Empörung und Stimmungsmache

stroke="currentColor" stroke-width="1.5" stroke-linejoin="round" stroke-linecap="round" /> 20 Kommentare

107

6 Min.

Standardbild

Dass Koryphäen wie Herr Reitz vom „Focus” über die Regierung her­zie­hen, ist zur Normalität gewor­den. Wie hat man die Laufbahn die­ses Journalisten zu bewer­ten? Immerhin ist er ganz schön her­um­ge­kom­men, um es vor­sich­tig aus­zu­drü­cken. Jetzt ist er ein soge­nann­ter Chefkorrespondent. Chefredakteur des „Focus” war er auch schon mal und auch bei der „RP” hat­te er den Job inne.

Gerade hat er wie­der etwas zu sei­nem „Lieblingsthema” ver­zapft. Die Migrationsthematik gibt aber auch wirk­lich was her. Das Verhetzungs- und Empörungspotenzial ist schließ­lich beachtlich. 

Auch hier in mei­nem Blog kommt es stän­dig vor.

Einstweilen mache ich mir immer mehr Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Demokratie. 

Ich weiß, wie vie­le das Verhalten der Regierung kri­ti­sie­ren und hal­te das für ver­ständ­lich. Unsere Regierung hat ver­sucht, das Gefühl zu ver­mit­teln, die in die­sem Jahr wie­der stark ange­wach­se­nen hohen Migrationszahlen sei­en kein Problem. 

Wahrscheinlich wer­den die Behörden zum Ende 2023 350.000 Asylsuchende und 130.000 Personen im Familiennachzug in Deutschland gezählt haben. 

Dass die SPD das Thema Familiennachzug gera­de (erneut) auf die Agenda setzt hat, zeugt von wenig Problembewusstsein. Ja, es wäre bes­ser, wenn die Männer, die sich hier allein „durch­schla­gen” müs­sen, in ihren Familien leben könn­ten. Die Integration wür­de das erleich­tern. Aber die Zeichen sind ande­re. Wir wol­len nicht noch mehr Geflüchtete im Land! Ich glau­be, die gro­ße Mehrheit denkt das. Wahrscheinlich wer­den das nach Silvester noch den­ken. Ich erwar­te Ausschreitungen, wie wir die­se im letz­ten Jahr hat­ten. Nach dem Krieg der Israelis gegen die Hamas umso mehr.

Wenn Reitz Außenministerin Baerbock der Janusköpfigkeit bezich­tigt, erfüllt er damit ganz sicher die Erwartungshaltung sei­ner „Fokus”-Leser. Dort kann man gar nicht genug davon bekom­men, der­be Vorwürfe gegen die Regierung zu lesen. Da hilft Reitz immer gern! 

Ja, sol­che Erwartung erfüllt Reitz vor­bild­lich. Er macht das offen­bar sehr gern. 

Dabei spiel­te sich das (doch nun wirk­lich nach­voll­zieh­ba­re) Dilemma der Grünen vor unser aller Augen ab. Dass Baerbock und ande­re Vertreter der Grünen eine ande­re Haltung als die Leserschaft des „Fokus” haben, lässt sich seit lan­ger Zeit erken­nen. Die in mei­nem Beitrag zuvor erwähn­ten Kommentare spre­chen eine kla­re Sprache. 

Frau Baerbock agiert nicht janus­köp­fig, son­dern sie ver­such­te auf euro­päi­scher Ebene Zugeständnisse (Familien mit klei­nen Kindern) zu erhal­ten, ohne dass die deut­sche Regierung die­sen auch von ihr erkämpf­ten Asylkompromiss gefähr­det. Warum hät­te sie das nicht ver­su­chen sol­len, bzw. was ist an die­sem Versuch aus­zu­set­zen? Die Frage wür­de Herr Reitz kaum beant­wor­ten kön­nen. Wie zuvor bespro­chen, Baerbocks Handlungen waren für trans­pa­rent und für vie­le nach nachzuvollziehen. 

In Frankreich gab es eine schar­fe Änderung beim Asylrecht, die Reitz zu der Feststellung inspi­riert hat, dass die­se Novität – auf Deutschland über­tra­gen – so etwas wie das Ende der Brandmauer sei. Hat der Mann tat­säch­lich Freude dar­an, dass Le Pens Einfluss immer sicht­ba­rer wird? Macron ist gezwun­gen, sich mit dem Rassemblement National der Le Pens zu arran­gie­ren. In Deutschland steht uns nach Lage der Dinge Ähnliches bevor. Da dür­fen wir uns kei­ne Illusionen machen. 

Freut sich Reitz über die Entwicklung oder wel­che Botschaft habe ich über­le­sen? Sagen wir mal so: Er freut sich mit sei­ner Leserschaft. Die wie­der­um erfreut sich an sei­nen „kla­ren” Worten.

Er wählt gern Begriffe, von denen er weiß, wie pri­ma sich sei­ne Leserschaft damit trig­gern lässt. Er dif­fa­miert die NGO’s, die sich für Geflüchtete ein­set­zen, als Asyl-NGO’s oder als Asyl-Lobby. 

Gott sei Dank gibt es Menschenrechtsorganisationen, die wei­ter­hin ver­su­chen, das Richtige zu tun. Denn über eins wird in die­sem Land der Egoisten viel­leicht noch Einigkeit her­zu­stel­len sein: Was Europa gegen die Migration unter­nimmt, ist NICHT das, was eine Mehrheit der Menschen als rich­tig emp­fin­det. Wenigstens ist das mei­ne Hoffnung! Das ändert nur lei­der gar nichts an all den Details, die längst das Dilemma aus­ma­chen. Es gibt ein ori­gi­när deut­sches Interesse. Das scheint bedau­er­li­cher­wei­se kaum im Fokus der Politik zu sein.

Menschen ver­su­chen für ihre Sorgen und Nöte Schuldige zu fin­den. Das ist nor­mal und man darf die Kraft dahin­ter in der Krise nicht unter­schät­zen. Was liegt in die­sem Zusammenhang also näher, als die Schuld für alles, was in unse­rem Land der­zeit schlecht läuft, auf die Schwächsten abzu­wäl­zen. Früher waren das die Sozialhilfeempfänger, jetzt kom­men die Geflüchteten dazu. Die Zahl der Obdachlosen wächst eben­so und die Zahl der alten Menschen, die Flaschen sam­meln gehen, auch. 

Leider wird der Asylkompromiss die hohen Flüchtlingszahlen kaum redu­zie­ren. Außerdem dau­ert es, bis die Maßnahmen aus den Asylregelungen tat­säch­lich greifen. 

Angeblich will die EU die not­wen­di­gen Gesetze noch vor der EU-Wahl im kom­men­den Frühjahr ver­ab­schie­den. Ich glau­be nicht dar­an. Im Idealfall ist nach Migrationsforschern den­noch kei­ne grö­ße­re Reduzierung der Zahlen zu erwar­ten. Dass der Asylkompromiss trotz­dem etwas wert ist, liegt auch dar­an, dass ein Verteilungsmechanismus exis­tiert, über den bis­her stets nur gestrit­ten wur­de. Ob er wirk­lich funk­tio­niert, bleibt aber abzuwarten.

EU-Asylkompromiss: „Von Abkommen mit Drittstaaten hängt alles ab” | tages​schau​.de

Die „Taz” behaup­tet fälsch­li­cher­wei­se, Baerbock habe ver­schwie­gen, dass die Einigung vie­len migra­ti­ons­po­li­ti­schen Grundüberzeugungen der Grünen eigent­lich ent­schie­den zuwi­der­lie­fe. Waren der Autor beim letz­ten Parteitag nicht anwe­send? Hat er die Diskussionen dazu nicht ver­folgt? Ich ver­ste­he sol­che Meldungen ein­fach nicht. Die Debatte hat er doch gewiss verfolgt.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger sag­te, die Beschlüsse sei­en „der mas­sivs­te Angriff auf das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl, den es in der EU je gege­ben hat.“ Und wei­ter: „Wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser behaup­tet, die Einigung kön­ne dazu bei­tra­gen, huma­ni­tä­re Standards zu schüt­zen, ist das eine dreis­te Verdrehung der Tatsachen.“

TaZ

Früher hät­te man anhand sol­cher Kommentierungen über lang­wie­ri­ge Kompromisssuchen gesagt, dass das Ergebnis so schlecht nicht sein kön­ne, wenn doch alle ihre Vorbehalte dage­gen geäu­ßert hät­ten. Früher sag­te man, Stillschweigen bedeu­tet Einverständnis. Wäre ja schön, wenn viel Schimpfen im Wege des Kompromisses das­sel­be bedeu­ten würde.

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


20 Gedanken zu „Empörung und Stimmungsmache“

  1. Immerhin spricht Reitz von „irre­gu­lä­ren” und nicht von „ille­ga­len” Migranten! Seine Darstellung der Sachlage fin­de ich – mal vom unsin­ni­gen Baerbock-Bashing abge­se­hen – recht realistisch.
    Deinen Artikel ver­ste­he ich stel­len­wei­se nicht: 

    „Gott sei Dank gibt es Menschenrechtsorganisationen, die wei­ter­hin ver­su­chen, das Richtige zu tun. Denn über eins wird in die­sem Land der Egoisten viel­leicht noch Einigkeit her­zu­stel­len sein: Was Europa gegen die Migration unter­nimmt, ist NICHT das, was eine Mehrheit der Menschen als rich­tig emp­fin­det. Wenigstens ist das mei­ne Hoffnung! ”

    Einerseits freust du dich, dass die Menschenrechtsorganisationen ver­su­chen, das Richtige zu tun – die wol­len doch eher „offe­ne Grenzen” – dann folgt der Verweis auf eine Mehrheitsmeinung, die du an ande­rer Stelle als „es müs­sen weni­ger Flüchtlinge wer­den” beschreibst. ?

    EU-Einigung: Der Berg kreist ewig lan­ge, um eine Maus zu gebä­ren! Was ist mit der Umverteilung? Steht dazu irgend­wo etwas Konkretes?

    „Mehr als 130.000 Migranten sind in die­sem Jahr über das Mittelmeer in Italien ange­kom­men – aber nur 10.000, also weni­ger als zehn Prozent, haben hier bis August einen Asylantrag gestellt.”
    aus: Vom Hotspot ins Traumland – in drei Tagen

    Wie ein­fach es ist, von Italien nach Stuttgart zu kom­men, steht im Artikel! Als Syrer wären sie von den neu­en Regeln sowie­so nicht betrof­fen, aber eigent­lich wäre Italien zustän­dig. Wobei ich noch nie gehört habe, dass mit Italien über „Rücknahme” ver­han­delt wür­de! Warum eigent­lich nicht?
    Das Ganze ist ein furcht­ba­res Dilemma, denn die EU kann nicht ein­fach so agie­ren, wie es ein auto­kra­ti­scher Herrscher täte, der auf Menschenrechte und Asylrecht pfeifft.
    Derselbe Konflikt zeigt sich auch auf ande­ren Ebenen, etwa beim sto­cken­den EU-Mercosur-Abkommen: EU will einer­seits den erleich­ter­ten Import sel­te­ner Erden, Rindfleisch und Soja, jedoch sind das genau die Waren, wes­we­gen dort Regenwald abge­holzt wird. Deshalb will man das mit Umweltstandards ver­bin­den, die wie­der­um von z.B. Brasilien als neo­ko­lo­nia­lis­ti­sche Bevormundung abge­lehnt werden.
    „Wertegeleitete Außenpolitik” ist eigent­lich das, was euro­päi­schem Selbstverständnis am meis­ten ent­spricht – und so ganz abs­trakt stimmt dem meist eine Mehrheit zu. Andrerseits gibt es aber auch die eige­nen Interessen, die eben­falls eine Mehrheit ger­ne durch­ge­setzt sähe. 

    Dass alles viel ein­fa­cher war, als „der Westen” noch fast die gan­ze Welt domi­niert hat, ist den Menschen als „frü­her war alles bes­ser” im Gedächtnis – wobei sie jeder­zeit im Konkreten die dafür ein­ge­setz­ten Mittel kri­ti­siert hät­ten, wären die­se nicht aus der öffent­li­chen Debatte weit­ge­hend her­aus­ge­hal­ten worden.
    So „janus­köp­fig” sind die Menschen – in gro­ßer Mehrheit! 

    Antworten
  2. muss die Abwehr von Migrationsströmen effek­tiv und unnach­sich­tig an den Außengrenzen der EU erfolgen.

    Dann müss­te man ver­mut­lich die EU ein­zäu­nen, von den Kosten mal abge­se­hen, (+ Wachpersonal) …
    Bei Krieg + Wetterflüchtlingen noch schwieriger.

    Was ich ver­mis­se, dass der Bundestag mal zusam­men­hält und gemein­sa­me Lösungen erar­bei­tet und beschließt – zum Wohle der Demokratie.
    *Wunschdenken
    Das gegen­sei­ti­ge popu­lis­ti­sche Geharke ist sinn­los und hilft nur der AFD. 

    Antworten
    • @Su: Genau! Die CDU hat­te frü­her mal das Selbstverständnis einer staats­tra­gen­den Partei. Davon haben sie sich zu Gunsten stän­di­gen Gegeiferes gegen die Regierung und der AFD nach dem Munde reden verabschiedet!

      @Horst: „muss die Abwehr von Migrationsströmen effek­tiv und unnach­sich­tig an den Außengrenzen der EU erfol­gen.” Dagegen steht nicht nur das Asylrecht, son­dern auch die Genfer Konvention zum Schutz für Kriegsflüchtlinge – immer­hin ein inter­na­tio­na­ler, völ­ker­recht­lich bin­den­der Vertrag. Und selbst wenn das alles egal wäre: EU ein­zäu­nen und effek­tiv bewa­chen ist wirk­lich realitätsfremd!

      Wir wer­den mit den klei­nen Schritten leben müs­sen und hof­fen, dass hier und da die Rücknahmeverhandlungen Erfolg haben (was ja auch nicht kos­ten­los ist). 

      Antworten
    • Das klappt gra­de nicht mal mit der Türkei, obwohl von dort der­zeit vie­le Flüchtlinge kom­men. Es sind näm­lich meist Kurden, die Erdogan ger­ne los wird. Zudem gehts der Türkei wirt­schaft­lich schlecht, das Erdbeben, hohe Inflation… 

      @Horst: Übrigens vie­len lie­ben Dank, dass du die­se Möglichkeit bie­test, in die­sen Tagen DIESES THEMA auf zivi­li­sier­te Weise zu dis­ku­tie­ren! Mich bewegt es näm­lich auch, aber ich blog­ge gra­de dazu nichts, weil es mir zur zuneh­men­den Weihnachtsstimmung nicht zu pas­sen scheint. Also blog­ge ich lie­ber über das, was mich gut ablenkt. Auf „Wutzone” passt es besser… 😉 

      Antworten

Mehr lesen aus dieser Kategorie

Neue Narrative gefällig?
AfD, Migrationspolitik, SozialeNetzwerke

Flüchtlinge, Gesellschaft

Neue Narrative gefällig?

Infrastrukturkrise und Migrationspolitik: Warum wir die Weichen jetzt stellen müssen
an illustration with a red white color s Io aiY0 SxmzBV3S6a5RAg 1PNurgLvRzqI1Ef7D6F1WA

Flüchtlinge, Gesellschaft

Infrastrukturkrise und Migrationspolitik: Warum wir die Weichen jetzt stellen müssen

Migration und Rhetorik: Wie Politik mit Zahlen spielt
a modern minimalist design with a divide BLt8YclvSvONDV7APQbMQA q4NzLhoWRTKr78kIK91xOw

Flüchtlinge, Gesellschaft

Migration und Rhetorik: Wie Politik mit Zahlen spielt

☕ Bleibt neugierig, bleibt menschlich.