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Gesellschaft

Sachsen und Thüringen im rechten Wahlrausch

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von Horst Schulte

7 Min. Lesezeit

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Die Zeiten ändern sich.

Die­ser Bei­trag scheint älter als 3 Jah­re zu sein – eine lan­ge Zeit im Inter­net. Der Inhalt ist viel­leicht veraltet.

Es ist demo­ra­li­sie­rend, sich bewusst zu machen, dass Nar­ra­ti­ve um sol­che Begrif­fe wie »Nie wie­der!« oder »Weh­ret den Anfän­gen« jahr­zehn­te­lang gal­ten, aber ihre Bedeu­tung in der Gegen­wart zu ver­lie­ren scheinen. 

Juden sind in Deutsch­land nicht mehr sicher. Das ist längst kei­ne Neu­ig­keit mehr. Schon seit vie­len Jah­ren neh­men wir hin, dass Anti­se­mi­tis­mus und immer häu­fi­ger auch Gewalt gegen Juden in Deutsch­land statt­fin­den, und zwar über­all im Land. 

Den schö­nen Sonn­tags­re­den zum Trotz fin­den wir kei­nen Weg, den Men­schen, von denen ver­ba­le und kör­per­li­che Gewalt aus­geht, klar­zu­ma­chen, dass die­se Gesell­schaft nicht bereit ist, das zu tole­rie­ren und dass wir ihre Ver­ge­hen gegen unse­re Grund­sät­ze mit vol­lem Ein­satz bekämp­fen wer­den. Es gibt Men­schen, die sich für die­se Zie­le enga­gie­ren. Wahr­schein­lich mehr als ich das für mög­lich hal­te. Trotz­dem ste­hen jüdi­sche Schu­len, Syn­ago­gen und expo­nier­te jüdi­sche Ver­tre­ter unter stän­di­gem Polizeischutz. 

Mei­ne Sozia­li­sie­rung fand über­wie­gend in den 60-er und 70-er Jah­ren statt. Ich wur­de acht Jah­re nach Kriegs­en­de gebo­ren. Ich erin­ne­re mich, dass die The­men mich stark beschäf­tigt haben, obwohl wir die Juden­ver­fol­gung und die Nazi­zeit im Schul­un­ter­richt nur rudi­men­tär behan­delt haben. Der Krieg und die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus waren für mich von Angst und Abscheu geprägt. Mein Vater hat wenig über den Krieg gere­det, obwohl er sei­ne kom­plet­ten zwan­zi­ger Lebens­jah­re gezwun­ge­ner­ma­ßen in Russ­land ver­brach­te, fünf Jah­re Kriegs­ge­fan­gen­schaft ein­ge­schlos­sen. Wenn er über­haupt davon erzählt hat­te, dann nur, wenn er Alko­hol getrun­ken hat­te. Es kam vor, dass er zu wei­nen begann. Wie schon erwähnt, es war sel­ten, dass er auf das The­ma kam. 

Ich erin­ne­re mich gut an die Zeit der Kuba-Kri­se 1962, obwohl ich damals noch kei­ne zehn Jah­re alt war. Mein Vater war trotz sei­ner Erfah­run­gen und sei­ner ver­mut­lich voll­stän­dig unver­ar­bei­te­ten Trau­ma­ta durch Krieg und Gefan­gen­schaft nach außen ein fröh­li­cher und belieb­ter Mensch. Wäh­rend die­ser zwei Wochen rede­te er ganz wenig, er wirk­te still und nach­denk­lich. Er hat­te Angst vor einem drit­ten Welt­krieg und das die Ame­ri­ka­ner und Rus­sen Atom­waf­fen ein­set­zen wür­den. Das immer­hin konn­te ich ihm ent­lo­cken. Ver­ges­sen habe ich unser Gespräch über sei­ne Sor­gen von damals nie.

Obwohl ich mich nie in der Frie­dens­be­we­gung mei­ner Jugend­zeit enga­giert habe, war mei­ne Hal­tung zu den Kon­flik­ten die­ser Zeit immer klar und ein­deu­tig. Ich habe kei­nen Wehr­dienst geleis­tet. Aller­dings nicht, weil ich mich als Pazi­fis­ten ver­stand, son­dern weil ich den beque­me­ren Weg gegan­gen bin und einen 10-jäh­ri­gen Ersatz­dienst bei der frei­wil­li­gen Feu­er­wehr in unse­rem Städt­chen geleis­tet habe.

Eine mili­tä­ri­sche Eska­la­ti­on emp­fand ich damals als äußerst rea­lis­ti­sche Bedro­hung des zu die­ser Zeit voll im Gang befind­li­chen Kal­ten Krie­ges. Ich war lei­den­schaft­lich gegen Krieg, für Frie­den und für die Wah­rung der Men­schen­rech­te auf der Erde. Als die 1989 die Gren­ze fiel, war ich begeis­tert und fuhr mit mei­ner Frau am Abend zu mei­nen Eltern, um uns gemein­sam zu freu­en und mit ihnen ein wenig zu fei­ern. Dass der War­schau­er Pakt auf­ge­löst wür­de, war damals noch nicht abzu­se­hen. Eine Wie­der­ver­ei­ni­gung rück­te an die­sem Tag in den meis­ten Köp­fen im Land in den Bereich des Möglichen. 

Drei Jahr­zehn­te spä­ter wächst die Ernüch­te­rung über man­che Begleit­erschei­nung der Wie­der­ver­ei­ni­gung. In Sach­sen hat die anti­de­mo­kra­ti­sche rechts­extre­me AfD 24 % aller Wäh­ler­stim­men erhal­ten, in Thü­rin­gen 24,6 %. Die AfD ist dort also die stärks­te poli­ti­sche Kraft. In ande­ren ost­deut­schen Län­dern sind die Stim­men­an­tei­le eben­falls beacht­lich. Nicht nur für unser poli­ti­sches Estab­lish­ment wird die­se Ent­wick­lung ein schwe­rer Schlag sein. Wie wir Bür­ge­rIn­nen mit die­ser Ent­wick­lung umge­hen soll­ten, wird wohl unter­schied­lich gese­hen. Man­che wer­den sagen: So ist Demo­kra­tie und hal­ten die AfD für ein Phä­no­men, das zwar im Wes­ten der Repu­blik zu Nase­rümp­fen und Ableh­nung führt, das jedoch ansons­ten von ech­ten Demo­kra­ten anzu­er­ken­nen ist. Ich sehe das anders und ver­wei­se auf den Anfang mei­nes Artikels. 

»Nie wie­der« war für mich nie eine lee­re Wort­hül­se, eine Politfloskel! 

»Nie wie­der« ist ein Ver­spre­chen, das Demo­kra­ten sich gege­ben haben, um jede faschis­ti­sche Ent­wick­lung in Land im Keim zu ersti­cken. Natür­lich gewalt­los, auf demo­kra­ti­schem Weg. Das geht, solan­ge sich die gesell­schaft­li­chen Nor­men nicht in einer Wei­se ver­schie­ben, die wir seit eini­gen Jah­ren beob­ach­ten muss­ten. Inzwi­schen hat sich im Land eine Unzu­frie­den­heit breit­ge­macht, die anti­de­mo­kra­ti­sche Strö­mun­gen för­dern und die sie tra­gen­den Kräf­te (AfD, Coro­na-Leug­ner, Impf­geg­ner, gewalt­be­rei­te rech­te Grup­pen, die sich von gewis­sen poli­ti­schen Ansa­gen der AfD auf­ge­for­dert füh­len, aktiv zu wer­den). Dass die AfD sol­che Kau­sa­li­tä­ten vehe­ment von sich weist, heißt nicht, dass den meis­ten Men­schen im Land die­se Zusam­men­hän­ge nicht abso­lut klar wären. Auch denen, die die AfD in Sach­sen, Thü­rin­gen und ande­ren ost­deut­schen Bun­des­län­dern gewählt haben. Umso schlim­mer fin­de ich das Ver­hal­ten der AfD-WählerInnen.

Der Ost­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung, Mar­co Wan­der­witz, hat in kla­ren Wor­ten die Grün­de für die Wahl­aus­brü­che in Ost­deutsch­land benannt. Sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer gab in einer Erklä­rung zum Stim­men­ver­lust der CDU Herrn Wan­der­witz die Schuld. Das hat mich umge­hau­en. Ich war über­zeugt davon, dass Kret­schmer längst ver­stan­den hat, wel­che Stim­mung in sei­nem Land exis­tiert und wel­che Ergeb­nis­se (Umfra­gen) ihn erwar­ten. Kret­schmer hat sich in her­vor­ra­gen­der Art und Wei­se um einen Dia­log mit denen bemüht, die mit unse­rer Demo­kra­tie, der Bun­des­re­pu­blik in ihrer gegen­wär­ti­gen Ver­fasst­heit nichts mehr anzu­fan­gen wis­sen. Viel zu vie­le Men­schen im Osten haben kei­ne Lust mehr, ihren Poli­ti­kern zuzu­hö­ren. Und natür­lich hat dies Grün­de, die ich weder bei­sei­te­schie­ben noch baga­tel­li­sie­ren will. Aber auch die Sum­me all die­ser Vor­wür­fe und Kla­gen kön­nen doch für Demo­kra­ten kei­ne Begrün­dung lie­fern, ihre Stim­me einer rechts­extre­men Par­tei zu geben. 

