Gelesen und nichts kapiert?

Wenn ich mir Horsts Beitrag durchlese, den er verlinkt hat, dann klingt das für mich schon sehr vertraut. Es klingt nach den Leuten, die Meinungsfreiheit, also das Recht, seine Meinung kundzutun, damit gleichsetzen, dass ihnen niemand widersprechen darf.

Quelle

Für mich ist es tröstlich, dass ich dieses sattsam von links-grün gepflegte „Argument“ schon so lange kenne. Wie üblich wird es als untauglicher Ablenkungsversuch von einem ernsten Problem unserer Gesellschaft eingesetzt. Es hat in etwa die gleiche Qualität, wenn links-grüne Meinungsmacher erzählen, dass dieses oder jenes Gesetz die Verantwortlichen im Land daran hindern solle, die richtigen Dinge zu tun. Wie wär es denn, wenn man teilweise obsolete Gesetze nicht mit so fadenscheinigen Gründen anwenden würde? Klar, der Vorwurf des Opportunismus, im Zweifel sogar eines Verfassungsbruchs, stünde unmittelbar auf der Tagesordnung.

Deshalb bewegt sich in diesem Land so wenig.

Sind solche Worte so schwer zu verstehen?

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Früher war alles… schlimmer!

Man sagt, alte Menschen erzählen gern von früher. Das stimmt. Ich kenne das von mir. Aber das allein wäre ja noch harmlos. Wären da nicht die Krankheiten. Die echten, die eingebildeten, die stolz getragenen Operationsnarben und die leidenschaftlich aufgezählten Medikamente – inklusive Packungsbeilage im Kopf.

Es ist ein bisschen so, als würde die Apotheken-Umschau auf zwei Beinen durch die Gegend laufen – mit Herzschrittmacher und Galle-OP in der Vita.

Doch warum ist das so? Warum verliert sich der Mensch ab einem gewissen Lebensalter in Geschichten, deren Handlungsorte bevorzugt „im Lazarett“, „beim Orthopäden“ oder „auf Station 3B“ liegen? Und warum beginnt jede zweite Erzählung mit dem mystischen Satz: „Also früher…“?

Die Antwort ist so alt wie das Methusalem-Komplott: Früher war das Leben keine Timeline, sondern ein echtes Abenteuer. Es wurde geraucht wie blöd, getrunken wie Durstige in der Wüste und gearbeitet bis zum Bandscheibenvorfall. Und wer das überlebt hat, hat etwas zu erzählen – notfalls auch dreimal, mit verteilten Pointen.

Die Krankheiten wiederum? Nun, das sind die Orden des Alters. Sie beweisen, dass man gelebt hat. Nicht bloß „existiert“, wie die Fitnessjünger von heute, die jeden Tag kalt duschen, Gurkenwasser trinken und ihren Ruhepuls in der Cloud speichern. Nein – ein echter Mensch hat wenigstens zwei neue Hüften, kennt das Wort „Stuhlprobe“ nicht nur aus dem Biologieunterricht und weiß, wie man seinen Blutdruck verbal gegen Null runterdiskutiert.

Natürlich hört sich das für Jüngere manchmal an wie eine Mischung aus Gruselkabinett und Mediziner-Karaoke. Aber das liegt nur daran, dass sie glauben, das Leben sei ein ewiges Jetzt. Dass Vergangenheit etwas ist, das man wegwischt wie eine Push-Nachricht. Sie ahnen nicht, dass Erinnern ein Trost sein kann. Und dass eine gute Leberzirrhose manchmal mehr verbindet als drei Netflix-Serien.

Wer also das nächste Mal in der Bahn oder beim Familienfest einem alten Menschen lauscht, wie er mit glänzenden Augen von „den Siebzigern“ spricht – und damit nicht diese Siebziger meint, sondern die echten, wo ein Fernseher noch ein halber Schrank war – der möge bitte geduldig sein. Denn dort, in diesen Geschichten von früher und von den Zipperlein, liegt das ganze Leben. Mit Liebe, Leid und manchmal sogar einem kleinen Lächeln am Rollator.

Und wer weiß:
Vielleicht erzählen wir eines Tages auch einmal…
…von der Zeit, als es noch Blogger gab.

Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden…

Ob diese Einsichten der katholischen Kirche etwas an der fortdauernden Hetze von Reitz, Reichelt oder Tichy ändern werden? Klar, rhetorische Frage!

Bamberger Erzbischof nimmt Aussagen aus seiner Predigt zurück: Herwig Gössl hat eingeräumt, über Positionen der SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zum Thema Lebensschutz falsch informiert gewesen zu sein. Wie ein Sprecher der Erzdiözese mitteilte, haben Gössl und Brosius-Gersdorf inzwischen miteinander telefoniert, nachdem der Erzbischof der Juristin am Mittwoch ein persönliches Gespräch angeboten hatte. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Limburgs Bischof Georg Bätzing, hat Brosius-Gersdorf unterdessen in Schutz genommen. „Diese Frau hat es nicht verdient, so beschädigt zu werden“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.

Quelle

Gössl hat wohl auch Nius gelesen.

