Christian Lindner verabschiedet sich – und was macht Scholz? Ein Blick auf Alternativen und die „Unberührbaren“

Chris­ti­an Lind­ners Abschied aus dem Scholz-Kabi­nett wirft Fra­gen zur Zukunft neu­er Koali­tio­nen und zur Rol­le der Medi­en auf.

7 Minute/n


Merken

0

Das poli­ti­sche Par­kett in Ber­lin ist in Bewe­gung: Es sind tur­bu­len­te Zei­ten und nicht nur hier. Chris­ti­an Lind­ner, der eben­so belieb­te wie schlag­fer­ti­ge Finanz­mi­nis­ter, oft als Stim­me der Ver­nunft in der Ampel geprie­sen, zieht sich zurück. Er will nicht ein­mal schlecht über den reden, der ihn gefeu­ert hat. Das soll wohl signa­li­sie­ren, wie sehr die von Scholz an ihn adres­sier­ten Vor­wür­fe unter sei­ner Wür­de sind. So kam es jeden­falls bei mir an – ges­tern im Gespräch mit San­dra Maisch­ber­ger. Was für ein furcht­ba­rer, arro­gan­ter Mensch.

Kronzeuge Wissing – einer, der immer dabei war

Abge­se­hen davon, dass wir alle Zeu­gen des destruk­ti­ven Geis­tes waren, der in die­ser Ampel-Regie­rung von den Libe­ra­len und ins­be­son­de­re von Lind­ner aus­ging, gibt es einen Kron­zeu­gen, der immer ganz dicht dabei gewe­sen ist. Ja, Vol­ker Wis­sing, mei­ne ich. Das deckt sich mit den Ein­drü­cken, die eigent­lich jeder Beob­ach­ter der Arbeit die­ser Koali­ti­on gewin­nen konnte:

Aussage von Volker Wissing zur Lage der Koalition
Aus­sa­ge von Vol­ker Wis­sing zur Lage der Koalition

Medienkritik – ein Scholz’sches Schicksal?

Kanz­ler Olaf Scholz wur­de von den Medi­en wie eine tra­gi­ko­mi­sche Figur, eigent­lich wie ein Ver­sa­ger, insze­niert – mit dem Spitz­na­men „Scholzo­mat“ klingt er manch­mal wie der Prot­ago­nist einer Soap, die von den Tages­the­men end­los ver­län­gert wird. Nicht end­los. Bis zum 23. Febru­ar 2025 ist ja nicht lan­ge hin.

Dabei hat der Mann unter die­sen schwie­ri­gen Bedin­gun­gen einen durch­aus respek­ta­blen Job gemacht! Es ist schon erstaun­lich, wie sehr sich die Bericht­erstat­tung dar­auf kon­zen­triert, die Pro­ble­me der Ampel zu zele­brie­ren, anstatt Scholz’ Erfol­ge in die­ser unver­gleich­lich schwie­ri­gen Koali­ti­on zu wür­di­gen. Könn­ten wir nicht wenigs­tens ein wenig dank­bar dafür sein, dass inmit­ten all der Strei­tig­kei­ten noch jemand den Laden zusam­men­hält? Nee, das liegt nicht drin. Schließ­lich brau­chen die Men­schen (die hart arbei­ten­den und all die ande­ren) einen, dem sie die Schuld für alles Unge­mach in die Schu­he schie­ben kön­nen. Auch das erin­nert mich wie­der an das furcht­ba­re Unglück (Fol­ge der Kli­ma­kri­se) in der Regi­on Valen­cia. Dort haben die Leu­te einen regel­rech­ten Hass auf den Gou­ver­neur der Regi­on ent­wi­ckelt, weil die­ser sie nicht recht­zei­tig über den Wet­ter­be­richt infor­miert hat­te. So pro­tes­tier­ten des­halb Zehn­tau­sen­de Men­schen gegen den Politiker.

Die Bevöl­ke­rung hat Scholz nach all dem, was die Medi­en (Sprin­ger allen vor­an) über ihn berich­tet haben, längst abge­schrie­ben. Sei­ne Wer­te sind so mies, dass man auch dann nichts Ver­gleich­ba­res fin­det, wenn man lan­ge in die Ver­gan­gen­heit zurückgeht.

