Halten Facebook & Twitter bis ich gelernt habe, andere Meinungen zu ertragen?

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> Keine Kommentare

0

61

Standardbild

Die ekli­gen Kommentare nach der Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Lübcke haben die Diskussion dar­über auf­le­ben las­sen, wie wir mit­ein­an­der umge­hen und über­ein­an­der sprechen. 

Die sich erge­ben­den Fragen zie­len nicht nur auf die sozia­len Netzwerke ab, son­dern sie bezie­hen auch auf unser rea­les Leben. Viele fin­den es nicht gut, dass der Ton immer rau­er wird und Menschen, die für uns alle einen wert­vol­len Dienst leis­ten, ver­bal und kör­per­lich ange­grif­fen wer­den. Ich den­ke dabei an Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungssanitäter oder Ärzte.

Die Politik steht die­ser Entwicklung in unse­ren offe­nen Gesellschaften nach mei­nem Gefühl doch arg hilf­los gegen­über. Was soll man da auch tun, wenn alle für sich bean­spru­chen im Recht zu sein? Und so ist es doch, wenn wir ehr­lich mit­ein­an­der sind.

Taubers Irrweg

Ich fin­de, man kann das an Peter Taubers unglück­li­cher Forderung nach Anwendung von Artikel 18 des Grundgesetzes sehen. Es gab ja auch schon davor lau­te und „robus­te” Diskussionen dar­über, ob und wenn ja, wel­che Mittel der Staat ein­set­zen soll, um Hetze in Netz und Gesellschaft ent­ge­gen­zu­wir­ken. Leider hilft es wenig, dass wir Gesetze für sowas haben. Die Leute gera­ten trotz­dem (oder des­halb?) schnell – viel­leicht sogar immer schnel­ler – außer Rand und Band. 

Das so genann­te Netzdurchdringungsgesetz hat, wür­de ich aus dem Gefühl behaup­ten, kein Stück Verbesserung unse­res Benehmens bewirkt. 

Die Unzufriedenheit mit tem­po­rä­ren Sperren und Ausschlüssen aus den sozia­len Netzwerken tref­fen alle. Und alle füh­len sich unge­recht behan­delt. So sind wir!, und ent­spre­chend laut wer­den die Beschwerden über die­sen „Blödsinn” adressiert. 

Dabei hat­ten sich vie­le ein­ge­bil­det, die­se Maßnahmen wür­den immer die „Richtigen” treffen.

Diskussionen flammen wieder auf

Dass die Intensität ange­sichts des Mordes an Herrn Lübcke zunimmt, ist des­halb kein Wunder, weil die Schuld für die schreck­li­che Gewalttat denen zuge­schrie­ben wird, die sich mit mas­si­ven Vorwürfen an Lübckes Äußerungen zuguns­ten geflüch­te­ter Menschen abge­ar­bei­tet haben. 

Lübckes Äußerungen aus dem Herbst 2015 haben vie­le als Provokation auf­ge­fasst oder als eine von vie­len Zurück- und Zurechtweisungen von Leuten, die sich klar gegen die mer­kel­sche Flüchtlingspolitik gestellt hat­ten. Ein Problem, das Politiker nicht ein­mal im Ansatz ange­gan­gen sind. Ich for­de­re nicht, dass man den Gegnern der prak­ti­zier­ten Politik mit einer ande­ren Flüchtlingspolitik „ent­ge­gen­kom­men” soll­te, obwohl genau das durch den Bundesinnenminister Seehofer mit aus­drück­li­chem Einverständnis der GroKo voll­zo­gen wur­de. Vielmehr hät­ten ein­deu­ti­ge Fehlentwicklungen durch die Flüchtlingspolitik benannt und abge­stellt oder wenigs­tens das Gegenteil plau­si­bel erklärt wer­den müs­sen. Aber dazu hat die Politik bis heu­te nicht den Mumm.

Dass Herr Lübcke es sich erlaubt hat, den wüten­den Kritikern der Flüchtlingspolitik die Ausreise aus Deutschland nahe­zu­le­gen, über­stieg für vie­le die­ser Leute das erträg­li­che Maß. Eine Entwicklung, der die poli­ti­sche Ebene nichts ent­ge­gen­zu­set­zen hatte.

Damals muss­te die Polizei Herrn Lübcke Personenschutz gewäh­ren, weil die Drohungen gegen ihn über­hand­nah­men. Später, so fan­den die zustän­di­gen Sicherheitsbehörden, war die­ser Personenschutz nicht mehr erfor­der­lich. Ich ver­mu­te ein­mal, dass Herr Lübcke damit per­sön­lich sehr ein­ver­stan­den gewe­sen ist. Schließlich ist es sicher nicht ver­gnü­gungs­steu­er­pflich­tig, bedroht und des­halb stän­dig von Beamten beschützt zu werden. 

Der Mord an Herrn Lübcke wird auf­ge­klärt, und ich möch­te hof­fen, dass sich bei den Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft nicht her­aus­stellt, dass hier ein dem NSU ver­gleich­ba­res Netzwerk aktiv wur­de. Die Unsicherheit im Land wür­de ansons­ten ver­mut­lich stark zunehmen. 

Dass neben Rechtsextremen auch sala­fis­ti­sche und links­extre­me Gruppen in unse­rem Land ihr Unwesen trei­ben, ist der Öffentlichkeit hin­läng­lich bekannt. Würde bestä­tigt, dass erneut ein rechts­extre­mes Netzwerk aktiv gewor­den ist, stün­den spä­tes­tens die Alarmsignale auf dun­kel­rot. Und zwar in den ver­schie­de­nen Lagern mit gegen­ein­an­der gerich­te­ten Intentionen. Dabei wird bereits heu­te die Diskussion wenig umsich­tig und wenig sach­ge­recht geführt.

Der ver­ba­le Schlagabtausch via Facebook, Twitter etc. über die strit­ti­gen Fragen, die uns BürgerInnen in die­sem Zusammenhang auf­re­gen, hilft eben­so wenig wie Diskussionen auf ande­ren Internetkanälen oder im pri­va­ten Bereich. Schließlich spre­chen Soziologen von einer sel­ten dage­we­se­nen Polarisierung der Bevölkerung. Das Internet scheint – das behaup­ten sei­ne unkri­ti­schen Verteidiger – nur der Spiegel einer an die­sem Punkt gespal­te­nen Gesellschaft zu sein. Ich glau­be, dass das Internet gro­ßen Einfluss auf die ver­ba­le Radikalisierung der Diskussionen hat. Die sprach­li­che Entgrenzung und Kommunikation wäre ohne das Internet nicht auf die­sem Niveau. Aber das möch­te kei­ner hören, weil wir ja ohne Internet nicht mehr leben könn­ten und es auch gar nicht wollten.

Die trau­ri­gen Zeugnisse so genann­ter Meinungsäußerungen nach dem Tod von Herrn Lübcke waren abscheu­lich. Sie sind über­wie­gend sehr kurz gehal­ten. Ich möch­te mich damit beru­hi­gen, dass vie­le die­ser Sätze aus arg limi­tier­ten Hirnen ent­sprun­gen wären. Wahrscheinlich haben vie­le ihrer „Schöpfer” nicht dar­an gedacht, dass ihre vor vier Jahren gegen Herrn Lübcke aus­ge­sto­ße­nen Drohungen mit dazu bei­getra­gen haben kön­nen, dass einer ihrer Partner im Geiste oder eine im Untergrund akti­ve Gruppe ihre ein oder zwei Sätze als Motivation für die schreck­li­che Mordtat ver­stan­den haben. 

Insofern ver­ste­he ich auch die AfD Leute nicht, die sich zu Unrecht mit der Tat in Verbindung gebracht sehen. Frau Erika Steinbach hat sich heu­te in einem Tweet betrof­fen geäu­ßert. Sie habe den Mord an Herrn Dr. Lübckes Tod deut­lich ver­ur­teilt, schrieb Steinbach. Ja – und wie war das vor vier Jahren? Da ließ sie unsäg­li­che Kommentare, die ihre Fans zu einem ihrem Tweets „los­ge­las­sen” hat­ten, im Netz ste­hen. Warum tat sie dies? Wohl, weil sie sich als Kämpferin für die Meinungsfreiheit ver­stand. Wie man das ein­ord­net, muss jeder selbst wissen.

Natürlich exis­tiert eine Verantwortung dafür, dass man bestimm­te Texte oder Kommentare ins Netz schickt. Nicht nur juris­tisch, son­dern dar­über hin­aus auch mora­lisch. Wenn Schreckliches pas­siert, soll­ten wir dazu in der Lage sein, das eige­ne Verhalten wenigs­tens kri­tisch zu reflektieren. 

Das gilt für uns alle. Denn nicht nur Rechte schi­cken uner­quick­li­chen Müll ins Netz. 

Die Frage, die sich für mich stellt, ist nicht die, ob das bescheu­er­te Netzdurchdringungsgesetz Wirkung ent­fal­ten könn­te, son­dern ob ich die „Meinungsäußerungen”, die mir zuwi­der sind, zu ertra­gen ler­ne. Vielleicht sind Facebook und Twitter bis dahin aller­dings schon Geschichte?!


Entdecke mehr von Horst Schulte

Melde dich für ein Abonnement an, um die neu­es­ten Beiträge per E‑Mail zu erhalten.

Diesen Beitrag teilen:

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


🧘 In der Ruhe liegt die Kraft.

Entdecke mehr von Horst Schulte

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen

Share to...
Your Mastodon Instance