Wir wären auch ohne mediale Aufklärung darauf gekommen – also ohne Robin Alexander von der „Welt“. Dieser hatte, wenn ich es richtig verfolgt habe, eines der inzwischen beliebtesten Narrative gegen die Ampel-Regierung platziert. So hatte die CDU heute im Bundestag leichtes Spiel. Die Regierung hat zum Thema Impfpflicht keinen Gesetzesentwurf vorgelegt und dies damit begründet, dass es sich bei diesem Thema um eine hochrangige ethisch-rechtliche Dimension handeln würde.
Gesetzentwurf oder offene Debatte?
Das muss man nicht teilen, zumal wir heute ziemlich genau wissen, dass diese Regierung keine eigene Mehrheit für einen solchen Gesetzesentwurf hätte zustande bringen können. Allein die Abtrünnigen innerhalb des Kubicki – Teiles der FDP stehen einer Mehrheit entgegen. Ich finde es allerdings wenig konsequent, dass die CDU, deren Spitzenleute Alexanders Narrativ begierig aufgenommen und weiterverbreitet haben, ihrerseits ebnfalls keinen solchen Entwurf vorlegten.
Lauterbach beklagt nach dem ersten Tag der Orientierungsdebatte im Bundestag, dass die CDU die Zeit nicht für konstruktive Beiträge im Sinne ethischer, medizinischer und rechtlicher Aspekte nutzte, sondern pure Parteipolitik gemacht habe. Die üblichen Verdächtigen unserer kritischen Öffentlichkeit wird diese Tatsache für sich zu nutzen wissen. Der Widerstand gegen eine Impfpflicht wächst und unsere Politiker werden sich ab jetzt den üblichen parteilichen Scharmützeln hingeben. Das wäre bei einem vorgelegten Gesetzesentwurf allerdings kein bisschen anders.
Quasselbude
Eine solche „Debattenkultur“ führte in den 1920-er und 1930er-Jahren zum Ende der Weimarer Republik. Eine abfällige Bezeichnung ging in die Geschichte unseres Landes ein. Das Parlament wurde vom deutschen Kaiser Wilhelm II. als Quasselbude, später von den Nationalsozialisten (Goebbels) und ihren Helfern als „Quatschbude“ diffamiert. Dass auch ein Mann wie Ernst Thälmann von der KPD den Reichstag als „Quasselbude“ bezeichnete, ist nicht so bekannt. Das macht den allgemeinen Verfall der Sitten in diesen Zeiten vielleicht in Stück weit nachvollziehbar.
Wie lange wird es noch dauern, bis ähnliche Begriffe durch die gegenwärtige Situation in Deutschland die Runde machen? Wahrscheinlich sind sie schon gefallen, und ich habe das nur nicht mitbekommen.
Oppositionsrolle der Union
Die Union findet sich immer besser in ihre Oppositionsrolle hinein. Das muss so sein und dass sie die Regierung dafür bloßstellt, dass sie sich in diesem Fall nicht an die üblichen Usancen hält, sondern eine Ausflucht zur Verdeckung ihrer Mehrheitsprobleme wählte, ist schon ok. Allerdings sollte sie im Interesse des Ganzen dafür sorgen, dass sich der Frust in unserer Bevölkerung – nicht nur unter den Querdenkern, Nazis und Coronagegnern – weiter vergrößert. Diese Gefahr besteht und das Bild, das „die Politik“ in diesen Zeiten abgibt, ist sehr beunruhigend.
Mehr Masse als Klasse
Nun haben wir so viele Abgeordnete wie nie im Parlament. Sollte die Schlussfolgerung einst sein: mehr Masse als Klasse? Oder bringen die gewählten Abgeordneten endlich das zustande, was Kanzler Olaf Scholz trotz anderslautender Behauptungen bisher nicht im Ansatz zeigt: Führung! Mir kommt es so vor, als seien unsere Politiker nie mutloser und verzagter gewesen. Hoffentlich bringt es einer in den nächsten Wochen mal fertig, das auszusprechen, was die meisten im Land vielleicht inzwischen denken: Wir führen diese Impfpflicht nicht ein, sondern warten gemeinsam einmal ab, ob es tatsächlich im kommenden Herbst / Winter zu dem befürchteten, aber keinesfalls erwiesenen Ausbruch des Coronavirus – in welcher Variante auch immer – kommt.
Was kommt im Herbst/Winter dieses Jahres?
Wir wissen nicht, welche Impfstoffe dann ggf. überhaupt zur Verfügung stünden bzw. ob diese dann wirksam wären. Es geht aber in der Impfpflichtdebatte nicht um die laufenden Abschnitte der Pandemie, sondern halt um das, was im Herbst / Winter dieses Jahres ohne hinreichende Impfquote geschehen könnte. Wir sollten den Mut haben, das abzuwarten und dann gesellschaftlich, also gemeinsam, die Fehlerkultur an den Tag zu legen, die gerade in dieser Pandemie so stark unter die Räder geraten ist.
Alternative: Alle Maßnahmen stoppen, dafür die Impfpflicht sofort einführen
Boris Palmer schlug als Alternative vor, alle Maßnahmen sofort zu stoppen und stattdessen schnell eine Impfpflicht einzuführen. Damit wäre zwar das Ziel, die Kapazitäten unseres Gesundheitswesens nicht zu überlasten, wohl erreicht. Alle Ungeimpften würden allerdings, egal welche Gründe das im Einzelfall auch immer gehabt hätte, den Folgen ihrer individuellen Verantwortung ausgeliefert. Dass zurzeit noch eine Debatte darüber aussteht, ob Serienimpfungen für Menschen aus medizinischen Gründen ein gangbares und vor allem risikoarmes Konzept darstellen, wäre aber zu bedenken.
Impfpflicht ist wohl nicht zielführend.
Was bleibt: das absolut unintelligente Virus schlägt den Menschen, 1:0.
Das glaube ich mittlerweile auch. Interessant und ärgerlich finde ich inzwischen die Vorgehensweise unserer Regierung. Warum orientieren die sich nicht mehr an unseren Nachbarländern. Wollen sie klüger sein als die anderen oder ist die Lage bei uns wirklich so viel unterschiedlicher? Die Entscheidungen sind im Detail oft überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Deshalb könnte das alles noch wirklich böse enden.
Habe heute morgen Lauterbach auf einer Pressekonferenz gesehen. Für mich ist l. Sehr überzeugend, immer wieder neu.
Ich halte es für möglich, dass man Äpfel mit birnen vergleicht bei unterschiedlichen Ländern.
Das Vorgehen des Virus ist höchst simpel , aber das daraus folgende Geschehen höchst komplex.
Wohl wahr. Sind wir also zu streng mit der Kritik am Handeln unserer Politiker?
Das sind wir nicht.
Dennoch gehe ich davon aus, dass einige (!) von ihnen sehr hart arbeiten und im Rahmen der verschiedenen Einflüsse auf sie einen guten job machen.
Die Sache ist zudem kompliziert, weil für den einen die halbwegs gut arbeiten, für andere aber wieder ganz andere. Demokratie?
Dann wirds natürlich echt kompliziert 😉