Herr Wan­der­witz hat sich dafür ent­schie­den, mit sei­nen Lands­leu­ten in eine Kon­fron­ta­ti­on ein­zu­tre­ten. Der Preis dafür ist hoch. Er konn­te sein Direkt­man­dat nicht errin­gen. Er hat es an einen AfD-Kan­di­da­ten ver­lo­ren. Den Applaus, die Schen­kel­klat­scher der Rech­ten in Sach­sen und sonst wo in die­sem Teil Deutsch­lands kann man immer noch hören. Man­che Lands­leu­te for­dern von Wan­der­witz, sich zu schä­men, ande­re wer­den noch deut­li­cher. In der letz­ten Pan­ora­ma-Sen­dung wur­de ein Bei­trag über Wan­der­witz’ vor­bild­li­che Hal­tung gezeigt. Dass der Mann an sei­ner Stra­te­gie zwei­felt und viel­leicht sogar ver­zwei­felt (2. Inter­view) kann ich gut ver­ste­hen. Aber genau die­sen Mut soll­ten viel mehr Bür­ge­rIn­nen die­ses Lan­des auf­brin­gen und sich nicht mit der übli­chen Erb­sen­zäh­le­rei auf­hal­ten (wenn ich die State­ments von Chris­ti­an Lind­ner und Robert Habeck nach den Gesprä­chen zwi­schen der FDP und den Grü­nen höre…).

Mei­ne Frau und ich sind übri­gens doch wäh­len gegan­gen und haben bei­de SPD gewählt. Wir haben uns erst am Wahl­tag ent­schie­den. Sowohl was die Wahl an sich anlangt, als auch, wel­che Par­tei wir wählen.

Die SPD hat hier lei­der »trotz­dem« knapp ver­lo­ren. Wir hof­fen wei­ter auf die Ampel. In unse­rem Städt­chen hat die AfD lei­der über 8 % der Zweit­stim­men erhal­ten. Die Grü­nen sind knapp davor gelan­det (Zweit­stim­men). Das schwa­che Ergeb­nis der Grü­nen hat hier wohl mit deren Ver­hal­ten zum Koh­le­aus zu tun. Dies erin­nert inso­fern an man­che Grün­de, die im Osten für das bekla­gens­wer­te Ergeb­nis der AfD sorg­ten. Dass so vie­le Leu­te dort demo­kra­ti­schen Par­tei­en die kal­te Schul­ter zei­gen, ist besorg­nis­er­re­gend. Ob sie für die Demo­kra­tie ver­lo­ren sind, bleibt abzu­war­ten. Den ein­fäl­ti­gen Aus­sa­gen man­cher Uni­ons­po­li­ti­ker (Phil­ipp Amt­hor) glau­be ich nicht. Die­se Wäh­le­rIn­nen las­sen sich in ihrem Frust und ihrer Stur­heit gewiss nicht leicht über­zeu­gen. Dafür kann nur eine Poli­tik sor­gen, die end­lich ein­mal wie­der über­zeugt und die glaub­wür­dig das umsetzt und ver­tritt, was die Par­tei­en in ihren Absichts­er­klä­run­gen und Wahl­pro­gram­men zuge­sagt haben. Nur so geht das. 

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Ich bin Horst Schulte

Herausgeber, Blogger, Amateurfotograf

alleiniger Autor dieses Blogs

Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Ich kann die Leute nicht ändern, aber meinen Blick auf sie.

Artikelinformationen:

Gesellschaft

AfD, Demokratie, Ostdeutschland, Sachsen, Thüringen, Wahlen

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1 Gedanke zu „Sachsen und Thüringen im rechten Wahlrausch“

  1. Hal­lo Horst,

    Ich habe auch nicht so rich­tig eine Erklä­rung für so ein Wahl­ver­hal­ten hier in Sach­sen. Nur so viel: Es scheint so, als ob die AFD auch schwä­cher wur­de. Aller­dings wur­de die CDU regel­recht zer­brö­selt. Gewin­ner waren hier die, die eine Ampel bil­den wollen.

    In Sach­sen ist man schwer kon­ser­va­tiv. Und nach dem Desas­ter Sta­nis­law Til­lich als Minis­ter­prä­si­dent geht es bei der CDU nur noch um Scha­dens­be­gren­zung. Das mer­ken die Leu­te. Und wenn der CDU­ler im Dorf dann zur AFD wech­selt, wech­seln die Wäh­ler mit.

    Ich muss mich da nicht recht­fer­ti­gen. Und so eine Geschich­te darf nicht als Ent­schul­di­gung durch­ge­hen. Es ist aber für mich der Ver­such einer Erklärung.

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