Achtung: Netz-Hetz-Apo aktiv!

Sie (die Union – d.R.) hat damit abermals den politischen Comment beschädigt und ist mit Herzenslust in die Falle rechtspopulistischer Kulturkämpferei getappt. Sie hat erneut ohne Not „die Mitte“ preisgegeben und sich zum parlamentarischen Arm einer rechtsaktivistischen (Netz-Hetz-) Apo herabgewürdigt.

Quelle – Wirtschaftswoche

In gewisser Weise ein Treppenwitz der Geschichte, dass Roland Tichy dort mal Chef war.

via

Wenn das Lebenswerk zur Last wird

Im Jahr 1980 starb mein erster Chef. Er litt an Magenkrebs, schon seit Jahren. Ob es einen Zusammenhang mit dem Konkurs des Familienunternehmens gab, in dem er mit Herzblut gewirkt hatte – ich weiß es nicht. Aber mein Gefühl sagte mir damals: Die seelischen Wunden, die dieser Verlust riss, waren tief. Tiefer vielleicht als jene, die ein Arzt je diagnostizieren könnte.

Viele Jahre später verstarb der langjährige Chef meiner Frau. Über drei Jahrzehnte hatte sie als Verkäuferin in seinem Modehaus gearbeitet. Auch dieses Unternehmen musste aufgeben. Auch hier ein Zusammenbruch, der nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine menschliche Tragödie war. Denn mit dem Untergang solcher Betriebe brechen oft nicht nur Existenzen weg, sondern auch Lebensentwürfe – bei Unternehmern ebenso wie bei ihren Mitarbeitenden und deren Familien.

Wenn ich an das Unternehmertum in Deutschland denke, kommt mir unweigerlich Wolfgang Grupp in den Sinn – der streitbare, wortgewaltige Chef von Trigema. Eine Persönlichkeit, die polarisiert. Ein Mann, der oft laut war, wo andere flüsterten. Der klare Kante zeigte, wo andere sich duckten. Manchmal wirkte er auf mich unduldsam, fast herrisch – und ich fragte mich bei mancher Talkshow: Wie mag das Klima in seiner Firma wohl sein?

Doch fest steht: Grupp lebte sein Unternehmen. Er atmete seine Firma, seine Verantwortung – Tag für Tag. Und wenn heute seine Kinder Trigema weiterführen, dann übernahmen sie nicht nur ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen, sondern auch ein Erbe, das mit viel persönlicher Hingabe aufgebaut wurde.

Heute las ich, dass Wolfgang Grupp schwer erkrankt ist. Altersdepression. Zunächst war nur von „Unruhe“ die Rede. Dann die schockierende Wahrheit: Er habe versucht, sich das Leben zu nehmen. Ein Mann, der so viel getragen hat, zerbrach vielleicht an der Leere nach dem letzten Arbeitstag. An dem, was bleibt, wenn das Lebenswerk weiterzieht – ohne einen selbst.

Ein Freund sagte mir vor vielen Jahren einmal, ich würde mich zu sehr über meinen Beruf definieren. Und ja – er hatte recht. Ich war leidenschaftlich, manchmal zu sehr. Ich konnte schwer loslassen, redete oft und gerne über „die Arbeit“. Es gibt solche Menschen. Die, die sich freuen, wenn der Urlaub endet und sie wieder „ans Werk“ dürfen. Heute, im Zeitalter der Work-Life-Balance, wirkt das fast wie ein Anachronismus – oder einfach wie eine liebevolle Übertreibung.

Doch auch ich habe gelernt: Wir sind alle ersetzbar. Und ja – es gibt Dinge, die wichtiger sind als Arbeit. Liebe. Freundschaft. Gesundheit. Stille.

Und dennoch: Ich habe Menschen wie Wolfgang Grupp immer bewundert. Nicht wegen ihrer Lautstärke. Sondern wegen ihres Verantwortungsgefühls. Ihrer Konsequenz. Ihrer Bereitschaft, sich dem Leben – und dem Scheitern – zu stellen. Verantwortung war für ihn kein schönes Wort aus einem Handbuch, sondern täglicher Anspruch an sich selbst.

Es tut mir leid, dass dieser Mann, der so viel geleistet und getragen hat, nun an einer Krankheit leidet, die unsichtbar ist und doch so zerstörerisch sein kann. Es macht mich traurig, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah.

Und es lässt mich zurück mit einer gewissen Scham. Denn ich erinnere mich an all die pauschalen Vorwürfe, die ich während meines Berufslebens gegenüber Managern und Unternehmern ausgesprochen habe – oft vorschnell, oft hart, selten differenziert.

Vielleicht hätte ich öfter hingeschaut, mehr verstanden, leiser geurteilt.

Ulrich Reitz: Für mich sind Sie das Reizthema in der Causa Brosius-Gersdorf!

Ulrich Reitz, Chefkorrespondent von Focus Online, tritt gerne als Aufklärer auf. Er erhebt den Vorwurf: „Ein linker ‚Kulturkampf‘ um die geistige Vorherrschaft in Deutschland“ würde geführt.

Was er und seine Redaktionskollegen im Falle von Frauke Brosius-Gersdorf abliefert, ist aus meiner Sicht kein Journalismus, sondern ein Tribunal. Ein rhetorischer Pranger, getarnt als politischer Kommentar. Außerdem kommen mir Zweifel an der geistigen Verfassung mancher Kommentar-Autoren. Weniger wäre aus meiner Sicht mehr. Allerdings wird das natürlich mancher über meine Kommentare hier, und zwar nicht nur zu diesem Fall, auch sagen.

Ulrich Reitz erhebt sich über Argumente, aber unterzieht sie keiner Prüfung. Er spricht von „Verständlichkeit für das Volk“, die einerseits nicht gegeben sei, driftet aber weiter ab in seiner Herabwürdigung juristischer Differenzierung. Wer sich, wie Brosius-Gersdorf, in komplexe Fragen vertieft, wird von Reitz als „realitätsfremde Theoretikerin“ abqualifiziert – der intellektuelle Dünkel liegt allerdings auf seiner Seite.

Das Spiel mit der Meinungsmacht

Reitz betreibt in seinem Kommentar ein rhetorisches Spiel, das an klassische populistische Muster erinnert:

  • „Das Volk versteht das nicht“ – ein Totschlagargument, das Kritik an Komplexität vortäuscht, aber in Wahrheit Komplexität verächtlich macht.
  • „Missverstanden? Wohl kaum.“ – Reitz erklärt sich selbst zur Instanz über Wahrheit und Interpretation.
  • „Sogar Alice Schwarzer ist dagegen“ – der Versuch, linke Stimmen gegen eine linke Juristin in Stellung zu bringen, ist durchsichtig: ein Strohmann-Argument, das von einer feuilletonistischen Instrumentalisierung lebt.

Seine Leserschaft störte es überhaupt nicht, dass „das Volk“ es nicht versteht. Sie folgen ihrem Messias, werten und verurteilen.

Seine Herangehensweise ist nicht journalistisch-abwägend, sondern einseitig moralisierend. Er stellt Fragen nicht, um Antworten zu finden – sondern um zu insinuieren.

Die subtile Kunst der Delegitimation

Reitz vermeidet offene Beleidigungen, bedient sich stattdessen einer gefährlicheren Waffe: der pseudonüchternen Diskreditierung. Er nennt Brosius-Gersdorf „humorlos“, unterstellt ihr Arroganz, weil sie eine andere Rechtsauffassung vertritt, und stellt schließlich ihr ganzes Berufsbild infrage.

Dabei ist die Argumentation gegen die Paritätsregelungen keineswegs abgeschlossen – auch nicht in der Rechtsprechung. Dass Reitz dies unterschlägt oder ins Lächerliche zieht, offenbart eine Missachtung juristischer Debattenkultur.

Wer urteilt hier eigentlich?

Man fragt sich: Was qualifiziert Reitz, eine renommierte Rechtswissenschaftlerin verächtlich zu machen? Seine Medienbühne? Seine Selbstgewissheit? Oder die politische Agenda seines Hauses?

Der „Focus“ positioniert sich zunehmend offen konservativ bis rechtsliberal. Reitz ist dort das intellektuelle Aushängeschild dieser Ausrichtung. Doch wo bleibt das Maß? Wo die Bereitschaft zur Differenzierung? Brosius-Gersdorf steht für den demokratischen Diskurs, Reitz für dessen Verkürzung auf Schlagworte.

Der Angriff auf das Bundesverfassungsgericht

Reitz lässt durchblicken, das Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht könne Schaden nehmen, wenn man „Theoretikerinnen“ wie Brosius-Gersdorf dorthin schicke. Welch fatale Aussage! Nicht Kompetenz oder Unabhängigkeit, sondern „Richtererfahrung“ – die er offensichtlich nach seinem Gusto definiert – sollen Maßstab sein.

Es ist ein Frontalangriff auf das Prinzip pluralistischer Perspektiven in der höchsten juristischen Instanz des Landes. Eine Kritik, die nicht nur abwertet, sondern das Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt.

Der Schaden wird immer größer!

Ulrich Reitz agiert nicht als Beobachter, sondern als Richter. Nicht auf der Grundlage von Argumenten, sondern auf dem Feld von Narrativen, Meinungen und medialer Macht.

Er schadet nicht nur Frauke Brosius-Gersdorf – sondern dem Vertrauen in die Presse, in das Recht, in die nüchterne Debatte. Die Art und Weise, wie Leute wie Reitz Meinung zur Waffe machen, muss uns zu denken geben. Aber klar. Die Union und ihre Unterstützer wollen die linke Republik rückabwickeln. Nun, wir sind auf dem Wege, das umfassend und nachhaltig zu erledigen. Danke dafür, Herr Merz, Herr Spahn!

Ulrich Reitz: Ein publizistisches Muster mit politischer Schlagseite

Wer Ulrich Reitz regelmäßig liest oder hört, erkennt schnell ein wiederkehrendes Muster: Die eigene Meinung wird zum Maßstab, Komplexität als elitär gebrandmarkt, progressive Positionen als „weltfremd“ denunziert. Brosius-Gersdorf ist dabei nur das jüngste Beispiel einer langen Reihe.

