Zwischen Kraftwerk und Krater: Die Narben des Tagebaus

Der Braun­koh­le­ab­bau im Rhei­ni­schen Revier hat nicht nur vie­le Fami­li­en­ge­ne­ra­tio­nen ernährt, er hat auch gan­ze Dör­fer aus­ge­löscht und tau­sen­de Men­schen ent­wur­zelt. Die Land­schaft trägt blei­ben­de Narben.

3 Minute/n


Merken

0

Die Hei­mat – ein Ort, der Gerü­che, Geräu­sche und Gesich­ter spei­chert. Im Rhei­ni­schen Revier sind die­se Erin­ne­rungs­ar­chi­ve bedroht. Über sie­ben Jahr­zehn­te ver­schwan­den Dör­fer, Wäl­der und jahr­hun­der­te­al­te Kul­tur­land­schaf­ten unter den Schau­fel­rad­bag­gern des Braun­koh­le­ta­ge­baus. Was bleibt, sind Nar­ben in der Land­schaft und in den Bio­gra­fien der Men­schen.

Verlorene Dörfer, zerrissene Wurzeln

Über 40.000 Men­schen haben seit den 1950er-Jah­ren ihre Hei­mat ver­lo­ren – allein im Rhein­land. Orte wie Lüt­zer­ath, das 2023 dem Tage­bau Garz­wei­ler wei­chen muss­te, oder Holz­wei­ler, des­sen Geschich­te über 1.100 Jah­re zurück­reicht, sind heu­te nur noch Koor­di­na­ten in alten Landkarten.

„Man ver­liert nicht nur ein Haus, son­dern das Geflecht aus Nach­bar­schaf­ten, Ver­ei­nen und ver­trau­ten Wegen“, heißt es in Berich­ten von Umsied­lern. Selbst wenn neue Sied­lun­gen ent­ste­hen, blei­ben die see­li­schen Wun­den: „Die Rekul­ti­vie­rung kann kei­ne Hei­mat erset­zen“, beto­nen Umwelt­ver­bän­de wie der BUND.

Erinnerungen an ein „schwarzes Gold“

Für vie­le war die Braun­koh­le einst Segen und Iden­ti­tät zugleich. „Als Kind sah ich die Kühl­tür­me als Wol­ken­fa­bri­ken“, erzählt ein Berg­hei­mer Bür­ger. Fami­li­en heiz­ten mit Bri­ketts, Kin­der sam­mel­ten „Knab­beln“ von den Schie­nen – Koh­le präg­te den All­tag. Doch die­se Nost­al­gie trügt: „Was uns Wär­me gab, fraß sich zugleich durch unse­re Dör­fer“, resü­miert ein Zeitzeuge.

Landschaften im Zwiespalt

Wo einst Äcker und Wäl­der stan­den, klaf­fen heu­te Kra­ter von bis zu 450 Meter Tie­fe. Zwar ent­ste­hen durch Rekul­ti­vie­rung neue Seen und Wäl­der, doch „künst­li­che Was­ser­flä­chen erset­zen kei­ne gewach­se­ne Natur“, kri­ti­siert der BUND. Das Lau­sit­zer Seen­land zeigt zwar, wie Tage­bau­lö­cher zu Erho­lungs­ge­bie­ten wer­den – doch die ursprüng­li­che Arten­viel­falt kehrt nicht zurück.

Ein Abschied ohne Rückkehr

Bis 2030 soll der Koh­le­aus­stieg kom­men, doch die Spu­ren blei­ben. „Jeder abge­ris­se­ne Hof, jede ver­pflanz­te Lin­de ist ein Stück ero­dier­te Geschich­te“, sagt eine Anwoh­ne­rin aus Ker­pen-Man­heim, des­sen Res­te heu­te wie ein Geis­ter­dorf wir­ken. Selbst geret­te­te Dör­fer wie Mer­ze­nich-Mor­sche­nich tra­gen die Unsi­cher­heit in sich: „Man lebt mit dem Wis­sen, dass die Bag­ger jeder­zeit wie­der kom­men könnten.“

Ich war 14 Jah­re alt und hat­te gera­de mei­ne Aus­bil­dung begon­nen, als die Fami­lie vom „Son­nen­hof“ weg­ge­zo­gen ist. Mei­ne Kind­heit habe ich dort ab mei­nem 3. Lebens­jahr ver­bracht. Mei­ne Schwes­ter ist dort gebo­ren. Wir sind uns einig: Das war die schöns­te Zeit unse­res Lebens. Die­se wun­der­ba­re Zeit kann einem kei­ner mehr neh­men, die Weh­mut über die­ses für alle Zei­ten ver­lo­re­ne Idyll auch nicht. Als ich Anfang der 1970er Jah­re mei­ne Frau ken­nen­lern­te, konn­te ich ihr nur noch vom Son­nen­hof erzäh­len. Er war ver­schwun­den – für alle Ewigkeit.

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Braunkohle

Quelle Featured-Image: a 3d render of a modern minimalist image 1kp3a3GbT...
Anzahl Wörter im Beitrag: 437
Aufgerufen gesamt: 89 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 13 mal
Aufgerufen heute: 1 mal

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance