Ein fröhliches „Fuck You“ nach Washington

Die Wie­der­wahl Donald Trumps lässt in Deutsch­land und Euro­pa Emo­tio­nen hoch­ko­chen, wäh­rend dort poli­ti­sche Pro­pa­gan­da und wirt­schaft­li­che Ängs­te die Debat­te dominieren.

HS230625

Horst Schulte

7 Minute/n


Merken

74

Mög­li­cher­wei­se bin ich schlecht oder ein­sei­tig infor­miert. Jeden­falls fühlt sich das im Moment so an. Die Pro­pa­gan­da der deut­schen Poli­tik und ihrer bereit­wil­li­gen Hel­fer in Jour­na­lis­ten­krei­sen lässt einem ja fast kei­ne ande­re Wahl, als Trump nicht nur als Prä­si­den­ten, son­dern auch als Men­schen rund­weg abzu­leh­nen. Einen per­sön­li­chen Bezug zur Per­son gibt es nicht. Ein laten­ter Anti­ame­ri­ka­nis­mus soll im Lan­de vor­herr­schen, bei mir zwei­fel­los auch. Wie soll man heut­zu­ta­ge noch neu­tral oder halb­wegs objek­tiv bleiben?

Ein fröh­li­ches „Fuck You“ schallt an die­sem Mitt­woch­mor­gen dem neu­en und alten US-Prä­si­den­ten aus Deutsch­land ent­ge­gen. Man möch­te nicht in der Haut der­je­ni­gen Poli­ti­ker oder Jour­na­lis­ten ste­cken, die jetzt auf „pro­fes­sio­nel­ler Ebe­ne“ mit ihm klar­kom­men sollen. 

Der oran­ge­ne Mann wird in Deutsch­land nicht von einer Sym­pa­thie­wel­le ins Amt getra­gen. In Euro­pa sind wohl die meis­ten auch eher abge­törnt vom Wahl­er­geb­nis. Was wir von ihm gehört und gese­hen haben, irri­tiert die meis­ten Leu­te. Die AfD-Frit­zen jubeln. Allen vor­an Ali­ce Wei­del, die ihr Glück kaum fas­sen kann. Ihr scheint sicher: Auch Deutsch­land befin­det sich nicht nur in einem faschis­ti­schen Sog, er lässt sich durch­aus ver­grö­ßern und beschleunigen.

Ich kann immer noch kein Eng­lisch. Die Über­set­zun­gen, die mir KI oder gute Über­set­zer lie­fern, ver­traue ich alle­mal mehr als Trump-Sym­pa­thi­san­ten. Und das, obwohl die mir immer wie­der klar­zu­ma­chen ver­su­chen, dass auch die gelo­gen wären. Leu­te, es gibt genug Quel­len, die man zura­te zie­hen kann. Es über­zeugt nie­man­den, die kras­sen Lügen zu glau­ben, nur um dem Wunsch­kan­di­da­ten Trump den Rücken frei­zu­hal­ten. Auf­sei­ten der Trump-Geg­ner sind alte Gewiss­hei­ten in Rauch auf­ge­gan­gen. Checks and Balan­ces schei­nen jetzt – wo es dar­auf ankä­me – nicht mehr wirk­lich zu funk­tio­nie­ren. Ein Blick zum Supre­me Court, dazu die eben­falls neu­en Mehr­hei­ten der Repu­bli­ka­ner in den Kon­gress­kam­mern, bele­gen das.

Es steht zu befürch­ten, dass Trump einen gro­ßen Teil sei­ner Ver­spre­chun­gen an die US-Ame­ri­ka­ner wahr machen wird. Das klingt erst ein­mal abwe­gig. Es wäre doch eine tol­le Sache, wenn Poli­ti­ker sich an ihre Ver­spre­chun­gen hiel­ten. Es klingt für deut­sche Ohren unglaub­lich. Wenn Trump also davon redet, im gro­ßen Stil abschie­ben zu wol­len, ist das zum Bei­spiel nichts, was wir nicht auch schon gehört hät­ten. Übri­gens sind 62 % der Abschie­be­ver­su­che in Deutsch­land in die­sem Jahr geschei­tert. Die Effi­zi­enz­stei­ge­rung im Ver­gleich zum Vor­jahr ist, wenn man die Bri­sanz sol­cher Ver­spre­chen berück­sich­tigt, ein­fach kata­stro­phal. „Ampel“-Standard eben. 

