Ein Neonazi als „Frau & Mutter“
Es war ein Tweet, der einschlug wie ein Donnerschlag:
„Aber wisst ihr, wie es sich anfühlt, ein ganzes System zu ficken?“
Mit diesen Worten kommentierte Marla-Svenja Liebich (ehemals Sven Liebich) ihre vollzogene Geschlechtsänderung. Ein Mann, der bislang durch Antisemitismus, Hetze und queerfeindliche Ausfälle auffiel, inszeniert nun seine Identität als Frau – und stellt den Schritt selbst als Triumph über den Staat dar.
Medien zwischen Empörung und Einordnung
Die Reaktionen reichten von nüchterner Analyse bis zu moralischer Empörung:
- NZZ sprach in einem Kommentar von einem „Mann, der den Staat zum Narren hält“ und sah darin eine offene Provokation gegen Gesetz und Gesellschaft (NZZ).
- taz wies darauf hin, dass es sich um einen „missbräuchlichen Fall“ handle, machte aber deutlich: Das Selbstbestimmungsgesetz sei deshalb nicht grundsätzlich infrage zu stellen (taz).
- The Sun und andere internationale Medien schürten hingegen Empörung über die Vorstellung, dass ein verurteilter Neonazi seine Strafe im Frauenknast verbüßen könnte (The Sun).
So unterschiedlich die Tonlage: Einig waren sich die meisten darin, dass Liebich den rechtlichen Rahmen gezielt für eine Provokation nutzt. Dass ausländische Medien wie insbesondere die NZZ journalistischen Nachwuchs aus Deutschland rekrutieren, um ihn gegen unser Land in Stellung zu bringen, ärgert mich schon eine ganze Weile.
Dabei geht es mir weniger darum, dass ich deren Ansicht nicht teile, das auch. Vor allem finde ich die Einmischung aus der Schweiz ziemlich widerlich. Gujer und seine deutschkritischen Tiraden werden in rechtskonservativen Kreisen als „Westfernsehen” (als ehrliche journalistische Auseinandersetzung mit dem linken Zeitgeist) verstanden. Gujer hat mit dem NZZ-Format „Der andere Blick” wohl einen Selbstläufer kreiert, mit dessen deutschkritischen Inhalten sich liberale Kräfte in diesem Land, wenn es nach mir ginge, ruhig etwas intensiver auseinandersetzen dürften.
Identitätspolitik als Waffe
Liebichs Darbietung macht schlechte Laune. Es ist eine kalkulierte Strategie, die wir aus der rechtsextremen Szene kennen: Errungenschaften der offenen Gesellschaft werden durch Überzeichnung lächerlich gemacht.
- Ziel: Zweifel am Sinn des Selbstbestimmungsgesetzes wecken.
- Mittel: Eine inszenierte Provokation, die garantiert Schlagzeilen produziert.
- Effekt: Die eigentlichen Anliegen von Transpersonen drohen, in den Schatten gestellt zu werden.
Könnte der nächste Schritt die Behauptung sein, eine „gläubige Jüdin“ zu sein? Wird künftig auch religiöse Identität bewusst missbraucht, um Minderheiten und deren Rechte zu verhöhnen? Diese Leute machen vor nichts halt!
Der gesellschaftliche Kontext
Das Ganze spielt sich vor dem Hintergrund einer ohnehin polarisierten Debatte ab. Das Selbstbestimmungsgesetz wurde im April 2024 vom Bundestag verabschiedet und ist seit November 2024 in Kraft. Dieses Gesetz war von Beginn an umstritten. Die Union will es reformieren. Für Befürworter war es ein überfälliger Schritt, für Gegner ein Einfallstor für Missbrauch. Ich denke, angesichts der bisherigen spektakulären Erfahrungen, muss man den Kritikern zustimmen.
Der Fall Liebich liefert denen, die unseren Staat vorführen wollen, hinreichend Munition – auch wenn er gerade deshalb nicht als Beweis gegen das Gesetz taugt, sondern lediglich als Beispiel für eine gezielte Instrumentalisierung. Es wird viel darüber palavert, die Medien haben das Thema begierig aufgenommen und hochgekocht.
Ich sehe es so, dass es vielen Menschen dabei helfen kann, ihren Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Wenn es nur nicht solche boshaften Teufel gäbe, die dieses Gesetz wie auch andere Regelungen des Miteinanders in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft durch ihr unsägliches Verhalten ad absurdum führen. Möglicherweise wurde das Gesetz qualitativ nicht so verfasst, dass ein Missbrauch durch subversive Kräfte weitestgehend ausgeschlossen wäre. Dass ein Begriff wie Diversität ein Bestandteil eines insbesondere durch die rechtsextreme AfD ausgelösten Kulturkampfes werden konnte, liegt nicht zuletzt auch in der Verantwortung all derer, die gern mit dem Feuer spielen (gegen alles sind!) und sich dabei mit den Hintergründen weder auseinandersetzen noch auskennen.
Freiheit, Missbrauch und Verantwortung
Am Ende bleibt die Frage: Wie schützt man die Freiheit, ohne ihr Opfer zu werden?
Eine Demokratie muss auch mit Missbrauch umgehen können. Doch sie darf nicht zulassen, dass zynische Agitatoren die Debatte über Identität und Rechte bestimmen.
Vor dem Hintergrund des Falls der Rechtsextremistin Liebich drängt die Union auf eine Reform des Selbstbestimmungsgesetzes der Vorgängerregierung.
Liebichs Provokation ist ein Spiegel. Er zeigt uns, wie dünn die Linie zwischen emanzipatorischer Politik und ihrem Missbrauch sein kann. Und er erinnert daran, dass es nicht nur darum geht, Gesetze zu verteidigen, sondern auch deren Akzeptanz und Würde.
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Vielleicht zeigt das Gesetz so Lücken auf, bzw. wie es verbessert werden sollte …
@SuMu: Ja, das denke ich auch. Es muss nachgearbeitet, vielleicht reformiert werden. So sollte es nicht weitergehen können.
Aber genial, wie/das er darauf gekommen ist, obwohl ich das nicht gut finde.