Was hatten wir uns versprochen?

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Mir fiel direkt auf, dass es zu dem Arti­kel „War­um jun­ge Juden Deutsch­land ver­las­sen“ bei „Welt Online“ kei­ne Kom­men­ta­re gibt. Es ist gar nicht mög­lich, ihn zu kom­men­tie­ren. Ges­tern wur­de er ver­öf­fent­licht. Viel­leicht waren die „ers­ten“ Reak­tio­nen zu krass?

Ich fin­de, dass gera­de bei „Welt Online“ rech­te Ansich­ten sehr stark ver­brei­tet sind. Mein Abo läuft immer noch, so dass ich das beur­tei­len kann. Dass eini­ge mei­ner Kom­men­ta­re, die schein­bar als Pro­vo­ka­ti­on des dort vor­herr­schen­den rech­ten Main­streams ange­se­hen wur­den, erst gar nicht ver­öf­fent­licht wur­den, ist auch so eine Sache.

Dass AfD-Abge­ord­ne­te den Arti­kel mit ihrer eige­nen Schmier­sei­fe ver­brei­ten, ist kei­ne Über­ra­schung. Einer schrieb bezeich­nen­der­wei­se, dass „jun­ge, bes­tens inte­grier­te Juden unser Land ver­lie­ßen und durch Mus­li­me aus fer­nen Kul­tur­krei­sen ersetzt“ wür­den. Das ent­larvt zwar die Denk­wei­se die­sen AfD-Man­nes, hilft nur lei­der nicht dabei, das eigent­li­che Pro­blem wirk­sam anzugehen. 

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In Deutsch­land müs­sen wir inzwi­schen näm­lich von einer „Nor­ma­li­sie­rung“ des Anti­se­mi­tis­mus aus­ge­hen. Die Gesell­schaft ist also qua­si durch­drun­gen von anti­se­mi­ti­schen Einstellungen. 

Das ist vor allem vor unse­rem geschicht­li­chen Hin­ter­grund kein Tat­be­stand mit dem wir uns abfin­den dürfen. 

Juden wer­den nicht nur von Mus­li­men ange­grif­fen. Das ist zwar des­halb beson­ders schlimm, weil wir Hun­dert­tau­sen­den von Geflüch­te­ten Unter­schlupf in einer schwe­ren Not­la­ge gewährt haben. Ja, das Grund­ge­setz gewährt ein Recht auf Asyl. Nur ein Teil der Mus­li­me, die sich in Deutsch­land auf­hal­ten, haben die­sen Sta­tus im Ver­fah­ren erhal­ten bzw., es gibt vie­le Flücht­lin­ge, die gemäß den Gen­fer Kon­ven­tio­nen mit sub­si­diä­rem Schutz in Deutsch­land sind.

Dass in unse­rer Gesell­schaft, wann immer das The­ma zuneh­men­der Anti­se­mi­tis­mus auf­kommt, sofort mit den hohen Zuwan­de­rungs­zah­len aus dem mus­li­mi­schen Kul­tur­kreis argu­men­tiert wird, ist zwar einer­seits nach­voll­zieh­bar. Es ist aller­dings so, dass der Anti­se­mi­tis­mus in unse­rer Gesell­schaft ins­ge­samt auf dem Vor­marsch ist. Es ist also zu ein­fach, die Ent­wick­lung allein der Zuwan­de­rung in die Schu­he zu schie­ben. Dass rechts­extre­me Posi­tio­nen in unse­rer Gesell­schaft lei­der stark ver­brei­tet sind, hat eine neue Stu­die ergeben. 

Viel­leicht müs­sen wir davon aus­ge­hen, dass men­schen­feind­li­che Posi­tio­nen über eine ver­tret­ba­re kon­ser­va­ti­ve Welt­sicht hin­aus, nur des­halb ver­mehrt vor­kom­men, weil die Debat­te über die Fol­gen der Migra­ti­on von den eta­blier­ten Par­tei­en und Medi­en nicht aktiv geführt wur­de. Dass die Pro­ble­me her­un­ter­ge­spielt wur­den, bewirkt nicht nur eine Ver­än­de­rung der Spra­che im Dis­kurs über alle mög­li­chen Themen. 

