Wenn die Jahre rasen: Eine Reflexion über das Älterwerden

Die Wahr­neh­mung der Zeit beschleu­nigt sich mit zuneh­men­dem Alter, da Rou­ti­nen domi­nie­ren und neue Erfah­run­gen sel­te­ner wer­den, was die Bedeu­tung jedes Augen­blicks im Leben verstärkt.

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Tief­grün­di­ge Gedan­ken über das Älter­wer­den errei­chen uns nicht etwa erst im fort­ge­schrit­te­nen Alter. Ins­be­son­de­re in die­sen unsi­che­ren, oft beängs­ti­gen­den Zei­ten rapi­der Ver­än­de­run­gen sind sie selbst bei den ganz Jun­gen aus­zu­ma­chen. Und doch gibt es einen Unter­schied in der Wahr­neh­mung, der mich auch nicht seit ges­tern beschäf­tigt: War­um scheint es, dass die Jah­re, die uns einst end­los erschie­nen, mit jedem Geburts­tag schnel­ler an uns vor­bei­zie­hen? Ich bin 70 und ein klei­ner Trost ist, dass vie­le, die mir etwas bedeu­ten, (Gott sei Dank) gemein­sam mit mir altern. Es wäre kaum aus­zu­hal­ten, wür­de der Zahn der Zeit nur an mir nagen.

Keine Sorge!

Ich kann kaum fas­sen, dass ich schon 10 Jah­re in Ren­te bin. Einer­seits genie­ße ich die­sen Lebens­ab­schnitt in vol­len Zügen, ande­rer­seits stel­le ich fest, dass die Zeit – mei­ne Zeit – dahin rast. Das Gefühl von Dank­bar­keit soll­te domi­nie­ren. Es ist, falls es je domi­niert haben soll­te, Sor­gen und Ängs­ten gewi­chen. Die Grün­de sind nicht, bis jetzt nicht, kon­kret. Sie wabern dif­fus durch unse­re Tage. Ob das gut geht, ob sich noch ein­mal ein Gefühl der Unbe­schwert­heit, der Zuver­sicht ein­stel­len wird? Wel­che Aus­wir­kun­gen wer­den die besorg­nis­er­re­gen­den Ent­wick­lun­gen auf unser eige­nes Leben haben und auf das unse­rer Fami­lie und Freunde?

Wie es war

Als Kind ist die Zeit ein unend­li­ches Meer. Die Tage sind lang, Som­mer­fe­ri­en eine Ewig­keit, und die Stun­den im Klas­sen­zim­mer deh­nen sich wie Kau­gum­mi. Jede neue Erfah­rung, jedes Aben­teu­er, jedes Spiel ist ein fun­keln­der Edel­stein im Mosa­ik unse­rer Erin­ne­rung. Die Welt ist neu, groß und vol­ler unent­deck­ter Wun­der. Es gibt so vie­les, was zum ers­ten Mal erlebt wird, dass die Zeit sich streckt und dehnt, als ob sie selbst neu­gie­rig auf all die­se Ent­de­ckun­gen wäre.

Doch mit den Jah­ren ändert sich das. Die neu­en Erfah­run­gen wer­den sel­te­ner, der All­tag über­nimmt das Kom­man­do. Rou­ti­nen schlei­chen sich ein, und die Tage begin­nen, sich inein­an­der­zu­fü­gen wie Per­len auf einer Schnur. Das ers­te Mal wird sel­te­ner und das Ver­trau­te tritt an des­sen Stel­le. Das Gehirn, die­ses wun­der­ba­re Organ, passt sich an, fil­tert und kom­pri­miert die Flut an Infor­ma­tio­nen. Momen­te, die frü­her ein gan­zes Kapi­tel gefüllt hät­ten, wer­den nun zu Fußnoten.

Lebensfotos

Erin­ne­run­gen sind wie eine Samm­lung von Foto­gra­fien. Als Kind ist das Album groß und jede Sei­te ist mit bun­ten, leben­di­gen Bil­dern gefüllt. Doch je älter wir wer­den, des­to mehr Sei­ten blät­tern wir durch, und die neu­en Fotos wer­den sel­te­ner. Die vie­len gleich­ar­ti­gen Tage ver­schwim­men zu einem Hin­ter­grund­rau­schen, und nur beson­de­re Ereig­nis­se ste­chen her­vor. Unser Gedächt­nis ord­net die Erin­ne­run­gen, spei­chert sie effi­zi­en­ter, und so scheint die Zeit schnel­ler zu vergehen.

Viel­leicht ist es auch die wach­sen­de Weis­heit, die uns die Zeit so flüch­tig erschei­nen lässt. Wir erken­nen erst all­mäh­lich, dass das Leben begrenzt ist, dass die Sand­uhr unse­res Daseins unauf­halt­sam rinnt. Die­ses Bewusst­sein lässt uns die Zeit kost­ba­rer erschei­nen, und das Ver­gäng­li­che wird deut­li­cher spürbar.

Und so sit­zen wir da, in einem stil­len Moment, und bli­cken zurück. Die Kind­heit, die Jugend, sie lie­gen weit hin­ter uns, wie fer­ne Inseln in einem end­lo­sen Meer. Die Zeit mag schnel­ler ver­ge­hen, doch gera­de das gibt jedem Augen­blick sei­nen beson­de­ren Wert. Denn in der Flüch­tig­keit des Lebens liegt auch sei­ne Schön­heit, und in der Erkennt­nis der Ver­gäng­lich­keit fin­den wir viel­leicht den Ansporn, jeden Moment bewusst zu leben und zu schätzen.

Wir sind mit unse­rem Leben zufrie­den. Es wäre per­fekt, wenn nicht so vie­le Gewiss­hei­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ins Rut­schen gera­ten wären. Die Ver­un­si­che­rung gro­ßer Tei­le der Gesell­schaf­ten (nicht nur hier in Deutsch­land) lässt sich mit Hän­den grei­fen. Hof­fen wir, dass wir noch ein­mal den Tur­n­around schaf­fen. Ob der Pla­net uns die­sen ver­rück­ten Wunsch nachsieht? 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Erinnerungen

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3 Gedanken zu „Wenn die Jahre rasen: Eine Reflexion über das Älterwerden“

  1. Peter Lohren 150 17. Juni 2024 um 11:18

    Schö­ner Text, passt wie die Faust auf’s Auge 😉 Im Ernst, ich hät­te nie gedacht, dass die Zeit im Alter gefühlt schnel­ler ver­rinnt. Jetzt mit Ende 50 muss ich fest­stel­len, dass es tat­säch­lich so ist. Lei­der habe ich auch schon Freun­de und Bekann­te mei­nes Alters zu Gra­be tra­gen müs­sen, das macht dann die Zeit mit den ver­blei­ben­den Freun­den umso wert­vol­ler. Am altern kann ich nichts Posi­ti­ves fest­stel­len, außer viel­leicht eine gewis­se Alters­mil­de und Gelassenheit.

  2. Boris 359 19. Juni 2024 um 20:57

    Für mich ver­geht die Zeit heu­te genau­so viel­fäl­tig schnell oder lang­sam wie mit 35 oder mit 18. Habe/​hatte ich viel und viel­sei­tig zu tun, geht/​ging sie schnell rum, waren die Lebens­ak­ti­vi­tä­ten mal eher ein­för­mig, dehnt/​dehnte sie sich bis zur Langeweile.

    Nie waren in mei­nem Leben 6 Wochen so kurz wie in den Schul-Som­mer­fe­ri­en oder 3 Mona­te in den Som­mer-Semes­ter­fe­ri­en. Eben hat­te ich die Ober­stu­fe (Klas­se 11) erreicht, schon hat­te ich Abitur, so schnell waren die­se 3 Jah­re rum.

    Das gan­ze Geheim­nis scheint dar­in zu bestehen, dass wir in der Regel in unse­ren jun­gen Jah­ren ein viel­fäl­ti­ge­res oder wech­sel­haf­te­res Leben füh­ren als im Alter. Des­we­gen mache ich mir dar­aus nichts.

    Ich bin aller­dings heu­te mit 64 (bzw. seit einer gan­zen Rei­he von Jah­ren schon) duld­sa­mer und gelas­se­ner als frü­her. Mei­ne kul­tu­rel­len Hori­zon­te, beson­ders bzgl. Musik, Fil­men und Lite­ra­tur, haben sich seit­dem erwei­tert – ich bin auf­ge­schlos­se­ner geworden.

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