Das The­ma Migra­ti­on ist auch für die US-Ame­ri­ka­ner wich­tig. Wie Trump über die Men­schen redet, klingt für vie­le befremd­lich. Ich war über­zeugt, dass Trumps Spra­che, sei­ne Lügen und sein mie­ser Cha­rak­ter nor­ma­le Men­schen abtör­nen wür­den. Falsch gedacht! 

Trumps Wäh­ler emp­fin­den sei­ne Tira­den gegen Men­schen nicht als Zumu­tung, son­dern schei­nen sei­ne Spra­che gut zu fin­den – auch die Mil­lio­nen His­pa­nics, die selbst einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund besit­zen. Denen war offen­bar wich­ti­ger, dass kei­ne Frau in die­ses Amt kommt. Die­ses Machis­mo-Geha­be offen­bar­ten lei­der auch vie­le Afroamerikaner. 

Dabei stand das The­ma Migra­ti­on nach Umfra­gen erst an 3. Posi­ti­on. Das wich­tigs­te The­ma ist die Wirt­schaft. Auch da bringt die Unter­stüt­zung der Repu­bli­ka­ner ein Stör­ge­fühl, wenn sie ihre Lage betrach­ten. Oder müss­te man eher davon spre­chen, dass sie Zukunfts­ängs­te haben, weil vie­les nicht mehr so läuft, wie es frü­her ein­mal war? Nun, wir ken­nen das in Deutsch­land nur zu gut, nicht wahr?

Ein zen­tra­ler Fak­tor für Trumps Wahl­er­folg war die wirt­schaft­li­che Lage. Vie­le Wäh­ler waren besorgt über die stei­gen­den Lebens­hal­tungs­kos­ten, ins­be­son­de­re die Infla­ti­on und hohe Mie­ten. Trotz der Ver­bes­se­rung eini­ger wirt­schaft­li­cher Indi­ka­to­ren unter der Biden-Har­ris-Regie­rung trau­ten vie­le Ame­ri­ka­ner Trump mehr Kom­pe­tenz in der Wirt­schafts­po­li­tik zu. Er ver­sprach, die Wirt­schaft wie­der­zu­be­le­ben und die finan­zi­el­len Sor­gen der Men­schen zu lin­dern, was bei vie­len Wäh­lern Anklang fand. Es scheint so, dass Trump beson­ders in den Swing Sta­tes durch die­se Bot­schaf­ten punk­ten konnte.

Auch bei die­sem wich­tigs­ten The­ma spie­len offen­bar Emo­tio­nen (Angst vor der Zukunft) eine grö­ße­re Rol­le als die Fak­ten. Schließ­lich hat die Biden-Admi­nis­tra­ti­on mit ihrem Infla­ti­on Reduc­tion Act der­art gro­ße Finanz­mit­tel in die US-Wirt­schaft inves­tiert (891 Mrd. $), dass auch sie dem trump­schen „Make Ame­ri­ca Gre­at again“ inhalt­lich voll ent­spro­chen haben. Hun­der­te von Mil­li­ar­den wur­den davon allein in Ener­gie- und Kli­ma­schutz­maß­nah­men inves­tiert. Die Aus­sa­gen Trumps zu die­sem The­ma sind gro­tesk wider­sprüch­lich. Er will sol­che Pro­jek­te zurück­fah­ren und dafür ver­stärkt wie­der in Öl- und Gas­för­de­rung investieren. 

Dem von Trump gesetz­ten Mot­to: „Ame­ri­ca First“ kön­nen vie­le Men­schen, auch in unse­rem Land, grund­sätz­lich viel abge­win­nen. Es ist nahe­lie­gend, dass ange­sichts der Spal­tung der Gesell­schaf­ten öko­no­mi­sche Sach­ver­hal­te und ihre sozia­len Aus­wir­kun­gen die Leu­te bewe­gen. Den­ken wir an die Mil­li­ar­den, die wir zur Ver­tei­di­gung der Ukrai­ne aus­ge­ben, ein­schließ­lich der Unter­stüt­zung aller Flücht­lin­ge und Asyl­su­chen­den. Selbst die frü­her als so selbst­ver­ständ­lich gel­ten­de Ent­wick­lungs­hil­fe wird heu­te unter Bezug auf rech­te, demo­kra­tie­feind­li­che Nar­ra­ti­ve hin­ter­fragt (Stich­wort: Fahr­rad­we­ge in Peru). 

Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen dazu sind unnö­tig (/​ironie)! Man lehnt sol­che Leis­tun­gen rund­weg ab und ver­weist auf den armen Rent­ner, der zur Siche­rung sei­ner Exis­tenz Fla­schen sam­meln geht. Die Kri­tik mag in Ein­zel­fäl­len schon begrün­det sein, aller­dings fehlt bei vie­len Kri­ti­kern ein Min­dest­maß an Vor­in­for­ma­tio­nen. Bei X erkennt man die umstrit­tens­ten The­men auch dar­an, dass die sich dar­aus erge­ben­den Threads mit abscheu­li­chen, aller­dings grund­sätz­lich sehr kur­zen Hass­nach­rich­ten gefüllt sind. Mehr als einen Satz bekom­men die meis­ten nicht zusam­men. Arm­se­lig und doch gefähr­lich. Die selbst­re­fe­ren­zi­el­le Hass­brut brü­tet vor sich hin.

Ten­den­zi­ell sind wir in Deutsch­land voll auf Linie. Die USA geben den Takt vor. Was dort geschieht, pas­siert ein paar Jah­re spä­ter auch bei uns. An vie­len Stel­len konn­te man sich dar­auf jeden­falls stets verlassen.

Popu­lis­ti­schen Bot­schaf­ten sind alle Demo­kra­tien der Welt aus­ge­setzt. Putin und Kon­sor­ten haben es leicht, damit umzu­ge­hen. Poli­ti­sche Wider­sa­cher wer­den buch­stäb­lich aus dem Weg geräumt, eli­mi­niert. Der Kampf um gute Argu­men­te hat auch in den Demo­kra­tien bereits an Akzep­tanz ein­ge­büßt. Emo­tio­nen schla­gen Argu­men­te. Was das für die Zukunft bedeu­tet, weiß noch nie­mand. Eine gewis­se Vor­stel­lung, was dar­aus wer­den könn­te, haben wir aller­dings schon. Und das schürt auch die Angst – auf allen Seiten.

In den USA wur­de ein ver­ur­teil­ter Straf­tä­ter und frag­wür­di­gem Cha­rak­ter mit über­wäl­ti­gen­den Ergeb­nis­sen zum Prä­si­den­ten gewählt. Das klingt ver­rückt und unheim­lich. Der Mann kann uns in Euro­pa noch viel „Freu­de“ berei­ten. Wir hät­ten gut dar­an getan, uns auf die­se Mög­lich­keit vor­zu­be­rei­ten. Lei­der ist das nicht gesche­hen. Die euro­päi­sche Poli­tik hat wie­der ein­mal ver­sagt, die deut­sche ohnehin. 

Bei uns wur­de Spahn übel dafür kri­ti­siert, dass er den Par­tei­tag der Repu­bli­ka­ner in den USA besucht hat. Dass unse­re Poli­ti­ker jetzt zwangs­läu­fig mit dem Kerl reden müs­sen, dürf­te für Nacht­schweiß und Unbe­ha­gen sor­gen. Das will ich nicht in den Nach­rich­ten sehen. 

Unse­re Regie­rungs­mit­glie­der und natür­lich auch unse­re Oppo­si­ti­on soll­ten nicht wei­ter mora­li­sie­ren und über ande­re her­zie­hen, son­dern bes­ser ihre Haus­auf­ga­ben machen und mit allen reden, mit denen es etwas zu reden gibt. So, Frau Baer­bock. Auf den Janu­ar muss nicht gewar­tet wer­den. Set­zen Sie sich schon mal in Ihren Flie­ger und reden Sie mit Trump. Aber viel­leicht löst sich die­se Regie­rung ja in die­sen Tagen auf. Dann bleibt uns die­ses Dilem­ma wenigs­tens erspart.

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Deutschland Politik Trump

Quelle Featured-Image: a balanced composition with donald trump on the ri...

Letztes Update:

Anzahl Wörter im Beitrag: 1203
Aufgerufen gesamt: 74 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 2 mal
Aufgerufen heute: 1 mal

✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance