Lifestyle-Philosoph nennen boshafte Journalisten Richard David Precht. Deutschland sei eine Republik der Nörgler. Markus Lanz stellt ergänzend fest: „Alle sind der Meinung, es muss etwas geschehen, aber wenn etwas geschieht, dann gnade dir Gott!“. Die beiden haben hier doch einen Punkt. Oder? Und ich beklage mich, weil ich Vordenker, Vorbilder vermisse.
Es ist nun einmal so, dass die Wenigsten Lösungen präsentieren oder auch nur andeuten. Meckern, Stänkern und – natürlich üble Voraussagen bis hin zur Apokalypse liegen uns mehr. Ein Volk der Dichter und Denker waren wir angeblich. Das war möglicherweise immer schon etwas schönfärberisch. Wir wollen immer alles genau wissen, den Dingen auf den Grund gehen. Die Meinung anderer stört bei diesem Unterfangen. Wenn wir doch bloß zu einigermaßen überzeugenden Rückschlüssen kämen. Seht ihr, diese Unsicherheit meine ich. Dabei ist doch klar, dass uns die Abschottung (neudeutsch: Blase) nichts bringt. Den Transfer von Meinung und Wissen halte ich für elementar. Wir behindern ihn aber nach Kräften. Die Verengung des Meinungskorridors existiert. Wer kaum etwas über den anderen weiß, weil er nicht einmal mehr mit ihm nicht mehr reden will, wird sich schlimmstenfalls selbst nicht weiterentwickeln. Er schadet sich also selbst. Das hypermoralische Gehabe, das sich Bahn gebrochen hat, dürfte nur eine kurze Halbwertszeit haben. Und was folgt ihm?
Man könnte die insgesamt unterstellte, zugrundeliegende Unsicherheit mit Optimismus heilen. Dem etwa, den wir an den US-Amerikanern gelegentlich schätzen. Der Glaube an die Stärke der Nation ist hier nicht ausgeprägt. Ja, er ist nicht einmal gern gesehen. Das hat Gründe. Aber es tut uns nicht gut. Wir trauen uns selbst nicht über den Weg und das äußert sich in überkritischen Aussagen über Personen (Politiker, Wissenschaftler, Autoren) in Radio/-TV-Beiträgen und Zeitungsartikeln. Besonders beliebt sind dabei negative Aussagen ausländischer Meinungsmacher über Entwicklungen in unserem Land. Sie werden als neutrale Kritiker unserer hauseigenen Missstände gefeiert. Dabei sind sie Katalysatoren der schlechten Laune.
Parteiisch
Ich ertappe mich dabei, die parteipolitische Färbung von Menschen vorrangig zu hinterfragen. Ihre Sachaussagen sind sekundär. Prof. Hickel, Prof. Südekum, Prof. Fratzscher sind Experten, die im Augenblick von unserem ÖRR gern als Zeugen dafür gefragt sind, dass alles halb so schlimm wäre. Ach ja, ich weiß: die stehen doch dem grünen und linken Lager nahe. Da glaube ich lieber denen, die Deutschland ökonomisch den Bach runtergehen sehen! Die Stimmen dazwischen – derzeit häufig Vertreterinnen des Sachverständigenrates unserer Regierung (Prof. Schnitzer, Prof. Grimm) – bereiten uns auf erhebliche Wohlstandsverluste vor. Hickel, Südekum oder Fratzscher versuchen zu beschwichtigen.
Brandtexte
Ich halte mich manchmal lieber an Leute aus der Praxis. Einer der deutschen Top-Wirtschaftsleute, Wolfgang Reitzle, hat einen brisanten Text in der „Welt“ veröffentlicht. An diesem Text ist man wohl nur vorbeigekommen, wenn man kein Abo besitzt und an der Paywall hängengeblieben ist. Ein Freund mit Abo hat ihn mir netterweise geschickt.