Der Juristenhass als Kalkül

Es ist auffällig, wie oft Reitz sich über Juristinnen und Juristen empört, die von seiner Norm abweichen. Ob Verfassungsrichter, Oberverwaltungsgerichte oder Verwaltungsjuristinnen – sie alle geraten ins Visier, sobald sie progressive Rechtsauffassungen vertreten. Das Ziel: Die Delegitimation liberaler Auslegungen von Grundrechten.

Ähnlich aggressiv äußerte er sich schon 2019/2020 in Kommentaren zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe. Dort sprach er von einem „realitätsfernen Gericht“, das sich „moralisch überhoben“ habe – ein Vorwurf, der nicht nur polemisch, sondern gefährlich ist. Denn er zielt auf das Vertrauen in die höchste juristische Instanz der Republik.

Reitz und die Frauenfrage

Reitz inszeniert sich als Anwalt der Eindeutigkeit, doch gerade beim Thema Gleichstellung wird seine Argumentation zur Farce. Die Paritätsdebatte, bei der Brosius-Gersdorf sich für das offene Prüfen neuer Gleichstellungsmöglichkeiten einsetzt, verkehrt er zur Anmaßung.

Dass Gleichstellung und Gleichberechtigung keine Gegensätze sind, sondern juristisch aufeinander aufbauen, unterschlägt er. Absicht oder Ignoranz? Beides ist besorgniserregend.

Der Kulturkampf als Berufung

Reitz bedient sich regelmäßig des konservativen Kulturkampf-Vokabulars. Vom Genderstern über das „Kopftuch als Flagge“ bis zur Warnung vor linksgrüner Identitätspolitik – seine Rhetorik gleicht der eines Kommentators aus der rechten Ecke, nicht der eines seriösen Beobachters. Dabei operiert er wie ein Scharnier zwischen bürgerlich-konservativem Journalismus und populistischen Ressentiments.

Der Verweis auf Alice Schwarzer in seinem Brosius-Kommentar ist dafür ein typisches Beispiel: Eine Einzelmeinung wird zum angeblichen Beweis einer überparteilichen Ablehnung aufgeblasen. Kritisches Denken? Fehlanzeige.

Ulrich Reitz verkörpert einen Typus Journalismus, der längst nicht mehr aufklären will, sondern mobilisieren. Seine Kommentare richten sich nicht nach Faktenlage, sondern nach politischem Affekt. Sie erzeugen Stimmungen, keine Erkenntnis.

Wer die Demokratie liebt, sollte sich solche Meinungsmacher genauer anschauen – und ihnen entschieden widersprechen.

Leute wie Reitz und ihre Stichwortgeber (z.B. die blonde Zuruferin) sorgen dafür, dass sich künftig jede Kandidatin, jeder Kandidat für solche Posten überlegt, ob er seine berufliche und persönliche Reputation aufs Spiel setzen soll. Der Schaden für unser Gemeinwesen ist nicht durch Frau Brosis-Gersheim entstanden, sondern durch solche sogenannten Journalisten wie Reitz, Reichelt oder Tichy.

Demokratie braucht Verfahren, keine Verschwörungstheorien á la Roland Tichy

Gegen die Mythen vom Hinterzimmer – Für ein starkes Verfassungsgericht

Wenn Roland Tichy in einem Videobeitrag die Wahl zweier Richterinnen ans Bundesverfassungsgericht als „geplanten Staatsstreich“ bezeichnet, ist das nicht nur grotesk überzogen – es ist gefährlich. Es handelt sich um den Versuch, demokratische Verfahren zu delegitimieren und unabhängige Juristinnen zu diffamieren. Diese polemische Entgleisung verdient eine entschlossene und nüchterne Entgegnung.

Demokratie ist kein Theatersaal – sondern ein Prozess

Tichy sagt in einem Video:

„Die Demokratie wurde viel mehr verteidigt gegen die Parteipolitisierung und gegen die Hinterzimmerpolitik.“

Doch was ist eigentlich undemokratisch daran, wenn Parlamentarier – also demokratisch gewählte Volksvertreter – Richterinnen und Richter vorschlagen und wählen? Das ist kein Schattenreich, kein „verräuchertes Hinterzimmer“, sondern gelebter Parlamentarismus. Hinterzimmer – das sind Deals ohne Öffentlichkeit. Die Wahl von Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichterinnen hingegen erfolgt nach klaren Regeln: mit Zweidrittelmehrheit, in einem transparenten parlamentarischen Verfahren.

Was Tichy hier als Skandal aufbläst, ist in Wahrheit Ausdruck eines verfassungsrechtlich abgesicherten, bewusst auf Konsens angelegten Prozesses. Denn gerade die hohe Hürde der Zweidrittelmehrheit zwingt zu Ausgleich, nicht zu Willkür.

Warum Parteien an der Auswahl beteiligt sind – und das auch gut so ist

Parteien sind keine Fremdkörper im politischen System – sie sind seine Lebensadern. Sie sorgen für politische Willensbildung und bündeln gesellschaftliche Interessen. Wer von „Parteipolitisierung“ bei der Richterwahl spricht, verkennt das Grundprinzip der repräsentativen Demokratie: Entscheidungen werden von Repräsentanten getroffen. Es sind nicht die Personen, sondern das Verfahren, das zählt.

