KI-generierte Musik überflutet Spotify und erreicht Millionen Hörer. Doch was bleibt vom Zauber, wenn ein Algorithmus die Melodien formt? Mein Blick auf die emotionale Entfremdung, die sich einstellt, wenn Maschinen die Seele der Musik beanspruchen.
Neues Wissen und Inspiration für mein Hobby, das Fotografieren, hole ich mir am liebsten bei YouTube. Dort gibt’s eine Menge toller Leute, die ihr Wissen mit anderen Menschen teilen. Auch, wenns außerhalb spezifischer Themengebiete wie der Fotografie viel Mist und abstoßenden Müll gibt (vor allem, wenn es um politische Fragen geht), ist YouTube eine Quelle, auf die kaum jemand verzichten möchte.

Einer dieser begeisterten Fotolehrer (er ist übrigens, soweit ich weiß, zuerst tatsächlich Lehrer gewesen) hat ein Experiment gewagt, auf das seine Community merkwürdig und doch für diese Zeit irgendwie erwartbar, mit krass gegensätzlichen Meinungen reagiert hat. Er hat einen seiner Beiträge mit einem KI-generierten Song unterlegt. Nicht über den kompletten Beitrag hinweg, sondern lediglich während einer bestimmten Sequenz des Videos. Manche Abonnenten fanden das so furchtbar, dass sie ihm damit drohten, seinen Kanal zu deabonnieren. Gibt es das Wort überhaupt? Auf mich wirkt es irgendwie fremd. Vielleicht, weil ich keine habe. ❣️ Es ist ein einfacher Text und sicher keine überragende musikalische Komposition. Aber diese Reaktionen waren schon überraschend kontrovers.
Dabei wird auch auf diesem Feld die KI unsere Zukunft bestimmen. Das ist längst im Gange. Es gibt Zahlen, die mich trotzdem erschrecken. Laut Analysen sind inzwischen bis zu 18 % der täglich auf Plattformen wie Spotify hochgeladenen Songs KI-generiert. Das entspricht Hunderttausenden neuer Stücke jeden Monat. Wer durch Playlists streift, hört womöglich längst Maschinenmusik, ohne es zu wissen.
The Velvet Sundown, eine vollständig künstlich erschaffene Band, erreichte über eine Million monatliche Hörer und stürmte die Viral-Charts in mehreren Ländern. Andere Projekte wie Aventhis oder The Devil Inside brachten es mit Hilfe von Tools wie Suno und Riffusion auf Millionen Streams. Das klingt nach Erfolg – aber was sagt es über uns als Gesellschaft und über unser Verhältnis zur Kunst?
Die Seele der Musik
Wenn ich an Musik denke, denke ich an die Schauer, die mir bei bestimmten Tönen über den Rücken laufen. An die Tränen, die Melodien wecken können, ohne dass ein Wort gesprochen wird. Bei mir geschieht das, offen gesagt, etwas zu häufig. Hat wohl mit dem Alter zu tun! Diese Kraft speist sich aber doch aus menschlicher Erfahrung: aus gelebtem Leben, aus Freude, Schmerz und Sehnsucht. Und das wird von KI getriggert? Wie furchtbar!
Wenn ich aber nun höre, dass viele dieser Lieder von einer KI stammen, spüre ich einen Riss in meinem Inneren. Kann ich denselben Zauber fühlen, wenn ich weiß, dass kein Herz, keine Hand, kein Erleben, keine Biografie hinter der Komposition steckt?
Die Verführung des Algorithmus
Natürlich: Die Algorithmen verführen uns mit eingängigen Harmonien und perfekt kalkulierten Refrains. Es ist leicht, sich täuschen zu lassen. Aber hinter der Schönheit liegt eine Leere. Das Versprechen, dass Kunst etwas über den Menschen erzählt, wird gebrochen. So empfinde ich das.
Und doch: Millionen klicken, hören, teilen. Es ist die Logik einer Industrie, die das Gefühl rationalisieren und das Einmalige massenhaft produzieren will. Der Kapitalismus sucht sich in der KI Verbündete, und er findet sie natürlich. Das Schlimme ist, dass wir diesen Betrug (oder was ist das anderes?) gar nicht erkennen. Wer wird künftig schon mit einem Seismografen, einer App, herumrennen, um solche Machwerke auszusieben?
Mein Zwiespalt
Ich ertappe mich dabei, dass ich diese Musik höre und manchmal sogar mag. Aber gleichzeitig fühle ich mich schlecht. Es ist, als würde ich einer Attrappe Applaus spenden, während die echte Musikerin draußen vor der Tür bleibt.
Vielleicht ist das der eigentliche Skandal: dass KI uns nicht nur die Musik gibt, sondern auch unsere Schuldgefühle gleich mitliefert.
- Mein Text lebt natürlich von einer persönlichen Note. Was werden wohl betroffene/bedrohte Künstlerinnen und Künstler darüber denken, die ihre Existenz durch KI-Songs bedroht sehen?
- Rechtliche Fragen (Urheberrecht, Einnahmen, Fairness) habe ich als kritische Aspekte nicht einmal angesprochen.
Du kannst doch immer noch selbst Hand anlegen, nur mit KI (vgl. Riffusion .com) Ist, wie bei den Texten und Bildern.
Populärmusik bildet im Wesentlichen Standards ab. Ob das nun die Maschine oder der Mensch macht ist halt zweitrangig, allerdings dumm für die Künstler. Die Hitmelodien sind auch schon alle geschrieben. D, G, E, A um nur das Gebräuchlichste zu nennen. Die Oktave ist begrenzt und Dudelfunk gibt schon bald 100 Jahre.
Schwieriger dürfte es indes bei Klassik und Jazz sein. Hier gibt’s zwar auch Standards, allerdings ist der homogene Klang nur selten erwünscht.
@Juri Nello: Ja, das mit den Bildern löst ja auch – wie Musik – Emotionen aus. Komischerweise bin ich an dieser Stelle weniger empfindlich. Bei Musik ist die Dosis an Gefühlen wohl wesentlich größer, die da mitschwingen. Es stimmt, dass in der Musik (aber generell nicht nur bei der Populärmusik) Standards abgebildet werden. Sogar beim Jazz oder in der Klassik sind diese Standards vorhanden. Und obwohl sich die Musik nicht mehr weiterentwickelt im Vergleich zur Entstehung von Rock- und Popmusik, werden immer wieder Styles hervorgebracht, die einem zumindest das Gefühl geben, etwas Neues gehört zu haben. Begeistern muss das ja nicht jeden.
Das ist wirklich eine interessante und nachdenkliche Artikel. Die Sorge um die Zukunft der Kunst durch KI ist verständlich, aber die Leidenschaft für die Musik bleibt dennoch unverändert faszinierend. Die Frage, ob KI die Seele der Musik zerstört oder fördert, ist ein faszinierendes Thema, das uns alle betrifft.
@grow a garden calculator: Das ist ein nicht ganz leichtes Thema. Aber wir werden einen Weg finden, alle Möglichkeiten unter einen Hut zu bringen.