Aber Achtung: Reitzle ist jemand, dem die größte Nähe aller deutschen Topmanager zu Putins Regime nachgesagt wird. In diesen Zeiten disqualifiziert so etwas Mensch wie Meinung. Dass er zudem der FDP nahestehen soll und häufig Kritisches über Angela Merkel verlauten ließ, rundet das Profil ab. Ich fürchte, solch ein Mann taugt als Orientierungshilfe nur für einen Teil der Deutschen. Er war einer der erfolgreichsten Manager Deutschlands. Ist so jemand ein guter Zeuge oder beeinflussten er und der Kapitalismus sich gegenseitig so stark, dass seine Kritik an Merkels Regierungsstil unausweichlich war? Ich denke, Reitzle liegt richtig.
Saskia Esken
Gestern lief ein weiteres Sommerinterview in der ARD. Tina Hassel sprach mit der SPD-Chefin Saskia Esken. Im Hinterkopf hatte ich, dass Frau Esken sich in des letzten Jahres eine gute Reputation erworben hat und sie nicht mehr so stark oberflächlichen Anfeindungen, wie zu Beginn ihrer Amtszeit, ausgesetzt ist. Dass es auch heute Menschen gibt, die weiterhin jede ihrer Äußerungen zerpflücken, liegt mMn hauptsächlich daran, dass sie eine Frau ist. Es ist traurig, dass immer wieder feststellen zu müssen.
Es ist lächerlich, wie mache ihr die Eignung für das Amt aufgrund ihrer Vita absprechen möchten. Vor allem Frauen, die keine genormten Lebensläufe vorweisen, weil sie länger als andere gebraucht haben, ihren Weg zu finden und schließlich auch noch drei Kinder geboren haben, scheinen für einige Idioten in diesem Land für politische Ämter ungeeignet.
Hassel schlug mit einer vermeintlich wohl pointierten Frage in diese Kerbe, allerdings in anderem Sinne. Sie erwähnte die besondere Kenntnis Eskens in der Gastronomie, weil sie ja früher mal gekellnert hätte (das liegt Jahrzehnte zurück). Es ist wahr! Weiß denn die ehemalige Kellnerin, ob es für die Gastronomiebranche gut wäre, wenn aufgrund der Probleme dieser Branche der Mehrwertsteuersatz weiterhin reduziert würde? Esken sprach sich dafür aus.
Das Interview, seine Wirkung auf die Öffentlichkeit, war aus Eskens Sicht suboptimal. Sie beschränkte sich sehr auf die Beschreibung von Problemen und gab uns Zuschauern wenig Anlass zum Optimismus.
Warum können Politiker nicht die Fragen von Journalisten beantworten? Die drängende Frage, wie die SPD-Chefin sich das weitere Vorankommen beim Wohnungsbau vorstellt, wurde nur in Ansätzen beantwortet und das auch nur nach gutem Zureden Hassels.
Dass die zuständige SPD-Ministerin Klara Geywitz an ihren Plänen festhält, obwohl die selbst gesteckten Ziele massiv verfehlt wurden, war für Esken unangenehm. Allgemeinplätze wie: Planung und Genehmigung müssen beschleunigt werden, kann man schon nicht mehr hören. Wann machen die das nun endlich? Gut, dass die Abschreibung degressiver gestaltet werden soll, ist auch nicht ganz neu. Wie weit ist die Regierung damit? Die SPD möchte also (auch bei diesem Thema) mit finanziellen Mitteln gegensteuern. Ob das zu schaffen ist, angesichts steigenden Zinsen, höheren Baustoffkosten und dem eklatanten Mangel an Arbeitskräften? Wer kann das schon beantworten. Politiker möchte man in diesen Zeiten nicht sein.
Wir wollen unser Land nicht in die Krise reden, so Esken sinngemäß. Psychologie hilft auch der Wirtschaft, fand Frau Esken. Bisschen mehr braucht es allerdings schon.
Insbesondere von der AfD und ihren Anhängern lese ich oft von der fehlenden Qualifikation von Politikern. Auch im Nachgang des Interviews entlud sich der Frust überwiegend männlicher Kommentatoren. Dort wurde dieses Thema zum millionsten Mal wiedergekäut. Frau Esken hat eine abgeschlossene Ausbildung als staatlich geprüfte Informatikerin. Sie hat in diesem Beruf mehrere Jahre lang gearbeitet.
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