
Ein Tag voller Warten
Meine Nichte sitzt seit heute Morgen um 10.30 Uhr in der Ambulanz des Bergheimer Krankenhauses. Ihr Hausarzt hatte einen entzündeten Abszess am Oberarm diagnostiziert und eine Überweisung für eine chirurgische Entfernung ausgestellt. Ein klarer Fall – sollte man meinen. Doch um 19.30 Uhr sitzt sie immer noch unbehandelt im Wartebereich. Begleitet von meiner Schwester, die selbst früher Krankenschwester war, und daher genau weiß, was im Hintergrund eigentlich passieren müsste. Doch nichts geschieht.
Neben ihr wartet ein junger Mann, der sogar noch etwas früher eintraf – mit dem Verdacht auf ein Blutgerinnsel im Gehirn. Eine Diagnose, die niemanden kaltlassen sollte. Und trotzdem: kein Handeln, nur endloses Warten.
Vom Schließen und Verlegen
Unser eigenes Krankenhaus wurde in diesem Jahr geschlossen. Ich habe bereits darüber geschrieben. Seither bleibt uns nur der Weg nach Bergheim. Meine Frau und ich mussten diese Erfahrung auch schon machen – zuletzt in diesem Jahr. Wer erkrankt, darf also zunächst eine Reise unternehmen, bevor er hoffen darf, Hilfe zu finden.
Das Problem ist: Es handelt sich nicht um einen einmaligen Ausrutscher. Vielmehr scheint diese Form der Überlastung inzwischen Normalität geworden zu sein. Die politischen Versprechungen, mit denen solche Missstände angeblich bekämpft werden sollen, wirken zunehmend wie ein Ritual – ohne Glaubwürdigkeit, ohne echte Hoffnung.
Wenn nichts mehr funktioniert
Deutschland gleicht inzwischen einem Land der Dauerbaustellen. Schulen, die renoviert werden müssen, deren Sanierung aber nicht einmal ansatzweise terminiert ist. Die Bahn, die seit Jahren im Genesungsprozess steckt, ohne Aussicht auf Besserung. Und nun Krankenhäuser, die auf Kante laufen, Patienten, die warten müssen, obwohl die Diagnose dringlich ist.
Unser Gesundheitssystem taumelt am Rand des Kollapses. Die Finanzierung ist unsicher, das Vertrauen der Bürger dahin. In Berlin denkt man laut über Kommissionen und Reformherbst nach – als stünde der Herbst nicht schon in der Tür. Aber: Worte statt Taten.
Die Verantwortung, die niemand trägt
Wer ist schuld an dieser lebensgefährlichen Engpasssituation? Das Land NRW? Der Bund? Irgendwelche Gremien, die über Klinikschließungen entschieden haben? Am Ende bleibt nur eine Gewissheit: Niemand will es gewesen sein. Verantwortung ist in Deutschland offenbar ein Gut, das sich leichter abschieben als übernehmen lässt.
Und währenddessen sitzen Patienten in den Ambulanzen – Stunde um Stunde, Tag für Tag. Man könnte laut fluchend davonlaufen. Nur – wer krank ist, braucht Hilfe und keinen Wutanfall.
Für diesen bedauerlichen Zustand ist nur eine Ursache festzumachen:
Privatisierung, Gesundheitswesen als *for profit* Quelle zur Bereicherung.
Ausdrücklich darin eingeschlossen ist die *wohltätige* Schiene aus katholischen und evangelischen Häusern, die ihre Mitarbeitenden aller Ebenen häufig noch schlechter stellen als die restlichen ‚Privaten‘, denn sie unterliegen nicht dem allgemeinen Arbeitsrecht [warum eigentlich nicht fragt sich der mittelmäßig verständige Bürger, wo doch deren Finanzierung zu 95% aus öffentlichen Mittel fließt!].
Es bleibt zu hoffen, daß sich irgendwann unsere Politiker trauen eine gleichberechtigte Gesundheitsstruktur zu beschließen in der ALLE BÜRGER versammelt sind, inklusive der Politiker selbst, und der Unfug mit Berufs- und Status-bezogenen Versorgungssystemen aufgehoben wird.
Dazu eine Förderung der Gesundheitsbildung der Bevölkerung die ihren Namen verdient, und die individuellen Eigendiagnosen, die die Ambulanzen unnötig belasten, reduzieren helfen.
@Wolfgang v. Sulecki: Ich fürchte, dass der Zeitgeist deinem Ansinnen „voraus“ ist. Eher tritt das Gegenteil ein als das, was wir vielleicht im Ansatz einmal hatten (auch, wenn es die erwähnten Beschränkungen im Hinblick insbesondere auf die Träger gab). Geld fehlt immer mehr, und wenn die Wirtschaft nicht schnell wieder auf die Beine kommt, wird das fehlende Geld (auch das, was für Militär verplempert wird) an allen Ecken und Enden fehlen, und das natürlich fühlbar.
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Meine Nicht hat übrigens bis 20.45 Uhr gewartet und hat das Krankenhaus nach einer „Ansprache“ eines unfähigen Arztes verlassen. Sie war am nächsten Tag (mit viel Glück unterwegs) und hat eine ambulante Chirurgie gefunden, die das Thema in einer halben Stunde erledigt hat. Dafür musste sie etwa 30 km weit fahren.