In der gene­rel­len Hal­tung zur Migra­ti­on spie­len heu­te die extre­men Posi­tio­nen eine Rol­le, weil unser Land auf vie­len Fel­dern hilf‑, kon­zept- und für alle offen­sicht­lich erfolg­los agiert. Ich den­ke an die Miet­preis­ent­wick­lung, Kri­mi­na­li­tät, gerin­ge Abschie­bun­gen und die Grün­de dafür sowie sozia­le Ver­tei­lungs­kämp­fe im All­ge­mei­nen, in denen die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung mit Zuwan­de­rern konkurrieren. 

Eine ande­re Rol­le spielt die Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung zu erklär­ten Fein­den des Staa­tes Isra­el. Wer erkenn­bar aus rein wirt­schaft­li­chen Grün­den Ver­trä­ge mit dem Iran ver­tei­digt, zeigt eine selt­sa­me Ambi­va­lenz im Ver­hält­nis zur eige­nen Geschichte. 

Dass der Anti­se­mi­tis­mus im Schat­ten der Ent­wick­lung der letz­ten Jah­re auf­blüht, ist eine schreck­li­che Sache. Dass auch vor­her schon jüdi­sche Ein­rich­tun­gen unter Poli­zei­schutz gestellt wur­den, muss uns aber nach­denk­lich machen. Das war weni­ger The­ma in unse­rer Öffent­lich­keit. Heu­te nei­gen wir ein biss­chen zu sehr dazu, die Zunah­me anti­se­mi­ti­scher Angrif­fe den Fol­gen der Migra­ti­on aus mus­li­mi­schen Län­dern zuzuschreiben. 


Die Nor­ma­li­sie­rung des Anti­se­mi­tis­mus zeigt sich auch in der Band­brei­te der Täte­rin­nen und Täter, die das gesam­te sozia­le und poli­ti­sche Spek­trum abdecken. 

Zu den am häu­figs­ten genann­ten Täter­ka­te­go­rien hin­sicht­lich des schwer­wie­gends­ten Vor­falls einer anti­se­mi­ti­scher Beläs­ti­gung, die die Befrag­ten erleb­ten, zäh­len: jemand, den sie nicht kann­ten (31 %), jemand mit extre­mis­tisch mus­li­mi­scher Ori­en­tie­rung (30 %), jemand mit links­ge­rich­te­ter poli­ti­scher Ori­en­tie­rung (21 %), jemand unter den Arbeits­kol­le­gen, Mit­schü­lern oder Stu­di­en­kol­le­gen (16 %), jemand aus dem Bekann­ten- oder Freun­des­kreis (15 %) und jemand mit einer rechts­ge­rich­te­ten poli­ti­schen Ori­en­tie­rung (13 %).


Quel­le

Es stimmt nicht, dass Anti­se­mi­tis­mus ein Phä­no­men ist, das sich der poli­ti­schen Rech­ten zuord­nen lie­ße. Im Gegen­teil. Es exis­tiert eben­so bei der poli­ti­schen Lin­ken ein aus­ge­präg­ter Anti­se­mi­tis­mus. Übri­gens gilt das auch für Ras­sis­mus. Dass die­se Tat­sa­che in den Dis­kus­sio­nen eher sel­ten vor­kommt, fin­de ich interessant. 

Wer weiß, wie die ers­ten Kom­men­ta­re zu dem oben ver­link­ten Bei­trag von „Welt Online“ for­mu­liert waren und wie vie­le kri­ti­sche Anmer­kun­gen von Lin­ken kamen? 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Antisemitismus Gesellschaft Linke Rassismus Rechte

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2 Gedanken zu „Was hatten wir uns versprochen?“

  1. „Ich fin­de, dass gera­de bei „Welt Online“ rech­te Ansich­ten sehr stark ver­brei­tet sind. Mein Abo läuft immer noch, so dass ich das beur­tei­len kann. Dass eini­ge mei­ner Kom­men­ta­re, die schein­bar als Pro­vo­ka­ti­on des dort vor­herr­schen­den rech­ten Main­streams ange­se­hen wur­den, erst gar nicht ver­öf­fent­licht wur­den, ist auch so eine Sache.“

    Herr­jeh – jetzt BEzahlt der Herr Horst auch noch dafür, dass sei­ne Kom­men­ta­re zen­siert wer­den – ich fas­se es ja nicht. Mann, da wür­de ich an dei­ner Stel­le nicht mal umsonst lesen. Um die Inkon­se­quenz auf die Spit­ze zu trei­ben, soll­test du sogleich dein Abo lang­fris­tig ver­län­gern, grins.

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