Lindners Abgang – Ein Schritt zurück oder ein Neuanfang?

Chris­ti­an Lind­ners Rück­tritt wirft frei­lich Fra­gen auf, beson­ders für sei­ne Par­tei. Der Libe­ra­le im Ram­pen­licht könn­te sich wie­der stär­ker sei­ner am Boden lie­gen­den (<5 %!) Par­tei wid­men. Offen­bar plant er kei­nen Rück­zug. Er hat Lust zu gestal­ten … Der Mann ist so selbst­be­wusst und arro­gant, dass die­ser Raus­wurf aus einem Kabi­nett kei­nen Raum für Spe­ku­la­tio­nen bie­tet. Lind­ner möch­te uns erhal­ten blei­ben. Fragt sich nur als was. Er kann das frei­lich auch nur, wenn sei­ne FDP die 5‑Pro­zent-Hür­de über­springt. Das ist nicht sehr wahr­schein­lich. Obwohl eigent­lich NUR Scholz für eine der drei vor­be­rei­te­ten Reden, die er vom Promp­ter abge­le­sen hat, kri­ti­siert wur­de. Die fan­den sei­ne Wort­wahl, sei­ne direk­ten Angrif­fe auf Lind­ner unwür­dig. Komisch, ich fand es an dem betref­fen­den Tag rich­tig und jetzt immer noch. Aber die Leu­te ver­ges­sen in Deutsch­land ger­ne, übri­gens nicht nur der Kanz­ler. Das könn­te dazu füh­ren, dass der arme Chris­ti­an, der sein Nar­ra­tiv vom Raus­wurf, mit eben­so bereit­wil­li­ger wie gro­ßer Unter­stüt­zung die­ser beklopp­ten deut­schen Medi­en unter die Leu­te bringt. So ist es gut mög­lich, dass nur die Umstän­de des Raus­wur­fes und nicht die zahl­rei­chen Grün­de dafür an den Wahl­ur­nen zäh­len. Das ist nicht auszuschließen.

Ich drü­cke jeden­falls den Dau­men, dass die Libe­ra­len aus dem Bun­des­tag ver­schwin­den. Und das nicht wie zuletzt für eine Legis­la­tur­pe­ri­ode, son­dern dauerhaft!

Politische Alternativen – Welche Koalition könnte uns erwarten?

Hier ein paar Sze­na­ri­en, die uns nach Neu­wah­len mög­li­cher­wei­se bevorstehen:

  1. Schwarz-Grün: Die Uni­on und die Grü­nen? Klingt nach einer bun­ten Mischung aus Tra­di­ti­on und Moder­ni­tät. Der Charme die­ser Kom­bi liegt in der sta­bi­len Mit­te – die CDU könn­te etwas prag­ma­ti­sche­re Posi­tio­nen der Grü­nen abfe­dern und umge­kehrt. Aller­dings sind bei einer sol­chen Kon­stel­la­ti­on natür­lich Kom­pro­mis­se gefragt. Die gro­ßen Fra­gen von Kli­ma bis Wirt­schaft könn­ten unter einem „schwarz-grü­nen“ Dach zusam­men­ge­führt wer­den, aber Rei­be­rei­en wären garan­tiert. Zudem gibt es Hypo­the­ken im Zwi­schen­mensch­li­chen. Merz und – noch schlim­mer – Söder sind die bes­ten Freun­de der Grü­nen. Merz hat sich mit sei­ner Kri­tik zuletzt zwar etwas zurück­ge­nom­men. Aber gut sind die Vor­aus­set­zun­gen für eine sol­che Koali­ti­on aus mei­ner Sicht nicht!
  2. Jamai­ka (Uni­on, FDP, Grü­ne): Jamai­ka ist der Favo­rit für die Risi­ko­be­rei­ten. Die FDP könn­te hier eine neue Rol­le fin­den und womög­lich sogar stär­ker punk­ten, wenn sie ihre Ideen unter einem kon­ser­va­ti­ven Dach durch­set­zen kann. Die Grü­nen brin­gen wei­ter­hin ihre star­ke Kli­ma­po­li­tik ein – also alles, was das poli­ti­sche Herz begehrt! Zum Stich­wort Kli­ma­po­li­tik wür­de ich ger­ne auch noch etwas sagen. Aber das wäre hier zu lang.
  3. Gro­ße Koali­ti­on 2.0: Es klingt fast wie ein Flash­back in die Mer­kel-Ära, aber eine Gro­ße Koali­ti­on könn­te erneut auf­le­ben. Soll­te sich die Lage für SPD und CDU/​CSU nicht ent­schei­dend ver­bes­sern, son­dern nur mit klei­nen Zuwäch­sen ein­her­ge­hen, könn­ten bei­de Par­tei­en sich zusam­men­tun, um Sta­bi­li­tät zu garan­tie­ren und die wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen gemein­sam anzu­ge­hen. So mies die­se Aus­sicht auch sein mag, viel­leicht läuft es am ehes­ten auf die­se Koali­ti­on hinaus.

