Kein Thema zum Nachdenken?

War­um gilt eigent­lich der alte Spon­ti-Spruch: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, nicht mehr? Rio Rei­ser wuss­te damals noch nichts von den aso­zia­len Netzwerken.

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Schwie­rig, die­se Zei­ten. Ich weiß nicht mehr: soll ich mich über­haupt noch zu die­sem The­ma äußern oder wür­de auch dies Anlass zur Kri­tik geben? Nicht, dass ich erwar­ten wür­de, dass sie sich hier im Blog nie­der­schla­gen wür­de. Dage­gen spricht die Erfah­rung, ein wenig auch die Ein­ige­lung in der sprich­wört­li­chen und schon legen­dä­ren Bla­se. Damit wären wir dann beim Thema.

Dabei ist die­se Mög­lich­keit doch einer der Vor­tei­le, die uns die­ses Inter­net ver­schafft hat. Ich weiß noch, was man sich alles von den neu­en Medi­en verpro­chen hat. Das gabs nie, höchs­tens das Gefühl zu Beginn, als die Väter sol­cher Tools wie Twit­ter, Face­book etc. noch nicht erkenn­bar ande­re Absich­ten heg­ten als dem gemei­nen User Wege zur frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung zu ebnen.

Mehr Demo­kra­tie wagen? Hat­te Wil­ly Brandt das wohl gemeint, als er Anfang der 1970-er Jah­re die­se drei Wor­te zum Wahl­kampf­slo­gan machte?

„Die dis­kur­si­ve Über­spit­zung ist obs­zön im Ange­sicht des­sen, was die Men­schen vor Ort gera­de erle­ben.„

Eva Men­as­se

Über­spit­zung ist ein Wort, dass mir in die­sem Zusam­men­hang nicht auf Anhieb ein­ge­fal­len wäre. Es stammt aus einem etwa ein­stün­di­gen Pod­cast von der »Zeit«. Dar­in ging es um Isra­el. Eva Men­as­se hat es gesagt. 

Die Klas­si­fi­zie­rung dürf­te für so ziem­lich alle The­men gel­ten, die in die­sen auf­ge­reg­ten Zei­ten in der Öffent­lich­keit ver­han­delt wer­den. Gut, das mag jetzt über­trie­ben sein. Aller­dings ist es im Moment auch beson­ders schlimm, da draußen. 

Eva Men­as­se hat sich dan­kens­wer­ter­wei­se mit den sozia­len Medi­en beschäf­tigt und ihre Erkennt­nis­se und Ansich­ten in einem lite­ra­ri­schen Essay zusam­men­ge­fasst – Titel: Alles und nichts sagen: Vom Zustand der Debat­te in der Digi­tal­mo­der­ne.

Ich muss­te ein­se­hen, dass das intel­lek­tu­el­le Niveau mei­ne Fähig­keit zumin­dest in Tei­len über­stie­gen hat. Ich habe nicht alles ver­stan­den. Und das, obwohl ich das Hör­buch gekauft habe. Viel­leicht hät­te ich doch das Buch kau­fen sollen? 

Die grund­sätz­li­che Bewer­tung, darf ich glau­be ich sagen, liegt ganz auf mei­ner Linie. Frau Men­as­se drückt sich Gott sei Dank anders aus als ich es über­haupt könn­te. Sie steigt sehr viel tie­fer in die Mate­rie ein, beschränkt sich nicht, wie ich hier, aufs Schimp­fen. Zu mei­ner Ent­schul­di­gung will ich noch ein­mal sagen, dass mich zu vie­le The­men emo­tio­nal so stark anfas­sen, dass ich zum Über­zie­hen nei­ge und – wohl aus Unsi­cher­heit – an die­ser oder jener Stel­le aus­ufe­re. Wohl auch in der Sor­ge miss­ver­stan­den wer­den zu können.

Zieht sich eine libe­ra­le Gesell­schaft gera­de den Boden weg, auf dem sie fest ste­hen soll­te? Ein Essay dar­über, was die digi­ta­le Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen­mensch­lich anrichtet.

Nichts hat das Zusam­men­le­ben so umfas­send ver­än­dert wie die Digi­ta­li­sie­rung – wir den­ken, füh­len und strei­ten anders, seit wir dau­er­ver­netzt und über­in­for­miert sind. Die Aus­wir­kun­gen betref­fen alle, egal, wie sehr sie die neu­en Medi­en über­haupt nut­zen. Es ist ein Stress­test für die Gesell­schaft: Der Über­fluss an Wis­sen, Geschwin­dig­keit, Trans­pa­renz und Unlösch­bar­keit ist, unk­a­na­li­siert, kein Wert an sich.

Demo­kra­tie­po­li­tisch bedeut­sam wird dies bei der viel­be­schwo­re­nen Debat­ten­kul­tur. Denn die Umgangs­for­men der soge­nann­ten Sozia­len Medi­en haben längst auf die ande­ren Are­nen über­ge­grif­fen, Poli­tik und Jour­na­lis­mus spie­len schon nach den neu­en, erbar­mungs­lo­se­ren Regeln. Frü­her aner­kann­te Auto­ri­tä­ten wer­den im Dut­zend abge­räumt, ohne dass neue nach­kom­men, an die Stel­le des bes­se­ren Argu­ments ist die knap­pe Dele­gi­ti­mie­rung des Geg­ners getre­ten. Eine funk­tio­nie­ren­de Öffent­lich­keit – als Markt­platz der Mei­nun­gen und Ort gesell­schaft­li­cher Klä­rung – scheint es, wenn über­haupt, nur noch in Bruch­stü­cken zu geben.

In ihrem Essay kreist Eva Men­as­se um die Fra­gen, die sie seit vie­len Jah­ren beschäf­ti­gen: vor allem um einen offen­bar hoch anste­cken­den Irra­tio­na­lis­mus und eine ätzen­de Skep­sis, vor denen nie­mand gefeit ist.

Um mich geht es dabei ja über­haupt nicht. Hin­ter die­ser Erkennt­nis steckt auch ein wenig Menasse. 

Ich iden­ti­fi­zier­te mich als Teil der Zielgruppe. 

Ein Aspekt, den ich zwar ken­ne, aber geflis­sent­lich über­hö­re, ist die Iso­la­ti­on durch zu viel Inter­net-Zeit. Was wir unse­ren Kin­dern, in unse­rem Fall unse­rem Groß­nef­fen und unse­rer Groß­nich­te pre­di­gen, gilt natür­lich nicht für mich. Mein Rech­ner ver­rät mir auf Wunsch, wie viel Zeit ich mit ihm ver­bracht habe. Mas­sen­haft viel. Ich gehö­re zu denen, die alles mit­neh­men. Mög­lichst auch jede Talk­show. Dass ich mich fast immer dabei ärge­re, hält mich nicht ab. Es ist ja so, dass im Sucht­kon­text eini­ges ähn­lich funktioniert.

Man wird eben älter und im »Tages­spie­gel« schrieb Sabi­ne Renne­fanz gera­de erst, wie der Freund­schafts­schrumpf schon mit unge­fähr 50 ein­ge­setzt hat. Das Wort muss sie eigens kre­iert haben. Ich glau­be, dass das Inter­net eine Rol­le spie­len wird, sozia­le Kon­tak­te nicht völ­lig ver­öden zu las­sen. Das wäre ein Wider­spruch. Aber nur inso­fern, als es nicht über­trie­ben wer­den darf, denn es gilt nun ein­mal auch hier: Die Men­ge macht auch hier das Gift.

Es macht an die­ser Stel­le wenig Sinn, die tief­grei­fen­den, umfas­sen­den Gedan­ken von Frau Men­as­se auf­zu­ar­bei­ten oder inter­es­san­te Zita­te her­aus­zu­pi­cken und die­se hier einzufügen. 

Sie hat so recht! 

Mir liegt dar­an, dass die am The­ma Inter­es­sier­ten auf die­sem Weg den Hin­weis erhal­ten, dass sich ein sehr klu­ger Mensch vie­le Gedan­ken um das The­ma gemacht hat. 

Illu­sio­nen mache ich mir kei­ne. So wie ich mein Ver­hal­ten im Hin­blick auf die Dro­ge Inter­net nicht zu ändern bereit bin, wird es bei den aller­meis­ten die­ser Spe­zi­es sein. Auch nach der Lek­tü­re des Essays. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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8 Gedanken zu „Kein Thema zum Nachdenken?“

  1. Juri Nello 470 14. November 2023 um 20:47

    Ich müss­te erst das Buch lesen. Die Aus­zü­ge rei­chen mir nicht, jedoch ist das eine The­ma­tik mit der ich abge­schlos­sen habe. 

    Es war nicht klug, die­ses Abfall­pro­dukt der Mili­tär­tech­nik der Mas­se zur Ver­fü­gung zu stel­len und mit­tels nar­ziss­ti­scher Beloh­nungs­sys­te­me (Soft­ware) als Kom­mu­ni­ka­tor zu verkaufen.

    Tech­ni­sche Fort­schritt hin oder her.

  2. Ich bin nicht sicher, dass ich es lesen mag. Das Buch. Ich ken­ne unge­fähr die Stoß­rich­tung, in die es geht.

    Für mich war das World­Wi­de­Web immer eine Berei­che­rung mei­ner Mög­lich­kei­ten. Ich habe mei­nen Lern- und Erfah­rungs­ho­ri­zont unfass­bar erwei­tern kön­nen – und ich tue das heu­te noch. Ler­nen, mei­nen Hori­zont erweitern. 

    Die „Social Net­works“ haben mich seit deren ers­ten Auf­tre­ten nie inter­es­siert. Sie waren nie und sind bis heu­te nicht geeig­net, mei­ner Inter­net-Nut­zung, mei­nen Zie­len und Erwar­tun­gen im Netz irgend­et­was von Belang hin­zu­zu­fü­gen. Zuge­ge­ben, inzwi­schen nut­ze ich ein biss­chen Mast­o­don, aber das ist für mich eher ein biss­chen Neu­gier, ver­bun­den mit der Mög­lich­keit, mal kurz etwas zur Kennt­nis zu neh­men und auch mal kurz was zu kommentieren.

    Es ist IMO über­haupt kei­ne Debat­ten­kul­tur in den Netz­wer­ken ver­lo­ren gegan­gen oder gar zer­stört wor­den – es hat nie eine dar­in gege­ben. Es ist ein völ­li­ger, gera­de­zu irra­tio­na­ler Irr­glau­be, dass man auf Twit­ter, Face­book, Tik­Tok oder Insta­gram gesell­schaft­li­che Debat­ten füh­ren könn­te. Das geht gar nicht.

    Gesell­schaft­li­che Debat­ten erfor­dern ela­bo­rier­te Ent­wick­lun­gen von Gedan­ken und Ideen und in die Details gehen­de Dis­kus­sio­nen zu Für und Wider. Das wie­der­um erfor­dert unbe­dingt Zeit, Aus­dau­er und einen brei­ten dis­kur­si­ven Hintergrund.

    Eine gut ver­netz­te Blog­ger­sze­ne, die von pri­va­ten Blog­gern über insti­tu­tio­nel­le (fach­wis­sen­schaft­li­che) Teil­neh­mer bis hin­ein in die poli­ti­sche Sze­ne­rie reich­te, hät­te ein geeig­ne­tes Umfeld auf der Basis des Inter­nets wer­den kön­nen, weil Blogs prin­zi­pi­ell als schrift­li­che Platt­for­men geeig­net sind und auch die wich­ti­ge zeit­li­che Kom­po­nen­te für frucht­ba­re Dis­kur­se gege­ben wäre. Aber:

    Haben wir nicht (mehr). Oder nie wirk­lich gehabt.

    Das Dilem­ma ist IMO also vor allem, das heu­te über­haupt gar kei­ne gesell­schaft­li­che Debat­te statt­fin­det. Selbst die in Ansät­zen – und für Ansät­ze – ehe­mals geeig­ne­ten TV-For­ma­te (Talk­shows) sind in der Ent­wick­lung zur sekun­den­ge­tak­te­ten Auf­merk­sam­keits-Öko­no­mie vor die Hun­de gegan­gen und in mög­lichst lau­te, geschwät­zi­ge Belie­big­keit abgestürzt.

    Was heu­te nur noch statt­fin­det, ist Stamm­tisch. Ent­we­der sind alle einer Mei­nung, dann ist die Welt in Ord­nung. Oder es gibt Streit. Aber es gibt kei­ne Dis­kus­si­on, kei­nen Dis­kurs. Es gilt ledig­lich Rudel­ver­hal­ten, inner­halb des­sen die Mei­nung des Alpha­tie­res den Stand der Aus­ein­an­der­set­zung bestimmt.

    Und dar­aus folgt dann in der Prio­ri­tä­ten-Fest­le­gung die­se wirk­lich bizar­re Rea­li­täts­ver­zer­rung des­sen, was wirk­lich zen­tra­le Pro­ble­me der Welt sind und was eben nicht.

    Wie ich neu­lich schon mal andeu­te­te, amü­siert es mich gele­gent­lich (und immer öfter) wirk­lich, die­ses gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Schei­tern auf prak­tisch allen Ebe­nen zu beobachten.

  3. Du hast natür­lich recht, denn Stamm­tisch klas­sisch hat­te nie­mals die Wir­kung wie heu­te die soge­nann­ten Sozia­len Medi­en. Es gab ja kei­ne Ver­net­zung wie heu­te. Was es aller­dings gab, war die straf­fe rechts­ra­di­ka­le Dres­sur der Stamm­ti­sche im gesam­ten Land durch die Springer-„Presse“.

    Heu­te braucht es kei­nen gro­ßen redak­tio­nel­len Appa­rat mehr zur kon­se­quen­ten Gehirn­wä­sche gan­zer Bevöl­ke­rungs­grup­pen wie zu gro­ßen BILD-Zei­ten, nebst macht­vol­lem Ver­lags­ap­pa­rat dahinter.

    Heu­te rei­chen meist lei­der ein paar weni­ge Schrei­häl­se in ihren bil­li­gen You­tube-Fens­ter­chen, um gan­ze Mas­sen zu verblöden.

  4. Der von dir ver­link­te pod­cast auf Zeit-Online mit Frau Men­as­se stand die gan­ze Zeit schon auf mei­ner Agen­da, heu­te habe ich ihn mir ange­hört. Hat mir außer­or­dent­lich gut gefal­len. Die Aus­sa­gen und Bewer­tun­gen von Frau Men­as­se tei­le ich in allen Punk­ten exakt wie sie. Da sag ich doch mal dan­ke an dich, für die­sen bra­vou­rö­sen Tip.

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