Jakob Augstein hat den erwarteten Beitrag im „Freitag“ geschrieben

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Viel Applaus bekommt Aug­stein für sei­nen Arti­kel. Weder sei­ne Sicht­wei­se noch die Zustim­mung über­ra­schen. Und Sahra Wagen­knecht fin­det Augsteins Text frei­lich auch ganz töf­te.

Mich hat es regel­recht ange­wi­dert, die­sen Quatsch zu lesen! Allein die­ser eine Satz ist so zynisch, dass es mich fast aus dem Ses­sel hob. Dabei bin ich Aug­stein-Fan. Ich muss wohl rich­ti­ger­wei­se sagen, ich war es.

Die Waf­fen des Wes­tens aber ver­län­gern das Leid des Krie­ges und wer­den an sei­nem Aus­gang nichts ändern. Wer die Kos­ten für den rus­si­schen Aggres­sor erhöht, erhöht sie auch für die ukrai­ni­schen Opfer. LINK

100 Mil­li­ar­den ǀ Gigan­ti­sches Rüs­tungs­pa­ket von Olaf Scholz ist gefähr­li­cher Irr­weg — der Freitag

Da gibts wenig Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum. Aug­stein mutet mit sei­ner Ein­zel­mei­nung der Ukrai­ne zu, mög­lichst schnell zu kapi­tu­lie­ren. Die­se Kapi­tu­la­ti­on hät­ten wir sei­ner Ansicht nach för­dern kön­nen, indem wir kein Geld und vor allem kei­ne Waf­fen dort­hin geschickt hät­ten. Was sagt die­se Fest­stel­lung über den Men­schen Aug­stein aus? Ist es so gemeint oder meint er es womög­lich „nur gut“ mit der Ukrai­ne. Und hat er die Ukrai­ne­rin­nen und die Ukrai­ner mal gefragt, wie sie dazu ste­hen, sich auf Bit­te des Herrn Aug­stein unter die Fuch­tel des tota­li­tä­ren Staa­tes zu bege­ben, den die­ser Wla­di­mir Putin führt? 

Die Fra­ge haben die Ukrai­ner längst beant­wor­tet, glau­be ich. Es sei denn, man folgt den Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern, die uns noch lei­se, aber sicher bald in übli­cher Laut­stär­ke davon erzäh­len wer­den, dass wir auf Pro­pa­gan­da her­ein­ge­fal­len wären. Wolo­dym­yr Selen­skyj und Vita­li Klit­sch­ko sind ja die Prot­ago­nis­ten, auf deren Behaup­tun­gen wir im Hin­blick auf die Kampf­be­reit­schaft der Ukrai­ne­rIn­nen wir her­ein­ge­fal­len sind… 

Dass vie­le Deut­sche, anders als Herr Aug­stein, hin­zu­ge­lernt haben und die Schluss­fol­ge­run­gen unse­rer Regie­rung des­halb für rich­tig hal­ten, über­rascht mich ehr­lich gesagt nicht, und ich hal­te die Zustim­mung in die­ser Bezie­hung sogar für nach­hal­tig. Aller­dings haben wir Deut­sche in unse­rer Eupho­rie wohl mit­un­ter poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen beklatscht und spä­ter ver­flucht. Ich erin­ne­re an den Aus­stieg aus der Atom­ener­gie und die Öff­nung der Gren­zen für Geflüch­te­te. Es gibt sicher wei­te­re Bei­spie­le die­ser Art. Coro­na wäre so eins. 

Im Blog „Vor­spei­sen­plat­te“ las ich ges­tern die­sen klu­gen Satz:

Doch die noch nicht über­wun­de­ne Coro­na-Pan­de­mie hat mich gelehrt, dass die­se Soli­da­ri­tät nur ein ers­ter Impuls als Reak­ti­on auf den Schreck über die Kata­stro­phe ist. LINK

Vor­spei­sen­plat­te » Blog Archi­ve » Jour­nal Rosen­mon­tag, 28. Febru­ar 2022 – Frei­er Tag mit Son­nen­schwim­men, der Ukrai­ne-Krieg schlägt ein

Wir waren geschockt genug von dem, was die meis­ten von uns sich wahr­schein­lich nicht vor­stel­len konn­ten. Dass Putin sei­ne Dro­hun­gen näm­lich tat­säch­lich wahr machen wür­de und dass die US-ame­ri­ka­ni­schen Geheim­diens­te mit ihrem Zin­no­ber tat­säch­lich rich­tig lagen, ist eine beklem­men­de, weil zusätz­lich uner­war­te­te Erkenntnis. 

Wir haben die Trump-Ära erlebt und die ers­ten vier Jah­re sei­ner Prä­si­dent­schaft heil über­stan­den. Hat die­ser Ein­druck, der sich schon bald ver­stär­ken könn­te, nicht gereicht, um zu erken­nen, dass es kein blo­ßes Gere­de von geschwät­zi­gen Poli­ti­kern und Medi­en­ver­tre­tern war, die for­der­ten, dass Euro­pa für sei­ne Ver­tei­di­gung selbst sor­gen müs­se und dass dies selbst­ver­ständ­lich in höchs­tem Maße auch für Deutsch­land gilt? Ich fin­de, wie ein klu­ger Mensch wie Aug­stein das ein­fach aus­blen­det bzw. abstrei­ten kann, kann nur eine Ursa­che haben. 

Er weiß, dass jede, selbst die kurio­ses­te Stim­me in die­sem Land eine ech­te Chan­ce dar­auf hat, Gehör zu fin­den, bes­ser gesagt, gera­de dann. Man muss nur die Ideen auf­grei­fen, von denen man aus­ge­hen kann, dass sie im heu­ti­gen Deutsch­land auf Nach­hall und Zustim­mung tref­fen. Wir haben das doch aus der Coro­na­kri­se gelernt, dach­te ich. Aber so ein­fach Sicht­wei­sen wie: Vie­le Köche ver­der­ben den Breit, ist halt abge­stan­de­ner Kaf­fee. Solch eine simp­le Wahr­heit stößt in die­sem Deutsch­land auf ihre Tod­fein­de. Aug­stein hät­te ger­ne noch ein paar Mona­te die Klap­pe hal­ten können. 

Augstein dürfte das gefallen

Scholz hat der Ukrai­ne zuge­sagt, u.a. Stin­ger-Rake­ten aus Bun­des­wehr­be­stän­den zur Ver­fü­gung zu stel­len. Ich dach­te, ich hät­te mich ver­hört, als ich heu­te hör­te, dass Stre­la-Rake­ten aus Bestän­den der NVA gelie­fert wür­den. Die sind aller­dings über 30 Jah­re alt und wur­den von der Bun­des­wehr wegen Funk­ti­ons­un­taug­lich­keit aus­ge­mus­tert. So berich­ten Medi­en (1, 2, 3) es heu­te. Wahr ist aber auch, dass die von Scholz expli­zit erwähn­ten 1.000 Pan­zer­ab­wehr­waf­fen und 500 Boden-Luft-Rake­ten vom Typ „Stin­ger“ bereits an die Ukrai­ne über­ge­ben wur­den. Die 2.700 Flug­ab­wehr­ra­ke­ten vom Typ „Stre­la“ haben also mit die­ser Zusa­ge nichts zu tun. Es wäre den­noch hoch­not­pein­lich, wenn Deutsch­land Waf­fen an die Ukrai­ne lie­fern wür­de, die zum gro­ßen Teil gar nicht funktionieren. 

Die Zei­ten haben sich geän­dert und viel­leicht wird man mit der Behaup­tung, dass frü­her ™ alles bes­ser gewe­sen wäre, so lang­sam aber sicher sei­nen Punkt machen. 

Für mich ist jeden­falls sicher, dass der von Aug­stein als Aus­weg aus künf­ti­gen Kon­flik­ten beschrie­be­ne Pazi­fis­mus kein Weg ist, den ich mit­ge­hen kann. Die Schweiz ist ein neu­tra­les Land und hat trotz­dem eine funk­tio­nie­ren­de Armee. Jeden­falls sind die Schwei­zer davon (wohl zu Recht) über­zeugt. Die­se Selbst­si­cher­heit möch­te ich eben­falls für Deutsch­land gewin­nen. Wie es heu­te um unse­re Bun­des­wehr steht, kann jeder selbst recher­chie­ren. Es ist trostlos!

Ob die zur Ver­fü­gung gestell­ten finan­zi­el­len Mit­tel und die damit ver­bun­de­ne „Aus­rüs­tung“ (als sol­che dif­fa­miert sie Aug­stein) die Bemü­hun­gen der Regie­rung eine Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit unse­res Lan­des erreicht, bleibt abzu­war­ten. Schein­bar sind die Struk­tu­ren der Bun­des­wehr in ähn­lich mise­ra­blem Zustand wie so vie­le ande­re öffent­li­che Insti­tu­tio­nen es uns in den ver­gan­ge­nen Jah­ren offen­bart haben.

Immer wie­der ver­gleicht Aug­stein in sei­nem Text Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart. Was er irgend­wie über­sieht, ist das Selbst­ver­ständ­nis und die unver­ständ­lich bis patho­lo­gi­sche Ver­hal­tens­wei­se der heu­ti­gen auto­ri­tä­ren Staats­füh­rer. Kim Jong-un, Trump, Erdo­gan, Putin und Xi Jin­ping ver­hal­ten sich ande­res als die „alte Gar­de“ der Sowjets es taten. Wir hat­ten Leu­te wie Egon Bahr, die so gefes­tigt und intel­lek­tu­ell bril­lant gewe­sen sind und denen das Heft von einem wie Putin viel­leicht nicht aus der Hand genom­men wor­den wäre. Ich emp­feh­le dazu die ein­schlä­gi­gen Quel­len. Bahr hat Brandts Ost­po­li­tik in so über­le­ge­ner Art und Wei­se gestal­tet, die man sich mit dem heu­ti­gen Per­so­nal kaum mehr vor­stel­len kann. Heu­te wird der Satz: „Wan­del durch Annä­he­rung“ eher ver­ächt­lich gemacht. Dass wir die­sem Kon­zept auch ein gro­ßes Stück des Jahr­zehn­te andau­ern­den Frie­dens zu ver­dan­ken haben, wird von die­sen Kri­ti­kern mit dümm­li­chen Kom­men­ta­ren negiert. Dass man es mit Chi­na in die­ser Hin­sicht scham­los über­trie­ben hat und die­ses Land erst zu dem Kan­di­da­ten für die „nächs­te Bedro­hung“ auf­ge­baut hat, darf in die­sem Kon­text nicht ver­schwie­gen werden.

Viel­leicht ist die­se Annah­me auch nur dar­auf zurück­zu­füh­ren, weil die Ver­hand­ler auf unse­rer Sei­te nicht mehr über das For­mat (mensch­li­che und intel­lek­tu­el­le Grö­ße) ver­fü­gen, das die Alten noch ein­brin­gen konn­ten? Ein Redak­teur (Jas­per von Alten­bo­ckum) der FAZ schrieb kürz­lich genau dar­über einen kur­zen Arti­kel. Zu sei­ner „Ehren­ret­tung“ muss ich sagen, dass er die­sen Text am letz­ten Sams­tag, also vor dem Sonn­tag, an sich Scholz zu neu­en Groß­ta­ten auf­mach­te. Die waren übri­gens, wie man lesen kann, nicht mal mit der eige­nen Frak­ti­ons­spit­ze (Müt­zenich) abge­spro­chen. Scholz wird gewusst haben, warum. 

Mein Fazit zum Aug­stein – Arti­kel: Hät­ten unse­re heu­ti­gen Poli­ti­ker die Klas­se frü­he­rer Gene­ra­tio­nen, hät­te Putins Angriffs­krieg so viel­leicht nicht statt­ge­fun­den. Jetzt sind wir nicht mehr in der Lage, unse­re Frie­dens­ren­di­te wei­ter ein­zu­strei­chen. Es ist an uns, die Nai­vi­tät beträcht­li­cher Tei­le der Nach­kriegs­ge­nera­tio­nen abzu­strei­fen und uns end­lich auf das ein­zu­stel­len, was ein­fach nicht mehr zu ver­mei­den ist. Wir müs­sen selbst Ver­ant­wor­tung für unse­re Wehr­haf­tig­keit über­neh­men. Die Ame­ri­ka­ner und die NATO allein wer­den es nicht (mehr) richten.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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2 Gedanken zu „Jakob Augstein hat den erwarteten Beitrag im „Freitag“ geschrieben“

  1. Ich mei­ne, wir befin­den uns hier in einem mora­li­schen Dilem­ma, das nicht leicht auf­zu­lö­sen ist. Man muss Aug­stein zugu­te hal­ten, dass er immer­hin eine der zwei mora­li­schen annehm­ba­ren Posi­tio­nen ein­nimmt und zwar die, wie in der Situa­ti­on noch mehr Leid zu ver­mei­den sei.

    Die Posi­ti­on ist schlecht ver­ein­bar mit der ande­ren für mich annehm­ba­ren mora­li­schen Posi­ti­on: Wir müs­sen ver­su­chen, auf lan­ge Sicht mehr Leid zu ver­hin­dern und das heißt im Moment, das Leid vie­ler Men­schen viel­leicht noch zu vergrößern.

    Ich nei­ge deut­lich stär­ker zur zwei­ten Posi­ti­on, nicht nur um län­ger­fris­tig Leid zu redu­zie­ren, son­dern auch um Prin­zi­pi­en zu ver­tei­di­gen und einem Auto­kra­ten Ein­halt zu gebie­ten, den Lügen ent­ge­gen­zu­ste­hen etc. Außer­dem ist es eine schwer durch­zu­hal­ten­de Posi­ti­on, einem sich ohne­hin ver­tei­di­gen­den Volk nicht mit dem dazu Nöti­gen zu unterstützen.

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