Die „Unberührbaren“ – AfD und BSW

Dann gibt es da noch die poli­tisch umstrit­te­nen Akteu­re am rech­ten Rand. Die AfD und das noch jün­ge­re BSW (Bünd­nis Sahra Wagen­knecht) mischen das Spiel­feld ordent­lich auf. Die AfD könn­te in Zukunft sogar stärks­te Oppo­si­ti­ons­kraft wer­den, aber sie bleibt für vie­le in den eta­blier­ten Par­tei­en ein abso­lu­tes Tabu – der Gedan­ke an eine Zusam­men­ar­beit mit der AfD ver­ur­sacht wei­ter­hin kal­te Schau­er. Ob das demo­kra­tie­theo­re­tisch ver­nünf­tig ist, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len. Den Ver­bots­an­trag fin­de ich jeden­falls abso­lut falsch. So lässt sich das Phä­no­men AfD mit ihren men­schen­feind­li­chen Paro­len nicht bekämp­fen. Das stärkt sie nur. Ich hof­fe, dass der Antrag nicht schon Aus­wir­kun­gen auf den Wahl­tag im Febru­ar haben wird.

Auf der ande­ren Sei­te steht die BSW, Sahra Wagen­knechts neu­es Pro­jekt, das beson­ders im lin­ken und teils im rech­ten Lager auf Zuspruch stößt. Wagen­knecht ist zwar eben­falls eine „Unbe­rühr­ba­re“ für die SPD und Uni­on glei­cher­ma­ßen, jedoch gilt sie als klu­ge Stra­te­gin, die voll auf Popu­lis­mus gesetzt hat. Das kommt an. So doof, so erfolg­reich. Doch auch für sie gilt: Ein Bünd­nis mit den klas­si­schen Par­tei­en ist der­zeit höchst unwahr­schein­lich. Mich fas­zi­niert an theo­re­ti­schen Mög­lich­kei­ten so rein gar nichts. 

Fazit: Scholz, das pragmatische Rückgrat in turbulenten Zeiten

Inmit­ten die­ses Spek­ta­kels bleibt Olaf Scholz immer noch erstaun­lich ruhig. Sei­ne Regie­rungs­zeit mag von vie­len Her­aus­for­de­run­gen und kri­ti­schen Stim­men beglei­tet sein, doch er ver­dient Aner­ken­nung dafür, dass er bei all­dem nicht den Kurs ver­lässt, son­dern nach Lösun­gen sucht. 

Die Medi­en könn­ten durch­aus etwas wohl­wol­len­der auf sei­ne Bemü­hun­gen bli­cken und die poli­ti­sche Land­schaft auch mal von einer ande­ren Sei­te beleuch­ten. Statt­des­sen trock­nen sie Chris­ti­an Lind­ner die Trä­nen. Ein­fach nur verrückt.

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Lindner Medienkritik Regierung

Quelle Featured-Image: a modern minimalist illustration with a red white ...

Letztes Update:

Anzahl Wörter im Beitrag: 1217
Aufgerufen gesamt: 104 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 10 mal
Aufgerufen heute: 2 mal

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance