„Cancel Culture“ verletzt grundlegendes Demokratieverständnis

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Ich wer­te Dirk Stef­fens Aus­sa­gen im „Spektrum“-Interview als Plä­doy­er für „Can­cel Cul­tu­re“. Er unter­stützt damit eine Ent­wick­lung für die sich Lin­ke und Rech­te gegen­sei­tig ver­ant­wort­lich machen und die ich für ganz schlimm halte.

Dirk Stef­fens hat dem Wis­sen­schafts­jour­nal „Spek­trum“ ein Inter­view gege­ben, in dem er ent­schie­den Stel­lung zu einem Phä­no­men nimmt, das in Vari­an­ten vie­le Men­schen beschäftigt. 

Er ist beliebt. Sein Wort hat wahr­schein­lich schon des­halb Gewicht, weil er sym­pa­thisch ist und er in sei­nen Sen­dun­gen inter­es­san­te Inhal­te auf ein­gän­gi­ge und ver­ständ­lich Art vermittelt. 

Soweit ich es sagen kann, hat er sich lan­ge Zeit nicht poli­tisch geäu­ßert. Wahr­schein­lich macht auch das einen gro­ßen Teil sei­ner Popu­la­ri­tät aus. 

Cancel Culture – Dann gibts keine zwei Meinungen mehr

Der Titel des Inter­view lau­tet: „Die Wahr­heit liegt allein in der Wahr­heit“. Klingt doch nach Georg Rest­le, oder? Viel­leicht ist der Titel bewusst pro­vo­ka­tiv gesetzt? 

Die sich ent­wi­ckeln­den star­ken Gegen­sät­ze (Flücht­lin­ge, Kli­ma­kri­se, Coro­na) in unse­rer Gesell­schaft berei­ten vie­len Sorge. 

Stef­fens sieht eine der Haupt­ur­sa­chen für die­se Ent­wick­lung im Inter­net. Damit ist er nicht allein (⊙_​⊙;). Sei­ner Ansicht nach, erhal­ten Ver­schwö­rungs­theo­rien vor allem dann Auf­trieb, wenn unsi­che­re Zei­ten aufziehen. 

Stef­fens sagt viel Rich­ti­ges. Aber im Kern bin ich nicht ein­ver­stan­den mit dem, was er zur gegen­wär­ti­gen Ent­wick­lung schlussfolgert:

Wir haben jedoch manch­mal eine bedenk­li­che Lust dar­an, über Absei­ti­ges zu berich­ten, weil das inter­es­san­te Geschich­ten sind, die ger­ne gele­sen und ange­schaut wer­den. Wir geben die­ser Nei­gung zu oft nach. Da schlie­ße ich mich aus­drück­lich mit ein. Wir soll­ten häu­fi­ger abwä­gen, ob wir dafür die Wahr­heit opfern wollen.

Wie soll­ten Medi­en mit Ver­schwö­rungs­theo­rien umge­hen? – Spek­trum der Wissenschaft

Zu viel oder zu wenig von allem?

Natür­lich ist es wahr, dass die Medi­en qua­si sich auf jede fie­se Äuße­rung im Netz stür­zen und ihnen damit ein Gewicht geben, das ihr nicht nur auf­grund ihres Niveaus kaum zukä­me. Die Fra­ge ist nur, wo man bei sol­chen Din­gen die Gren­ze zie­hen kann. Und wer soll das tun? 

Die Gesell­schaft ist nicht homo­gen, sie hat Demo­kra­tie ver­in­ner­licht und lebt mit ihren Chan­cen und Risi­ken. Die freie Mei­nungs­äu­ße­rung ist ein Wesens­ele­ment ohne die Demo­kra­tie nicht funk­tio­niert. Dass wis­sen und beto­nen auch alle. Wie kommt man dann zu sol­chen Aus­schluss­for­de­run­gen wie Stef­fens, Rest­le, Lobo und ande­re sie ziehen?

Wie oft haben sich Tages­schau und Heu­te schon dafür recht­fer­ti­gen müs­sen, dass sie über ein Ereig­nis nicht berich­tet haben, dem ande­re Leu­te jedoch ein hohes Maß an Rele­vanz für unser Land zusprachen? 

Es wird nicht deut­lich, dass aus sol­chen feh­ler­haf­ten Ein­schät­zun­gen etwas gelernt wur­de. Ein wei­te­res Ärger­nis ist die The­men­set­zung gro­ßen Talk­shows ist. Die per­so­nel­le Beset­zung ist abso­lut dis­kus­si­ons­wür­dig. Ab und an blitzt dazu Kri­tik in den kon­kur­rie­ren­den Print­me­di­en auf. Prin­zi­pi­ell ver­fährt man jedoch so, wie Prof. Maus­bach es beschreibt. 

Statt­des­sen wer­den die Empö­rungs­the­men for­ciert. Poli­tisch und gesell­schaft­lich völ­lig bedeu­tungs­lo­se Säue, die aber bei­na­he täg­lich durchs Dorf getrie­ben wer­den. Übri­gens wird mei­nes Erach­tens auch Unzu­frie­den­heit geschürt. Völ­lig unnötigerweise.

Cancel Culture ist unheimlich doof

Auch wenn das viel­leicht über­trie­ben ist, ich habe das Gefühl, dass Dirk Stef­fens in die glei­che Ker­be haut wie ande­re Befür­wor­ter von „Can­cel Cul­tu­re“. Und dabei spielt es für mich kei­ne Rol­le, dass sowohl die Lin­ken als auch die Rech­ten die Schuld­zu­wei­sung dafür jeweils dem poli­ti­schen Geg­ner zuwei­sen. Das führt alles nicht weiter.

Wir brau­chen mehr Dia­log. Auch wenn mich vie­le der Argu­men­te, Behaup­tun­gen von Rech­ten, Impf­geg­nern oder Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker echt ankot­zen, es bringt gar nichts, die­sen Leu­ten den Mund ver­bie­ten zu wol­len. Es bestärkt sie höchs­tens in ihren gedank­li­chen Dogmen.

NZZ, das Flaggschiff der Demokratie

Kürz­lich hat ein ehe­ma­li­ger NZZ-Kolum­nist einen (für mich jeden­falls) sehr üblen Kom­men­tar über Coro­na-Maß­nah­men geschrie­ben. Es gab in den Kom­men­ta­ren erschre­cken­der­wei­se (wie­der mal) enorm viel Zustim­mung. Die­ser Kolum­nist, der meh­re­re Jah­re als frei­er Jour­na­list Kolum­nen für die NZZ geschrie­ben hat­te, wur­de am 1.9. qua­si „ent­las­sen“.

Er schreibt kei­ne wei­te­ren Kolum­nen für die NZZ! Die Spe­ku­la­tio­nen über die Moti­ve der dor­ti­gen Chef­re­dak­ti­on fand ich ziem­lich inter­es­sant. Vor allem weil sie in die­ses Sche­ma pas­sen, das Rech­te und Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker eint. Dabei ging es bei der Maß­nah­me der NZZ-Chef­re­dak­ti­on gar nicht um die Kolum­ne selbst, son­dern dar­um, dass der Autor unab­ge­stimmt sei­nen Kom­men­tar zur Zweit­ver­wen­dung an den Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker Ken Jeb­sen wei­ter­ge­ge­ben hat.

Der Mann hat am 17.8. die Initia­ti­ve „Can­cel Can­cel Cul­tu­re“ gegrün­det, die gro­ße Reso­nanz erfah­ren hat und die übri­gens schon vor die­sem „Raus­wurf“ bekannt­ge­wor­den war. Bei­de Ereig­nis­se haben also inso­fern nichts mit­ein­an­der zu tun. 

Dialoge fehlen, es muss ja nicht einer zwischen Drosten und Bhaghdi sein

Hier die Lis­te der Erst­un­ter­zeich­ner. Es tau­chen eine Men­ge Namen auf, die ich emo­tio­nal gern auf einer roten, von mir aus auch schwar­zen Lis­te sehen wür­de. Aber das wäre FALSCH! Ich ken­nen im Gegen­satz zu vie­len ande­ren (den­ke ich), vie­le der Tex­te oder Rede­bei­trä­ge die­ser Per­so­nen, weil ich sie nicht von mei­ner Play­list oder mei­ner Link­lis­te lösche bzw. gelöscht habe! 

Es ist falsch, ande­re Mei­nun­gen aus­zu­gren­zen – auch wenns weh tut und manch­mal so ver­flucht schwer fällt. 

Mein Demo­kra­tie­ver­ständ­nis ist inso­fern radi­kal genug, um mich all­ge­mei­nen Spal­tungs­ten­den­zen zu wider­set­zen. Dass die­se vor allem von lin­ken Intel­lek­tu­el­len betrie­ben wer­den, tut mir regel­recht weh.

Bei „Indu­bio“, einem Pod­cast der „Ach­se des Guten“, den ich mir fast immer anhö­re (obwohl ich mit so vie­lem nicht ein­ver­stan­den wird, was dort gesagt wird) fand ein ful­mi­nan­ter Streit zwi­schen dem Initia­tor und ande­ren Teil­neh­mern statt. Wer hier ein­mal hin­hö­ren will: Hier der Direktlink. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Merz und Lindner

Schlagworte: Verschwörungstheorien

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2 Gedanken zu „„Cancel Culture“ verletzt grundlegendes Demokratieverständnis“

  1. Ich stim­me Stef­fens weit­ge­hend zu, fand das Inter­view sehr inter­es­sant. Man muss immer unterscheiden:

    Zu behaup­ten, dass es das neue Coro­na-Virus gar nicht gibt, ist kei­ne Mei­nungs­äu­ße­rung, son­dern schlicht dum­mes Zeug. Ent­we­der ist der/​die Äußern­de ent­we­der schlicht unge­bil­det bzw. dumm oder er/​sie ver­folgt mit die­sem Unfug eine poli­ti­sche Agenda. 

    Dito für den ande­ren hirn­ris­si­gen Quatsch z.B. von Bill Gates, der die kom­men­den Coro­na-Impf­stof­fe miss­brau­chen will, um alle Men­schen zu „chip­pen“ zwecks tota­ler Beherr­schung. Oder dass es gar kei­ne Mond­lan­dun­gen gege­ben hat. Chem­trails, fla­che Erde, (isla­mi­sche) Umvol­kung, jüdi­sche Welt­herr­schaft. Such’ dir was aus, es ist alles kei­ne Mei­nung, son­der schlicht nach­weis­bar völ­li­ger Schwachsinn.

    Da gibt es über­haupt kei­ne Argu­men­te, über die ein Dia­log geführt wer­den könn­te. Das ist es, das Stef­fens sagen will. Wahr­heit (oder etwas nied­ri­ger gehängt: wis­sen­schaft­li­che Fak­ten) ist eben auch kei­ne Fra­ge der Mei­nung, son­dern der Erkennt­nis. Über Erkennt­nis­se kann man dis­ku­tie­ren. Über ver­schwö­rungs­e­so­te­ri­schen Unfug nicht.

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