Ich finde Richard David Precht sympathisch. Ja, er schwätzt manchmal etwas viel. Aber selbst das ist meist unterhaltsam und inspiriert mich. Damit lehne ich mich aufgrund des letzten Skandals sehr weit aus dem Fenster, was mir als Blogger mit kleinster Auflage wahrscheinlich kaum einer krumm nimmt.
Wer so richtig voll in der Kritik steht, im Auge des Shitstorms sozusagen, der erhält seltsamerweise oft Sympathiepunkte, die er sonst nie von mir gutgeschrieben bekäme. Precht hat gemeinsam mit Lanz ein erfolgreiches Plapperformat, neudeutsch Podcast gefunden. Wer genau es erfunden hat, weiß ich gar nicht. Ein Redakteur wird verantwortlich sein.
Vom ewigen Schwätzer und Henryk M. Broder
Heute lese ich eine Kritik an Precht, die von keinem geringeren verfasst wurde, als dem Herausgeber der FAZ, Jürgen Kaube. Ist das noch eine Kritik oder ist das nicht schon ein ganzer Vernichtungsfeldzug? Vermutlich kann eine solche Kritik einen Menschen sozial ruinieren. Ich hoffe, Precht, der mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet zu sein scheint, nimmt sich das nicht zu sehr zu Herzen.
Kaube gibt seinem Verriss den Titel: »Der ewige Schwätzer liegt einmal mehr falsch«. Er erklärt Precht zum Antisemiten? Dass er ausgerechnet beim mir nicht gerade geschätzten Henryk M. Broder eine Anleihe gemacht hat, verstört mich auf den ersten Blick. Wahrscheinlich muss auch ich mich damit abfinden, diese typisch deutsche Eigenart einfach nicht abstreifen zu können.
Ein Sprachwissenschaftler hat mal einen meiner Artikel (natürlich ungefragt) daraufhin analysiert und mir anhand einiger Textphrasen Antisemitismus attestiert. Ich wurde damals von einem befreundeten Blogger verteidigt, der viel sprachgewandter und klüger war als ich. Er und ich lieferten uns aus zwei unterschiedlichen politischen Lagern schon seit einiger Zeit in unseren Blogs ein Scharmützel nach dem anderen. Auch seine Fürsprache half nicht. Ich war entlarvt als Antisemit.
Intellektuelle Schlachten
Heute geht das nach meinem Empfinden noch viel schneller als vor 10 oder 15 Jahren. Ich habe die Geschichte von damals verdrängt. Die aktuellen Debatten holten sie hervor. Es gibt andere, harte Kritik an Precht. So arbeitet sich Michael Blume im SciLogs ebenfalls an Prechts Äußerungen im Podcast ab.
Es ist verstörend, dass vermutlich jeder (Sie natürlich nicht!) anderen Menschen zuhört und deren Behauptungen glaubt oder – noch schlimmer – sogar selbst weiterverwendet. Ich hatte zum Beispiel auch mal gelesen, dass orthodoxe Juden zu einem großen Teil keiner Arbeit und ihren religiösen Studien nachgingen. Ich habe nicht überprüft, ob diese Behauptung zutreffend war. Wahrscheinlich wäre ich nicht darauf gekommen, diese ungeprüfte Information zum Beispiel hier im Blog zu verwenden. Das heißt aber nicht, dass ich diese Behauptung nicht in einem Gespräch vielleicht doch verwendet hätte. So nach dem Motto: Herr Lehrer, ich weiß was. Aber so was machen natürlich nur einfache Leute wie ich. Intellektuelle arbeiten streng auf wissenschaftlicher Basis.
Precht, der Tausendsassa
Von einem Philosophen erwartet man nicht unbedingt, dass er zu allen Themen der Gegenwart seine Positionen offenbart oder in jedem Fall überhaupt eine hätte. Auffallend ist auch für mich als Precht-Sympathisant, dass er in dieser Hinsicht ein Tausendsassa ist. Menschen, die zu viel oder zu laut reden, kommen oft in der Öffentlichkeit nicht gut an. Das liegt manchmal auch daran, dass sie zwar eine Diskussion mit ihrer Meinungsstärke in Gang bringen können, andererseits jedoch dazu neigen, sie mit eigenen Argumenten im Keim zu ersticken.
Omnipräsenz in den Medien, das sollte sich längst herumgesprochen haben, ist für die eigene Karriere, soweit man kein Tagesschausprecher ist, nicht förderlich. Ob Precht oder Lanz das nicht wissen? Nun, die letzten Shitstorms gegen Precht (bekomm‘ ich sie noch zusammen?) sind im Vergleich zum letzten eher Kleinigkeiten gewesen. Ich hoffe, Precht wird auch diesen sozialen Overkill überleben und nicht von seinem Haussender beiseitegestellt werden.
Ich fand seine Äußerungen nicht in Ordnung. Aber die Reaktionen sind es meiner Meinung nach ebenfalls nicht.
Ich glaube, ich bin doch nicht allein:
Ich habe den betreffenden Podcast nicht gehört, aber die entscheidenden Passagen (mehr als nur ein Satz) nachgelesen, nachdem ich auf die Aufregung aufmerksam geworden war. In einer Diskussion auf Mastodon. Habe dann einen ziemlich klugen und seriösen Kommentar zu Problematik gefunden, der mir mehr Klarheit zur Sache brachte:
(https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/faktencheck-lanz-precht-110-ueber-israel-den-gazastreifen-und-orthodoxe-juden/?unapproved=141151&moderation-hash=eb5343f6f89c8abf2919398e583c08c3#comment-141151
)
Prechts Problem ist m.E. das Folgende:
Er betreibt mit Lanz einen Plauder-Podcast, in dem beide zwanglos über wichtige Themen dialogisieren. Ein leichtgewichtiges Unterhaltungsformat also. Gerade darin darf es einem Philosophen auf keinen Fall passieren, irgendwelche resssentimentgeladenen, weitverbreiteten Plattitüden über eine (in diesem Fall) religiöse Gemeinschaft daherzuplappern, die noch dazu faktisch falsch sind. Das geht halt gar nicht, und Precht muss das wissen.
Tatsächlich halte ich ihn nicht für einen Antisemiten.
Zweitens, was die ganze Sache noch verschlimmert:
Das ZDF schneidet nach Beginn der Debatte darüber einfach die entsprechende Passage aus dem Poscast, zensiert also, und versucht die Angelegenheit mit einer ziemlich dümmlichen Rechtfertigungsphrase aus der Welt zu schaffen, die man Schuldumkehr oder Schuldverschiebung nennen muss:
Man erklärt den Sachverhalt als einen komplexen Zusammenhang, der verkürzt dargestellt worden wäre und deswegen missverständlich aufgefasst wurde.
Das Problem wird also vom Gesagten auf das fehlerhaft Verstandene verschoben, der Zuhörer ist also schuld.
Und in seiner neu vor den (zensierten) Podcast geschalteten persönlichen Vorbemerkung verstärkt Precht genau diese Schuldverschiebung auch noch.
Also kurz:
1. Dumm und unüberlegt ressentimentgeladenes Zeug geplappert
2. Anstatt klar Stellung zu beziehen besser Schwamm drüber, also:
3. Schnell die Passagen gelöscht und die Verantwortung verschoben
4. In neuem Vorwort anschließend gleich nochmal dasselbe
Für einen Philosophen, der ernst genommen werden will und als Medien-Tausendsassa auftritt, ist das ziemlich unsäglich und völlig danebengegangen. (Und für das ZDF sowieso.)
@Boris, den Artikel von Martin Blume hatte ich im Artikel verlinkt (Abschnitt: Intellektuelle Schlachten) 🙂
Er hat auch für mich eine andere Qualität.
Die Reaktionen des ZDF war typisch. Aber können nicht etwas nachsichtiger sein? Warum neigen wir dazu, in unseren Reaktionen so krass übers Ziel hinauszuschießen? Da wird doch jemand sozial zur Unperson geschrieben. So empfinde ich die massive Kritik an Precht. In den asozialen Medien ist es schlimmer. Die Teilnehmer dort werden getriggert durch Artike wie den des FAZ-Herausgebers.
Ja, Precht hat sich und seinen Zuhörern sicher keinen Dienst erwiesen. Für ihn gilt nur nicht, was für viele andere Schwätzer auch gilt. Nur – er wurde wieder einmal erwischt und das wird ihm wieder nie vergessen werden.
Nicht, weil er (wahrscheinlich unabsichtlich) antisemitische Parolen in die Welt setzt, sondern weil seine Präsenz und seine Art zu reden den Leuten auf die Nerven geht. Ich fürchte, dass reicht schon aus, um gegen Menschen nachhaltige Hetze zu betreiben. Ist das wirklich richtig?