Halten Facebook & Twitter bis ich gelernt habe, andere Meinungen zu ertragen?

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Die ekli­gen Kom­men­ta­re nach der Ermor­dung des Kass­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Lüb­cke haben die Dis­kus­si­on dar­über auf­le­ben las­sen, wie wir mit­ein­an­der umge­hen und über­ein­an­der sprechen. 

Die sich erge­ben­den Fra­gen zie­len nicht nur auf die sozia­len Netz­wer­ke ab, son­dern sie bezie­hen auch auf unser rea­les Leben. Vie­le fin­den es nicht gut, dass der Ton immer rau­er wird und Men­schen, die für uns alle einen wert­vol­len Dienst leis­ten, ver­bal und kör­per­lich ange­grif­fen wer­den. Ich den­ke dabei an Feu­er­wehr­leu­te, Poli­zis­ten, Ret­tungs­sa­ni­tä­ter oder Ärzte.

Die Poli­tik steht die­ser Ent­wick­lung in unse­ren offe­nen Gesell­schaf­ten nach mei­nem Gefühl doch arg hilf­los gegen­über. Was soll man da auch tun, wenn alle für sich bean­spru­chen im Recht zu sein? Und so ist es doch, wenn wir ehr­lich mit­ein­an­der sind.

Taubers Irrweg

Ich fin­de, man kann das an Peter Tau­bers unglück­li­cher For­de­rung nach Anwen­dung von Arti­kel 18 des Grund­ge­set­zes sehen. Es gab ja auch schon davor lau­te und „robus­te“ Dis­kus­sio­nen dar­über, ob und wenn ja, wel­che Mit­tel der Staat ein­set­zen soll, um Het­ze in Netz und Gesell­schaft ent­ge­gen­zu­wir­ken. Lei­der hilft es wenig, dass wir Geset­ze für sowas haben. Die Leu­te gera­ten trotz­dem (oder des­halb?) schnell – viel­leicht sogar immer schnel­ler – außer Rand und Band. 

Das so genann­te Netz­durch­drin­gungs­ge­setz hat, wür­de ich aus dem Gefühl behaup­ten, kein Stück Ver­bes­se­rung unse­res Beneh­mens bewirkt. 

Die Unzu­frie­den­heit mit tem­po­rä­ren Sper­ren und Aus­schlüs­sen aus den sozia­len Netz­wer­ken tref­fen alle. Und alle füh­len sich unge­recht behan­delt. So sind wir!, und ent­spre­chend laut wer­den die Beschwer­den über die­sen „Blöd­sinn“ adressiert. 

Dabei hat­ten sich vie­le ein­ge­bil­det, die­se Maß­nah­men wür­den immer die „Rich­ti­gen“ treffen.

Diskussionen flammen wieder auf

Dass die Inten­si­tät ange­sichts des Mor­des an Herrn Lüb­cke zunimmt, ist des­halb kein Wun­der, weil die Schuld für die schreck­li­che Gewalt­tat denen zuge­schrie­ben wird, die sich mit mas­si­ven Vor­wür­fen an Lüb­ckes Äuße­run­gen zuguns­ten geflüch­te­ter Men­schen abge­ar­bei­tet haben. 

Lüb­ckes Äuße­run­gen aus dem Herbst 2015 haben vie­le als Pro­vo­ka­ti­on auf­ge­fasst oder als eine von vie­len Zurück- und Zurecht­wei­sun­gen von Leu­ten, die sich klar gegen die mer­kel­sche Flücht­lings­po­li­tik gestellt hat­ten. Ein Pro­blem, das Poli­ti­ker nicht ein­mal im Ansatz ange­gan­gen sind. Ich for­de­re nicht, dass man den Geg­nern der prak­ti­zier­ten Poli­tik mit einer ande­ren Flücht­lings­po­li­tik „ent­ge­gen­kom­men“ soll­te, obwohl genau das durch den Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer mit aus­drück­li­chem Ein­ver­ständ­nis der Gro­Ko voll­zo­gen wur­de. Viel­mehr hät­ten ein­deu­ti­ge Fehl­ent­wick­lun­gen durch die Flücht­lings­po­li­tik benannt und abge­stellt oder wenigs­tens das Gegen­teil plau­si­bel erklärt wer­den müs­sen. Aber dazu hat die Poli­tik bis heu­te nicht den Mumm.

Dass Herr Lüb­cke es sich erlaubt hat, den wüten­den Kri­ti­kern der Flücht­lings­po­li­tik die Aus­rei­se aus Deutsch­land nahe­zu­le­gen, über­stieg für vie­le die­ser Leu­te das erträg­li­che Maß. Eine Ent­wick­lung, der die poli­ti­sche Ebe­ne nichts ent­ge­gen­zu­set­zen hatte.

Damals muss­te die Poli­zei Herrn Lüb­cke Per­so­nen­schutz gewäh­ren, weil die Dro­hun­gen gegen ihn über­hand­nah­men. Spä­ter, so fan­den die zustän­di­gen Sicher­heits­be­hör­den, war die­ser Per­so­nen­schutz nicht mehr erfor­der­lich. Ich ver­mu­te ein­mal, dass Herr Lüb­cke damit per­sön­lich sehr ein­ver­stan­den gewe­sen ist. Schließ­lich ist es sicher nicht ver­gnü­gungs­steu­er­pflich­tig, bedroht und des­halb stän­dig von Beam­ten beschützt zu werden. 

Der Mord an Herrn Lüb­cke wird auf­ge­klärt, und ich möch­te hof­fen, dass sich bei den Ermitt­lun­gen der Gene­ral­bun­des­an­walt­schaft nicht her­aus­stellt, dass hier ein dem NSU ver­gleich­ba­res Netz­werk aktiv wur­de. Die Unsi­cher­heit im Land wür­de ansons­ten ver­mut­lich stark zunehmen. 

Dass neben Rechts­extre­men auch sala­fis­ti­sche und links­extre­me Grup­pen in unse­rem Land ihr Unwe­sen trei­ben, ist der Öffent­lich­keit hin­läng­lich bekannt. Wür­de bestä­tigt, dass erneut ein rechts­extre­mes Netz­werk aktiv gewor­den ist, stün­den spä­tes­tens die Alarm­si­gna­le auf dun­kel­rot. Und zwar in den ver­schie­de­nen Lagern mit gegen­ein­an­der gerich­te­ten Inten­tio­nen. Dabei wird bereits heu­te die Dis­kus­si­on wenig umsich­tig und wenig sach­ge­recht geführt.

Der ver­ba­le Schlag­ab­tausch via Face­book, Twit­ter etc. über die strit­ti­gen Fra­gen, die uns Bür­ge­rIn­nen in die­sem Zusam­men­hang auf­re­gen, hilft eben­so wenig wie Dis­kus­sio­nen auf ande­ren Inter­net­ka­nä­len oder im pri­va­ten Bereich. Schließ­lich spre­chen Sozio­lo­gen von einer sel­ten dage­we­se­nen Pola­ri­sie­rung der Bevöl­ke­rung. Das Inter­net scheint – das behaup­ten sei­ne unkri­ti­schen Ver­tei­di­ger – nur der Spie­gel einer an die­sem Punkt gespal­te­nen Gesell­schaft zu sein. Ich glau­be, dass das Inter­net gro­ßen Ein­fluss auf die ver­ba­le Radi­ka­li­sie­rung der Dis­kus­sio­nen hat. Die sprach­li­che Ent­gren­zung und Kom­mu­ni­ka­ti­on wäre ohne das Inter­net nicht auf die­sem Niveau. Aber das möch­te kei­ner hören, weil wir ja ohne Inter­net nicht mehr leben könn­ten und es auch gar nicht wollten.

Die trau­ri­gen Zeug­nis­se so genann­ter Mei­nungs­äu­ße­run­gen nach dem Tod von Herrn Lüb­cke waren abscheu­lich. Sie sind über­wie­gend sehr kurz gehal­ten. Ich möch­te mich damit beru­hi­gen, dass vie­le die­ser Sät­ze aus arg limi­tier­ten Hir­nen ent­sprun­gen wären. Wahr­schein­lich haben vie­le ihrer „Schöp­fer“ nicht dar­an gedacht, dass ihre vor vier Jah­ren gegen Herrn Lüb­cke aus­ge­sto­ße­nen Dro­hun­gen mit dazu bei­getra­gen haben kön­nen, dass einer ihrer Part­ner im Geis­te oder eine im Unter­grund akti­ve Grup­pe ihre ein oder zwei Sät­ze als Moti­va­ti­on für die schreck­li­che Mord­tat ver­stan­den haben. 

Inso­fern ver­ste­he ich auch die AfD Leu­te nicht, die sich zu Unrecht mit der Tat in Ver­bin­dung gebracht sehen. Frau Eri­ka Stein­bach hat sich heu­te in einem Tweet betrof­fen geäu­ßert. Sie habe den Mord an Herrn Dr. Lüb­ckes Tod deut­lich ver­ur­teilt, schrieb Stein­bach. Ja – und wie war das vor vier Jah­ren? Da ließ sie unsäg­li­che Kom­men­ta­re, die ihre Fans zu einem ihrem Tweets „los­ge­las­sen“ hat­ten, im Netz ste­hen. War­um tat sie dies? Wohl, weil sie sich als Kämp­fe­rin für die Mei­nungs­frei­heit ver­stand. Wie man das ein­ord­net, muss jeder selbst wissen.

Natür­lich exis­tiert eine Ver­ant­wor­tung dafür, dass man bestimm­te Tex­te oder Kom­men­ta­re ins Netz schickt. Nicht nur juris­tisch, son­dern dar­über hin­aus auch mora­lisch. Wenn Schreck­li­ches pas­siert, soll­ten wir dazu in der Lage sein, das eige­ne Ver­hal­ten wenigs­tens kri­tisch zu reflektieren. 

Das gilt für uns alle. Denn nicht nur Rech­te schi­cken uner­quick­li­chen Müll ins Netz. 

Die Fra­ge, die sich für mich stellt, ist nicht die, ob das bescheu­er­te Netz­durch­drin­gungs­ge­setz Wir­kung ent­fal­ten könn­te, son­dern ob ich die „Mei­nungs­äu­ße­run­gen“, die mir zuwi­der sind, zu ertra­gen ler­ne. Viel­leicht sind Face­book und Twit­ter bis dahin aller­dings schon Geschichte?!

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Meinungsäußerung SozialeNetzwerke

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