Social-​Media-​Wut als politisches Korrektiv? Das ist so. Aber es ist IMHO destruktiv!

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Ich fin­de, Sascha Lobo hat die Lage in sei­ner heu­ti­gen Spiegel – Kolumne span­nend und im Großen und Ganzen zutref­fend beschrieben. 

Seine Diagnose trifft auch auf mich zu. Ob ich mich bzw. mei­ne Reaktionen auf den Afghanistan-​Gau als bigott emp­fin­de, weiß ich heu­te noch nicht. Es könn­te aber sein, dass die­se Einsicht noch kommt. 

Lobo hat eine Reihe wich­ti­ger Punkte ange­spro­chen, denen ich nur zustim­men kann. Wir brau­chen eine schlag­kräf­ti­ge Armee. Vor allem brau­chen wir mehr muti­ge Politiker, die sich trau­en, ihre Positionen ganz offen aus­zu­spre­chen. Auch, wenn es dafür Kritik hagelt. Hätten sich in Wahlkampfzeiten nicht zu vie­le Politiker vor den vie­len gefürch­tet, die alle Flüchtlinge am liebs­ten zum Teufel jagen wür­den und nicht in vor­aus­ei­len­dem Gehorsam den Satz: „2015 darf sich auf kei­nen Fall wie­der­ho­len” in die Mikrofone gebrab­belt, wäre die­se schreck­li­che Lage erst gar nicht ent­stan­den, weil wir die betref­fen­den Menschen längst in Sicherheit gebracht hätten. 

Mit ande­ren Worten: Ja, ich bin über­zeugt davon, dass die Politik aus Angst vor den unge­fähr 50 % der Bevölkerung, die Flüchtlinge ableh­nen, das Desaster ver­ur­sacht hat. Ob ich damit übers Ziel hin­aus­schie­ße? Das zu beur­tei­len über­las­se ich euch. 

Mich mit dem Gedanken zu begnü­gen, die Politik sei Opfer einer typisch deut­schen Bürokratie oder ihrer Bräsigkeit, wäre mir zu bil­lig. Die Atmosphäre im Land hat in die­se Sackgasse geführt, die jetzt viel­leicht vie­le Menschen in Afghanistan das Leben kos­ten könnte. 

Was jetzt getan wird, dürf­te ver­mut­lich nicht aus­rei­chend sein, die Fehler der letz­ten Monate aus­zu­bü­geln. Ich hof­fe, ich irre mich.

Ich gebe zu, auch ich nei­ge wie zu vie­le zur Voreiligkeit und zu vir­tu­el­len Gefühlsausbrüchen (qed). Meine Frau meint sogar, genau das gehe lang­sam flie­ßend ins Reallife über. Ob es am Alter liegt?

Lediglich eine – zuge­ge­be­ner­ma­ßen zen­tra­le Bewertung – tei­le ich abso­lut nicht:

Das Fatale ist lei­der, dass mit jedem nicht fak­ten­ge­deck­ten Ausbruch die Kraft der gerecht­fer­tig­ten Wut schwä­cher und irrele­van­ter wird. Und gera­de auf­rech­te Social-​Media-​Wut wird gebraucht. Sie ist ein wich­ti­ges poli­ti­sches Korrektiv.

Afghanistan und die Reaktionen in sozia­len Medien: Hilflose Übersprungswut – Kolumne – DER SPIEGEL

Dass ich an die­sem Punkt ande­rer Meinung bin, wird mei­ne Leser/​-​innen nicht wun­dern. Wenn die­se Äußerungen so bigott und vor­ei­lig sind, dann sind sie auch nicht dazu ange­tan, irgend­was in eine posi­ti­ve Richtung zu bewe­gen. Oder ist Aufregung, Wut und unan­ge­mes­se­ne, oft auch unge­recht­fer­tig­te Kritik an Politikern konstruktiv? 

Besonders gräss­lich fin­de ich, wenn ich fest­stel­le, dass ich (wie­der ein­mal) auf eine Falschmeldung her­ein­ge­fal­len bin und sie prompt ver­ar­bei­tet habe. Sei es „nur” in mei­ner Denkweise oder in einem Posting. Beides ist nicht nur pein­lich, son­dern es trägt zu einem Ruf bei, den eigent­lich kein Blogger braucht. Der Mensch ist ein ler­nen­des System. 


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7 Gedanken zu „Social-​Media-​Wut als politisches Korrektiv? Das ist so. Aber es ist IMHO destruktiv!“

  1. Für 50 K /​€ im Monat für einen Blog als Möchtegernpunk (mit dem Spiegel im Rücken) kann man das machen, wie Lobo.
    Der Rest soll­te es sich ein­fach mal überlegen. 

    Hier geht es um Aufmerksamkeitsökonomie. Die hält 4 Tage vor. Das betrifft auch Afghanistan. In zwei Wochen ist das Thema durch (da inzwi­schen eini­ge Firmen Ads gebucht haben) und wir reden über die lila Haarpracht unter den Achseln von XY.

  2. Da ich Spiegel-​Seiten auf mei­nen Geräten nicht auf­ru­fen kann, habe ich die Lobo-​Auslassungen nicht gele­sen. Zu dei­nen Anmerkungen aber kann ich sagen, dass IMO Social Media wie mei­net­we­gen Twitter für irgend­et­was Reflektiertes gar nicht geeig­net sind. Und auch nicht gedacht. Twitter ist ja gera­de­zu die Quintessenz eines rei­nen Trigger-​Response-​Verbalismus. Schnellstmögliches Aufheizen von Stimmungen und Emotionen, inhalt­li­che Substanz ist dabei meist irrelevant.

    Nach dem, was du schreibtst, scheint Lobo zu den­ken, dass man die Plattformen auch zu sub­stan­zi­el­len Diskussionen und Reaktionen auf Ereignisse nut­zen könn­te. Dass es dar­auf posi­tiv poli­tisch „ver­wert­ba­re” auf­rech­te Wut geben könne.

    Ich hal­te das für den Ausdruck von Hoffnungen, die vie­le der Medienpioniere des Internets auf die Möglichkeiten neu­er Medienplattformen gesetzt haben – und die barsch ent­täuscht wur­den. Weil die­se neu­en Medien selbst bekannt­lich nie auf die­se Möglichkeiten gesetzt, son­dern immer bloß auf mone­tär maxi­mal ver­wert­ba­re Geschäftsmodelle geach­tet haben.

    Es gibt schlicht kei­ne ande­ren als rein mone­tä­re Ideen hin­ter Twitter, Facebook, Instagram u.a. Alles ande­re ist (inzwi­schen) ent­täusch­ter Idealismus.

    Jetzt kann man ein­wen­den, dass doch gera­de zu beob­ach­ten ist, dass es poli­ti­sche Reaktionen auf die unspe­zi­fi­zier­te, wir­re Wut in den Plattformen gibt. Mag sein, aber auch die poli­ti­sche Reaktion folgt ja längst nur noch der immer kurz­at­mi­ge­ren Aufmerksamkeitsökonomie der Medien.

    Früher hieß es dort, wo poli­ti­sche Substanzlosigkeit herrsch­te: Was schert mich mein Geschwätz von gestern?
    Heute heißt es: Was schert mich mein Getwittere zwei Posts zuvor?

    Es wird inzwi­schen nur noch kurz­at­mig durchs Dorf getrie­ben, die Sau bleibt irri­tiert zurück und wun­dert sich…

  3. Ich pflich­te bei.

    Gestern mal einen Blick auf Twitter gewor­fen (weiss bezeich­nen­der­wei­se nicht mehr, wes­sen kom­men­tar ich dort las) und die sehr hit­zi­gen fol­ge­kom­men­ta­re. Das ist kein Boden, auf dem man umsich­tig dis­ku­tie­ren kann.

    Gesprächskultur ist aber auch gene­rell ein schwie­rig ding, eine hohe Kunst.

  4. Das war mal die Frage in einem Spiegelinterview. Daher hat sich mir das ein­ge­prägt. Es gibt nur Wenige, die den eige­nen Status preis gege­ben hät­ten. Dafür muss ich ihn lei­der sogar loben (50 k).

🫶 Freundlichkeit ist Revolution im Kleinen.

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