin­der­ten­heim getö­tet wor­den. War das ein Unglück oder ist die Ver­ant­wor­tung für ihren Tod einem ein­zel­nen Ver­ant­wort­li­chen zuzu­ord­nen? War­um hat sich die frei­wil­li­ge Feu­er­wehr Sin­zig nicht zuerst um die­se Men­schen geküm­mert? War nicht allen Bür­ge­rIn­nen im Ort klar, dass die­se Men­schen auf­grund ihrer Behin­de­rung beson­ders ver­wund­bar waren? Wol­len wir das tun? Wol­len wir Feu­er­wehr­leu­te oder den Lei­ter die­ser Feu­er­wehr oder am Ende dem Bür­ger die­ses Ortes ange­sichts der gesam­ten Kata­stro­phe sol­che Fra­gen wirk­lich stel­len? Mög­lichst noch mit einem vor­wurfs­vol­len Unter­ton? Sin­zig hat etwas weni­ger Ein­woh­ner als mei­ne Hei­mat­stadt. Wer hat den Über­blick und ver­fügt anhand der Alar­mie­rungs­plä­ne über hin­rei­chen­de Infor­ma­tio­nen, um die Gefah­ren für solch eine Ein­rich­tung so ein­zu­schät­zen, dass die Men­schen recht­zei­tig hät­ten geret­tet wer­den können?

Warum gibt es die Bundespressekonferenz, warum sind „Anheizer“ wie Boris Reitschuster und Thilo Jung dabei? 

Thi­lo Jung befrag­te anläss­lich der Bun­des­pres­se­kon­fe­renz nach der Flut­ka­ta­stro­phe die Spre­che­rin eines Minis­te­ri­ums. Sie hat­te nicht die Ant­wort auf die Fra­ge parat, wann die War­nun­gen der EFAS die Regie­rungs­stel­len erreicht hät­ten und was im zeit­li­chen Ablauf damit gesche­hen wäre. Eine Fra­ge, die sug­ge­riert: Ihr seid eurer Ver­ant­wor­tung nicht nach­ge­kom­men, euer Ver­sa­gen hat Men­schen­le­ben gekos­tet. Ein Vor­wurf, den kei­ner ent­kräf­ten kann, der aller­dings eben­so wenig zu bewei­sen ist. 

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Die Spre­che­rin erklär­te, sie wer­de die Ant­wort „nach­rei­chen“. Ähn­li­che Rück­mel­dun­gen auf unter­schied­lichs­te Fra­gen habe ich wäh­rend einer Bun­des­pres­se­kon­fe­renz häu­fig gehört. In die­sem Fall wirk­te Jungs Ansa­ge nach die­ser Äuße­rung fast bru­tal. Sinn­ge­mäß fra­ge er die Spre­che­rin, wel­che Fra­gen sie denn zu die­sem Anlass der Bun­des­pres­se­kon­fe­renz erwar­tet habe. Das saß. 

Ver­gleich­ba­re Ver­wir­run­gen mel­den auch bel­gi­sche Medi­en für ihr Land:

Doch das König­li­che Meteo­ro­lo­gi­sche Insti­tut KMI hat laut Het Laats­te Nieuws wis­sen las­sen, dass es die Warn­mel­dun­gen des EFAS gar nicht abon­niert hat, weil das KMI sich nicht mit Über­schwem­mun­gen beschäf­ti­gen darf oder soll. Dies sei Zustän­dig­keit der Regio­nen. Statt­des­sen wur­den das föde­ra­le Kri­sen­zen­trum und die regio­na­len Umwelt­be­hör­den informiert.

Die Flut­warn­be­hör­de EFAS und der frag­wür­di­ge Informationsfluss

Die EFAS hat nach eige­ner Aus­sa­ge „die deut­schen Behör­den“ über die anste­hen­den Unwet­ter detail­liert infor­miert. Die War­nun­gen wur­den vom Deut­schen Wet­ter­dienst emp­fan­gen und wei­ter­ge­lei­tet. Wet­ter­be­rich­te brach­ten Unwetterwarnungen.

War die Wissenschaft wieder nicht einig?

Kachelm­ann schrieb, es habe lan­ge Vor­warn­zei­ten über „flä­chi­ge Regen­fäl­le der letz­ten Tage“ gege­ben. „Nur müss­te irgend­je­mand irgend­was in die­ser Zeit tun“, so Kachelm­ann wei­ter. Fol­ge­rich­tig, aus sei­ner Sicht, bezeich­net er NRW-Innen­mi­nis­ter Reul (CDU) als „Lüg­ner“. Er bezieht sich auf Reuls Aus­sa­ge: „Das Wesen von Kata­stro­phen ist, dass sie nicht vor­her­ge­sagt wer­den kön­nen. Das Wesen von Natur­ka­ta­stro­phen ist, dass sie erst recht nicht vor­her­ge­sagt wer­den kön­nen“. Vie­le Meteo­ro­lo­gen wuss­ten es bes­ser. Das soll, wie ich gelernt habe, bei Wis­sen­schaft­lern ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen ja nicht sel­ten der Fall sein!

Im Zusam­men­hang mit der Hoch­was­ser­la­ge in Deutsch­land wur­den im Zeit­raum vom 12. – 19.07.2021 280 Warn­mel­dun­gen, Aktua­li­sie­run­gen und Ent­war­nun­gen über das Modu­la­re Warn­sys­tem ver­sen­det. Die­se wur­den über MoWaS vom Deut­schen Wet­ter­dienst (DWD) sowie von den Behör­den der Län­der und der betrof­fe­nen Krei­se und Kom­mu­nen eigen­ver­ant­wort­lich ver­sen­det. Pro­to­kol­le der Warn­mel­dun­gen der Lan­des- und Kom­mu­nal­be­hör­den und des Deut­schen Wet­ter­diens­tes zur Hoch­was­ser­la­ge im Juli 2021 (zip, 47MB, Datei ist nicht barrierefrei)

Fokus­the­men – War­nung der Bevöl­ke­rung: Extrem­hoch­was­ser Juli 2021 – Bun­des­amt für Bevöl­ke­rungs­schutz und Katastrophenhilfe

Unter den bemer­kens­wert detail­rei­chen Beschrei­bun­gen der Abläu­fe der Unwet­ter fin­den sich gna­den­lo­se Schuld­zu­wei­sun­gen von Leu­ten, die, wie wahr­schein­lich die meis­ten von uns, nie die­se Art von Ver­ant­wor­tung getra­gen haben. Ver­mut­lich wür­den vie­le die­ser Leu­te die Über­nah­me einer ver­gleich­ba­ren Ver­ant­wor­tung rund­weg ableh­nen. Wenn ich dann lese, dass Rück­trit­te von Bür­ger­meis­tern und Land­rä­ten gefor­dert wer­den, weil die­se falsch bzw. nicht gehan­delt hät­ten, fra­ge ich mich, was die­se Leu­te sich eigent­lich vor­stel­len und wohin sol­che Beschul­di­gun­gen füh­ren sollen.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Demokratie Kritik Vorwürfe Zusammenhalt

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