
Der nachvollziehbar kritische Text von Eva Berendsen im Spiegel ($) hatte mich zu einem Artikel veranlasst, der leider auf wenig Interesse stieß. Einige der im Beitrag erhobenen Vorwürfe kann ich nachvollziehen, andere nicht. Frau Berendsen beklagt einen Zustand, der allerdings auch unser allgemeines Verhältnis zu Wahrheit und Lüge anspricht.
Das Thema wird alle Gesellschaften weltweit herausfordern, weil zum einen niemand die Wahrheit gepachtet hat und weil es leicht geworden ist, Standpunkte verächtlich zu machen und selbst hohe Standards bei herbeigelogenen Narrativen zu setzen. Das Internet und die asozialen Medien machens möglich.
Frau Berendsen schrieb unter anderem:
Zurück zu unserem fiktiven Kind, das sich durch die algorithmisch gesteuerten digitalen Öffentlichkeiten zur NS-Geschichte navigiert und zu guter Letzt beim Nahostkonflikt landet. Massenhaft finden sich bei TikTok und Instagram-Videos Text-Postings oder Memes, in denen Israel mit dem NS-Regime gleichgesetzt wird. Gaza sei das neue Auschwitz, israelische Soldaten seien die neue SS. Kommentare wie »Holocaust passiert schon in Palästina« sammeln sich im Communitymanagement der Bildungsstätte Anne Frank unter Beiträgen, die sich mit der NS-Geschichte befassen, oder: »Anne Frank dreht sich im Grab um, wenn sie sieht, was die Zionisten gerade treiben.«
Solche Einstellungsmuster sind weit verbreitet, sie exklusiv bei linken Netzaktivisten zu verorten, wie es oft geschieht, wird der Dimension des Problems nicht gerecht: 42 Prozent der Deutschen stimmen laut einer groß angelegten Studie der Bertelsmann-Stiftung der Aussage zu, Israel mache im Prinzip mit den Palästinensern nichts anderes, als die Nationalsozialisten mit den Juden gemacht hätten. Es ist ein Massenphänomen.
Quelle
Das sieht nicht nur nach Defiziten im Geschichtsunterricht aus. Was im Internet passiert, entzieht sich dem Einfluss von Politik und Justiz. Jedenfalls dann, wenn es um die großen Linien geht. Die US-Regierung hat dank der hündischen Untergebenheit der Tech-Bros die asozialen Medien in der Hand und legt ihre seltsamen Maßstäbe für Europa und Deutschland bekanntlich noch einmal anders an, als sie dies im eigenen Land tut.
Wir wissen, dass das lineare Fernsehen (insbesondere der sogenannte öffentlich-rechtliche Rundfunk) in der Zuschauergunst schlecht dasteht. Vor allem die Jungen suchen ihre Informationen erstaunlicherweise bei TikTok, Insta oder YouTube. Das kann nur schiefgehen. Und wir wissen das seit Jahren. Ein geeignetes Werkzeug zur Schadensbegrenzung wurde trotz dieser Erkenntnis nicht erschaffen. Vielleicht geht das auch gar nicht. Regulierung kann nun mal auch nicht alles regulieren – wie wir am Ende bestimmt auch in Deutschland einsehen werden.
Ich hatte in meinem Beitrag erwähnt, dass ich ARD und ZDF angeschrieben hätte, um die Zahl der insgesamt ausgestrahlten Beiträge zum Thema Holocaust, Shoa über die Jahre in Erfahrung zu bringen. Das gestaltet sich (wie erwartet) etwas schwierig, da die Zuständigkeiten selbst bei einer so einfach definierten Sache wohl erst einmal zu durchdringen sind. Detaillierte Informationen seitens der ARD erhält man bei den Regionalsendern, nicht von der ARD oder dem Infoservice. Immerhin erhielt ich schon einmal eine Angabe für die Jahre 2023, 2024.
Ich war bass erstaunt, dass für 2023 1.054 Beiträge in 918 Sendungen ermittelt wurden. In der dortigen Datenbank ergaben die Stichworte (Überall-Suche) „Holocaust*“, „Shoah“ oder „Schoa“ Fundstellen über Beiträge, die in jenem Jahr erstmals ausgestrahlt wurden. Für das Jahr 2024 sind es 929 Beiträge in 792 Sendungen.
Wenn man die genannten Zahlen einmal herunterbricht, ergibt sich Folgendes:
- 2023: 918 Sendungen / 365 Tage → rund 2,5 Sendungen pro Tag, die in irgendeiner Form das Thema Holocaust berühren.
- 2024: 792 Sendungen / 365 Tage → etwa 2,2 Sendungen pro Tag.
Das sind die ARD-Sender: BR, HR, MDR, NDR, Radio Bremen, RBB, SR, SWR, WDR, Das Erste, tagesschau24, ARD alpha, ONE
Das ist erstaunlich viel, auch wenn man bedenkt, dass viele Beiträge das Thema nur streifen.
Über den Daumen also: jeden Tag zwei bis drei Sendungen irgendwo im ARD-Verbund, die sich mit dem Holocaust beschäftigen – neu produziert, nicht bloß Wiederholungen.
Das relativiert ziemlich klar die These, Deutschland habe das Thema „verdrängt“. Eher ist es ein Beweis dafür, dass Erinnerungskultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine dauerhafte programmatische Säule bleibt – nicht laut, aber stetig präsent.
Verifizierbar sind die Werte nicht. Ob es sich lohnen würde, bei den regionalen Sendern diesbezügliche Rückfragen zu stellen? Was würde das ändern? Die einen würden es vielleicht glauben, andere apostrophieren die Aussage als Framing im Dienst der Demokratie. Die Daten vom ZDF fehlen noch. Mal sehen, ob mich eine etwaige Rückmeldung ebenso in Staunen versetzt.

Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.