Die ganzen Krisen wollen überstanden werden. Dass uns dieses Vorhaben zusehends überfordert, sehen wir längst nicht mehr bloß im Ausland. Auch in Deutschland nimmt die Armut seit Jahren zu. Die Zahl derjenigen, die auf die Tafeln angewiesen sind und die außerdem obdachlos wurden, steigt immer weiter an.
Dass andererseits in der Bundesrepublik inzwischen 200 Menschen zu Milliardären geworden sind, tröstet in dieser Hinsicht wenig. Dass es unter den Millionären einen leichten Rückgang zu verzeichnen gibt, signalisiert manchen möglicherweise, dass die Krisen alle sozialen Schichten durchdrungen hat. Wie witzig! Die Wahrheit ist, Vermögen verteilt sich nicht ansatzweise gerecht. Aber: Immer weniger Menschen besitzen immer mehr Vermögen.
Jugendarbeitslosigkeit in der EU
Es wird kaum ein Trost sein, dass diese Entwicklung europa- und weltweit stattfindet. Seit der Finanzkrise Ende der Nullerjahre herrscht in einigen Ländern der EU eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Spanien und Italien sind traurige Beispiele. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung verfestigt. Es liegt in beiden Ländern weniger an Bildung und Ausbildung, sondern an einem andauernden Zustand, der angesichts einer auch dort vorhandenen negativen demografischen Entwicklung unlogisch scheint. Italien etwa hat das höchste Durchschnittsalter in Europa.
Die Gründe der Jugendarbeitslosigkeit sind komplex und die Hauptursachen variieren von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Insgesamt lässt sich jedoch ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Jugendarbeitslosigkeit und bestimmten Faktoren feststellen (zum Beispiel Bildung/Qualifizierung, Missverhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, Wirtschaftslage). Zudem zeigt sich, dass bestimmte Gruppen junger Menschen besonders von Arbeitslosigkeit bedroht sind, zum Beispiel junge Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung. Im Hinblick auf den Zusammenhang von Jugendarbeitslosigkeit und Bildung lässt sich feststellen, dass gerade wegen eines insgesamt besseren Bildungsstands der Jugendlichen niedrig qualifizierte junge Menschen ein besonders hohes Risiko haben, arbeitslos zu werden. Dennoch stellt auch eine bessere oder gute Qualifizierung keine absolute Arbeitsplatzgarantie mehr dar.
Quelle: Caritas
Eine gute Ausbildung, einschließlich eines Studiums, sind keine Garantie dafür, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Inwieweit die Bezahlung eines gut ausgebildeten Mitarbeiters dabei eine größere Rolle spielt, ist kaum auszumachen. Vermutlich werden ältere Arbeitnehmer zuungunsten der jüngeren arbeitsrechtlich geschützt. So wäre das in Deutschland, wenn der Fachkräftemangel nicht ein fortbestehendes Problem im Land wäre.
Den Beispielen Gesichter geben
Das verlinkte Video zeigt den Werdegang einer jungen spanischen Frau, die trotz eines abgeschlossenen Studiums, keine Anstellung als Journalistin gefunden hat. Stattdessen hält sie sich seit einer Weile mit Jobs (u.a. Fahrradbotin) über Wasser. Wie prekäre Arbeitsverhältnisse in diesem Metier aussehen, wird eindrücklich geschildert. Inzwischen hat sie ein Masterstudium der Anthropologie begonnen. Ich hatte ein Problem damit, ihre Auswahl nachzuvollziehen. Der Switch vom Journalismus zur Wissenschaft wirkt sehr willkürlich. Ich war beeindruckt von der kämpferischen Haltung der jungen Frau. Sie sagte im Beitrag, sie und ihre Freunde hätten keine Angst zu verlieren, aber sie fürchte sich davor, nicht mehr kämpfen zu wollen.
Dass die OECD insbesondere für Deutschland konstatiert hat, dass zwischen Schulversagen und ungünstigem sozioökonomischem Hintergrund ein Zusammenhang besteht, ist leider nicht neu. Nur liegt hier die Jugendarbeitslosigkeit auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Ob das allerdings auch mit dem hiesigen (dualen) Ausbildungssystem zu tun hat, dürfte schwer zu belegen sein.
Schulabschluss fehlt – radikal wenig Chancen auf Zukunft
Ich finde es erschreckend, wie viele junge Menschen in Deutschland ohne Schulabschluss bleiben. Was soll aus ihnen werden, speziell mit Blick auf eine sich immer schneller verändernde Berufswelt und ihre Anforderungen?
Die linken Parteien verlieren in Europa an Boden. Spaniens Sozialisten unter Pedro Sánchez mögen dabei als Ausnahme gelten. In Deutschland dürften nach den Debakeln der Gegenwart die Sozialdemokraten kaum mehr eine Chance auf die Führung einer Regierung haben. Es ist ähnlich wie in Frankreich und ein wenig so wie in Großbritannien, wo Labour aufgrund der granatenmäßig schlechten Tory-Politik noch eine echte Chance haben könnte. Dass die Fraktion der Linke im Bundestag am 6. Dez. 2023 aufgelöst wird, ist auch eine Sache, die ich nicht wirklich verstehe. Die schwache Performance der Sozialisten ist im Angesicht der Größe der sozialen Aufgabe kaum zu begreifen. Ich habe die Linke nie gewählt, halte sie als politische Kraft in diesen Zeiten aber für unentbehrlich. Die SPD leistet das mit ihrem bräsigen Establishmentgehabe jedenfalls nicht. Was für mich eine ungeheure Enttäuschung ist.
Vorbilder – Orientierung
Bei alledem wollen die sieben gesellschaftlichen Sünden nach Gandhi (1925) vermutlich nicht begangen werden. Aber wer hört heut’ noch die, die wir früher ™ ein wenig altbacken als Vorbilder bezeichnet haben? Kürzlich habe ich mich mit einem etwa gleichaltrigen Mann darüber unterhalten. Er erklärte mir, in seinem Leben NIE Vorbilder gehabt zu haben. Ich mochte es nicht glauben. Für mich gibt es solche Vorbilder. Gandhi zählte dazu, ebenso wie Albert Schweitzer, Nelson Mandela, Martin Luther King oder Albert Einstein. Sorry: ist keine Frau darunter. Leider sind diese Menschen aber nicht mehr unter uns.
- Politik ohne Prinzipien
- Geschäfte ohne Moral
- Wohlergehen ohne Arbeit
- Bildung ohne Charakter
- Wissenschaft ohne Menschlichkeit
- Genießen ohne Verantwortung
- Religion ohne Opfer
Manche dieser Sünden klingen schon durch die Wortwahl unzeitgemäß. Von der Religion beispielsweise haben sich viele in Deutschland losgesagt. Oder wie könnte man die Zahl der Kirchenaustritte anders deuten? Und mir soll keiner sagen, dass es bei allem immer nur um die Missbrauchsfälle geht. Die Tendenz zur Gottlosigkeit ist allgegenwärtig. Die Narzissten haben übernommen. Da rede ich nicht vorrangig von Politikern. Das Bild der Influencer (auf allen Kanälen) kommt mir da schneller in den Sinn.
Weniger arbeiten ist nicht hilfreich
Die 3. von Gandhis Sünden ist einer näheren Betrachtung wert. Ob es wirklich durchzuhalten ist, was uns manche Gewerkschaften (Verdi, IG Metall oder GDL) vorgaukeln? Einerseits steigt die Lebensqualität der Menschen, wenn sie weniger arbeiten. Das kann ich als Rentner mit voller Überzeugung bestätigen. Hätte ich das auch gesagt, als ich noch arbeiten ging? Wahrscheinlich. Allerdings haben wir einen Fachkräftemangel, der an der Prosperität zehrt. Vielleicht stehen in Ihrem Wohngebiet keine unfertigen Bauten, weil es die Handwerker dafür nicht gibt?
Sind Ihnen die Poster an den Kneipen, Gaststätten, Restaurants oder an den Schaufenstern von Bäckern, Friseuren, Metzgern etc. nicht aufgefallen, mithilfe derer händeringend Fachpersonal gesucht wird? Und trotzdem wollen die Gewerkschaften die Arbeitszeit (freilich bei vollem Lohnausgleich!) kürzen, damit die Menschen sich in den betreffenden Jobs wohler fühlen?
Die GDL nervt, Verdi und die IG-Metall auch
Gandhi hat es gesagt. Wir sollten, speziell in diesem Land, in dem ohnehin schon weniger gearbeitet wird als in vielen anderen, mehr und nicht weniger arbeiten. Was nutzen der Allgemeinheit zufriedenere Lokführer, wenn noch weniger Züge fahren? Oder werden wir die Zahl der entfallenen Arbeitsstunden durch neu gewonnene Lokführer kompensieren? Was passiert, wenn Ärzte und Pfleger weniger arbeiten? Zieht das wirklich mehr Leute in diese Jobs oder verschärft sich die Notstandssituation nicht eher?
Was, wenn weniger Arbeiten in Bezug auf den Personalstand ein Nullsummenspiel wäre? Wer übernimmt für diesen Feldversuch die Verantwortung – die Gewerkschaften bestimmt nicht.
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