Ich glaube, viele haben Angst davor, die letzten Lebensjahre in einem Altersheim zu verbringen

Alt­wer­den ist nichts für Feig­lin­ge. Das ist wirk­lich wahr.

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In die­sem Jahr wer­de ich 66 Jah­re alt und nach Udo Jür­gens fängt mein Leben dann erst an. Seit 2015 bin ich schon Rent­ner und füh­le mich in die­ser Rol­le und auch sonst recht wohl. Mei­ne Frau ist ein Jahr jün­ger. Wir sind in unse­rem drit­ten Lebens­ab­schnitt ange­kom­men. Rent­ner zu sein ist ok. Jeden­falls solan­ge man gesund und zusam­men ist.

Es ist so, dass ich mich etwas mehr mit dem The­ma „Alt­wer­den“ beschäf­ti­ge, als ver­mut­lich vie­le mei­ner Alters­ge­nos­sen, denn wir leben zusam­men mit mei­ner Schwie­ger­mut­ter (95). Da bleibt das nicht aus. Die Trä­nen, der zeit­wei­li­ge Kum­mer, die Trau­er um die Fami­li­en­mit­glie­der ihrer Gene­ra­ti­on, ihre toten Freun­din­nen, die Angst vor dem eige­nen Tod, die gan­ze Hilf­lo­sig­keit und das Gefühl, auf ande­re ange­wie­sen zu sein, sind uns (lei­der) auch vertraut.

Zu Hause leben und sterben

Es gibt unge­fähr 1,8 Mil­lio­nen Men­schen, die zu Hau­se allein von Ange­hö­ri­gen gepflegt wer­den. Ins­ge­samt spre­chen wir von 2,6 Mil­lio­nen Men­schen und damit von 3/​4 aller Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, die zu Hau­se ver­sorgt wer­den. Die Zah­len stei­gen auf­grund der all­seits bekann­ten demo­gra­fi­schen Entwicklung. 

Heu­te las ich in mei­ner Tages­zei­tung, dass die Stadt Köln bis zum Jahr 2040 mehr als 50 neue Hei­me bau­en muss. Heu­te feh­len in der Stadt schon Tau­sen­de von Pfle­ge­plät­zen. Der­zeit gibt es in Köln 96 Pfle­ge­hei­me mit 7.800 Plät­zen. Die Aus­las­tung liegt aktu­ell bei 98 %. Wir wis­sen seit Jah­ren, dass die­se Ent­wick­lung bevor­stand. Die Fach­leu­te sagen wei­ter­hin vor­aus, dass sich die Situa­ti­on in allen Berei­chen der Pfle­ge ver­schlech­tern wird. 

Nicht ins Altenheim, bitte

Die Fra­ge danach, inwie­weit der schon heu­te hohe Anteil von Men­schen, die von ihren Ange­hö­ri­gen zu Hau­se gepflegt wer­den, sich noch ver­grö­ßern lie­ße, wird nicht gestellt.

Wenn man bedenkt, dass die Zahl der kin­der­lo­sen Men­schen in Zukunft stark ansteigt, ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Zahl der exter­nen Pfle­ge­plät­ze stark wach­sen muss. Wenn heu­te also 3/​4 aller Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zu Hau­se ver­sorgt wer­den kön­nen, müs­sen wir davon aus­ge­hen, dass die­ser hohe Anteil in der Zukunft erheb­lich klei­ner wird. Die Ange­hö­ri­gen, die dies tun könn­ten, sprich die Kin­der der alten Men­schen, feh­len. Die Dimen­si­on wird in jeder Hin­sicht schwer zu fas­sen sein.

Inwie­weit das bei den Bedarfs­er­mitt­lun­gen über­haupt berück­sich­tigt wur­de, ent­zieht sich mei­ner Kennt­nis. Wenn Fach­leu­te davon reden, dass sich die Zahl der „Leis­tungs­be­zie­her“ durch neue Pfle­ge­ge­set­ze erhöht hät­te, wird das ver­mut­lich so sein, aller­dings wun­dert es mich, dass die von mir ange­spro­che­ne Kom­po­nen­te für die Bedarfs­pla­nung im erwähn­ten sehr aus­führ­li­chen Zei­tungs­be­richt nicht erwähnt wur­de. Sie dürf­te, schät­ze ich mal, star­ke Aus­wir­kun­gen haben.

Kapazitäten der Heime nach Einführung höherer Standards

Im Bereich der Stadt Köln will man errei­chen, dass die Kapa­zi­tä­ten auf­ge­stockt wer­den. Hier­zu gehört es, dass Flä­chen in Neu­bau­ge­bie­ten für Pfle­ge­ein­rich­tun­gen reser­viert wer­den und die ambu­lan­te Pfle­ge gestärkt wird. Dass Letz­te­res nicht ein­fach zu rea­li­sie­ren ist, zeigt der aktu­el­le Fach­kräf­te­man­gel gegen den es bis jetzt kei­ne wirk­sa­men Maß­nah­men zu geben scheint. Mehr Lohn, bes­se­re Bedin­gun­gen und dann? Die Dimen­si­on des Fach­kräf­te­man­gels wird zei­gen, dass wir auf zusätz­li­che Kräf­te aus dem Aus­land (Migran­ten) ange­wie­sen sind! 

Die schon heu­te sicht­ba­ren Eng­päs­se füh­ren dazu, dass Köl­ner Senio­ren nicht in ihrem Vier­tel in einem Senio­ren­heim unter­ge­bracht wer­den, son­dern – je nach dem – aus Platz­man­gel in die Eifel umzie­hen müssen. 

Ein Cari­tas – Geschäfts­füh­rer reicht die Schuld für die­se Situa­ti­on an das Land wei­ter. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren sei­en die Stan­dards für Senio­ren­hei­me her­auf­ge­setzt wor­den. Als Bei­spiel nennt er die Ein­füh­rung von stan­dard­mä­ßi­gen Einbettzimmern. 

Hal­ten wir also fest: Eine men­schen­wür­di­ge Unter­brin­gung mit etwas mehr Platz und einem grö­ße­ren Bad für die alten Men­schen ist ein Malus, die Ver­bes­se­rung des Stan­dards ist für die Trä­ger also nicht ver­kraft­bar. Sie blei­ben näm­lich auf den Mehr­kos­ten für die­se ver­bes­ser­ten Stan­dards sitzen. 

Man mag kaum glau­ben, was man da liest.

Immobilienpreise haben auch Auswirkungen auf den Neubau von Altenheimen

Es gibt noch wei­te­re Pro­ble­me, wie bei­spiels­wei­se zu hohe Immo­bi­li­en­prei­se, die den sozia­len Trä­gern die­ser Ein­rich­tun­gen die Chan­ce neh­men, die benö­tig­ten Flä­chen für Neu­bau­ten von Alten­hei­men zu erwerben.

In die­sem lan­gen Zei­tungs­bei­trag gibt es nichts, was irgend­wie Mut machen wür­de. Alle Beden­ken­trä­ger haben ihre Beden­ken vor­ge­bracht und las­sen die Lese­rIn­nen rat­los zurück.

Sich ausgeliefert zu fühlen, ist bestimmt schrecklich

Da fra­ge ich mich natür­lich, wor­auf mei­ne Frau und ich uns ein­zu­stel­len haben. Wir haben kei­ne Kin­der. Wir wür­den, ehr­lich gesagt, auch nicht erwar­ten bzw. nicht wol­len, dass sie, wenn es sie denn gäbe, sich um uns kümmern. 

Wir pfle­gen unse­re Mut­ter gern. Sie sagt sel­ten ein­mal, dass sie nicht wis­se, wie sie uns das je wie­der gut machen könn­te. Wir geben uns Mühe, ihr die­sen Gedan­ken aus­zu­re­den und erklä­ren ihr, dass wir das sehr gern machen und dass sie sich kei­ne Sor­gen machen soll. 

Das Gefühl, ande­ren zur Last zu fal­len, wer­den bestimmt vie­le alte Men­schen ken­nen und tei­len. Ich kann mir vor­stel­len, dass es, auch wenn es objek­tiv kei­nen kon­kre­ten Anlass dafür gibt, sehr belas­tend ist. Die, die von ihren Ange­hö­ri­gen gepflegt wer­den, eben­so wie die Men­schen, die in einem Heim ihre letz­ten Lebens­jah­re ver­brin­gen, wer­den das wohl oft so empfinden. 

Dass unse­re Gesell­schaft die­ses gro­ße, mensch­li­che Pro­blem, das es schon immer gab, trotz unse­res rela­ti­ven Reich­tums, nicht mit der gebo­te­nen Ent­schlos­sen­heit angeht, fin­de ich bedrü­ckend. Schließ­lich weiß jeder von uns, dass wir irgend­wann in die­se Lage kom­men könnten.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Alter Demografie Deutschland Gesellschaft

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10 Gedanken zu „Ich glaube, viele haben Angst davor, die letzten Lebensjahre in einem Altersheim zu verbringen“

  1. Ich sehe das gera­de aktu­ell an mei­ner Groß­mutter. Sie ist seit einem Jahr Wit­we und lebt auf dem Dorf allein. Und auch wenn sie stets dar­auf pocht, dass es ihr wie­der bes­ser geht, weiß die Fami­lie, das es eine Fra­ge der Zeit ist. Bit­ter, aber man muss es aus­spre­chen. Aber allein das Wort „Alten­heim“ löst schon Trä­nen aus. Wenn ich mich in sie hin­ein­ver­set­ze, kann ich das auch nach­voll­zie­hen. Aber zu mei­nen Eltern kann sie nicht, ich woh­ne allein und mit dem Rest der Fami­lie ver­steht sie sich nicht. Das Alten­heim wäre ver­nünf­tig, aber wie sag­te Hume so schön, die Ver­nunft ist die Skla­vin der Gefühle.

    Ich per­sön­lich muss ganz ehr­lich sagen, mir macht ein Alters­heim kei­ne Angst. Natür­lich hät­te ich Beden­ken auf­grund der nega­ti­ven Din­ge, die man in Sachen Pfle­ge usw. hört, aber seit ich nicht mehr zuhau­se bei mei­nen Eltern lebe, lebe ich allein in Miet­woh­nun­gen. Ich glau­be, wenn ich jetzt in die Zukunft sehen wür­de, die Vor­tei­le wür­den für mich überwiegen.

  2. Die Oma eines lie­ben Freun­des kam ins Pfle­ge­heim nach einem Kran­ken­haus­auf­ent­halt. Sie konn­te nicht mehr zurück, weil die Nach­barn es nicht mehr schaff­ten, ihr bei die­sem und jenem zu hel­fen und auch, weil sie zuneh­mend demen­te Anwand­lun­gen hat­te, die schlecht zu ver­kraf­ten waren.

    Ich habe sie mehr­mals besucht und dadurch viel­sei­ti­ge, auch ambi­va­len­te Ein­drü­cke vom Pfle­ge­heim gewon­nen. Mir wur­de auch bewusst, wie sehr die eige­ne Hal­tung dazu bei­trägt, ob man sich dort wohl fühlt oder nicht. Frau M. hat sich nicht wohl gefühlt und ist schon bald verstorben.

    Mehr dazu:
    Mein ers­ter Besuch in einem Pflegeheim

    Gra­de heu­te hab’ ich anläss­lich dei­nes Pos­tings wie­der dar­an gedacht: Man muss etwas dafür tun, dass Ver­än­de­run­gen im hohen Alter nicht nur­mehr als uner­träg­li­che Zumu­tung emp­fun­den werden.
    Dazu gehört: Neue /​ande­re Din­ge tun, neue Men­schen ken­nen ler­nen, sich in Grup­pen wagen…

  3. Ich fin­de es bewun­derns­wert, dass ihr die Mutter/​Schwiegermutter betreut und ihr ver­dient jeden Respekt die­ser Welt. Ich kann nur erah­nen, was es bedeu­tet, einen pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen zu pfle­gen. Im Übri­gen gibt es nicht nur alte Men­schen, die gepflegt wer­den müssen.
    Der demo­gra­phi­sche Wan­del ist ein gro­ßes Pro­blem, die Geld­ma­che­rei in der Pfle­ge ebenso.
    Wir haben 2 erwach­se­ne Söh­ne. Ich möch­te nicht, dass bei­de für mich eine sol­che Auf­ga­be über­neh­men müssen.

  4. Wir haben mit 4 Geschwis­tern mei­nen Vater, der Alz­hei­mer hat­te, lan­ge gepflegt so lan­ge es irgend wie ging. Gehol­fen hat auch Essen auf Rädern, die Cari­tas und zeit­wei­se eine Pfle­ge­kraft, die wir bezahlt haben. In die­ser Zeit haben wir eini­ge Tra­gik erlebt. So erkann­te unser Vater weder uns, noch sei­ne Schwes­ter wie­der und konn­te nichts mehr selbst machen. Lei­der schaff­ten wir es irgend wann nicht mehr und muss­ten ihn in ein Pfle­ge­heim geben. Bei Alz­hei­mer­pa­ti­en­ten ist es noch schwie­ri­ger, den rich­ti­gen Platz zu fin­den. Die meis­ten Hei­me sind nicht dar­auf vorbereitet.

    Von Zeit zu Zeit mache auch ich (ver­hei­ra­tet, kei­ne Kin­der) mir Gedan­ken, wie das bei uns aus­se­hen wird. Nie­mand möch­te wirk­lich in ein Alters­heim. Nach­dem ich die Pfle­ge dort erlebt habe, noch viel weni­ger. So hof­fe ich, dass wir so lan­ge wie mög­lich, vor allem geis­tig fit blei­ben. Ich lese dar­über und schaue mir Sen­dun­gen an, wie die über ein Pfle­ge­heim im Nor­den Thai­lands, das auch nicht viel teu­rer war als unse­re Hei­me. Ide­al wäre es, wenn man so lan­ge wie mög­lich zu Hau­se blei­ben könn­te und eine Pfle­ge­kraft /​Haushaltskraft einem die Din­ge abneh­men könn­te, die nicht mehr gehen.

    Herz­li­che Grüße
    Renate

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