Natürlich bringen Parteien Vorschläge ein. Natürlich werden Namen intern diskutiert. Aber am Ende steht die Wahl durch den Bundestag oder den Bundesrat. Wer das als „Staatsstreich“ bezeichnet, stellt die gesamte demokratische Architektur infrage.

Kein „Putsch durch die Hintertür“, sondern Schutz vor Willkür

Tichy fabuliert:

„Sie zu berufen wäre ein stiller Staatsstreich, ein Putsch durch die Hintertür …“

Das ist rhetorischer Sprengstoff, aber argumentativ blind. Denn was ist die Alternative? Eine Volkswahl der Verfassungsrichtern? Das mag in manchem populistischen Ohr süß klingen – wäre aber verfassungsrechtlich fatal. Juristische Qualität, Ausgewogenheit, Unabhängigkeit – all das lässt sich in keiner Talkshow debattieren und keinem Twitter-Poll ermitteln.

Gerade der Blick über den Atlantik zeigt, wohin das führen kann:

Der Supreme Court der USA – eine Mahnung, kein Vorbild

Die Vereinigten Staaten erleben derzeit, was geschieht, wenn Richterwahlen zum Instrument parteipolitischer Machtergreifung verkommen. Der Supreme Court ist – bei lebenslangen Amtszeiten – inzwischen in eine ideologische Schieflage geraten, die ganze Gesellschaften spaltet. Die Berufung erfolgt dort durch den Präsidenten, bestätigt vom Senat – in Wahlkampfzeiten oft ein reines Machtspiel. Es ist ein System, das Justiz als politische Beute versteht.

Ergebnis? Roe v. Wade wurde gekippt (1973 – Schwangerschaftsabbruch), das Waffenrecht ausgeweitet, Minderheitenrechte beschnitten – nicht durch gewachsene Verfassungsentwicklung, sondern durch strategische Postenbesetzungen. Das ist genau das, wovor unsere deutsche Lösung schützt. Wenn Rechtsextreme und Konservative die Wende bei der Rechtsprechung von Schwangerschaftsabbrüchen auch in Deutschland wollen, sind die Fronten jetzt ja geklärt. Also Bürger: Wehrt euch — und zwar jetzt!

Gibt es bessere Alternativen?

Natürlich ist das bestehende Wahlverfahren nicht sakrosankt. Mehr Transparenz wäre möglich. Eine öffentliche Anhörung wie in den USA – aber ohne deren theatralische Auswüchse – könnte helfen, Positionen besser einzuordnen. Auch eine stärkere Beteiligung unabhängiger Juristenvereinigungen wäre denkbar. Doch eines ist klar: Der aktuelle Konsensmechanismus ist kein Problem, sondern eine tragende Säule der Balance zwischen Demokratie und Rechtsstaat.

Die “Feinde” der Demokratie reißen sich die Masken vom Gesicht. Sie machen die Demokratie verächtlich

Tichy gibt dem AfD-Wähler, die einen großen Teil seiner Leserschaft ausmachen und anderen rechten Zeitgenossen Zucker:

„An die Stelle des Grundgesetzes treten die Feinde an in der roten Robe der Richter, um unsere Freiheit zu zerstören.“

… dann offenbart sich ein weiterer, beunruhigender Zungenschlag. Wer so spricht, verlässt den Raum demokratischer Debatte. Wer Wissenschaftlerinnen als „furchtbare Juristinnen“ diffamiert, weil sie unbequeme Auffassungen vertreten, schürt Ressentiments und fördert eine Gesinnungsjustiz – nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen.

Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit einer offenen Gesellschaft, auch Positionen zuzulassen, die streitbar sind. Genau dafür ist das Verfassungsgericht da: um den Rahmen des Sagbaren, Gesetzlichen und Verfassungsmäßigen abzustecken – nicht, um parteipolitisch zu gefallen.

Demokratie lebt vom Verfahren – nicht vom Gebrüll

Die „Tür zum Hinterzimmer“ wurde nicht geschlossen. Manchmal denken viele von uns, dass es sie gibt. Aber in diesem Fall sollten wir diese Bemerkung identifizieren als brutalen und natürlich völlig untauglichen Versuch, der Demokratie zu schaden. Wer, wie Tichy, unverantwortlich von Staatsstreich, linksextremen Richterinnen und einemTor zur Hölle redet, um einer anderen Republik das Tor zu öffnen, will keine Diskussion – er betreibt wie seine rechte Peergroup Dämonisierung politisch Andersdenkender. Darin ist er gut. Er ist für mich kein seriöser Journalist. Er war es vermutlich nie.

Der deutsche Weg der Richterwahlen ist kein Irrweg. Er ist ein mühsamer, oft unbequemer Balanceakt – aber er bewahrt Würde und Ernst der Demokratie.

Wer Richterwahlen als Theater inszeniert, zeigt vor allem eines: eine tiefe Verachtung gegenüber den Regeln, die uns tragen. Er bekämpft die Demokratie und öffnet so die Pforten zu einem Regime, das keiner wollen kann.

Was sie ertragen muss – und was uns das über unser Land sagt

Die Richterin und der Mob

Was bleibt von einem Menschen, wenn man ihn nicht mehr als Menschen sieht?

In diesen Tagen ist viel geschrieben worden über Paragrafen, Wahlausschüsse, Fraktionslogik und Medienkampagnen. Über Richtlinienkompetenz, verfassungsrechtliche Eignung, Plagiatsvorwürfe. Doch viel zu wenig wurde darüber gesprochen, was all das mit einem Menschen macht. Was es bedeutet, wenn sich der politische Hass Bahn bricht und ausgerechnet jene trifft, die für das Recht eintreten.

Ich möchte darüber schreiben, was mich an der Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf wirklich erschüttert. Es ist nicht nur die politische Feigheit derer, die sich vor sie hätten stellen müssen. Es ist nicht nur die widerwärtige Rhetorik aus rechten Medienlagern, in denen sie als „linksradikale Verfassungsfeindin“ gebrandmarkt wird. Es ist die kalte, kaltschnäuzige Art, mit der über sie gesprochen wird – als sei sie ein Fall. Ein Hindernis. Eine Schachfigur.

Sie ist ein Mensch.

Die Erinnerung an einen TV-Abend

Ich sah sie zum ersten Mal bei Markus Lanz, zusammen mit Gerhart Baum und Heribert Prantl. Es ging um das AfD-Verbotsverfahren – ein schwieriges, emotional aufgeladenes Thema. Und da saß sie: ruhig, klar, ohne jeden ideologischen Überschwang. Juristisch präzise, aber nicht abgehoben. Aufmerksam, aber nicht belehrend. Es war ein beeindruckender Auftritt, weil er etwas zeigte, das heute selten geworden ist: Überzeugung ohne Rechthaberei. Eine Formulierung hat sie gestern (bei Lanz) geradegerückt. Ich bin sicher, dass sie damit NICHT durchdringen konnte. Nicht bei denen, die längst ihr Urteil gefällt haben.

Dass ausgerechnet dieses Thema – das AfD-Verbot – später zum Brandbeschleuniger für die Hetze gegen sie wurde, ist nur folgerichtig. Die Rechtsextremen in diesem Land spüren sehr genau, wer ihnen gefährlich werden könnte. Und wer noch das Vertrauen der bürgerlichen Mitte genießt.

Eine Frau wird zur Zielscheibe

Seit ihrer Nominierung zur Verfassungsrichterin wurde Brosius-Gersdorf zur Zielscheibe einer diffamierenden, entmenschlichenden Kampagne. Ihre Worte wurden verdreht, ihre Wissenschaftlichkeit angezweifelt, ihre Loyalität infrage gestellt. Aus einer Juristin wurde eine „Aktivistin“, aus einem Gutachten eine „Agenda“, aus ihrer Familie ein potenzielles Druckmittel.

Und dann wurde es ganz still.

Still auf Seiten derer, die es hätten besser wissen müssen.

Was das mit einem Menschen macht

Meine Frau und ich haben sie noch einmal gesehen – wieder bei Markus Lanz, diesmal nach den Vorwürfen. Man konnte sehen, was diese Tage mit ihr gemacht haben. Wie schwer das Atmen fällt, wenn Worte plötzlich Waffe werden. Wenn nicht mehr diskutiert wird, sondern verurteilt. Wenn Drohbriefe ins Haus flattern. Wenn die Kollegen an der Universität nicht nur Mails mit schlimmen Inhalten lesen, sondern Polizeischutz brauchen.

Es ist schwer, das zu schreiben, ohne wütend zu werden.

Denn wer sich einmal fragt, wie Demokratien zerfallen, der muss nicht auf die große Gewalt warten. Es beginnt mit Verachtung. Mit dem Missbrauch der Sprache. Mit dem systematischen Entzug von Empathie.

So war es in den letzten Jahren der Weimarer Republik. So ist es wieder.

Das Ende der Menschlichkeit als Methode

Tichy, Reichelt, Reitz, Fleischhauer – sie führen diese Angriffe mit der eiskalten Präzision professioneller Populisten. Sie bedienen sich am Arsenal der alten Demagogen: Verdacht säen, Sprache verzerren, Schuld zuweisen. Ihre Agenda ist klar: diese Regierung delegitimieren, jeden Widerstand brechen, das Vertrauen in unsere Institutionen zersetzen.

Dass Brosius-Gersdorf nicht nur Juristin, sondern auch Ehefrau, Kollegin, Freundin, Professorin ist – interessiert sie nicht. Für solche Leute ist sie ein Symbol. Und Symbole darf man vernichten.

Die Verantwortung liegt bei uns

Ich schreibe diesen Text, weil ich glaube, dass wir nicht nur über Politik sprechen dürfen, sondern auch über Haltung. Und über Menschlichkeit.

Frauke Brosius-Gersdorf verdient Schutz. Nicht nur, weil sie fachlich über jeden Zweifel erhaben ist. Sondern weil sie mit Würde und Klugheit etwas verkörpert, das viele schon verloren haben: Anstand im öffentlichen Raum.

Wer sie mundtot machen will, will uns alle mundtot machen. Und das darf nicht gelingen.

—-

P.S.: Ich wünschte, Brosius-Gersdorf würde diesen Sturm durchstehen. Ich fürchte, dass sie das nicht schafft. Sie wird vermutlich auf das Amt verzichten. Sie hat in der Sendung bei Markus Lanz gesagt, worum es ihr geht. Viele haben nicht zugehört.

Zwischen Rufmord und Rechtsstaat: Die rechts-konservative Kampagne gegen Brosius-Gersdorf

Ein Fall, der weit über Karlsruhe hinausstrahlt

Die gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ist weit mehr als ein Personalstreit. Sie ist ein Menetekel für die politische Kultur unserer Zeit, ein Seismograph für die Kräfte, die am Fundament unserer Demokratie zerren. Was hier sichtbar wurde, ist eine perfide Allianz aus Stimmungsmache, Missgunst und strategischem Zögern – und ein Versuch, eine brillante Juristin durch den Dreck zu ziehen, weil sie für Prinzipien steht, die mancher Partei unbequem geworden sind.

Der Ablauf: Chronologie einer gezielten Eskalation

Am 7. Juli 2025 nominierte der Wahlausschuss des Bundestags die renommierte Staatsrechtlerin gemeinsam mit zwei weiteren Kandidaten für das höchste deutsche Gericht. Die nötige 2/3-Mehrheit wurde erreicht! Brosius-Gersdorf, SPD-Vorschlag, erfüllt fachlich alle Kriterien. Doch schon kurz nach Bekanntwerden ihres Namens begann eine orchestrierte Welle von Angriffen – teils aus konservativen Medien, teils aus einschlägigen Online-Foren und rechten Netzwerken. Aus meiner persönlichen Perspektive will will ich NIUS, den Focus und Tichys-Einblick herausstellen. „Ekelhafte Meinungsmache“ – so lautet mein Urteil über die rechte Propaganda. Ebenso schlimm fand ich die Einlassungen des Bamberger Erzbischofs.


Am Sonntag beim Heinrichsfest bezeichnete Gössl die Haltung von Brosius‑Gersdorf zum Lebensrecht ungeborener Kinder als „innenpolitischen Skandal“. Er warnte eindringlich, man könne „in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten“, wenn Verantwortung vor Gott aus dem Bewusstsein verschwinde – was Schwächere, Ungeborene oder Pflegebedürftige stumm mache

Quelle: ZDF

Die ersten öffentlich lauten Vorwürfe richteten sich nicht etwa gegen ihre juristische Kompetenz, sondern gegen ihre angebliche Haltung zur Abtreibung. Man dichtete ihr die Position an, Schwangerschaftsabbrüche „bis zur Geburt“ zu befürworten – eine groteske Verzerrung. Es folgten Hinweise auf frühere Aussagen zur Impfpflicht, zu einem AfD-Verbotsverfahren. Und schließlich die Keule: Stefan Weber, selbsternannter Plagiatsjäger, meldete Zweifel an ihrer Dissertation an.

Tichy lobte, dass Union und AfD gemeinsam eine „versteckte linke Machtübernahme“ verhindert hätten, indem sie die Wahl blockierten. Er sah darin eine „Sternstunde des Parlaments“ – also nicht nur Ablehnung Brosius‑Gersdorfs, sondern eine Abwehr einer strukturellen Gefahr.
Er präsentiert sich in dieser Debatte als Vorkämpfer gegen „linke Gesinnungsrichter“ und als Kritiker der Union dafür, dass sie dem Druck nicht mit stärkerer Gegenwehr begegnet.

Er wirft Brosius‑Gersdorf vor, ideologisch geprägte Aktivistin zu sein und ihr Auftreten gescheitert – zugleich feiert er das Parlamentsvotum als demokratisch legitimierte Abwehrreaktion gegen eine vermeintliche linke Dominanz.

In einem Kommentar zum TV-Auftritt bei Markus Lanz kritisierte Tichys Einblick die defensive Haltung von Brosius‑Gersdorf scharf. Sie erscheine als „Opferrolle rückwärts“, reagiere gekränkt und unsachlich auf die Debatte und verschärfe damit ihr Imageproblem. Mich wundert, dass in der öffentlichen Debatte diese eindeutig kampagnenartigen Vorgänge nicht als solche beschrieben werden. Das, meine Damen und Herren im rechten politischen Spektrum, ist wesentlich schlimmer, nein ekelhafter!, als die angeblich politisch agitierenden NGO’s, die von Leuten wie Reichelt, Tichy, Fleischhauer, Reitz (Focus) und wie sie alle heißen mögen, negativ ins Feld geführt werden.

Am 11. Juli, nur drei Tage nach der Nominierung, blies die CDU/CSU die geplante Bundestagsabstimmung zur Wahl der Verfassungsrichter kurzerhand ab.

Die Union laviert, die Demokratie verliert

Dass die Union diesen Schritt mit dem Verweis auf „Unklarheiten“ und den „verlorenen Vertrauensschutz“ rechtfertigte, wirkt im Lichte der Gesamtumstände wie eine Nebelkerze. Denn der Ablauf und die Geschwindigkeit der Vorwürfe lassen kaum Zweifel daran: Brosius-Gersdorf wurde Ziel einer Kampagne. Dass sich die Union nun bemüht, nicht als ihr Opfer oder Werkzeug dazustehen, ist politisch durchschaubar. Sie will nicht als Getriebene rechter Kreise erscheinen – ist es aber längst.

Statt sich dem Angriff auf eine verfassungstreue Juristin entgegenzustellen, hat man sich willig zum Werkzeug gemacht. Ein peinliches Signal, auch an die vielen Juristinnen und Juristen, die seither in offenen Briefen gegen diese Entgleisung protestieren.

Was der Fall atmosphärisch offenbart

Die Affäre ist Ausdruck eines vergifteten politischen Klimas, in dem die AfD längst nicht nur in Wahlumfragen Einfluss gewinnt, sondern auch diskursiv: Ihre Begriffe, Narrative und Dämonisierungen sickern in die Mitte der Debatte ein.

Der Bundestag, der Ort gesetzgeberischer Verantwortung und demokratischer Reife, wirkt in solchen Momenten wie ein schwankendes Schiff. Die Polarisierung hat längst das Herz der Institutionen erreicht. Und die Angst, öffentlich als „links“ zu gelten, hat den Mut zum Rückgrat vieler Entscheidungsträger erlahmen lassen.

Die Debatte um Abtreibung: Ein Scheingefecht

Die Verteufelung von Brosius-Gersdorf in der Abtreibungsfrage steht exemplarisch für die Rückkehr moralisch aufgeladener Kontrollrhetorik. Dabei zeigen Umfragen seit Jahren ein recht konstantes Bild:

Mehr als zwei Drittel der Deutschen sprechen sich laut Statista für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus – zumindest innerhalb eines geregelten Zeitrahmens. Die breite Mehrheit ist weder radikal pro-life noch gedankenlos permissiv. Sie ist vernünftig, mitfühlend, abwägend. Ganz ähnlich wie die Haltung, die Brosius-Gersdorf selbst in der Öffentlichkeit formulierte.

Sie sagte nie, was ihr unterstellt wurde. Aber sie wurde vorverurteilt, weil man wusste: Wenn man dieses Thema falsch zuspitzt, reicht es für einen medialen Aufschrei.

Warum diese Kampagne uns alle betrifft

Es geht hier nicht um Sympathie für eine Juristin. Es geht um die Integrität von Verfahren, um die Wahrhaftigkeit im politischen Raum und um den Schutz unserer Institutionen vor emotional aufgeladenem Missbrauch. Wenn einflussreiche Fraktionen sich dazu hergeben, akademische Lebenswerke im Eilverfahren zu zerschießen – ohne Beweise, ohne Würde –, dann muss man nicht nur von einem persönlichen Angriff sprechen. Dann ist es ein Angriff auf die Idee von Demokratie selbst.

Und es ist kein Zufall, dass sich gerade Frauen häufiger diesen Angriffen ausgesetzt sehen, sobald sie im Zentrum der Macht stehen. Brosius-Gersdorf ist keine Aktivistin, keine politische Provokateurin. Sie ist eine sachliche, sorgfältige, verfassungsnahe Juristin. Genau das macht sie für radikalisierte Akteure zur Gefahr.

Ein Ruf nach Rückgrat

Brosius-Gersdorf hat sich trotz des Trommelfeuers nicht verbogen. Sie bleibt ruhig, reagiert juristisch, nicht polemisch. Sie verweist auf Fakten. Und sie will das Vertrauen in rechtsstaatliche Verfahren schützen – mehr als ihre eigene Karriere.

Diese Haltung ist nicht nur achtbar. Sie ist notwendig. Für uns alle. Für das, was bleibt, wenn der Lärm der Skandale verklungen ist: Vertrauen in die Demokratie.

Noch ein Bonmot am Schluss.

„An diesem Gericht müssen die Richter wirklich über jeden Zweifel erhaben sein.“

Das kam von Marc Felix Serrao, Deutschlandchef der NZZ. Einer – warum auch immer –, der von Lanz als konservativer Gegenpol zu Anna Lehmann (TAZ) ins Studio geholt wurde. Der Mann also, der als deutscher Söldner für die NZZ ständig über alles mault, alles nur Erdenkliche miesmacht, was in Deutschland aus Sicht seiner rechten Klientel nicht rundläuft. Ich finde, das grenzt gefühlt schon an Landesverrat. Aber Eric Gujer gefällt’s. Schließlich geht es ja gegen Deutschland.

Geht doch.

Der 11-jährige Fynn, von dem im Beitrag die Rede ist, ist mein Großneffe. Ja, ich bin stolz auf ihn. Wahrscheinlich hätte ich mich in der Schule nicht mal zu Wort gemeldet. Noch viel weniger hätte ich eine konkrete Idee zum Besten gegeben.

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