Kein Thema zum Nachdenken?

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 8 Kommentare

Schwierig, die­se Zeiten. Ich weiß nicht mehr: soll ich mich über­haupt noch zu die­sem Thema äußern oder wür­de auch dies Anlass zur Kritik geben? Nicht, dass ich erwar­ten wür­de, dass sie sich hier im Blog nie­der­schla­gen wür­de. Dagegen spricht die Erfahrung, ein wenig auch die Einigelung in der sprich­wört­li­chen und schon legen­dä­ren Blase. Damit wären wir dann beim Thema.

Dabei ist die­se Möglichkeit doch einer der Vorteile, die uns die­ses Internet ver­schafft hat. Ich weiß noch, was man sich alles von den neu­en Medien verpro­chen hat. Das gabs nie, höchs­tens das Gefühl zu Beginn, als die Väter sol­cher Tools wie Twitter, Facebook etc. noch nicht erkenn­bar ande­re Absichten heg­ten als dem gemei­nen User Wege zur frei­en Meinungsäußerung zu ebnen.

Mehr Demokratie wagen? Hatte Willy Brandt das wohl gemeint, als er Anfang der 1970-​er Jahre die­se drei Worte zum Wahlkampfslogan machte?

„Die dis­kur­si­ve Überspitzung ist obs­zön im Angesicht des­sen, was die Menschen vor Ort gera­de erle­ben.„

Eva Menasse

Überspitzung ist ein Wort, dass mir in die­sem Zusammenhang nicht auf Anhieb ein­ge­fal­len wäre. Es stammt aus einem etwa ein­stün­di­gen Podcast von der »Zeit«. Darin ging es um Israel. Eva Menasse hat es gesagt. 

Die Klassifizierung dürf­te für so ziem­lich alle Themen gel­ten, die in die­sen auf­ge­reg­ten Zeiten in der Öffentlichkeit ver­han­delt wer­den. Gut, das mag jetzt über­trie­ben sein. Allerdings ist es im Moment auch beson­ders schlimm, da draußen. 

Eva Menasse hat sich dan­kens­wer­ter­wei­se mit den sozia­len Medien beschäf­tigt und ihre Erkenntnisse und Ansichten in einem lite­ra­ri­schen Essay zusam­men­ge­fasst – Titel: Alles und nichts sagen: Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne.

Ich muss­te ein­se­hen, dass das intel­lek­tu­el­le Niveau mei­ne Fähigkeit zumin­dest in Teilen über­stie­gen hat. Ich habe nicht alles ver­stan­den. Und das, obwohl ich das Hörbuch gekauft habe. Vielleicht hät­te ich doch das Buch kau­fen sollen? 

Die grund­sätz­li­che Bewertung, darf ich glau­be ich sagen, liegt ganz auf mei­ner Linie. Frau Menasse drückt sich Gott sei Dank anders aus als ich es über­haupt könn­te. Sie steigt sehr viel tie­fer in die Materie ein, beschränkt sich nicht, wie ich hier, aufs Schimpfen. Zu mei­ner Entschuldigung will ich noch ein­mal sagen, dass mich zu vie­le Themen emo­tio­nal so stark anfas­sen, dass ich zum Überziehen nei­ge und – wohl aus Unsicherheit – an die­ser oder jener Stelle aus­ufe­re. Wohl auch in der Sorge miss­ver­stan­den wer­den zu können.

Zieht sich eine libe­ra­le Gesellschaft gera­de den Boden weg, auf dem sie fest ste­hen soll­te? Ein Essay dar­über, was die digi­ta­le Massenkommunikation zwi­schen­mensch­lich anrichtet.

Nichts hat das Zusammenleben so umfas­send ver­än­dert wie die Digitalisierung – wir den­ken, füh­len und strei­ten anders, seit wir dau­er­ver­netzt und über­in­for­miert sind. Die Auswirkungen betref­fen alle, egal, wie sehr sie die neu­en Medien über­haupt nut­zen. Es ist ein Stresstest für die Gesellschaft: Der Überfluss an Wissen, Geschwindigkeit, Transparenz und Unlöschbarkeit ist, unk­a­na­li­siert, kein Wert an sich.

Demokratiepolitisch bedeut­sam wird dies bei der viel­be­schwo­re­nen Debattenkultur. Denn die Umgangsformen der soge­nann­ten Sozialen Medien haben längst auf die ande­ren Arenen über­ge­grif­fen, Politik und Journalismus spie­len schon nach den neu­en, erbar­mungs­lo­se­ren Regeln. Früher aner­kann­te Autoritäten wer­den im Dutzend abge­räumt, ohne dass neue nach­kom­men, an die Stelle des bes­se­ren Arguments ist die knap­pe Delegitimierung des Gegners getre­ten. Eine funk­tio­nie­ren­de Öffentlichkeit – als Marktplatz der Meinungen und Ort gesell­schaft­li­cher Klärung – scheint es, wenn über­haupt, nur noch in Bruchstücken zu geben.

In ihrem Essay kreist Eva Menasse um die Fragen, die sie seit vie­len Jahren beschäf­ti­gen: vor allem um einen offen­bar hoch anste­cken­den Irrationalismus und eine ätzen­de Skepsis, vor denen nie­mand gefeit ist.

Um mich geht es dabei ja über­haupt nicht. Hinter die­ser Erkenntnis steckt auch ein wenig Menasse. 

Ich iden­ti­fi­zier­te mich als Teil der Zielgruppe. 

Ein Aspekt, den ich zwar ken­ne, aber geflis­sent­lich über­hö­re, ist die Isolation durch zu viel Internet-​Zeit. Was wir unse­ren Kindern, in unse­rem Fall unse­rem Großneffen und unse­rer Großnichte pre­di­gen, gilt natür­lich nicht für mich. Mein Rechner ver­rät mir auf Wunsch, wie viel Zeit ich mit ihm ver­bracht habe. Massenhaft viel. Ich gehö­re zu denen, die alles mit­neh­men. Möglichst auch jede Talkshow. Dass ich mich fast immer dabei ärge­re, hält mich nicht ab. Es ist ja so, dass im Suchtkontext eini­ges ähn­lich funktioniert.

Man wird eben älter und im »Tagesspiegel« schrieb Sabine Rennefanz gera­de erst, wie der Freundschaftsschrumpf schon mit unge­fähr 50 ein­ge­setzt hat. Das Wort muss sie eigens kre­iert haben. Ich glau­be, dass das Internet eine Rolle spie­len wird, sozia­le Kontakte nicht völ­lig ver­öden zu las­sen. Das wäre ein Widerspruch. Aber nur inso­fern, als es nicht über­trie­ben wer­den darf, denn es gilt nun ein­mal auch hier: Die Menge macht auch hier das Gift.

Es macht an die­ser Stelle wenig Sinn, die tief­grei­fen­den, umfas­sen­den Gedanken von Frau Menasse auf­zu­ar­bei­ten oder inter­es­san­te Zitate her­aus­zu­pi­cken und die­se hier einzufügen. 

Sie hat so recht! 

Mir liegt dar­an, dass die am Thema Interessierten auf die­sem Weg den Hinweis erhal­ten, dass sich ein sehr klu­ger Mensch vie­le Gedanken um das Thema gemacht hat. 

Illusionen mache ich mir kei­ne. So wie ich mein Verhalten im Hinblick auf die Droge Internet nicht zu ändern bereit bin, wird es bei den aller­meis­ten die­ser Spezies sein. Auch nach der Lektüre des Essays. 


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8 Gedanken zu „Kein Thema zum Nachdenken?“

  1. Ich müss­te erst das Buch lesen. Die Auszüge rei­chen mir nicht, jedoch ist das eine Thematik mit der ich abge­schlos­sen habe. 

    Es war nicht klug, die­ses Abfallprodukt der Militärtechnik der Masse zur Verfügung zu stel­len und mit­tels nar­ziss­ti­scher Belohnungssysteme (Software) als Kommunikator zu verkaufen.

    Technische Fortschritt hin oder her.

  2. Ich bin nicht sicher, dass ich es lesen mag. Das Buch. Ich ken­ne unge­fähr die Stoßrichtung, in die es geht.

    Für mich war das WorldWideWeb immer eine Bereicherung mei­ner Möglichkeiten. Ich habe mei­nen Lern- und Erfahrungshorizont unfass­bar erwei­tern kön­nen – und ich tue das heu­te noch. Lernen, mei­nen Horizont erweitern. 

    Die „Social Networks” haben mich seit deren ers­ten Auftreten nie inter­es­siert. Sie waren nie und sind bis heu­te nicht geeig­net, mei­ner Internet-​Nutzung, mei­nen Zielen und Erwartungen im Netz irgend­et­was von Belang hin­zu­zu­fü­gen. Zugegeben, inzwi­schen nut­ze ich ein biss­chen Mastodon, aber das ist für mich eher ein biss­chen Neugier, ver­bun­den mit der Möglichkeit, mal kurz etwas zur Kenntnis zu neh­men und auch mal kurz was zu kommentieren.

    Es ist IMO über­haupt kei­ne Debattenkultur in den Netzwerken ver­lo­ren gegan­gen oder gar zer­stört wor­den – es hat nie eine dar­in gege­ben. Es ist ein völ­li­ger, gera­de­zu irra­tio­na­ler Irrglaube, dass man auf Twitter, Facebook, TikTok oder Instagram gesell­schaft­li­che Debatten füh­ren könn­te. Das geht gar nicht.

    Gesellschaftliche Debatten erfor­dern ela­bo­rier­te Entwicklungen von Gedanken und Ideen und in die Details gehen­de Diskussionen zu Für und Wider. Das wie­der­um erfor­dert unbe­dingt Zeit, Ausdauer und einen brei­ten dis­kur­si­ven Hintergrund.

    Eine gut ver­netz­te Bloggerszene, die von pri­va­ten Bloggern über insti­tu­tio­nel­le (fach­wis­sen­schaft­li­che) Teilnehmer bis hin­ein in die poli­ti­sche Szenerie reich­te, hät­te ein geeig­ne­tes Umfeld auf der Basis des Internets wer­den kön­nen, weil Blogs prin­zi­pi­ell als schrift­li­che Plattformen geeig­net sind und auch die wich­ti­ge zeit­li­che Komponente für frucht­ba­re Diskurse gege­ben wäre. Aber:

    Haben wir nicht (mehr). Oder nie wirk­lich gehabt.

    Das Dilemma ist IMO also vor allem, das heu­te über­haupt gar kei­ne gesell­schaft­li­che Debatte statt­fin­det. Selbst die in Ansätzen – und für Ansätze – ehe­mals geeig­ne­ten TV-​Formate (Talkshows) sind in der Entwicklung zur sekun­den­ge­tak­te­ten Aufmerksamkeits-​Ökonomie vor die Hunde gegan­gen und in mög­lichst lau­te, geschwät­zi­ge Beliebigkeit abgestürzt.

    Was heu­te nur noch statt­fin­det, ist Stammtisch. Entweder sind alle einer Meinung, dann ist die Welt in Ordnung. Oder es gibt Streit. Aber es gibt kei­ne Diskussion, kei­nen Diskurs. Es gilt ledig­lich Rudelverhalten, inner­halb des­sen die Meinung des Alphatieres den Stand der Auseinandersetzung bestimmt.

    Und dar­aus folgt dann in der Prioritäten-​Festlegung die­se wirk­lich bizar­re Realitätsverzerrung des­sen, was wirk­lich zen­tra­le Probleme der Welt sind und was eben nicht.

    Wie ich neu­lich schon mal andeu­te­te, amü­siert es mich gele­gent­lich (und immer öfter) wirk­lich, die­ses gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Scheitern auf prak­tisch allen Ebenen zu beobachten.

  3. Du hast natür­lich recht, denn Stammtisch klas­sisch hat­te nie­mals die Wirkung wie heu­te die soge­nann­ten Sozialen Medien. Es gab ja kei­ne Vernetzung wie heu­te. Was es aller­dings gab, war die straf­fe rechts­ra­di­ka­le Dressur der Stammtische im gesam­ten Land durch die Springer-„Presse”.

    Heute braucht es kei­nen gro­ßen redak­tio­nel­len Apparat mehr zur kon­se­quen­ten Gehirnwäsche gan­zer Bevölkerungsgruppen wie zu gro­ßen BILD-​Zeiten, nebst macht­vol­lem Verlagsapparat dahinter.

    Heute rei­chen meist lei­der ein paar weni­ge Schreihälse in ihren bil­li­gen Youtube-​Fensterchen, um gan­ze Massen zu verblöden.

  4. Der von dir ver­link­te pod­cast auf Zeit-​Online mit Frau Menasse stand die gan­ze Zeit schon auf mei­ner Agenda, heu­te habe ich ihn mir ange­hört. Hat mir außer­or­dent­lich gut gefal­len. Die Aussagen und Bewertungen von Frau Menasse tei­le ich in allen Punkten exakt wie sie. Da sag ich doch mal dan­ke an dich, für die­sen bra­vou­rö­sen Tip.

☕ Bleibt neugierig, bleibt menschlich.

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